L 6 SF 20/17 EK AS

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
ÜG
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 20/17 EK AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 ÜG 6/18 BH
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 4.100,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens vor dem Sozialgericht Marburg zum dortigen Klageverfahren mit den Aktenzeichen S 8 AS 14/13.

In dem Ausgangsverfahren, das zunächst unter dem Aktenzeichen S 5 AS 14/13 geführt wurde, wandte sich der Kläger mit einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 24. Januar 2013 gegen die Untätigkeit des Kreisjobcenters des Landkreises Marburg-Biedenkopf (in Folgenden: Kreisjobcenter) im Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 26. und 27. September 2012. Mit der Klageschrift stellte der anwaltlich vertretene Kläger einen Prozesskostenhilfeantrag. In seiner Klageerwiderung vom 4. April 2013 regte das Kreisjobcenter einen Erörterungstermin an. Die Anfrage des Sozialgerichts vom 8. April 2013, ob ein Erörterungstermin für sinnvoll erachtet werde, bejahte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 2. Mai 2013. Mit Schriftsatz vom 25. April 2016 äußerte sich das Kreisjobcenter inhaltlich zum Gegenstand der der Untätigkeitsklage zugrundeliegenden Widerspruchsverfahren. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 20. Mai 2016 folgten weiteren Schriftsätze der Beteiligten. In dem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 30. August 2016 erkannte das Kreisjobcenter seine Untätigkeit in Bezug auf die Bescheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. September 2012 an. Der Kläger nahm dieses Teilanerkenntnis an und nahm die Klage im Übrigen zurück. Das Hauptsacheverfahren war damit insgesamt erledigt. Im Termin verkündete die Kammervorsitzende den Beschluss, dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Kläger hat mit dem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten im Ausgangsverfahren am 17. Juni 2016 Verzögerungsrüge erhoben.

Am 28. Februar 2017 hat der Kläger bei dem Hessischen Landessozialgericht zwei Anträge auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Entschädigungsklage gestellt: der eine hat sich auf das hier streitgegenständliche Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens zum Klageverfahren S 8 AS 14/13 bezogen. Mit dem ihm am 28. März 2018 zugestellten Beschluss des Senats vom 19. März 2018 (L 6 SF 20/17 PKH) ist ihm diesbezüglich Prozesskostenhilfe zur Erhebung einer Entschädigungsklage bewilligt worden.

Am 11. April 2018 hat der Kläger Klage zum Landessozialgericht erhoben.

Er vertritt die Auffassung, dass er durch das jahrelange Unterlassen der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag in seinen Rechten verletzt worden sei, da für ihn als kostenarmer Bürger die prozessuale Waffengleichheit nicht verwirklicht worden sei. Eine Bearbeitungsdauer für einen Prozesskostenhilfeantrag, die über drei Monate hinausgehe, sei unangemessen.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn als Entschädigung wegen überlanger Dauer des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens zum Gerichtsverfahren S 8 AS 14/13 (Sozialgericht Marburg) mindestens 4.100,00 Euro zuzüglich Zinsen zu zahlen,
hilfsweise,
ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Der Beklagte, der im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 1. August 2018 nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist, beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, dass der Kläger die sechsmonatige Klagefrist des § 202 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 198 Abs. 5 GVG versäumt habe. Der vom Kläger isoliert gestellte Prozesskostenhilfeantrag habe die Klagefrist nicht wahren können.

Den zweiten am 28. Februar 2017 beim Hessischen Landessozialgericht gestellten Prozesskostenhilfeantrag hat der Kläger für eine beabsichtigte Entschädigungsklage in Bezug auf das Hauptsacheverfahren S 8 AS 14/13 gestellt. Mit Beschluss vom 30. April 2018, der dem Kläger am 15. Mai 2018 zugestellt worden ist, hat der Senat dem Kläger auch dafür Prozesskostenhilfe bewilligt. Am 15. Juni 2018 hat der Kläger dazu Entschädigungsklage erhoben, die unter dem Aktenzeichen L 6 SF 9/18 EK AS geführt wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte der Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Marburg, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann in Abwesenheit des zum Verhandlungstermin am 1. August 2018 nicht erschienenen Beklagten verhandeln und entscheiden, nachdem er ihn mit der ordnungsgemäßen Terminnachricht auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.

Die Klage ist unzulässig.

Das Begehren des Klägers ist in prozessualer und materiell-rechtlicher Hinsicht an §§ 198 ff. GVG zu messen. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen.

Die auf Entschädigung nach §§ 198 ff GVG gerichtete Klage ist als allgemeine Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG statthaft vor dem Landessozialgericht erhoben (vgl. BSG Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R). Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger macht angesichts der Regelung des § 198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 198 Abs. 5 GVG).

Nach § 198 Abs. 3 GVG erhält ein Verfahrensbeteiligter Entschädigung nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Die Verzögerungsrüge hat Doppelfunktion sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit einer Entschädigungsklage (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar, 2013, § 198 GVG, Rn.247). Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Im vorliegenden Fall hat der Kläger wirksam Verzögerungsrüge erhoben und die sechsmonatige Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG eingehalten. Seine in dem Schriftsatz vom 17. Juni 2016 enthaltene Verzögerungsrüge ist wirksam erhoben, da das Verfahren zu diesem Zeitpunkt seit mehreren Jahren anhängig war, so dass Anlass zur Besorgnis bestand, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Die Entschädigungsklage vom 15. Juni 2018 wurde mehr als sechs Monate nach der Verzögerungsrüge erhoben.

Die vorliegende Klage genügt in Form und Inhalt den Anforderungen der §§ 90, 92 Abs. 1 S. 1 SGG. Nach § 92 Abs. 1 S. 3 SGG soll die Klage einen bestimmten Antrag enthalten. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung einen bezifferten und damit bestimmten Klageantrag gestellt.

Die Zulässigkeit der Klage scheitert auch nicht daran, dass der Kläger mit seiner Klage die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG versäumt hat. Zwar hat der Kläger mit seiner am 11. April 2017 erhobenen Klage die sechsmonatige Klagefrist, die mit Beendigung des Verfahrens im Erörterungstermin am 30. August 2016 begann am 28. Februar 2017 endete (vgl. § 64 Abs. 2 Satz 2 SGG), nicht gewahrt.

Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 19 Abs. 4 und Art 20 Abs. 3 GG gebietet es, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes soweit wie möglich und erforderlich anzugleichen (vgl. BVerfG Beschluss vom 13. März 1990, 2 BvR 94/88). Zur Wahrung materieller Ausschlussfristen genügt es daher, wenn eine finanziell unbemittelte Partei noch innerhalb dieser Fristen Prozesskostenhilfe beantragt und unverzüglich nach der von ihr nicht verzögerten Entscheidung über den Prozesskotenhilfeantrag Klage erhebt (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017, B 10 ÜG 1/17 R, das sich damit ausdrücklich der dort zitierten ständigen Rechtsprechung des BGH angeschlossen hat, vgl. etwa BGH Beschluss vom 30. November 2006, III ZB 23/06 für den Fall öffentlich-rechtlicher Entschädigungsansprüche nach § 13 StrEG).

Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern, vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB. Dies verlangt ein den Umständen des Falles angemessenes, beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trägt. "Unverzüglich" bedeutet nicht "sofort", dem Verfahrensbeteiligten ist noch eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte wahren will oder muss (vgl. Gergen in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 121 BGB, Rn.11). Die Rechtsprechung des BGH hat bei materiellen Ausschlussfristen - nach dem Rechtsgedanken anderer zivilprozessualer Vorschriften wie §§ 91a, 269 ZPO - eine Frist von zwei Wochen noch als unschädlich angesehen (vgl. BSG Urteil vom 7. September 2017, B 10 ÜG 1/17 R m.w.N.).

Der Kläger hat am 28. Februar 2017 innerhalb der Klagefrist einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag gestellt und nach der Entscheidung des Senats darüber (Beschluss vom 19. März 2018, zugestellt am 28. März 2018) am 11. April 2018 und damit innerhalb der als unverzüglich anzusehenden zweiwöchigen Bedenkzeit Klage erhoben.

Eine Entschädigungsklage bezüglich eines Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens, das gleichzeitig neben einem rechtshängigen Hauptsacheverfahren geführt wird, ist jedoch nicht statthaft.

Die Vorschrift des § 198 GVG geht von einem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff aus, so dass nicht jeder einzelne Antrag oder jedes Gesuch im Zusammenhang mit dem verfolgten Rechtsschutzbegehren ein entschädigungspflichtiges Verfahren darstellt. In diesem Sinne enthält die Regelung in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG eine Legaldefinition des Gerichtsverfahrens im entschädigungsrechtlichen Sinne:

Im Sinne dieser Vorschrift ist
1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;

Danach gilt der gesamte Zeitraum von der Einleitung eines Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss als ein Verfahren (so ausdrücklich BT-Drs. 17/3802 S. 22), "einschließlich" eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- und Verfahrenskostenhilfe. Die Legaldefinition umfasst damit nicht nur das isolierte Prozesskostenhilfeverfahren als mögliches Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 S. 1 GVG, sondern erklärt gleichzeitig das Prozesskostenhilfeverfahren zum Bestandteil des Hauptsacheverfahrens, wenn wegen der Hauptsache Entschädigung begehrt wird. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut ("einschließlich") und der dargestellten Binnensystematik, sondern auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung, wie er in der Entstehungsgeschichte zum Ausdruck kommt. Denn erkennbar sollte die Überlänge der als "selbstständig" zu bewertenden Verfahren entschädigungspflichtig sein, nicht hingegen die Verzögerung paralleler Gesuche im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens eine Mehrfachentschädigung auslösen (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 23). Das mit der Hauptsache verbundene Prozesskostenhilfeverfahren stellt sich aus diesem Grund lediglich als Bestandteil bzw. Annex zum Hauptsacheverfahren dar (vgl. BSG Urteile vom 10 Juli 2014, B 10 ÜG 8/13 R und vom 7. September 2017, B 10 ÜG 3/16 R). Nur wenn es sich um ein dem Hauptsacheverfahren vorgeschaltetes und damit isoliertes Prozesskostenhilfeverfahren handelt, kann wegen der Überlänge dieses selbstständigen Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zulässigerweise Entschädigungsklage erhoben werden.

Ob Verzögerungen im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren während der Dauer eines gleichzeitig rechtshängig gewordenen Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen sind, ist im Rahmen des § 198 Abs. 1 S. 2 GVG im Entschädigungsklageverfahren bezüglich des Hauptsacheverfahrens zu bewerten, wenn ein Gericht wegen eines Prozesskostenhilfeverfahrens die Hauptsache nicht so zügig bearbeitet wie dies gegebenenfalls erforderlich wäre (vgl. BSG Beschluss vom 25. Oktober 2016, B 10 ÜG 23/16 B; BSG Urteil vom 10. Juli 2014, B 10 ÜG 8/13 R; BSG Urteil vom 7. September 2017, B 10 ÜG 3/16 R).

Der Kläger des vorliegenden Verfahrens ist bezüglich seines Entschädigungsbegehrens daher auf das ebenfalls anhängige Entschädigungsklageverfahren zum Hauptsacheverfahren (L 6 SF 9/18 EK AS) zu verweisen. Mit der parallel zum Hauptsacheverfahren erhobenen und ausschließlich auf das Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren bezogenen Entschädigungsklage kann er nicht zulässigerweise eine Mehrfachentschädigung geltend machen. Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 197a Abs. 1, 183 Satz 5 SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.

Die Entscheidung zur Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2, § 47 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert entspricht der vom Kläger geltend gemachten Entschädigungssumme.
Rechtskraft
Aus
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