S 10 KR 3042/19 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 3042/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Begehrt der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit medizinischen Cannabisblüten bei einem chronischen Schmerzsyndrom so hat er einen Anordnungsanspruch jedenfalls dann nicht glaubhaft gemacht, wenn eine fachärztliche Behandlung des chronischen Schmerzsyndroms nicht erfolgt.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit medizinischen Cannabisblüten durch die Antragsgegnerin.

Der 1985 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Am 7.12.2018 beantragte er unter Vorlage eines "Arztfragebogens zu Cannabinoiden" die Kostenübernahme für medizinische Cannabisblüten, Handelsname Bedrocan. In dem Arztfragebogen führte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. x aus, hiermit solle ein chronisches Schmerzsyndrom behandelt werden. Seit einem Unfall im Dezember 2017 mit erfolgtem Polytrauma sei der Antragsteller nicht mehr schmerzfrei. Der Antragsteller leide außerdem unter Asthma sowie unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Derzeit erfolge eine Behandlung mit Ibuprofen 800. Eine Therapie mit Mirtazapin, Novaminsulfon, Opiptamol und Oxicodon sei erfolglos gewesen. Andere Behandlungsalternativen stünden aufgrund unzureichender Wirkung oder zu starker Nebenwirkungen nicht zur Verfügung.

Mit Schreiben vom 17.12.2018 unterrichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller über den Eingang des Antrags sowie darüber, dass sie beabsichtige, hierzu ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) einzuholen.

In dem Gutachten vom 18.12.2018 teilte der MDK der Antragsgegnerin mit, zur Beurteilung des Auftrags seien ein aktueller Facharztbericht sowie der Krankenhausentlassungsbericht notwendig.

Mit Schreiben vom 18.12.2018 forderte die Antragsgegnerin die erbetenen Unterlagen bei Dr. x an. Außerdem unterrichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 18.12.2018, dass für die Erstellung des Gutachtens weitere Unterlagen notwendig seien, welche sie bei Dr. x angefordert habe. Wenn bis zum 8.1.2019 alle Unterlagen vorlägen, erhalte er spätestens bis zum 31.1.2019 eine Rückmeldung.

Der MDK erstattete sodann das Gutachten vom 16.1.2019. Laut den vorliegenden Unterlagen habe der Antragsteller im Dezember 2017 eine Tibiakopffraktur links und eine proximale Fibula Fraktur erlitten. Postoperativ bestehe der Verdacht auf ein CRPS mit persistierenden Schmerzen und Instabilitätsgefühl. Neben ambulanter physikalischer Therapie und Krankengymnastik sei von der Klinik zuletzt am 18.9.2018 eine Steroidstoßtherapie empfohlen worden. Den gesamten Unterlagen sei keine Beschreibung des Schmerzcharakters zu entnehmen. Aus den Unterlagen ergebe sich außerdem nicht, ob beispielsweise eine szintigraphische Untersuchung zur Lokalisierung eventueller entzündlicher Prozesse durchgeführt worden sei. Dennoch bestehe offensichtlich aufgrund der Schmerzen seit langem ein hoher Leidensdruck, weshalb vorliegend grenzwertig von einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des Gesetzes ausgegangen werden könne. Es bestehe auch eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht darauf, dass mit dem beantragten Cannabisprodukt eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf die Symptome des Schmerzsyndroms erzielt werden könne. Aus gutachterlicher Sicht erscheine jedoch die Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapiealternative nicht zur Anwendung kommen könne, nicht ausreichend plausibel begründet. Es ergäben sich aus den eingereichten Unterlagen keine Hinweise zu einer systematischen Schmerztherapie nach WHO-Schema, zu einer spezifischen Therapie (Mittel gegen neuropathische Schmerzen) fehlten ebenfalls Angaben. Das Ergebnis der empfohlenen Steroidstoßtherapie sei unbekannt, ebenfalls sei unklar, ob der Antragsteller bereits medizinische Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch genommen habe. Auch eine Psychotherapie werde bisher wohl nicht durchgeführt. Bisher sei auch kein Facharzt für Neurologie oder spezielle Schmerztherapie involviert, sodass von einer Ausschöpfung der Behandlungsmöglichkeiten nichtausgegangen werden könne.

Mit Bescheid vom 22.1.2019 lehnte der Antragsgegner daraufhin den Antrag des Antragstellers ab.

Der Antragsteller erhob hiergegen am 14.2.2019 Widerspruch. Zum einen sei die Genehmigungsfiktion eingetreten. Zum anderen führe Dr. x in einem Attest vom 25.3.2019 aus, die Schmerztherapie nach WHO Schema (Metamizol, Naloxon, Oxycodon) habe bei dem Antragsteller Nebenwirkungen wie Fieber, Halsschmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Schlafstörungen, Stimmungsveränderungen und Wahrnehmungsstörungen ausgelöst. Darüber hinaus sei die Wirkung unzureichend gewesen. Als spezifische Therapie werde Ibuprofen verabreicht, was jedoch keine Wirkung zeige. Eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme sei bereits beantragt worden. Krankengymnastik verursache Schmerzen und Übelkeit bei unzureichender Wirkung. Die Steroidstoßtherapie habe massive Schmerzschübe ausgelöst.

Die Antragsgegnerin holte daraufhin nochmals eine Stellungnahme des MDK ein. In seinem Gutachten vom 28.5.2019 gelangte dieser zu der Einschätzung, gutachterlich seien die Aussagen zu den Heilmitteln und zur Steroidstoßtherapie nicht nachvollziehbar. Entsprechende Physiotherapieberichte lägen nicht vor. Eine Mitbehandlung durch einen Schmerztherapeuten sei bisher nicht erfolgt, sodass nicht bestätigt werden könne, dass keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung als Alternative zur Verfügung stehe.

Am 10.7.2019 übersandte der Antragsteller eine Stellungnahme der Praxis für Krankengymnastik vom 18.6.2019 und des Physiowerks x vom 25.6.2019. Demnach seien sowohl die erfolgte Krankengymnastik als auch die durchgeführte Physiotherapie jeweils ohne den gewünschten Heilungserfolg geblieben.

Den Widerspruch des Antragstellers wies der Antragsgegner durch Widerspruchsbescheid vom 9.8.2019 zurück. Da derzeit eine fachärztliche Behandlung bei einem Schmerztherapeuten nicht erfolge, sei nicht davon auszugehen, dass keine Therapiealternativen mehr zur Verfügung stünden.

Hiergegen hat der Antragsteller am 17.9.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Außerdem hat der Antragsteller mit Schreiben vom gleichen Tag einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er sei im Dezember 2017 beim Überqueren eines Fußgängerweges von einem Auto erfasst worden und habe sich hierbei am linken Bein zwei Knochenbrüche und diverse Prellungen zugezogen. Zusätzlich sei eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Nach einiger Zeit habe er Schmerzen im ganzen Körper entwickelt. Mittlerweile leide er unter einem chronischen Schmerzsyndrom. Dr. x habe zwischenzeitlich außerdem die Diagnose Fibromyalgie gestellt. Unter der alternativen Therapie mit medizinischen Cannabisblüten habe er bereits nach kurzer Zeit erste Therapieerfolge verspürt. Er komme seitdem als Selbstzahler für die Kosten auf. Sein befristeter Arbeitsvertrag sei nicht verlängert worden. Er beziehe derzeit Arbeitslosengeld I. Die Antragsgegnerin habe nicht davon ausgehen dürfen, dass noch Behandlungsmöglichkeiten bestünden. Dies wäre nur dann möglich, wenn der MDK nachvollziehbar dargestellt hätte, weshalb die ärztliche Darlegung von Dr. x nicht schlüssig sei. Die bloße Behauptung, die Antragsbegründung sei nicht nachvollziehbar, reiche hierfür nicht aus. Der Anordnungsgrund ergebe sich aus dem andauernden Eingriff in das Recht auf menschenwürdige Gesundheitsversorgung. Es liege eine schwere existenzielle Notlage vor, die ein weiteres Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lasse. Er leide unter einer schwerwiegenden Erkrankung und könne seine Teilhabe am Leben nur mit der verordneten Cannabis Medizin sichern. Die Privatfinanzierung sei nicht weiter zumutbar.

Der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig eine Genehmigung für die vorliegende Cannabis-Verordnung gem. § 31 Abs. 6 SGB V zu erteilen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Entgegen des anwaltlichen Vortrags sei in dem vorliegenden Sachverhalt nicht schlüssig dargestellt, der Antragsteller sei austherapiert. Der MDK habe dies in seinen Gutachten näher ausgeführt. U. a. habe er angeführt, dass bislang noch keine Mitbehandlung durch einen Schmerztherapeuten ersichtlich sei. Zudem habe der MDK mitgeteilt, dass hinsichtlich der mit Cannabis zu behandelnden Symptomatik nur grenzwertig von einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des Gesetzes auszugehen sei. Somit seien zwei Voraussetzungen für eine Genehmigung der beantragten Cannabisversorgung nicht erfüllt und daher auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es fehle außerdem an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Der Antragsteller könne — wie im Gutachten des MDK festgestellt -durch andere Therapiealternativen (z. B. Schmerztherapie) behandelt werden. Wenn Therapiealternativen zur Verfügung stünden, fehle es regelmäßig an einem Anordnungsgrund. Worin die behauptete existenzielle Notlage bestehe und weshalb der Antragsteller nur mit einer Cannabis-Therapie seine Teilhabe am Leben sichern könne, werde nicht ausgeführt. Im Übrigen sei diese Notlage medizinisch nicht nachgewiesen oder dargelegt worden. Nach einer ärztlichen Stellungnahme vom 25.03.2019 habe der Antragsteller eine Reha-Maßnahme beantragt. Diese sei vom Rentenversicherungsträger nicht bewilligt worden. Weitere Informationen hierzu lägen nicht vor. Auch unter Berücksichtigung der abgelehnten Rehabilitationsmaßnahme dürfte sich die Situation des Antragstellers jedoch keineswegs so dramatisch gestalten, wie dies im Antrag auf einstweilige Anordnung behauptet werde. Eine vorläufige Bewilligung der Behandlungskosten würde hier im Ergebnis eine Vorwegnahme der Entscheidung im Hauptsacheverfahren bedeuten. Der Antragsteller gebe an, dass er die Behandlungskosten nicht tragen könne. Insofern könne eine Rückzahlung im Falle des Unterliegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht erfolgen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Antragstellerin Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die vorläufige Versorgung mit medizinischen Cannabisblüten.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend begehrt der Antragsteller die Versorgung mit Cannabisblüten als Sachleistung. Damit richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Darüber hinaus ergibt sich zudem aus dem Begriff "einstweilige" Anordnung, dass die Entscheidung die Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen darf (Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG-Kommentar, § 86b Rz. 31- beck online). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt etwa dann vor, wenn, wie hier, die beantragte Leistung aufgrund der einstweiligen Anordnung erbracht wird und eine uneingeschränkte Rückabwicklung nicht möglich ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass einstweilige Anordnungen, die auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sind, stets ausgeschlossen sind. Da der einstweilige Rechtsschutz als verfassungsrechtliche Notwendigkeit in jedem Verfahren gewährt werden muss, darf eine einstweilige Anordnung in solchen Fällen dann ausnahmsweise getroffen werden, wenn der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirken kann und ihm dadurch erhebliche, später durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr auszugleichende Nachteile drohen. In dem Fall ist allerdings ein strenger Maßstab an Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund anzulegen (so Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12. Dezember 2018 – L 5 KR 222/18 B ER – Rn. 11, juris).

Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 02.05.2005, 1 BvR 569/05- juris). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29.07.2003, 2 BvR 311/03- juris, und vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02- juris). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.05.2005, a.a.O., m.w.N.); die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22.11.2002 a.a.O. und vom 29.11.2007, 1 BvR 2496/07- juris).

Eine solche Folgenabwägung ist vorliegend nicht erforderlich, denn auch bei abschließender Prüfung der Sach- und Rechtslage nach Aktenlage hat der Antragsteller keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Versorgung mit Cannabisblüten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.

Ein Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V. Mittlerweile geht auch der Antragsteller nicht mehr davon aus, dass vorliegend eine Genehmigungsfiktion eingetreten ist, denn die Antragsgegnerin hat den Antragsteller gem. § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V stets unter Darlegung der Gründe mitgeteilt, dass und weshalb die Fristen nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht eingehalten werden können.

Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 31 Abs. 6 SGB V. Nach § 31 Abs. 6 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1.) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a) nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, und 2.) eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.

Dem Antrag und insofern den Ausführungen des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. x vom 7.12.2018 zufolge sollen die vom Antragsteller beanspruchten Cannabisblüten zur medikamentösen Behandlung eines chronischen Schmerzsyndroms mit den Zielen "Bewältigung des Alltags und Schmerzreduktion" verwendet werden. Es ist bereits fraglich, ob es sich bei dem chronischen Schmerzsyndrom des Klägers um eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des Gesetzes handelt. Wann eine Erkrankung schwerwiegend ist, ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus § 31 Abs. 6 SGB V, ist aber sowohl unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sog. "Off-label-use" (u.v.a. Urteil vom 20.03. 2018, Az. B 1 KR 4/17 R- juris m.w.N.) als auch nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 3 Arzneimittel-Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses als solche Erkrankung auszulegen, die lebensbedrohlich ist oder die aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (ebenso Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.02.2019, Az. L 11 KR 240/18 B ER - juris m.w.N.). Aufgrund des Vorbringens des Antragstellers und des geschilderten hohen Leidensdrucks dürfte vorliegend wohl von einer dauerhaften und nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität auszugehen sein.

Da grundsätzlich allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Behandlung eines chronischen Schmerzsyndroms zur Verfügung stehen, ist nach § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1b SGB V erforderlich, dass diese im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen können. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem Gesetzeswortlaut die Krankenkasse die Genehmigung nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen darf. Damit wird nach der Gesetzesbegründung auch der Therapiehoheit des Vertragsarztes Rechnung getragen (BT-Drs 18/10902 S 20). Liegt eine begründete Einschätzung des Vertragsarztes vor, muss nicht jede theoretisch noch denkbare Behandlungsalternative ausprobiert werden (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 01. Oktober 2018 – L 11 KR 3114/18 ER-B – Rn. 23, juris). Vorliegend ist davon auszugehen, dass das chronische Schmerzsyndrom des Antragstellers nicht organischer, sondern somatoformer bzw. psychischer Natur ist. Denn ausweislich den vorliegenden medizinischen Unterlagen geht das chronische Schmerzsyndrom mit einem Fibromyalgiesyndrom und einer Posttraumatischen Belastungsstörung einher. Auch das Vorbringen des Antragstellers, er habe zwischenzeitlich "Schmerzen im ganzen Körper" spricht dafür, dass sich das chronische Schmerzsyndrom nicht lediglich auf die durch den Unfall im Dezember 2017 zugezogenen Knochenbrüche beschränkt. Wenn jedoch die Versorgung mit medizinischen Cannabisblüten zur Behandlung eines chronischen Schmerzsyndroms nicht organischer Natur begehrt wird, kann von einer Ausschöpfung der Therapiemöglichkeiten nicht ausgegangen werden, wenn eine fachärztliche Behandlung auf psychiatrischem oder schmerztherapeutischem Fachgebiet bisher überhaupt nicht erfolgt ist. Bei dem chronischen Schmerzsyndrom, dem Fibromyalgiesyndrom und der Posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um psychische Erkrankungen, weshalb außerdem fraglich ist, ob Dr. x als Allgemeinmediziner die fachliche Kompetenz für die Bewertung der Methode zur Behandlung dieser Erkrankungen aufweist. Weshalb hier keine schmerztherapeutische oder psychiatrische Behandlung des Antragstellers erfolgt ist, haben sowohl Dr. x als auch der Antragsteller in ihren jeweiligen Stellungnahmen nicht erläutert, obwohl die ablehnenden Entscheidungen der Antragsgegnerin stets mit der fehlenden Facharztbehandlung begründet worden sind. Nach Ansicht des Gerichts fehlt es daher an dem für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren. Insbesondere ist die Sach- und Rechtslage hier nicht so eindeutig, dass das Gericht von einem Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs ausgehen kann.

Da daher bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht wurde, war auf die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes nicht weiter einzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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