L 13 SB 241/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 7 SB 2363/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 SB 241/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Übernahme der Kosten des nach § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachtens des Arztes für Orthopädie Dr. B aus S vom 15.10.2017 auf die Staatskasse wird abgelehnt.

Gründe:

I.
Streitgegenstand des zugrunde liegenden Klage- und Berufungsverfahrens ist die Feststellung eines GdB von 50 gewesen.

Das Sozialgericht hat ein orthopädisches und ein internistisch-pulmologisches Sachverständigengutachten eingeholt und im Anschluss an diese Gutachten die Beklagte zur Feststellung eines GdB von 40 verurteilt. Der erkennende Senat hat im Berufungsverfahren zur Abklärung einer somatoformen Schmerzstörung ein neurologisch-psychiatrisches und zur Abklärung einer Verschlimmerung des Lungenleidens ein erneutes internistisch-pulmologisches Sachverständigengutachten eingeholt. Beide Gutachten haben den GdB von 40 bestätigt. Im Juli 2016 hat der Senat darauf hingewiesen, dass nach der Sachaufklärung von Amts wegen die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe.

Die Klägerin hat daraufhin beantragt, den Arzt für Orthopädie Dr. B nach § 109 SGG als Sachverständigen zu hören. Sie hat an dem Antrag auch nach dem Hinweis dieses Arztes festgehalten, es sei nach Eingang des Gutachtenauftrages mit einer Dauer von sechs bis neun Monaten bis zur Einladung der Klägerin zu rechnen. Der Senat hat nach Einzahlung eines Kostenvorschusses durch die Klägerin i.H.v. 3.500 EUR mit Beweisanordnung aus November 2016 Dr. B zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat die Klägerin im Mai 2017 untersucht und im November 2017 sein Gutachten vorgelegt, für das er 3.160,09 EUR in Rechnung gestellt hat. Dr. B hat anders als der vom Sozialgericht beauftragte orthopädische Sachverständige das bei der Klägerin bestehende Wirbelsäulenleiden nunmehr mit einem Einzel-GdB von 30 statt 20 und den GdB insgesamt mit 50 bewertet. Das Wirbelsäulenleiden habe sich verschlechtert. Diese Verschlechterung und damit der GdB von 50 seien ab dem Datum der Untersuchung im Mai 2017 anzunehmen. Die Beklagte hat sich daraufhin zur Feststellung eines GdB von 50 ab Mai 2017 bereit erklärt. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt die Übernahme der Kosten des Gutachtens von Dr. B auf die Staatskasse.

II.
Über die endgültige Tragung der Kosten eines Gutachtens nach § 109 SGG entscheidet das Gericht nach Ermessen durch Beschluss (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 109 Rn 16). Zuständig ist im vorliegenden Fall einer Erledigung außerhalb der mündlichen Verhandlung der Berichterstatter, § 155 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 SGG (vgl. Keller, a.a.O., § 155 Rn 8, 9e).

Bei der Ermessensentscheidung wird berücksichtigt, ob das Gutachten die Sachaufklärung wesentlich gefördert hat, was wiederum dann regelmäßig angenommen wird, wenn deswegen ein Vergleich geschlossen oder ein Anerkenntnis abgegeben wird (vgl. Keller, a.a.O., § 109 Rn 16a; Pitz, in: jurisPK-SGG, Stand: 09.05.2018, § 109 Rn 37; Udsching, in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl. 2016, III Rn 101). Trotz eines Anerkenntnisses soll eine Kostenübernahme bei Mangelhaftigkeit des Gutachtens ausscheiden (Pitz, a.a.O.). Eine Übernahme soll dagegen erfolgen, wenn das Gutachten nach § 109 SGG eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes belegt, da sich auch hierauf die von Amts wegen durchzuführende Sachaufklärung hätte beziehen müssen (Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, 2. Aufl. 2014, § 109 Rn 11 a.E.).

In teilweiser Abkehr von den vorgenannten Grundsätzen wird hier keine wesentliche Förderung der Sachaufklärung durch das Gutachten nach § 109 SGG angenommen.

Bei der Beurteilung der wesentlichen Verfahrensförderung ist hier einerseits zu berücksichtigen, dass die Antragstellung nach § 109 SGG und die damit regelmäßig einhergehende längere Dauer des Verfahrens in der Prozessordnung vorgesehen ist (vgl. zu den begrenzten Möglichkeiten der Ablehnung eines Antrags nach § 109 SGG wegen überlanger Gutachtendauer Keller, a.a.O., Rn 5b) und dass bei der zugrunde liegenden Anfechtungs- und Verpflichtungsklage maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der der letzten mündlichen Verhandlung ist (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 6/12 R, juris Rn 28). Zu berücksichtigen ist andererseits, dass - wie bereits dargestellt - ein Klageerfolg aufgrund eines Gutachtens nach § 109 SGG nicht in jedem Fall zur Kostenübernahme führt, dass im Rahmen der Kostengrundentscheidung in bestimmten Konstellationen die Klägerseite trotz Erfolg in der Sache ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat, nämlich im Fall des "sofortigen Anerkenntnisses" (vgl. dazu Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 193 Rn 12c) und dass das Prozessrecht Selbsthilfemöglichkeiten berücksichtigt, etwa wenn im Rahmen einstweiliger Anordnungsanträge eine vorherige Befassung der Behörde gefordert wird (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 30.10.2009 - 1 BvR 2442/09, juris Rn 3).

Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass der Sachverständige nach § 109 SGG die maßgebliche Verschlimmerung erst ab einem Zeitpunkt angenommen hat, der - mit fast einem Jahr deutlich - nach Abschluss der Sachaufklärung von Amts wegen lag. Ohne den Antrag nach § 109 SGG hätte der Senat über die Berufung auch unter Berücksichtigung der sonstigen sitzungsreifen Sachen zu diesem Zeitpunkt aller Wahrscheinlichkeit nach bereits entschieden gehabt. Die laut Gutachten nach § 109 SGG erst später eingetretene Verschlimmerung hätte von der Klägerin dann mittels eines Änderungsantrags gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden können. Da das Gutachten nach § 109 SGG eine objektive Verschlimmerung festgestellt hat und die Beklagte dem gefolgt ist, wäre zu erwarten gewesen, dass die Beklagte dem auch in einem Verschlimmerungsverfahren entsprochen hätte.

Dem Regelfall der Kostenübernahme liegt letztlich die Annahme zugrunde, dass die Sachaufklärung von Amts wegen fehlerhaft war, sei es, weil die von Amts wegen eingeholten Gutachten unzutreffend waren, sei es, weil das Gericht fälschlicherweise gar kein Gutachten eingeholt hat (vgl. zu der letztgenannten Fallgruppe Keller, a.a.O., Rn 16a; Kühl, a.a.O.). Eine Fehlerhaftigkeit der von Amts wegen eingeholten Gutachten oder eine sonstige Fehlerhaftigkeit der Sachaufklärung durch das Gericht ist im vorliegenden Fall aber gerade nicht gegeben. Die Verschlimmerung trat erst deutlich nach Vorlage der von Amts wegen eingeholten Gutachten und darüber hinaus nach dem Zeitpunkt ein, zu dem der Senat ohne den Antrag nach § 109 SGG über die Berufung entschieden hätte.

Bei dieser Sachlage ist eine Kostenübernahme durch die Staatskasse nicht gerechtfertigt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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