S 11 AL 44/04 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 44/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 09.08.2004 bis zur Entscheidung über seinen Widerspruch vom 07.06.2004 gegen den Bescheid vom13.05.2004, längstens jedoch bis zum 31.12.2004, ohne Berücksichtigung seines Bausparvertrages mit der LBS Westdeutsche Landesbausparkasse zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Antragstellers zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Die Antragsgegnerin lehnte den Alhi-Antrag des Antragstellers vom 02.04.2004 mit Bescheid vom 13.05.2004 mit der Begründung ab, der Antragsteller verfüge über ein Vermögen in Höhe von 5162,53 Euro, das den ihm gesetzlich eingeräumten Freibetrag von 5000.- Euro übersteige, und sei deswegen nicht bedürftig. Seinen Widerspruch vom 07.06.2004 begründete der Antragsteller damit, das Vermögen bestehe in einem Bausparvertrag, geschlossen mit der LBS Westdeutsche Landesbausparkasse (LBS), bei dessen sofortiger Verwertung - ausweislich einer Auskunft der LBS - Vorfälligkeitszinsen in Höhe von 184,01 Euro sowie eine Tilgungsgebühr von 15.- Euro abgezogen werden müssten. Sein tatsächliches Vermögen übersteige den Freibetrag somit nicht.

Der Widerspruch ist bislang nicht beschieden worden. Am 09.08.2004 beantragte der Antragsteller die Gewährung von Alhi "ab sofort" im Wege einstweiligen Rechtsschutzes. Er führt aus, sein Lebensunterhalt sei gefährdet, da er derzeit keinerlei laufende Geldzahlungen erhalte. Der Antragsteller hat eine weitere Auskunft der LBS betreffend seinen Bausparvertrag beigebracht.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Arbeitslosenhilfe ab dem 09.08.2004 zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Alhi-Antrag sei das "seinerzeit aktuelle Vermögen" des Antragstellers zu berücksichtigen gewesen, das sich damals auf mehr als den gesetzlichen Freibetrag belaufen habe. Der Abzug von Vorfälligkeitszinsen und einer Tilgungsgebühr sei demgegenüber rein hypothetisch. Schließlich fehle es auch an einem Anordnungsgrund. Die Antragsgegnerin war nicht in der Lage, ihre Akten zu übersenden, da diese bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in ihrem Geschäftsgang waren.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der Antrag ist zulässig und größtenteils begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch) und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Zudem darf eine Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache nicht endgültig (d.h. irreversibel) vorweg genommen werden (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 86 b, Rn 31 und 40 m.w.N.). Nach § 86 b Abs. 4 ist ein entsprechender Antrag bei Gericht auch vor Erhebung einer sozialgerichtlichen Klage zulässig. Der Inhalt der Anordnung steht nach Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit § 938 der Zivilprozessordnung im Ermessen des Gerichts.

Der Antrag des Klägers auf Arbeitslosenhilfe erweist sich anhand der allein gebotenen summarischen Prüfung als begründet, auch die erforderliche besondere Eilbedürftigkeit liegt vor.

Nach § 190 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) haben Arbeitnehmer nach näherer Maßgabe der folgenden Vorschriften Anspruch auf Alhi. Streitig ist im vorliegenden Fall allein die Bedürftigkeit des Antragstellers.

Nach § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III erhalten nur bedürftige Arbeitnehmer Alhi. Nach § 193 Abs. 2 SGB III ist ein Arbeitsloser u.a. dann nicht bedürftig, solange die Erbringung von Alhi mit Rücksicht auf sein Vermögen nicht gerechtfertigt ist. Die Generalklausel in § 193 Abs. 2 wird durch die aufgrund § 206 Nr. 1 bis 4 SGB III erlassene Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13.12.2001 (AlhiV 2002) näher konkretisiert, die in § 1 Abs. 1 und 2 eine Freibetragsregelung zugunsten des Arbeitslosen enthält. Da die Antragsgegnerin dem Gericht ihre Akten nicht hat vorlegen können, geht das Gericht auf der Grundlage des (vom Antragsteller übersandten) Bescheides vom 13.05.2004 davon aus, dass der Freibetrag zugunsten des Klägers 5000.- Euro beträgt und dass neben einer - von der Antragsgegnerin behaupteten - Überschreitung dieses Freibetrags keine weiteren Gründe gegen die Gewährung von Alhi sprechen.

Der Antragsteller verfügt über kein Vermögen, das den für ihn gültigen Freibetrag übersteigt. Es kann dahinstehen, ob sich das Bausparguthaben auf 5162,53 Euro (so die Antragsgegnerin) oder auf 5126,46 Euro (so die Auskünfte der LBS) beläuft, denn in beiden Fällen unterschreitet der maßgebliche Nettoertrag den einschlägigen Freibetrag gem. § 1 Abs. 1 und 2 AlhiV 2002. Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 AlhiV 2002 ist das Vermögen ohne Rücksicht auf steuerliche Vorschriften mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Verkehrswert ist der zu erwartende Nettoertrag der Verwertung des Vermögens (BSG, Urteil vom 02.11.2000 - B 11 AL 35/00 R). Zu seiner Ermittlung sind vom (Brutto-) Erlös der Veräußerung diejenigen Kosten abzusetzen, die mit der Verwertung erwartungsgemäß verbunden sind und sich im normalen Geschäftsleben nicht vermeiden lassen (Ebsen, in: Gagel, SGB III, § 193, Rn 209).

Ausweislich der zuletzt vorgelegten Auskunft der LBS sind bei der vorzeitigen Auszahlung des Bausparguthabens ein Zinsausgleich wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist in Höhe von 153,39 Euro sowie gewährte Wohnungsbauprämien in Höhe von 40,91 Euro abzuziehen. Die gegenüber der Antragsgegnerin vorgelegte Auskunft der LBS spricht von Vorfälligkeitszinsen in Höhe von 184,01 Euro sowie einer Tilgungsgebühr von 15.- Euro. Unter Zugrundelegung beider unterschiedlicher Auskünfte verbleibt somit kein Nettoertrag von mehr als 5000.- Euro. Jedenfalls der Posten "Vorfälligkeitszinsen" bzw. "Zinsausgleich wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist" sowie die zurückzuzahlenden Wohnungsbauprämien sind nicht vermeidbare Kosten im oben dargelegten Sinne, denn der Antragsteller kann sie allein dadurch vermeiden, dass er sein Bausparguthaben vorerst unangetastet lässt.

Ob es sich bei den in der zweiten Auskunft der LBS als "voraussichtlicher Verlust" aufgeführten Wohnungsbauprämienansprüche in Höhe von 153,53 Euro um einen realen Abzug oder um einen zukünftigen Gewinn handelt (der dem Antragsteller bei vorzeitiger Vertragsauflösung entgehen wird), kann dahinstehen, da es auf diesen Betrag rechnerisch nicht mehr ankommt.

Die Minderung des Nettoertrags beruht schließlich auch nicht auf der Anwendung steuerlicher Vorschriften i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 AlhiV 2002.

Das Gericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die Inkaufnahme von Vorfälligkeits- oder Vorschusszinsen einer Verwertung von vertraglich "festgelegtem" Vermögen regelmäßig nicht unter dem Gesichtspunkt einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit (§ 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002) entgegen steht (vgl. BSG, Urteil vom 17.10.1990, 11 Rar 133/88; LSG Saarbrücken, Urteil vom 25.03.2003 - L 6 AL 48/00). Im vorliegenden Fall geht es jedoch um die - einer (Un-) Wirtschaftlichkeitsprüfung gedanklich vorgelagerte - Frage nach dem Wert des nach § 193 Abs. 2 SGB III zu berücksichtigenden Vermögens.

Die zeitliche Begrenzung der Verpflichtung auf die Dauer des Widerspruchsverfahrens ergibt sich daraus, dass eine endgültige Alhi-Gewährung zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führen würde; insbesondere kann das Gericht gem. § 193 Abs. 3 Satz 1 SGB III zur Gewährung von Alhi nicht über den 31.12.2004 hinaus verpflichten.

Die besondere Eilbedürftigkeit (und somit der Anordnungsgrund) liegt in der Entgeltersatzfunktion der Alhi (§ 116 Nr. 6 SGB III); im vorliegend zu entscheidenden Fall liegt sie insbesondere darin, dass die Antragsgegnerin die Alhi nicht nur teilweise, sondern völlig verweigert hat und der Antragsteller seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sicherstellen kann. Das Gericht nimmt auf die eidesstattliche Erklärung des Antragstellers (nebst seinen Angaben zum Antrag auf Prozesskostenhilfe) bezug, die durch die Antragsgegnerin nicht hinreichend entkräftet worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG. Die Antragsgegnerin trifft die volle Kostenlast, da sie Anlass zur Stellung des Antrags gegeben hat.
Rechtskraft
Aus
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