S 223 KR 919/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
223
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 223 KR 919/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Ausnahmevorschrift in § 188 Abs 4 S 3 SGB V ist für Personen, deren Familienversicherung endet, nicht analog anzuwenden.
Der Bescheid vom 29. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. April 2017 wird aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger seit dem 9. Mai 2015 bei der Beklagten zu 1) freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Die Beklagte zu 1) erstattet dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger bei der Beklagten seit dem 9. Mai 2015 freiwillig krankenversichert ist.

Der 1946 geborene Kläger war zunächst bei der Beklagten zu 1) über seine Ehefrau familienversichert, welche am 8. Mai 2015 verstarb. Der Kläger bezieht Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) – beginnend bereits vor dem Tod seiner Ehefrau.

Die Beklagte stellte auf Antrag des Klägers zunächst fest, dass für den Kläger keine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner bestehe, da er die Vorversicherungszeiten nicht erfülle (Bescheid vom 4. August 2015). In demselben Schreiben wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass er binnen drei Monaten nach Ende der Familienversicherung der freiwilligen Versicherung beitreten könne. Der Kläger reichte am 1. September 2015 eine Erklärung zur Mitgliedschaft in der freiwilligen Versicherung bei der Beklagten ein. Die Beklagte stellte daraufhin fest, dass diese Mitgliedschaft nicht bestünde, da der Kläger die Erklärung nicht binnen drei Monaten eingereicht habe (Bescheid vom 22. Dezember 2015).

In der Folge begehrte der Kläger von der Beklagten die Feststellung, dass er in der freiwilligen Versicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V Mitglied geworden ist. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 29. November 2016 fest, dass sich die Mitgliedschaft bei der Beklagten nach dem Ende der Familienversicherung nicht als freiwillige Krankenversicherung fortgesetzt habe, da der Kläger durch den Bezug der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall besitze. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte als unbegründet zurück.

Die Beklagte zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, die Mitgliedschaft in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 3 SGB XI durchzuführen, wenn die Kammer rechtskräftig entscheidet, dass der Kläger bei der Beklagten zu 1) freiwillig krankenversichert ist. Der Rechtsstreit wurde daher vom Kläger, soweit er die Mitgliedschaft in der sozialen Pflegeversicherung betrifft, für erledigt erklärt.

Der Kläger ist der Auffassung, dass er seit dem Tode seiner Frau gem. § 188 Abs. 4 S. 1 SGB V bei der Beklagten zu 1) freiwillig versichert sei. Außerdem sei er nicht bzw. zu spät von der Beklagten zu 1) auf die Möglichkeit hingewiesen worden, freiwilliges Mitglied in der Krankenversicherung zu werden.

Der Kläger beantragt zuletzt, den Bescheid vom 29. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. April 2017 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger seit dem 9. Mai 2015 bei der Beklagten zu 1) freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung ist.

Die Beklagte zu 1) beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf den Widerspruchsbescheid und führt ergänzend an, der Kläger sei auf die Möglichkeit der freiwilligen Mitgliedschaft rechtzeitig hingewiesen worden. Außerdem käme die obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 S. 1 SGB V nicht in Betracht, da der Kläger über § 48 SGB XII eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall habe, und die Ausnahmevorschrift § 188 Abs. 4 S. 3 SGB V für ihn Anwendung finde.

Die Beigeladene ist der Auffassung, dass der Kläger nach § 188 Abs. 4 S. 1 SGB V freiwillig versichert sei, da die Ausnahmevorschrift nach S. 3 für den Kläger nicht anwendbar sei. Der Wortlaut greife für Personen, deren Versicherungspflicht ende, und nicht für Personen, deren Familienversicherung ende.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten zu 1) und der Beigeladenen verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung geworden sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. § 54 Abs. 1 S. 1 und § 55 Abs. 1 SGG zulässig und begründet.

Der Bescheid vom 29. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. April 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger ist seit dem 9. Mai 2015 bei der Beklagten zu 1) freiwillig krankenversichert.

Der freiwilligen Versicherung können nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V Personen beitreten, deren Versicherung nach § 10 erlischt oder nur deswegen nicht besteht, weil die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 vorliegen, wenn sie oder der Elternteil, aus dessen Versicherung die Familienversicherung abgeleitet wurde, die in Nummer 1 genannte Vorversicherungszeit erfüllen. Der Beitritt ist der Krankenkasse nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Versicherung anzuzeigen. Die 3-Monats-Frist begann am 9. Mai 2015 (§ 26 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 BGB) und endete am 9. August 2015. Der Kläger hat seinen Beitritt erst nach Ablauf der Frist, nämlich am 1. September 2015, erklärt.

Fraglich ist, wie man den Umstand zu werten hat, dass die Beklagte den Kläger erst mit Schreiben vom 4. August 2015 – also kurz vor Ablauf der Frist – auf die Beitrittsmöglichkeit hingewiesen hat. Es kann aber dahinstehen, ob der Kläger aufgrund einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 16/07 R) oder im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 3. März 2011 – L 5 KR 108/10) der freiwilligen Versicherung noch fristgerecht gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 SGB V beigetreten ist.

Denn die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten zu 1) setzte sich ab dem 9. Mai 2015 gem. § 188 Abs. 4 S. 1 SGB V als sog. obligatorische Anschlussversicherung fort.

Gemäß § 188 Abs. 4 S. 1 SGB V setzt sich für Personen, deren Versicherungspflicht oder Familienversicherung endet, die Versicherung mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung regelmäßig als freiwillige Mitgliedschaft fort, sofern das Mitglied nicht innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten seinen Austritt erklärt. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger.

Der Kläger war zunächst von seiner Ehefrau als Stammversicherte abgeleitet gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB V familienversichert. Da die Versicherungspflicht der Ehefrau (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V) mit ihrem Tod am 8. Mai 2015 gem. § 190 Abs. 1 SGB V endete, endete auch die akzessorische Familienversicherung (vgl. Ulmer, in BeckOK SozR, 54. Ed. 1. September 2019, SGB V, § 10, Rn. 1).

Eine andere vorrangige Versicherungspflicht (vgl. Gerlach, in Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Erg.-Lfg. 02/19, § 188, Rn. 27) besteht nicht. Mangels Erfüllung der Vorversicherungszeiten ist der Kläger nicht in der Krankenversicherung der Rentner gem. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V pflichtversichert. Eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V kommt nicht in Betracht, da die Vorschrift gegenüber § 188 Abs. 4 SGB V nachrangig ist (vgl. Gerlach, in Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Erg.-Lfg. 02/19, § 188, Rn. 27) und nur in Bezug auf Personen greift, die "keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall" haben. Dies sind nach der Vorstellung des Gesetzgebers (BT-Drs. 16/3100, S. 94) insbesondere Personen, die keinen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit gemäß § 40 SGB VIII, § 48 SGB XII oder § 264 SGB V haben und auch nicht durch andere Schutzsysteme geschützt sind oder dort jedenfalls nur teilweise abgesichert werden. Mittelbar wurde die Formulierung einer "anderweitigen Absicherung" in § 5 Abs. 8a SGB V konkretisiert (SG Mainz, Beschluss vom 13. April 2018 – S 3 KR 112/18 ER): Eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht danach nicht für Personen, die in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder familienversichert sind (§ 5 Abs. 8a S. 1 SGB V). Entsprechendes gilt für Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII sowie für Empfänger laufender Leistungen nach § 2 AsylbLG (§ 5 Abs. 8a S. 2 SGB V). Der Kläger bezieht Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII, womit ein Anspruch auf Leistungen der Krankenhilfe nach § 48 SGB XII einhergeht. Nach dem Gesetzesentwurf sollte mit der letztgenannten Vorschrift erreicht werden, dass der Sozialhilfeträger weiterhin für die Krankenbehandlung von Empfängern von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches zuständig bleibt (siehe Bundestags-Drucksache 16/3100, S. 95).

Der Kläger hat nicht gem. § 188 Abs. 4 S. 1 SGB V seinen Austritt aus der obligatorischen Anschlussversicherung erklärt; vielmehr will er weiter bei den Beklagten versichert sein.

Die obligatorische Anschlussversicherung ist auch nicht gem. § 188 Abs. 4 S. 3 Alt. 2 SGB V aufgrund des zuvor aufgezeigten Anspruchs auf Hilfe bei Krankheit (§ 48 SGB XII) ausgeschlossen, da diese Ausnahmevorschrift auf den Kläger nicht anwendbar ist. Gem. § 188 Abs. 4 Satz 3 SGB V greift die Anschlussversicherung nach Satz 1 nicht für Personen, deren Versicherungspflicht endet, wenn die übrigen Voraussetzungen für eine Familienversicherung erfüllt sind oder ein Anspruch auf Leistungen nach § 19 Abs. 2 SGB V besteht, sofern im Anschluss daran das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen wird.

Der Anspruch auf Krankenhilfe nach § 48 SGB XII stellt grundsätzlich – wie auch im § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGb V – einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 188 Abs. 4 S. 3 SGB V dar (so auch SG Mainz, Beschluss vom 13. April 2018 – S 3 KR 112/18 ER und LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4. Juli 2019 – L 5 KR 208/18, die aber jeweils Fälle zu entscheiden hatten, wo die Versicherungspflicht durch den Übergang vom SGB II- in den SGB XII-Bezug endete).

Allerdings greift § 188 Abs. 4 S. 3 SGB V für den Kläger nicht. Satz 3 regelt insofern nach seinem Wortlaut eine Ausnahme von der obligatorischen Anschlussversicherung nur für Personen, deren "Versicherungspflicht" endet (so auch SG Berlin, Urteil vom 28. Mai 2019 – S 182 KR 1889/17). Das Wort Versicherungspflicht lässt sich nicht dahingehend auslegen, dass davon auch die Familienversicherung umfasst ist. Ausnahmevorschriften sind nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen eng auszulegen und einer erweiternden Auslegung grundsätzlich nicht zugängig (BSG, Urteil vom 1. Juni 2017 – B 4 R 2/16 R).

Zwar lässt die Lektüre der Gesetzesmaterialien vermuten, dass der Gesetzgeber keinesfalls durch die Einführung des § 188 Abs. 4. S. 1 SGB V den Kreis der Versicherten gegenüber den gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversicherten Personen erweitern wollte, also mehr in Deutschland lebenden Menschen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung gewähren wollte (so auch das SG Mainz, Beschluss vom 13. April 2018 – S 3 KR 112/18 ER). Die obligatorische Anschlussversicherung ist durch das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung zum 1. August 2013 eingeführt worden. Der Gesetzesentwurf verfolgte zunächst nur das Ziel, die Problematik der in der Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V teilweise entstehenden hohen Beitragsschulden durch die Absenkung der Säumniszuschläge abzumildern (Bundestags-Drucksache 17/13079, S. 1). Der Ausschuss für Gesundheit hat im Gesetzgebungsverfahren in seiner Empfehlung die obligatorische Anschlussversicherung in § 188 Abs. 4 SGB V in den Gesetzesentwurf integriert. In der Begründung hierzu heißt es, dass dadurch "der Entwicklung von Beitragsschulden durch eine verspätete Anzeige der Voraussetzungen für die nachrangige Versicherungspflicht entgegen gewirkt werden" soll (Bundestags-Drucksache 17/13947, S. 27). Es sollte dem Problem entgegnet werden, dass die Krankenkassen "bislang keine Möglichkeit (hatten), die nachrangige Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V durchzuführen, wenn diese Personen zwar keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hatten, sie sich aber auch auf Aufforderung der Krankenkassen ( ) nicht bei dieser gemeldet haben" (Bundestags-Drucksache 17/13947, S. 27). Allerdings lassen sich in der Begründung keine Angaben dazu finden, ob Grundsicherungsleistungsempfänger, die zuvor gem. § 5 Abs. 8a SGB V von der Auffangversicherung ausgeschlossenen waren, auch von der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sein sollten. Eine mit § 5 Abs. 8a SGB V vergleichbare Regelung wurde in § 188 Abs. 4 SGB V nicht übernommen. Die bloße Tatsache des Bezugs von Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII hindert den Eintritt der Anschlussversicherung nach Ende einer GKV-Pflichtmitgliedschaft somit nicht (Geiger, in infoalso 2014, 3). Warum darauf verzichtet wurde, wird nicht erläutert. Es lässt sich daher nur vermuten, dass der Kreis der Versicherten durch die Einführung des § 188 Abs. 4 SGB V nicht erweitert werden sollte.

Entscheidend dürften aber die grammatikalische und die systematische Auslegung von § 188 Abs. 4 Satz 1 und 3 SGB V sein. Satz 1 und 3 wurden durch dasselbe Gesetz eingeführt, in Satz 1 wird zwischen Versicherungspflicht und Familienversicherung differenziert. Dies setzt sich auch in der Verweisung in § 188 Abs. 4 Satz 3 SGB V auf § 19 Abs. 2 SGB V fort. § 19 Abs. 2 SGB V erfasst den nachgehenden Leistungsanspruch Versicherungspflichtiger, während der nachgehende Leistungsanspruch von Familienversicherten in § 19 Abs. 3 SGB V geregelt ist (SG Berlin, Urteil vom 28. Mai 2019 – S 182 KR 1889/17; Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Erg.-Lfg. 02/19, § 188 Rdnr. 29). Während der Gesetzgeber die obligatorische Anschlussversicherung für die Personen, deren "Versicherungspflicht und Familienversicherung" (§ 188 Abs. 4 S. 1 SGB V) endet, eingeführt hat, hat er sich bei der Ausnahmeregelung in Satz 3 auf eine Regelung für Personen, deren "Versicherungspflicht" endet, beschränkt. Von dem Wort "Versicherungspflicht" nunmehr auch die Fälle der Familienversicherung umfasst zu sehen, widerspricht der Systematik des § 188 Abs. 4 SGB V und auch dem eindeutigen Wortlaut.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die Kammer auch für eine analoge Anwendung des § 188 Abs. 4 S. 3 SGB V in der vorliegenden Konstellation keinen Raum gesehen (a.A. Gerlach, in Hauck/Noftz, SGB V, § 188, Rn. 28 a.E. mit Verweis auf GKV-Spitzenverband, RS 2013/338 vom 31. Juli 2014).

Die analoge Anwendung einer Norm kommt in Betracht, wenn eine planwidrige Regelungslücke (BGH, Urteil vom 15. März 2017 – VIII ZR 5/16) vorliegt und die Interessenlage mit der anzuwendenden Norm vergleichbar ist.

Es fehlt nach Überzeugung der Kammer bereits an einer Regelungslücke. Ausnahmevorschriften sind in der Regel nicht analogiefähig (BGH, Urteil vom 13. März 2003 – I ZR 290/00) bzw. nur in engen Grenzen (BSG, Urteil vom 23. August 2012 – B 4 AS 32/12 R m.w.N.). § 188 Abs. 4 S. 1 SGB V sieht eine obligatorische Anschlussversicherung für Personen vor, deren Versicherungspflicht oder Familienversicherung endet. Da eine Ausnahme in Satz 3 nur für Personen geregelt wurde, deren Versicherungspflicht endet, ist eine Regelungslücke für Personen, deren Familienversicherung endet, nicht zu sehen. Diese Personen fallen unter den Grundsatz der obligatorischen Anschlussversicherung nach Satz 1. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Einführung der Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V das Ziel, Menschen, die zuvor ohne Absicherung im Krankheitsfalls waren, in die gesetzliche Krankenversicherung zu überführen (Bundestag-Drs. 16/3100, S. 94). Dasselbe Motiv steht auch hinter dem Grundsatz der obligatorischen Anschlussversicherung. Vor diesem Hintergrund ist nach Überzeugung der Kammer für eine analoge Anwendung der Ausnahmevorschrift in § 188 Abs. 4 S. 3 SGB V kein Raum. Selbst wenn man vorliegend die Ausnahmevorschrift für analogiefähig halten sollte und von eine Regelungslücke ausginge, wäre nicht positiv feststellbar, ob diese planwidrig ist. Denn eine Analogie setzt voraus, dass die Planwidrigkeit der Gesetzeslücke aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann, weil sonst jedes Schweigen des Gesetzgebers - und das ist der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will - als planwidrige Lücke im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden könnte (BGH, Urteil vom 13. April 2006 – IX ZR 22/05). Angesichts dessen, dass die Gesetzesbegründung, wie bereits ausgeführt, keine Angaben dazu macht, ob die Sozialhilfeempfänger mit Anspruch auf Krankenhilfe nach § 48 SGB XII grundsätzlich ebenso wie in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V von der obligatorischen Anschlussversicherung ausgenommen werden sollten, ist die Planwidrigkeit nicht positiv feststellbar. Die Regelung mag aus sozialpolitischen Erwägungen misslungen sein, allerdings ist die Rechtsprechung nur befugt, den Gesetzgeber zu "korrigieren", wenn er mit dem Gesetzeswortlaut offensichtlich das zweifelsfrei erkennbare Gesetzesziel verfehlt hat (BSG, Urteil vom 17. Juli 1997 – 7 RAr 106/96).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Die Beklagte zu 1) trifft die volle Kostenlast, da sie auch für die Beklagte zu 2) die Feststellung der Mitgliedschaft getroffen hat.
Rechtskraft
Aus
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