S 18 KR 337/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 337/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 206/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2010 verurteilt, dem Kläger ab dem 1. März 2010 in der Krankenversicherung der Rentner zu versichern.

2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner.

Der 1941 geborene Kläger war seit dem 1. Januar 1982 bei der privaten Krankenversicherung D. Krankenversicherung a.G. krankenversichert. Er war seit dem Jahr 1974 mit der bei der Barmer Ersatzkasse im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) versicherten C. A., geb. E., verheiratet, die 2010 verstorben ist.

Der Kläger stellte am 22. März 2010 bei der Beklagten einen Antrag auf Aufnahme in die KVdR und bei der Deutschen Rentenversicherung Bund einen Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Er gab in diesem Zusammenhang an, bis 30. September 2002 überwiegend selbstständig erwerbstätig und vom 1. Oktober 2002 bis 31. Dezember 2004 abhängig beschäftigt gewesen zu sein. Vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2005 sei er arbeitslos gewesen, seit dem 1. Januar 2006 beziehe er Altersrente.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2010 lehnte die Beklagte die Aufnahme des Klägers in die KVdR ab. Der Kläger habe Hinterbliebenenrente beantragt. Nach den vorliegenden Unterlagen erfülle der Kläger zwar die Voraussetzungen für die KVdR, sei aber versicherungsfrei. Denn er sei bislang privat krankenversichert gewesen, habe das 55. Lebensjahr bereits vollendet und sei in den letzten fünf Jahren nicht gesetzlich versichert gewesen. Er sei in dieser Zeit überwiegend hauptberuflich selbstständig tätig gewesen.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 30. Mai 2010 Widerspruch ein. Aufgrund des Todes seiner Ehefrau erhalte er eine Witwerrente. Seine Ehefrau sei mehr als 50 Jahre gesetzlich bei der Barmer Ersatzkasse versichert gewesen. Dieser Versicherungsschutz sei auf ihn übergangen ebenso wie der Anspruch auf Rente. Die Voraussetzungen für die Aufnahme in die KVdR seien demzufolge erfüllt. Ab dem 20. Juli 1960 sei er bei der Versorgunganstalt des Bundes und der Länder versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Barmer Ersatzkasse gesetzlich krankenversichert gewesen. Er sei später in das Beamtenverhältnis übernommen worden. Es seien später, da er als Beamter ausgeschieden sei, Beiträge zur Rentenversicherung für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 31. Januar 1968 nachentrichtet worden. Vom 15. Februar 1968 bis 28. Februar 1970 sei er als Angestellter eines Rechtsanwaltsbüros ebenfalls bei der Barmer Ersatzkasse pflichtversichert gewesen. Ab dem 1. März 1970 habe er freiwillige Beiträge gezahlt. Vom 1. Oktober 2002 bis 31. Dezember 2004 sei er angestellt gewesen und es seien Pflichtbeiträge gezahlt worden. Im Jahr 2005 sei er arbeitslos und über das Arbeitsamt versichert gewesen. Seit dem 1. Januar 2006 sei er Rentner. Er habe seine Beraterpraxis zum 30. September 2002 aufgeben müssen, es habe Überschuldung bestanden. Aus sozialen Gesichtspunkten sei er daher in die KVdR aufzunehmen. Die Begründung des Ablehnungsbescheides gelte nur teilweise. Sie sei nur dann anwendbar, wenn es um seine eigene Rente gehe, nicht aber bei der Witwerrente, wenn die Ehefrau gesetzlich bei der Barmer Ersatzkasse krankenversichert gewesen sei. Denn die Krankenversicherung sei auf ihn ohne Weiteres im Wege der Rechtsnachfolge übergegangen. Er sei ohne Vermögen und habe Schulden. Daher erfülle er insgesamt die Voraussetzungen für die Aufnahme in die KVdR. Jede Person habe Anspruch auf Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung, vor allem sozial schwache Personen und ältere Menschen.

Die Beklagte bat daraufhin den Kläger um Mitteilung, bei welchen Krankenkassen er in den letzten fünf Jahren versichert gewesen sei. Hierzu teilte der Kläger am 20. Juli 2010 mit, dass er ausschließlich bei der D. Krankenversicherung versichert gewesen sei.

Daraufhin erläuterte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 30. September 2010 die Rechtslage aus ihrer Sicht erläutert. Nach § 6 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien Personen, die nach Vollendung des 50. Lebensjahres versicherungspflichtig werden, grundsätzlich versicherungsfrei, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert gewesen seien. Für Hinterbliebene, die seit Jahren privat krankenversichert seien, da sie die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der KVdR bei einem eigenen Rentenbezug nicht erfüllt hätten, gelte § 6 Abs. 3a SGB V auch dann, wenn diese bei Beantragung einer Hinterbliebenenrente Mitglied in der KVdR werden könnten, weil die Voraussetzungen zur KVdR dadurch erfüllt seien. Eine Mitgliedschaft in der KVdR werde aufgrund der Hinterbliebenenrente nicht begründet, weil der Gesetzgeber mit Einführung des § 6 Abs. 3a SGB V eine klare Abgrenzung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung verfolgt habe. Die Aufnahme langjährig privatversicherter Personen liefe dem Abgrenzungsgedanken entgegen. Daher sei eine Mitgliedschaft in der KVdR für den Kläger nicht möglich. In Bezug auf den Einwand, jede Person habe Anspruch auf Aufnahme in die gesetzlichen Versicherung, sei darauf hinzuweisen, dass für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hätten, nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V die Möglichkeit bestehe, Versicherungsschutz zu erlangen. Voraussetzung sei jedoch, dass der Betreffende zuletzt gesetzlich krankenversichert oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert gewesen sei. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Kläger nicht vor, da er nach eigenen Angaben laufend bei der D. Krankenversicherung versichert sei.

Der Kläger hielt den Widerspruch weiter aufrecht, woraufhin die Beklagte diesen mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2010 zurückwies. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V Personen in der KVdR krankenversicherungspflichtig seien, welche die Voraussetzung für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllten und diese Rente beantragt hätten. Weitere Voraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V sei, dass seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung oder einer Familienversicherung für den Betreffenden bestanden habe. Bei Empfängern von Hinterbliebenenrente seien diese Voraussetzungen für die KVDR grundsätzlich als erfüllt anzusehen, wenn der Verstorbene bereits eine Rente bezogen habe und in der KVdR versichert gewesen sei. In diesen Fällen erübrige sich die Prüfung der Vorversicherungszeit. So liege es im Fall des Klägers. Aufgrund der Anrechnung der Vorversicherungszeit seiner verstorbenen Ehefrau und aufgrund des Umstandes, dass diese bereits in der KVdR versichert gewesen sei, erfülle der Kläger im Ausgangspunkt die Voraussetzungen für die Aufnahme in die KVdR. Gleichwohl könne er nicht in die KVdR nicht aufgenommen werden. Der Antrag des Klägers auf Aufnahme in die KVdR sei wegen der Vorschrift des § 6 Abs. 3a SGB V abzulehnen. Durch diese Regelung werde Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig werden, der Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung versperrt, wenn sie unmittelbar zuvor keinen ausreichenden Bezug zur gesetzlichen Krankenversicherung nachweisen könnten. Nach der Gesetzesbegründung diene diese Vorschrift einer klaren Abgrenzung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Versicherungsfrei seien Personen, die sich frühzeitig für eine Absicherung in der privaten Krankenversicherung entschieden haben. Diese sollten diesem System – und nicht der gesetzlichen Krankensicherung – auch im Alter angehören. Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 3a SGB V trete ein, wenn in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Versicherungspflicht, wie im Fall des Klägers, kein gesetzlicher Krankenversicherungsschutz bestanden habe. Der Kläger sei in den letzten fünf Jahren ausschließlich bei einer privaten Krankenversicherung versichert gewesen. Weitere Voraussetzung sei, dass der Kläger mindestens in der Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 SGB V nicht versicherungsrechtlich gewesen sei. Auch diese Voraussetzung liege bei dem Kläger vor. Der Kläger sei zunächst als Beamter versicherungsfrei und im Anschluss von der Versicherungspflicht befreit gewesen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Ehefrau des Klägers in der KVdR versichert gewesen sei. Für Hinterbliebene, die seit Jahren privat versichert sind, gelte § 6 Abs. 3a SGB V auch dann, wenn sie bei Beantragung einer Hinterbliebenenrente Mitglied in der KVdR werden könnten, weil die KVdR-Vorversicherungszeit über den Verstorbenen erfüllt sei.

Mit Schreiben vom 29. Mai 2015 erkundigte sich der Kläger nach dem Widerspruchsverfahren. Bei Durchsicht seiner Akten habe er festgestellt, dass ihm in Bezug auf seinen Widerspruch vom 30. Mai 2010 noch keine Entscheidung bekannt gegeben worden sei. Er sei vor zwei Jahren von F-Stadt nach A-Stadt umgezogen und habe einen Nachlieferungsantrag gestellt. Ein Widerspruchsbescheid der Beklagten sei ihm jedoch nicht zugestellt worden. Sofern ohne sein Wissen entschieden worden sein sollte, bitte er um förmliche Zustellung.

Daraufhin übersandte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 3. Juli 2015 den Widerspruchsbescheid mit dem Hinweis, dieser sei am 16. Dezember 2010 zur Post aufgegeben worden. Unabhängig davon, dass der Widerspruchsbescheid bestandskräftig sei, sei eine Abhilfe auch deshalb nicht möglich, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die KVdR nicht vorlägen.

Gegen den Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2010 hat der Kläger am 9. Juli 2015 Klage erhoben. Zur Begründung ist das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren zunächst wiederholt und vertieft worden. Nach Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist im Übrigen angeführt worden, der Kläger habe sich erst mit Schreiben vom 29. Mai 2015 an die Beklagte gewandt und sich erkundigt, weshalb bislang noch kein Widerspruchsbescheid erteilt worden sei, weil er in der Zwischenzeit eine Vielzahl von persönlichen Angelegenheiten vorrangig habe bearbeiten müssen. Die Ehefrau des Klägers sei 2010 überraschend verstorben. Es habe sich eine intensive Trauerbewältigung angeschlossen, die immer noch nicht abgeschlossen sei. Aufgrund eines Zwangsverwaltungsverfahrens habe im Übrigen die Eigentumswohnung des Klägers aufgelöst und ein Umzug organisiert werden müssen. Außerdem habe sich der Kläger in einem langwierigen Rechtsstreit mit dem Käufer seiner Steuerberatungskanzlei befunden und er habe weitere persönliche Angelegenheiten regeln müssen. Aus den vorstehenden Gründen sei das bei der Beklagten anhängige Widerspruchsverfahren bei dem Kläger zunächst in Vergessenheit geraten. Im Jahr 2015 habe der Kläger diverse Vorgänge und Akten bearbeitet und hierbei festgestellt, dass über den Widerspruch noch nicht entschieden worden sei, da er sich an den Erhalt eines Widerspruchsbescheides nicht habe erinnern können. Die Klage sei zulässig, da der Kläger den Widerspruchsbescheid nicht im Jahr 2010, sondern erst im Jahr 2015 erhalten habe. Soweit die Beklagte gegenteiliger Auffassung sein sollte, habe sie die Zustellung des Widerspruchsbescheides nachzuweisen.

Im Weiteren ist zur inhaltlichen Klagebegründung vorgetragen worden, der Kläger sei nicht versicherungsfrei. Er beziehe seit dem 1. Januar 2006 von der Deutschen Rentenversicherung eine Altersrente und seit dem 1. April 2010 außerdem eine Witwerrente. Unstreitig sei die KVdR-Vorversicherungszeit nur über die verstorbene Ehefrau des Klägers erfüllt. Der Kläger sei deshalb wegen Nichterfüllung der KVdR-Vorversicherungszeit seit vielen Jahren privat krankenversichert. Allerdings sei er aufgrund einer eigenen Rente in die KVdR aufzunehmen, da er in den letzten fünf Jahren weder versicherungsfrei, noch von der Versicherungspflicht befreit, noch hauptberuflich selbstständig, sondern wegen Nichterfüllung der KVdR-Vorversicherungszeit nicht versicherungspflichtig gewesen sei.

Schließlich ist zur Begründung auf eine Arbeitsanweisung der Deutschen Rentenversicherung zu § 6 SGB V Bezug genommen worden, worauf wegen der Einzelheiten zu verweisen ist (Schriftsatz vom 16. Mai 2016). Weiterhin ist angeführt worden, der Kläger sei vom 1. Oktober 2002 bis 31. Dezember 2004 als Angestellter pflichtversichert gewesen, in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Januar 2005 sei er in der gesetzlichen Krankenkasse familienversichert gewesen. Die Ehefrau des Klägers sei 2010 verstorben und bis zu diesem Zeitpunkt in der gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert gewesen. Daher seien die Voraussetzungen für die Aufnahme in die KVdR erfüllt. Hierzu ist ein Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung vorgelegt worden, aus dem sich Pflichtbeiträge ergeben für den Zeitraum vom 1. Oktober 2002 bis 31. Dezember 2004 und aufgrund von der Arbeitsagentur gemeldeter Zeiten für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Oktober 2005 und vom 1. November 2005 bis 30. Dezember 2005. Schließlich ist eine chronologische Aufstellung vorgelegt worden, wonach der Kläger bis 30. September 2002 überwiegend selbstständig tätig und privat krankenversichert, vom 1. Oktober 2002 bis 31. Dezember 2004 Angestellter, vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2005 arbeitslos gewesen sei und ab 1. Januar 2006 Altersrente beziehe. Damit sei der Kläger in den entsprechenden Zeiträumen als Angestellter bzw. Arbeitsloser auch krankenversicherungspflichtig gewesen.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2010 zu verurteilen, ihn ab dem 1. März 2010 in der Krankenversicherung der Rentner zu versichern.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Klage sei verfristet. Die Klage hätte gemäß § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides erhoben werden müssen. Der Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2010 sei dem Kläger spätestens am 20. Dezember 2010 bekannt gegeben worden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Urteil vom 28. November 2006, B 2 U 33/05 R, sei die Drei-Tages-Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zumindest dann anwendbar, wenn der Tag der Aufgabe des Bescheides zur Post nachweisbar sei, was regelmäßig durch ein Vermerk der Behörde geschehe, der den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post dokumentiere. Vorliegend sei ein solcher Vermerk am 16. Dezember 2010 durch die zuständige Sekretariatskraft der Beklagten erstellt worden. Der Tag der Aufgabe des Widerspruchsbescheides zur Post sei damit nachweisbar, so dass auch die gesetzliche Zugangsfiktion greife.

Hilfsweise sei die Klage als unbegründet anzusehen. Hierzu ist auf die Akte der Beklagten, insbesondere auf den Widerspruchsbescheid verwiesen worden. In Bezug auf das Vorbringen der Klägerseite, der Kläger sei als Angestellter vom 1. Oktober 2002 bis 31. Dezember 2004 pflichtversichert gewesen, hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser Pflichtversicherungszeit um eine Renten- und nicht um eine Krankenversicherungspflicht handele.

Das Gericht hat mit Schreiben vom 30. September 2015 dargelegt, aus welchen Gründen es die Klage für fristgerecht erhoben ansieht.

Hinsichtlich des sonstigen Vorbringens der Beteiligten ist auf deren schriftsätzliche Ausführungen und im Übrigen auf die Inhalte der Verwaltungsakte der Beklagten zu verweisen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg; sie ist zulässig und (ganz überwiegend) begründet.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist Klagefrist von einem Monat gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG gewahrt. Der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid ist dem Kläger erst im Juli 2015 zugegangen, nachdem er ihm mit Schreiben vom 3. Juli 2015 übersandt worden war. Die Klageerhebung am 9. Juli 2015 ist daher fristwahrend. Ein früherer Zugang des Widerspruchsbescheides ließ sich demgegenüber nicht feststellen. Der von der Beklagten behauptete frühere Zugang ist von dem Kläger bestritten worden. Dabei genügt in den Fällen, in denen wie vorliegend nicht das Datum des Zugangs, sondern der Zugang an sich in Frage steht, bereits ein einfaches (glaubhaftes) Bestreiten, den Bescheid nicht erhalten zu haben. Denn eine negative Tatsache des Nichtzugangs kann nicht bewiesen werden (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 16. März 2011 - II-8 WF 35/11, juris). Die von der Beklagten angeführte Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, ist in diesem Fall nicht anwendbar. Dies folgt der Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 3 Hs. 1 SGB X, wonach die Zugangsfiktion nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. § 37 Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 SGB X bestimmt im Übrigen, dass im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat. Hierzu wird in der Rechtsprechung des BSG ausgeführt, dass im Sinne dieser Vorschrift schon dann "Zweifel" bestehen, "wenn der Adressat den Zugang – schlicht – bestreitet (BSG BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 – B 13 R 4/06 R –, juris Rn. 20; Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 37 SGB X, Rn. 104; zur Beweislast der Behörde vgl. auch BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 – B 8/9b SO 12/06 R –, juris Rn. 10). Dementsprechend bestehen Zweifel in diesem Sinn aufgrund des Bestreitens des Zugangs des Widerspruchsbescheides durch den Kläger. Es liegen dabei keine Anhaltspunkte dafür vor, welche die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens in Frage stellen. Dabei ist es für die Kammer angesichts der von der Klägerseite geschilderten Umstände – Tod der Ehefrau im Jahr 2010 mit anschließender einer intensiver Trauerbewältigung, Zwangsverwaltungsverfahren mit der Folge des Verlustes der Eigentumswohnung des Klägers, Notwendigkeit eines Umzugs, Rechtsstreitigkeiten mit dem Käufer der Steuerberatungskanzlei des Klägers und weiteres – auch nachvollziehbar, dass der im Jahr 1941 geborene Kläger das Widerspruchsverfahren über längere Zeit gleichsam aus den Augen verloren hat und dann bei späterer Aktendurchsicht hierauf wieder aufmerksam geworden ist.

Der Hinweis der Beklagten auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. November 2006, Az. B 2 U 33/05 R, führt in Bezug auf die Frage des Zugangs des Widerspruchsbescheides zu keinem anderen Ergebnis. Das Bundessozialgericht hat in dieser Entscheidung lediglich ausgeführt, die Zugangsfiktion nach § 37 Abs. 2 SGB X setze voraus, dass der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt worden ist. Letzteres ist hier unstreitig der Fall. Hierauf kommt es indes nicht an. Denn wie dargelegt ist der Zugang an sich glaubhaft bestritten worden, so dass gemäß § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X die Zugangsfiktion nicht eingreift.

Weiterhin ist festzustellen, dass auch kein Fall der Verwirkung vorliegt. Der bloße Zeitablauf genügt für eine Verwirkung nicht. Vielmehr müssten "weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben und dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen" (BSG Urt. v. 28. Oktober 2009 B 14 AS 56/08 R, juris Rn. 17). Besondere Umstände, welche die Inanspruchnahme des Klagerechts als illoyal erscheinen lassen, liegen hier nicht vor.

Die Klage ist auch (ganz überwiegend) begründet. Der angegriffene Bescheid vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2010 ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil ihm ein Anspruch darauf zusteht, von der Beklagten seit dem 22. März 2010 in der KVdR aufgenommen zu werden.

Der Kläger ist seit dem 22. März 2010 in der KVdR gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. Abs. 2 SGB V versicherungspflichtig. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen dieses Versicherungspflichttatbestandes und es liegt kein Ausschlusstatbestand vor, insbesondere ist der Kläger nicht nach § 6 Abs. 3a SGB V versicherungsfrei. Dies gilt allerdings nicht wie tenoriert bereits ab dem 1. März 2010, sondern wegen § 189 Abs. 9 SGB V ab dem 22. März 2010.

Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V, wonach Personen versicherungspflichtig sind, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren, gelten gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V als erfüllt. Die letztgenannte Vorschrift bestimmt, dass bei Personen, die ihren Rentenanspruch aus der Versicherung einer anderen Person ableiten, die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 11 oder 12 als erfüllt gelten, wenn die andere Person diese Voraussetzungen erfüllt hatte. Vorliegend leitet der Kläger seinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung seiner am 16. März 2010 verstorbenen Ehefrau ab, die selbst unstreitig diese Voraussetzungen erfüllt hatte (vgl. zur Bedeutung der Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V gerade für Hinterbliebenenrenten Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 5 SGB V Rn. 83). Dies und demnach auch die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. Abs. 2 SGB V durch den Kläger ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Maßgeblich ist demnach allein die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Ausschlusstatbestand des § 6 Abs. 3a SGB V eingreift, was im Ergebnis nicht der Fall ist. Nach § 6 Abs. 3a Satz 1 SGB V sind Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig werden, versicherungsfrei, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert waren. Weitere Voraussetzung ist gemäß § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V, dass diese Personen mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 nicht versicherungspflichtig waren.

Eine Versicherungsfreiheit des Klägers nach § 6 Abs. 3a SGB V liegt nicht vor, so dass dieser Ausschlusstatbestand nicht zum Tragen kommt. Der Kläger ist gemäß § 6 Abs. 3a Satz 1 SGB V nach Vollendung des 55. Lebensjahres, nämlich im Alter von 68 Jahren, gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. Abs. 2 SGB V versicherungspflichtig geworden. Bezugspunkt des nach § 6 Abs. 3a Satz 1 SGB V maßgeblichen Fünfjahreszeitraumes, in dem – als Voraussetzung der Versicherungsfreiheit nach dieser Vorschrift – keine gesetzliche Versicherung bestanden haben darf, ist der Eintritt der Versicherungspflicht. In den vor dem Eintritt der Versicherungspflicht liegenden fünf Jahren darf danach keine gesetzliche Versicherung bestanden haben. Vorliegend ist die Versicherungspflicht mit der Stellung des Antrags auf Gewährung von Hinterbliebenenrente am 22. März 2010 eingetreten. Dies folgt aus § 189 Abs. 9 SGB V, wonach die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Rentner mit dem Tag der Stellung des Rentenantrags beginnt (zur Maßgeblichkeit der Rentenantragstellung Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 5 SGB V Rn. 76). Demnach reicht der maßgebliche Fünfjahreszeitraum vom 22. März 2005 bis 21. März 2010. In diesem Zeitraum war der Kläger vom 22. März 2005 bis 30. Dezember 2005 arbeitslos, wobei offenbar ein mit Bezug von Arbeitslosengeld vorlag, am 31. Dezember 2005 arbeitslos ohne entsprechenden Bezug und ab 1. Januar 2006 Altersrentner. Demnach dürfte eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, wonach Versicherungspflicht u.a. für Personen besteht, in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld beziehen, in Bezug auf den Zeitraum vom 22. März 2005 bis 30. Dezember 2005 vorgelegen haben, wenn kein Antrag auf Befreiung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1a SGB V gestellt worden ist. Dies kann aber offen bleiben, da jedenfalls, wie auszuführen ist, die weitere Voraussetzung für eine Versicherungsfreiheit, die sich aus der Vorschrift des § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V ergibt, nicht erfüllt sind, so dass es bei der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. Abs. 2 SGB V verbleibt.

Wie bereits ausgeführt setzt § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V als weitere Voraussetzung der Versicherungsfreiheit voraus, dass die betreffenden Personen mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 nicht versicherungspflichtig waren. Eine mangelnde Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 5 SGB V kann von vornherein ausgeschlossen werden, weil sich diese Vorschrift allein auf Personen bezieht, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, was bei dem Kläger im maßgeblichen Zeitraum ab dem 22. März 2005 nicht der Fall war.

Aber auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vor. Versicherungsfrei war der Kläger im maßgeblichen Zeitraum ab dem 21. März 2005 nicht. Er war in dieser Zeit zunächst 31. Dezember 2005 arbeitslos und dann ab dem 1. Januar 2006 Altersrentner. Ein Tatbestand der Versicherungsfreiheit nach § 6 SGB V wurde im maßgeblichen Zeitraum daher – anders als in Bezug auf die Zeiten, in denen der Kläger als Angestellter, dessen Arbeitsentgelt oberhalb der Jahresentgeltgrenze lag mit der Folge einer Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V – nicht erfüllt.

Der Kläger war auch jedenfalls nicht für einen hinreichend langen Zeitraum im Sinne des § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V von der Versicherungspflicht befreit. Es besteht die Möglichkeit, dass der Kläger nach § 8 Abs. 1 Nr. 1a SGB V von der Versicherungspflicht befreit war. Nach dieser Vorschrift wird auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird durch den Bezug von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld (§ 5 Abs. 1 Nr. 2) und in den letzten fünf Jahren vor dem Leistungsbezug nicht gesetzlich krankenversichert war, wenn er bei einem Krankenversicherungsunternehmen versichert ist und Vertragsleistungen erhält, die der Art und dem Umfang nach den Leistungen dieses Buches entsprechen. Es war nicht weiter zu ermitteln, ob nach diesem Tatbestand eine Befreiung erteilt wurde. Denn jedenfalls könnte sich diese Befreiung nur auf den Zeitraum des Bezugs von Arbeitslosengeld beziehen – also auf die hier relevante Zeit vom 22. März 2005 bis 30. Dezember 2005 –, so dass nur ein Zeitraum von weniger als zehn Monaten betroffen wäre. Demnach wäre auch bei Vorliegen einer Befreiung für diesen Zeitraum bis zum 30. Dezember 2005 der maßgebliche Mindestzeitraum von der Hälfte von fünf Jahren, also wenigstens 30 Monate, bei Weitem nicht erreicht. Es ist ausgeschlossen, dass eine etwaige Befreiung sich auf einen längeren Zeitraum als des bis zum 30. Dezember 2005 begrenzten Bezugs von Arbeitslosengeld erstreckt hat. Der einzige in Betracht kommende Befreiungstatbestand ist § 8 Abs. 1 Nr. 1a SGB V. Eine Befreiung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V, wonach eine Befreiung von der Versicherungspflicht auf Antrag u.a. für denjenigen erfolgt, der durch den Antrag auf Rente versicherungspflichtig wird (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V), kommt vorliegend von vornherein nicht in Betracht. Denn der Kläger ist durch den Altersrentenantrag nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 versicherungspflichtig geworden, weil er unstreitig die Voraussetzungen dieser Vorschrift aus eigener Versicherung nicht erfüllt hat. Die Befreiung nach § 8 SGB V, die sich also vorliegend nur auf den Arbeitslosenbezug gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1a SGB V bezogen haben könnte, wirkt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG tatbestandsbezogen (siehe etwa BSG, Urteil vom 25. Mai 2011 B 12 KR 9/09 R – juris Rn. 17 m.w.N.), so dass eine etwaige Befreiung auf die Zeit des Arbeitslosengeldes beschränkt gewesen wäre und sich mit dem Ende dieses Bezugs – also nach einer Geltungszeit von weniger als zehn Monaten – gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hätte (vgl. Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V Rn. 126).

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wonach die nach Absatz 1 oder anderen gesetzlichen Vorschriften mit Ausnahme von Absatz 2 und § 7 versicherungsfreien oder von der Versicherungspflicht befreiten Personen auch dann versicherungsfrei bleiben, wenn sie eine der in § 5 Abs. 1 Nr. 1 oder 5 bis 13 genannten Voraussetzungen erfüllen. Denn die daraus folgende sogenannte absolute Versicherungsfreiheit gilt stets nur für parallel erfüllte Versicherungspflichttatbestände, da sie eine bestehende Versicherungsfreiheit bzw. Befreiung voraussetzt (Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 09/17, § 8 SGB V, Rn. 122 m.N.).

Demnach war der Kläger im Ergebnis jedenfalls nicht mindestens die Hälfte des Fünfjahreszeitraums (§ 6 Abs. 3a Satz 1 SGB V) gemäß § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 nicht versicherungspflichtig. Nach alledem ist der Ausschlusstatbestand des § 6 Abs. 3a SGB V nicht erfüllt. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Zweck der Regelung des Fünfjahreszeitraums in § 6 Abs. 3a SGB V. Denn mit dem Fünfjahreszeitraum sollte gerade auch sichergestellt werden, dass wegen § 6 Abs. 3a SGB V Rentner nicht von der KVdR ausgeschlossen werden (KassKomm/Peters SGB V § 6 Rn. 59 unter Verweis auf BT-Drs. 14/2145).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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