L 11 KR 1212/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 2694/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1212/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird ein Verlegungsantrag erst kurzfristig (hier: am Tag vor
der Senatssitzung) gestellt und mit einer Erkrankung begründet,
obliegt es dem Beteiligten, die Gründe für seine Verhinderung
so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage,
ob die betreffende Person verhandlungs- und reiseunfähig ist,
selbst beurteilen kann. Ein zu diesem Zweck vorgelegtes ärztliches
Attest muss deshalb die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und
nachvollziehbar beschreiben und sich zu Art und Schwere der
Erkrankung äußern (Anschluss an BFH 08.11.2026, I B 137/15).
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22.02.2018 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Löschung medizinischer Befundunterlagen.

Der 1966 geborene Kläger stand zunächst in den Aufgabenkreisen Behördenangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge und Wohnungsangelegenheiten unter Betreuung, wobei es - ua wegen Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und seinen Betreuern - immer wieder zu Betreuerwechseln kam. So bestellte das Amtsgericht (AG) B. durch Beschluss vom 22.12.2015 die Tochter des Klägers H. S. für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge zur Betreuerin und den Berufsbetreuer L. für die übrigen Aufgabenkreise zum Betreuer. Durch Beschluss vom 17.08.2016 hob das AG B. die Betreuung nach § 1908d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf, da der Kläger in der Lage sei, seinen Willen frei zu bestimmen und er nicht betreubar sei. Im Oktober 2016 wurde sodann dem Kläger seine geschiedene Ehefrau G. S. in den Aufgabenkreisen Behördenangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge und Wohnungsangelegenheiten zur Betreuerin bestellt (Betreuerausweis des AG B. vom 26.10.2016). Das AG B. hob durch Beschluss vom 18.10.2017 die Betreuung des Klägers auf, weil die Voraussetzungen für die Betreuung weggefallen seien (§ 1908d BGB) und die Aufrechterhaltung der Betreuung sich als nicht erforderlich darstelle.

Aus Anlass einer Verordnung von Funktionstraining neben Rehabilitationssport beauftragte die Krankenkasse des Klägers den Beklagten mit Erstellung einer gutachterlichen Stellungnahme zur medizinischen Notwendigkeit hierfür. Eine Ärztin des Beklagten forderte mit Schreiben vom 13.06.2017 vom Hausarzt des Klägers Unterlagen zum ambulanten und stationären Krankheits- und Therapieverlauf sowie pulmologische, orthopädische und psychiatrische Befundberichte aus den Jahren 2014 bis 2016 sowie Angaben zur Schmerzmedikation, Bewegungseinschränkungen und Behinderungen.

Mit Schreiben vom 17.06.2016 forderte der Kläger vom Beklagten die Löschung bzw Vernichtung aller sich bei der Ärztin oder dem Beklagten befindlichen Unterlagen über seine Person und eine Mitteilung hierüber ihm gegenüber. Er habe keine Zustimmung zur Einholung von Auskünften und zur Anforderung von Unterlagen erteilt, weshalb der Beklagte die Auskünfte über seine Person nicht einholen, speichern, verwenden oder weiterleiten dürfe.

Am 08.07.2016 hat der Kläger zum Sozialgericht Freiburg (SG) zunächst Untätigkeitsklage erhoben. Er habe dem Beklagten keine Entbindung von der Schweigepflicht erteilt und sei auch nie danach gefragt worden.

Mit Bescheid vom 09.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2017 lehnte der Beklagte die Löschung der Daten ab. Er dürfte nach § 276 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Sozialdaten erheben und speichern, soweit dies für Prüfungen und gutachterliche Stellungnahmen nach § 275 SGB V erforderlich sei. Aufgrund der gesetzlichen Regelungen sei im Leistungsbereich des SGB V eine schriftliche Einwilligung bzw Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht erforderlich für die Informationsübermittlung. Es sei keine Datenerhebung oder –speicherung erkennbar, die sich nicht im gesetzlich vorgegebenen Rahmen bewege. Die Datenerhebungen seien für die Aufgabenerfüllung des Beklagten erforderlich und damit rechtmäßig. Die erhobenen und gespeicherten Daten seien durch den Beklagten nach fünf Jahren zu löschen (§ 276 Abs 2 Satz 4 SGB V).

Mit Gerichtsbescheid vom 22.02.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Untätigkeitsklage nach § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei unzulässig gewesen, da sie vor Ablauf der Frist von sechs Monaten eingelegt worden sei. Inzwischen sei die Untätigkeitsklage nach Erlass des Bescheids vom 09.06.2017 und Abschluss des Widerspruchsverfahrens mit Widerspruchsbescheid vom 31.08.2017 im Übrigen erledigt. Ein rechtlich schützenswertes Interesse für die Aufrechterhaltung der Klage sei nicht ersichtlich. Soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheids vom 09.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2017 begehre, sei die Klage unbegründet (unter Hinweis auf die Darlegungen im Widerspruchsbescheid). Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 28.02.2018 zugestellt worden.

Hiergegen richtet sich die am 03.04.2018 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingegangene Berufung. Die Berufung begründet der Kläger im Wesentlichen damit, die Entscheidung sei von Nazi-Richtern des SG getroffen worden, es sei Nazi-Recht angewandt worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22.02.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, seine Anträge auf Löschung und Vernichtung sämtlicher über ihn erhobener Daten zu bescheiden und unter Aufhebung des Bescheids vom 09.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2017 zu verurteilen, die über ihn erhobenen Daten zu vernichten.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, sie ist unzulässig.

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers über die Berufung entscheiden, denn er war in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Seinem am 24.09.2018 telefonisch und am Sitzungstag per Fax gestellten Verlegungsantrag war nicht stattzugeben. Eine Terminverlegung ist nur aus erheblichen Gründen vorzunehmen (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 227 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Der Kläger hat um Verlegung des Termins auf einen Zeitpunkt in ein oder zwei Monaten gebeten aus gesundheitlichen Gründen. Näher dargelegt hat er dies nicht. Telefonisch hatte er angekündigt, eine ärztliche Bescheinigung zu übersenden. Eine solche war dem am Sitzungstag eingegangenen Fax jedoch nicht beigefügt. Wird ein Verlegungsantrag erst kurzfristig – wie hier am Tag vor der Sitzung – gestellt und mit einer Erkrankung begründet, obliegt es dem Beteiligten, die Gründe für seine Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob die betreffende Person verhandlungs- und reiseunfähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann. Ein zu diesem Zweck vorgelegtes ärztliches Attest muss deshalb die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar beschreiben und sich zu Art und Schwere der Erkrankung äußern (vgl BFH 19.11.2009, IX B 160/09; BFH 08.11.2016, I B 137/15). Hier hat der Kläger nicht einmal Angaben über die Art und Schwere seiner Erkrankung gemacht, erst recht liegt keine dies belegende ärztliche Bescheinigung vor. Nachvollziehbare Gründe für eine Terminverlegung sind damit nicht dargetan. Auch war eine Entscheidung über den Vertagungsantrag vorab aufgrund des kurzfristig gestellten Antrags nicht möglich. Denn der Senat musste insoweit abwarten, ob der Kläger die angekündigte ärztliche Bescheinigung noch vor Sitzungsbeginn vorlegen würde, da hierdurch ggf der Antrag hätte hinreichend substantiiert werden können.

Der Senat konnte auch über die Berufung des Klägers entscheiden, ohne dass diesem zuvor ein besonderer Vertreter zu bestellen gewesen wäre.

Nach § 72 Abs 1 SGG kann der Vorsitzende des zuständigen Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter einen besonderen Vertreter bestellen. Diese Vorschrift gilt auch für prozessunfähige Kläger. Prozessunfähig in diesem Sinne ist, wer sich nicht durch Verträge verpflichten kann, also geschäftsunfähig im Sinne des bürgerlichen Rechts ist. Nach § 104 Nr 2 BGB ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Ein derartiger Zustand liegt bei dem Kläger nicht vor, er ist prozessfähig. Auch das AG B. hat in den Beschlüssen vom 17.08.2016 und 18.10.2017 jeweils die Betreuung aufgehoben, weil der Kläger in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen. Dem Senat sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Kläger nicht in der Lage ist, sein Tun zu steuern und dessen Folgen, auch für sich, abzuschätzen. Er verfolgt seine vermeintlichen Rechte mit allen Mitteln (unzählige Anträge, einstweilige Rechtsschutz- und Klageverfahren, Dienstaufsichtsbeschwerden, Befangenheitsanträge, Strafanzeigen etc), ist jedoch durchaus in der Lage, die Unverhältnismäßigkeit seines Verhaltens anzuerkennen und in Grenzen Einsicht zu zeigen (zB Klageschrift vom 07.07.2016 S 5).

Nach § 151 Abs 1 SGG ist die Berufung beim LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder die Niederschrift mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor (§ 151 Abs 2 SGG).

Der Gerichtsbescheid des SG ist dem Kläger ausweislich der sich in der SG-Akte befindlichen Postzustellungsurkunde am 28.02.2018 zugestellt worden. Der Gerichtsbescheid des SG hat eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung enthalten, weshalb die Rechtsmittelfrist am 01.03.2018 zu laufen begonnen (§§ 64 Abs 1, 66 Abs 1 SGG) und am 28.03.2018 (Mittwoch) geendet hat (§ 64 Abs 2 SGG). Die am 03.04.2018 beim LSG eingelegte Berufung ist damit außerhalb der Berufungsfrist erhoben. Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen (§ 67 SGG), sind nicht ersichtlich und sind vom Kläger auch nicht benannt worden. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs 1 SGG). Der Kläger hat sich nach Hinweis auf die Verfristung der Berufung zu den hierfür maßgebenden Gründen nicht geäußert. Auch nach Ablehnung des gestellten Antrags auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 13.06.2018 unter Hinweis auf die Verfristung und das Fehlen von Wiedereinsetzungsgründen hat der Kläger hierzu nichts weiter vorgetragen.

Abgesehen von der Unzulässigkeit hätte die Berufung auch in der Sache keinen Erfolg. Insoweit wird auf die Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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