L 6 SF 9/18 EK AS

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
ÜG
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 9/18 EK AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 ÜG 5/18 BH
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 4.100,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Marburg mit den Aktenzeichen S 8 AS 14/13.

In dem Ausgangsverfahren, das zunächst unter dem Aktenzeichen S 5 AS 14/13 geführt wurde, wandte sich der Kläger mit einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 24. Januar 2013 gegen die Untätigkeit des Kreisjobcenters des Landkreises Marburg-Biedenkopf (in Folgenden: Kreisjobcenter) im Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 26. und 27. September 2012. Mit der Klageschrift stellte der anwaltlich vertretene Kläger auch einen Prozesskostenhilfeantrag. In seiner Klageerwiderung vom 4. April 2013 regte das Kreisjobcenter einen Erörterungstermin an. Die Anfrage des Sozialgerichts vom 8. April 2013, ob ein Erörterungstermin für sinnvoll erachtet werde, bejahte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 2. Mai 2013. Mit Schriftsatz vom 25. April 2016 äußerte sich das Kreisjobcenter inhaltlich zum Gegenstand der der Untätigkeitsklage zugrundeliegenden Widerspruchsverfahren. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 20. Mai 2016 folgten weiteren Schriftsätze der Beteiligten. In dem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 30. August 2016 erkannte das Kreisjobcenter seine Untätigkeit in Bezug auf die Bescheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. September 2012 an. Der Kläger nahm dieses Teilanerkenntnis an und nahm die Klage im Übrigen zurück. Das Hauptsacheverfahren war damit insgesamt erledigt. Im Termin verkündete die Kammervorsitzende den Beschluss, dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Kläger hat mit dem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten im Ausgangsverfahren am 17. Juni 2016 Verzögerungsrüge erhoben.

Am 28. Februar 2017 hat der Kläger bei dem Hessischen Landessozialgericht zwei Anträge auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Entschädigungsklage gestellt: Der eine hat sich auf das Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren zum Klageverfahren S 8 AS 14/13 bezogen. Mit dem ihm am 28. März 2018 zugestellten Beschluss des Senats vom 19. März 2018 (L 6 SF 20/17 PKH) ist ihm diesbezüglich Prozesskostenhilfe zur Erhebung einer Entschädigungsklage bewilligt worden; die am 11. April 2018 erhobene Entschädigungsklage wird unter dem Aktenzeichen L 6 SF 20/17 EK AS geführt. Der zweite Prozesskostenhilfeantrag wurde zunächst vom Landessozialgericht übersehen. Als der Kläger darauf mit Schriftsatz vom 11. April 2018 hingewiesen hatte, hat das Landessozialgericht dem Kläger mit Beschluss vom 30. April 2018 Prozesskostenhilfe zur Erhebung einer Entschädigungsklage bewilligt. Der Beschluss ist dem Kläger am 15. Mai 2018 zugestellt worden.

Am 15. Juni 2018 hat der Kläger Klage zum Landessozialgericht erhoben.

Zur Klagebegründung nimmt der Kläger Bezug auf seine Ausführungen im Parallelverfahren L 6 SF 20/17 EK AS und vertritt damit sinngemäß die Auffassung, dass er durch das jahrelange Unterlassen der Entscheidung über die Untätigkeitsklage in seinen Rechten verletzt worden sei.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn als Entschädigung wegen überlanger Dauer des Gerichtsverfahrens S 8 AS 14/13 (Sozialgericht Marburg) mindestens 4.100,00 Euro zuzüglich Zinsen zu zahlen,
hilfsweise,
ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Der Beklagte, der im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 1. August 2018 nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist, beantragt,
die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte der Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Marburg, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann in Abwesenheit des zum Verhandlungstermin am 1. August 2018 nicht erschienenen Beklagten verhandeln und entscheiden, nachdem er ihn mit der ordnungsgemäßen Terminnachricht auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.

Die Klage ist unzulässig.

Das Begehren des Klägers ist in prozessualer und materiell-rechtlicher Hinsicht an §§ 198 ff. GVG zu messen. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen.

Die auf Entschädigung nach §§ 198 ff GVG gerichtete Klage ist als allgemeine Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG statthaft vor dem Landessozialgericht erhoben (vgl. BSG Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R). Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger macht angesichts der Regelung des § 198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 198 Abs. 5 GVG).

Nach § 198 Abs. 3 GVG erhält ein Verfahrensbeteiligter Entschädigung nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist.

Die Verzögerungsrüge hat Doppelfunktion sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit einer Entschädigungsklage (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar, 2013, § 198 GVG, Rn.247). Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger wirksam Verzögerungsrüge erhoben und die sechsmonatige Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG eingehalten. Seine in dem Schriftsatz vom 17. Juni 2016 enthaltene Verzögerungsrüge ist wirksam erhoben, da das Verfahren zu diesem Zeitpunkt seit mehreren Jahren anhängig war, so dass Anlass zur Besorgnis bestand, dass die Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Die Entschädigungsklage vom 15. Juni 2018 wurde mehr als sechs Monate nach der Verzögerungsrüge erhoben.

Die vorliegende Klage genügt in Form und Inhalt den Anforderungen der §§ 90, 92 Abs. 1 S. 1 SGG. Nach § 92 Abs. 1 S. 3 SGG soll die Klage einen bestimmten Antrag enthalten. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung einen bezifferten und damit bestimmten Klageantrag gestellt.

Die Zulässigkeit der Klage scheitert allerdings daran, dass der Kläger mit seiner Klage die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG nicht gewahrt hat. Danach muss die Klage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden.

Die Erledigung des Klageverfahrens trat durch die Prozesserklärungen des Klägers im Erörterungstermin am 30. August 2016 ein. Damit endete die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG sechs Monate später am 28. Februar 2017, § 64 Abs. 2 Satz 2 SGG. Mit seiner erst am 15. Juni 2018 erhobenen Entschädigungsklage hat der Kläger die Klagefrist versäumt.

Der isolierte Prozesskostenhilfeantrag des Klägers vom 28. Februar 2017 hat den Ablauf der Klagefrist nicht gehemmt. Die §§ 198 GVG enthalten keine Regelung bezüglich einer Hemmung oder sonstige Verlängerung der Klagefrist. Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über die Verjährungshemmung können nicht gemäß § 45 Abs. 2 SGB I sinngemäß angewandt werden, da der Anspruch aus § 198 Abs. 1 S. 1 GVG keine Sozialleistung darstellt. Auch kommt eine direkte oder analoge Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB nicht in Betracht. Es liegt kein Fall vor, der einer Verjährung von Ansprüchen vergleichbar ist. Die Klagefrist in § 198 Abs. 5 S 2 GVG wirkt als materiell-rechtliche Ausschlussfrist (vgl. BSG, Urteil vom 10. Juli 2014, B 10 ÜG 8/13 R). Eine Hemmung der Klagefrist ist insoweit ausgeschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017, B 10 ÜG 1/17 R mit dem Verweis auf die Rechtsprechung des BGH zu § 13 Abs. 1 S. 2 StrEG; BGH Beschluss vom 30. November 2006, III ZB 22/06, BGHZ 170, 108, 113 Rn.12).

Der Ablauf der Klagefrist ist auch nicht unbeachtlich nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, weil der Kläger einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag noch (kurz) vor Ablauf der Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gestellt hat. Denn dafür hätte der Kläger nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag unverzüglich Klage erheben müssen, was er versäumt hat.

Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 19 Abs. 4 und Art 20 Abs. 3 GG gebietet es, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes soweit wie möglich und erforderlich anzugleichen (vgl. BVerfG Beschluss vom 13. März 1990, 2 BvR 94/88). Zur Wahrung materieller Ausschlussfristen genügt es daher, wenn eine finanziell unbemittelte Partei noch innerhalb dieser Fristen Prozesskostenhilfe beantragt und unverzüglich nach der von ihr nicht verzögerten Entscheidung über den Prozesskotenhilfeantrag Klage erhebt (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017, B 10 ÜG 1/17 R, das sich damit ausdrücklich der dort zitierten ständigen Rechtsprechung des BGH angeschlossen hat, vgl. etwa BGH Beschluss vom 30. November 2006, III ZB 23/06 für den Fall öffentlich-rechtlicher Entschädigungsansprüche nach § 13 StrEG).

Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern, vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB. Verlangt wird damit ein den Umständen des Falles angemessenes, beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trägt. "Unverzüglich" bedeutet nicht "sofort", dem Verfahrensbeteiligten ist noch eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte wahren will oder muss (vgl. Gergen in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 121 BGB, Rn.11). Die Rechtsprechung des BGH hat bei materiellen Ausschlussfristen - nach dem Rechtsgedanken anderer zivilprozessualer Vorschriften wie §§ 91a, 269 ZPO - eine Frist von zwei Wochen noch als unschädlich angesehen. Das BSG hat offengelassen, ob es dieser Rechtsprechung in dieser Allgemeinheit folgt – es hat jedoch die einen vollen Monat nach der Prozesskostenhilfeentscheidung erhoben Entschädigungsklage in dem mit Urteil vom 7. September 2017 (B 10 ÜG 1/17 R) entschiedenen Fall als nicht mehr unverzüglich und damit unzulässig angesehen.

Der Kläger hat nicht unverzüglich im oben genannten Sinne Klage erhoben sondern hat einen vollen Monat nach Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses des Senats am 15. Mai 2018 bis zur Klageerhebung verstreichen lassen. Für den Senat ist nicht ersichtlich und auch vom Kläger nicht vorgetragen, warum er eine derart lange Überlegungsfrist in Anspruch nehmen musste. Dies gilt umso mehr, als der Kläger im Parallelverfahren L 6 SF 20/17 EK AS bereits am 11. April 2018 Klage erhoben hatte. Zudem verfügt er über eine reichhaltige Prozesserfahrung in Entschädigungssachen; er hat in den letzten Jahren mehr als 15 Hauptsacheverfahren und zahlreiche isolierte Prozesskostenhilfeanträge dazu allein beim Hessischen Landessozialgericht anhängig gemacht. In seinem bisherigen Prozessverhalten lässt sich vielfach das Muster erkennen, (vermeintliche) (Monats-) Fristen bis zum letzten Tag auszuschöpfen. So muss auch im vorliegenden Fall berücksichtigt werden, dass der Kläger die sechsmonatige Klagefrist bis zum letzten Tag ausschöpfte, um den Prozesskostenhilfeantrag zu stellen. Mit dem positiven Prozesskostenhilfeantrag war die Rechtsschutzgleichheit mit einem Bemittelten hergestellt. Würde man dem Kläger nach Zustellung der Prozesskostenhilfeentscheidung einen vollen Monat als Bedenkzeit zugestehen, würde ihm eine durch nichts gerechtfertigte Verbesserung seiner Rechtsschutzmöglichkeiten eingeräumt und eine nicht nachvollziehbare Bevorzugung gegenüber einem bemittelten Kläger eintreten. Vom Kläger konnte somit erwartet werden, dass er nach Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses alle zumutbaren Anstrengungen unternimmt, um unverzüglich Klage zu erheben (vgl. Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtverfahren, 2013, § 198 Rn.258 m.w.N.). Das hat er unterlassen und stattdessen einen vollen Monat bis zur Klageerhebung verstreichen lassen.

Dem hilfsweise vom Kläger gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war schon bereits deshalb nicht zu entsprechen, weil es sich bei der Frist nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG um eine absolute materielle Ausschlussfrist handelt, bei deren Versäumung eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht möglich ist (vgl. Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.0, § 198 Rdnr. 255 m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 67 Rn.2a; Hessisches LSG erkennender Senat - Urteil vom 14. Dezember 2016, L 6 SF 5/16 EK U; BSG Urteil vom 7. September 2017, B 10 ÜG 1/17 R).

Die Klage konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 197a Abs. 1, 183 Satz 5 SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.

Die Entscheidung zur Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2, § 47 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert entspricht der vom Kläger geltend gemachten Entschädigungssumme.
Rechtskraft
Aus
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