L 12 (9) AL 224/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 27 AL 240/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 (9) AL 224/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.10.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist im Hinblick auf die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Insolvenzgeldes, ob die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2001 zu berücksichtigen ist.

Der 1969 geborene Kläger war als Kraftfahrer bei der I X GmbH in C tätig, über deren Vermögen am 28.03.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Entsprechend der vom Insolvenzverwalter ausgestellten Insolvenzgeldbescheinigung bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 15.04.2002 Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.01. bis 27.03.2002 in Höhe von 4.158,68 EUR. Hiergegen erhob der Kläger am 22.04.2002 Widerspruch und begehrte die zusätzliche Berücksichtigung der Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2001. Er trug vor, die X GmbH sei seit drei Jahren nicht mehr tarifgebunden gewesen, worauf der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung eine Betriebsvereinbarung zum sogenannten Weihnachtsgeld getroffen habe. Unter Vorlage einer Kopie verwies er auf die Betriebsvereinbarung vom 06.12.2001, wonach das Weihnachtsgeld in vier Raten zu zahlen war, und zwar die erste Rate im Dezember in Höhe von 800,00 DM brutto abzüglich Lohnsteuer und Sozialversicherung als Nettoauszahlung per Scheck und weitere Zahlungen mit der Januar-, Februar- und Märzlöhnung 2002.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2002 gestützt auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 02.11.2000 - B 11 AL 87/99 R - zurück. Bei einer auf das Kalenderjahr bezogenen "Stichtagsregelung" sei eine Verschiebung des Auszahlungstages (durch Betriebsvereinbarung) in das nachfolgende Kalenderjahr rechtlich nicht zulässig. An der betrieblichen Übung bis zum Abschluss der ersten Betriebsvereinbarung sei die Jahressonderzahlung gemäß den Bestimmungen des "Tarifvertrags über die Absicherung eines Teils eines 13. Monatseinkommens" jeweils am 30.11. des laufenden Kalenderjahres ausgezahlt worden. Trotz Wegfalls der Tarifbindung hätten durch die Betriebsvereinbarung nicht die Anspruchsvoraussetzungen neu geregelt werden sollen, sondern nur die Fälligkeitsmodalitäten. Der bisherige Auszahlungstermin sollte grundsätzlich beibehalten und dem Arbeitgeber nur eine Stundung gewährt werden. Eine solche Stundung aber rechtfertige keine Einbeziehung des Anspruchs in den Insolvenzgeldzeitraum.

Am 04.11.2002 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.04.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2002 zu verurteilen, höheres Insolvenzgeld unter Berücksichtigung der anteiligen Weihnachtsgratifikation zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden zum Ausdruck gebrachten Auffassung festgehalten.

Mit Urteil vom 09.10.2003 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf höheres Insolvenzgeld nach § 183 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Der Insolvenzgeldzeitraum umfasse die Zeit vom 28.12.2001 bis 27.03.2002. Durch die Betriebsvereinbarung vom 06.12.2001 sollte lediglich eine Stundung im Sinne eines Hinausschiebens der Fälligkeit für die nach betrieblicher Übung eigentlich für Ende November vorgesehene Zahlung der Weihnachsgratifikation erfolgen. Dies werde schon durch die Wortwahl "aufgrund der andauernd schlechten Wirtschaftslage" und "folgende Zahlungsweise" deutlich gemacht. Ein derartiges Verschieben bei unverändertem Rechtsgrund des Anspruchs rechtfertige nach der Rechtsprechung des BSG jedoch keine Einbeziehung in den Insolvenzgeldzeitraum. Hätte nämlich eine Vereinbarung, die Fälligkeit der für ein bestimmtes Kalenderjahr zu gewährenden Sonderleistung in das nächste Kalenderjahr zu legen, Auswirkungen auf die Zuordnung zum Insolvenzgeldzeitraum, widerspreche dies dem Grundsatz, dass das Arbeitsentgelt regelmäßig dem Zeitraum zuzurechnen sei, in dem es erarbeitet worden sei.

Gegen das ihm am 27.10.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.11.2003 Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.10.2003 abzuändern und nach dem Klageantrag erster Instanz zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Maßgeblich sei nicht, wann die Gratifikation beansprucht werden könne, sondern wann der Anspruch auf sie arbeitsrechtlich entstanden sei. Es gehe nicht darum, ob die Gratifikation im Insolvenzgeldzeitraum beansprucht werden könne, sondern ob sie für diesen Zeitraum zustehe. Dies ergebe sich daraus, dass beim Insolvenzgeld der Grundsatz gelte, dass Arbeitsentgelt regelmäßig dem Zeitraum zuzuordnen sei, in dem es erarbeitet worden ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Das SG hat die Berufung zugelassen. Hieran ist der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebunden.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger kein höheres Insolvenzgeld zu gewähren ist.

Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden 3 Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 3 SGB III gehören zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis.

Ist zunächst nicht zweifelhaft, dass es sich bei der vorliegenden Jahressonderzahlung um Arbeitsentgelt im Sinne von § 183 Abs. 1 SGB III handelt, ist sie jedoch nicht in die Insolvenzgeldberechnung einzubeziehen. Denn sie ist weder dem Insolvenzgeldzeitraum zeitanteilig zuzurechnen, noch ist sie als nicht einzelnen Monaten zuzurechnende Zahlung den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Insolvenzereignisses zuzuordnen. Zu prüfen war zunächst, ob dem Kläger die Jahressonderzahlung (Weihnachtsgeld) überhaupt zustand. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung verfügte der Kläger über keinen schriftlichen Arbeitsvertrag. Nach den Feststellungen der Beklagten war der Arbeitgeber ab 01.01.2000 als Unternehmer ohne Tarifbindung beim Arbeitgeberverband geführt. Dieser Umstand hat jedoch auf den Anspruch des Klägers keine Auswirkung, weil gemäß § 3 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz die Tarifgebundenheit bis zum Ende des Tarifvertrags bestehen bleibt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, Gewerkschaftsmitglied zu sein und erklärt, seit 1990 in dem Unternehmen ohne Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrags gearbeitet zu haben. Nach jahrelanger betrieblicher Praxis sei die Höhe des Lohnes und der Jahressonderzahlung aber an den jeweils gültigen Tarifvertrag gekoppelt gewesen. Die tarifvertraglichen Änderungen in der Lohnhöhe und der Höhe der Jahressonderzahlungen seien immer entsprechend dem Tarifvertrag an die Arbeitnehmer weitergegeben worden. Von dem Austritt des Arbeitgebers aus der Tarifgebundenheit habe er jedenfalls vor der Insolvenz Kenntnis gehabt. Eine Änderung des Arbeitsvertrags sei weder mündlich noch schriftlich erfolgt.

Ein arbeitsvertragsrechtlicher Anspruch des Klägers auf Zahlung der Jahressonderzahlung in der Höhe, wie sie sich aus dem Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teils des 13. Monatseinkommens vom 11.12.1996 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens ergibt, war damit gegeben. Da der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag mit dem Kläger nach dem Ausscheiden aus der Tarifgebundenheit nicht wirksam geändert hat (z.B. durch eine Änderungskündigung oder den mündlichen Abschluss einer neuen Vereinbarung), ist zudem festzustellen, dass der Kläger im Jahr 2001 Anspruch auf eine Jahressonderzahlung in Höhe von 55 % einer Monatsvergütung hatte (§ 2 Ziffer 2.2 des oben genannten Tarifvertrags).

Die zeitliche Zuordnung der Jahressonderzahlung bestimmt sich nach § 3 des genannten Tarifvertrags. Dieser hat folgenden Wortlaut: 1. Der Zeitpunkt der Auszahlung wird durch Betriebsvereinbarung geregelt.

2. Falls dieser Zeitpunkt durch Betriebsvereinbarung nicht geregelt ist, gilt als Auszahlungstag im Sinne des § 3 Nr. 1 der 01. Dezember.

In diesem Fall ist es dem Arbeitgeber unbenommen, die Erfüllung der Zahlung vorher durchzuführen.

3. Über Abschlagszahlungen können Regelungen in die Betriebsvereinbarung aufgenommen werden.

Durch die Betriebsvereinbarung vom 06.12.2001 sind die Auszahlungstage für die zweite bis vierte Jahressonderzahlungsrate nicht vom 01.12.2001 auf die Tage der Januar-, Februar- und Märzlöhnung und damit die Zuordnung dieser drei Raten nicht von 2001 in das Jahr 2002 verändert worden, weil dies mit der tariflichen Regelung unvereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 02.11.2000 - B 11 AL 87/99 R - und Urteil vom 18.03.2004 - B 11 AL 57/03 R -), der sich der Senat anschließt, verbieten Sinn und Zweck der tariflichen Regelung, den Auszahlungstag auf einen Tag außerhalb des Kalenderjahres, für den die Sonderzahlung gedacht ist, zu legen. Die tarifliche Regelung begründet einen Anspruch auf Sonderzahlung je Kalenderjahr für alle Arbeitnehmer, die am Auszahlungstag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen. Nach der tariflichen Sonderregelung sollen die Sonderzahlungen neben der Betriebstreue auch die Gegenleistung für die im jeweiligen Kalenderjahr geleistete Arbeit sein. Hätte eine Vereinbarung, die Fälligkeit der für ein bestimmtes Kalenderjahr zu gewährenden Sonderzahlung in das nächste Kalenderjahr zu legen, Auswirkung auf die Zuordnung zum Insolvenzgeldzeitraum, würde dies dem Grundsatz widersprechen, dass das Arbeitsentgelt regelmäßig dem Zeitraum zuzuordnen ist, in dem es "erarbeitet" worden ist. Auch für die Zeit vom 28.12. bis 31.12.2001 steht dem Kläger ein Anspruch auf höheres Insolvenzgeld nicht zu, weil er am 07.12.2001 bereits die erste Jahressonderzahlungsrate erhielt, womit die vier Tage im Jahr 2001 jedenfalls abgedeckt sind.

Führt mithin die Jahressonderzahlung für 2001 nicht zu einem höheren Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld, war auch eine für das Jahr 2002 in Betracht kommende Sonderzahlung nicht zu 3/12 zu berücksichtigen. Die Jahressonderzahlung als Leistung, die nicht für die Arbeit in einem einzelnen Endgeldabrechnungszeitraum gezahlt wird, begründet zwar einen Insolvenzgeldanspruch in Höhe des auf den Insolvenzgeldzeitraum entfallenden Anteils, wenn arbeitsrechtliche Vereinbarungen oder tarifvertragliche Regelungen für den Arbeitnehmer auch bei vorherigem Ausscheiden einen zeitanteiligen Anspruch vorsehen (vgl. BSG Urteil vom 18.03.2004 - B 11 AL 57/03 R -). Eine aufgrund tariflicher Regelung oder betrieblicher Übung allen an einem Stichtag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmern grundsätzlich ungekürzt zustehende Jahressonderzahlung ist demgegenüber aber nicht einzelnen Monaten zuzuordnen (vgl. BSG Urteil vom 02.11.2000 - B 11 AL 87/99 R - m.w.N.). Vorliegend handelt es sich um eine solche tarifvertragliche Regelung, die allen am Stichtag ungekündigten Arbeitnehmern eine volle Jahressonderzahlung zubilligte, aber eben keinen anteiligen Anspruch bei vorzeitigem Ausscheiden. Dann aber kommt eine Dreizwölftelberücksichtigung für die Monate Januar bis März 2002 auch nicht in Betracht.

Klage und Berufung konnten somit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er mit dem SG der Sache grundsätzliche Bedeutung zumisst (§ 160 Abs. 2 Ziffer 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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