L 23 SO 280/17 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 145 SO 1717/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 SO 280/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Kein Wahlrecht hinsichtlich der Inanspruchnahme der bewilligten Wohngeldleistung und Ansprüche auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat es das Sozialgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – SGB XII – zu verpflichten.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.

Die Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Antragstellerin schon einen Anordnungsgrund, dass zur Abwendung wesentlicher Nachteile bei einem Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren eine einstweilige Verpflichtung zur Leistungserbringung erforderlich ist, nicht glaubhaft gemacht hat.

Die Antragstellerin, die (ergänzende) laufende Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel SGB XII begehrt, verfügt über Einkommen und Vermögen, mit dem sie ihren Bedarf nahezu vollständig decken kann, so dass es ihr zuzumuten ist, eine Entscheidung über ihr Leistungsbegehren in einem Hauptsacheverfahren abzuwarten. Ihr Grundsicherungsbedarf nach §§ 41, 42 Nr. 1 bis 4 SGB XII i.V. mit §§ 27 a, § 28, 35 Abs. 1 SGB XII beträgt (seit dem 1. Januar 2018) monatlich 891,53 EUR (Regelleistung in Höhe von 416,00 EUR zzgl. Kosten der Unterkunft und Heizung sowie mlt. 3,70 EUR Zusatzkosten Heizung/Gas). Dieser Bedarf ist zwischen den Beteiligten unstreitig, insbesondere macht die Antragstellerin im Verfahren keinen derzeitig bestehenden weiteren anzuerkennenden Bedarf geltend. Soweit sie unter Beifügung einer Rechnung der GASAG vom 5. Dezember 2017 ausführt, "aus der erfolgten Erhöhung der Vorauszahlungen mag der Beschwerdegegner nun seine eigenen Schlüsse ziehen", ist die Antragstellerin gehalten, vor Geltendmachung gerichtlicher Hilfe zunächst – soweit dies gewollt ist – den Antragsgegner mit einem neuerlichen Leistungsbegehren im Antragsverfahren zu befassen.

Die Antragstellerin verfügt über Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 754,22 EUR und aus einer Pensionszahlung in Höhe von monatlich 48,79 EUR, insgesamt mithin über Einkommen in Höhe von 803,01 EURO, welches vor Inanspruchnahme der begehrten Leistungen nach dem vierten Kapitel SGB XII einzusetzen ist (§ 19 Abs. 2 SGB XII). Zusätzlich ist ihr mit Bescheid vom 26. September 2017 Wohngeld – WohnG – in Höhe von monatlich 87,00 EUR bewilligt worden. Dieser monatliche Anspruch, auf dessen Auszahlung die Antragstellerin bisher verzichtet, steht ihr mangels Zufluss zwar nicht als Einkommen zu. Da ihr dieser monatliche Anspruch jedoch weiterhin mit Bescheid vom 26. September 2017 zuerkannt ist, stellt er einen durchsetzbaren Anspruch dar, der als Vermögen (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 90, Rn. 13) ebenfalls nach § 19 Abs. 2 SGB XII zur Bestreitung des Lebensunterhalts einzusetzen ist. Soweit die Antragstellerin meint, sie habe nach § 46 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB I – wirksam auf die zuerkannte Sozialleistung WohnG verzichtet, kann ein solcher Verzicht nach § 46 Abs. 1 SGB I jederzeit widerrufen und somit die Auszahlung realisiert werden. Dass die Antragstellerin meint, es sei ihr nicht zuzumuten, WohnG in Anspruch zu nehmen, da dann das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage vollständig entfiele, ändert nichts daran, dass sie tatsächlich in der Lage ist, einer von ihr geltend gemachten Notlage durch Realisierung von Zahlungsanspruch entgegen zu wirken.

Mit ihrem Einkommen und zu realisierenden Zahlungen aus bewilligtem WohnG stehen ihr monatlich 890,01 EUR zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung. Da damit der Bedarf nach dem SGB XII bis auf 1,52 EUR monatlich gedeckt werden kann, ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Dies gilt auch, soweit sich durch eine Erhöhung der Abschlagszahlungen für Gas die monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung erhöht haben könnten.

Der Senat hält es, da im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur vorläufig Leistungen zuzusprechen wären, zur Abwendung wesentlicher Nachteile für erforderlich aber auch ausreichend, zur Abwendung geltend gemachter Nachteile – sofern keine besonderen Bedarfslagen geltend gemacht werden – eine Verpflichtung zur Gewährung von 80 v.H. des Regelbedarfs auszusprechen, so dass vorliegend aus der Erhöhung von Heizkosten auch keine im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu deckende Notlage resultierte.

Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes dürfen nicht überspannt werden, vielmehr ist vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren, wenn einem Antragsteller eine "über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann" (BVerfG v. 12.09.2016 – 1 BvR 1630/16 – juris, Rn. 9), wobei der geltend gemachte Anspruch – hier die Gewährung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII – in den Blick zu nehmen ist.

Der geltende gemachte Anordnungsanspruch ist vorliegend jedoch ebenfalls nicht in der Weise glaubhaft gemacht, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung gerechtfertigt wäre.

Wie bereits dargelegt, kann die Klägerin den bisher von ihr geltend gemachten laufenden Bedarf nach dem SGB XII durch Einsatz ihres Einkommens und der Realisierung der Zahlungsansprüche aus dem bewilligten WohnG decken.

Der Senat folgt nicht der Auffassung der Antragstellerin, dass ihr bei einem zuerkannten Anspruch auf WohnG ein Wahlrecht hinsichtlich der Inanspruchnahme der bewilligten Wohngeldleistungen und etwaiger Ansprüche auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII zusteht.

Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sind Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII, für die – wie bereits dargelegt – aus § 19 Abs. 2 SGB XII folgt, dass diese nur und nur insoweit zu leisten sind, als der zu deckende Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen bestritten werden kann. Ein bereits zuerkannter Zahlungsanspruch auf WohnG stellt damit ein vorrangig zur Bedarfsdeckung einzusetzendes Mittel dar. Daran ändert ein im Hinblick auf die Realisierung des insoweit nachrangigen Sozialhilfeanspruchs erklärter Verzicht nach § 46 SGB I im Ergebnis nichts. Der Verzicht auf eine zugesprochene Sozialleistung führt nämlich nicht in jedem Fall zum Entstehen oder Wiederaufleben anderer Sozialleistungsansprüche.

Der Verzicht nach § 46 Abs. 1 SGB I folgt aus dem Grundsatz, dass niemand gezwungen werden kann, staatliche Hilfe beanspruchen zu müssen. Es ist einem Leistungsberechtigten daher grundsätzlich unbenommen, bestehende Ansprüche nicht geltend zu machen, Zahlungsansprüche nicht zu realisieren. Dies gilt bereits schon für die Beantragung von Leistungen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass gleichfalls andere Leistungsansprüche voraussetzungslos entstehen. Vielmehr folgt dies schon für eine unterlassene Beantragung von im Rahmen eines Leistungsanspruchs nach dem SGB XII beachtlicher anderer Sozialleistungen aus § 95 SGB XII. Danach kann der erstattungsberechtigte Träger der Sozialhilfe die Feststellung einer Sozialleistung betreiben und Rechtsmittel einlegen. Dies gilt im vorliegenden Fall auch für den Anspruch auf WohnG (BVerwG v. 29.08.1997 – 8 C 13/96 – juris, Rn. 12 vgl. Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 95, Rn. 9, m.w.N.). Diese Regelung dient dazu, von dem Betroffenen nicht selbst verfolgte Ansprüche für diesen zu realisieren. Diese Möglichkeit der Feststellung von weiteren Sozialleistungsansprüchen ist begrenzt auf solche Leistungen, die einen Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers begründen können (H.Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Schneider, SGB XII, 19. Auflage 2015, § 95, Rn. 22; Grube, a.a.O., Rn. 4). Dies ist gerade bei zu bewilligendem Wohngeld der Fall. Wird nämlich für eine Zeit des Hilfebezuges nach dem SGB XII WohnG nachbewilligt, so hat der Sozialhilfeträger einen aus dem Nachrangverhältnis der Sozialhilfe zu einem bestehenden Anspruch auf Leistungen nach dem Wohngeldgesetz – WoGG – (vgl. zur Nachrangigkeit nur BVerwG a.a.O.; Wahrendorf, a.a.O., § 2, Rn. 36; Hohm in Schellhorn/Hohm/Schneider, SGB XII, 19. Auflage 2015, § 2, Rn. 48) folgenden Erstattungsanspruch nach § 104 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X – (vgl. nur OVG Saarland v. 04.07.1996 – 8 R 15/94 – juris, Rn. 32) mit der Folge, dass insoweit auch der Anspruch des Berechtigten auf das WohnG durch vorherige Sozialhilfeleistungen als erfüllt gilt (§ 107 SGB X).

Erfolgt die Feststellung eines Leistungsanspruchs auf WohnG nach Prüfung der Voraussetzungen nach § 7 WoGG durch den zuständigen Träger auf Initiative des Sozialhilfeträgers nach § 95 SGB XII und wird dadurch das Nachrangverhältnis hergestellt, kann ein Verzicht des nunmehr Leistungsberechtigten nach dem WoGG auf die zuerkannten Leistungen nicht einen Sozialhilfeanspruch in Höhe der bewilligten Leistungen bewirken. Die Regelung des § 95 SGB XII liefe dadurch gänzlich ins Leere. Ob der Verzicht im Hinblick auf die Belastung des Antragsgegners bei Geltendmachung eines Anspruchs nach dem SGB XII ohnehin bereits unwirksam wäre (§ 46 Abs. 2 SGB I), kann vorliegend daher dahinstehen. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass bei Annahme eines Wahlrechts zwischen den Leistungen nach dem SGB XII und bereits bewilligten Leistungen nach dem WoGG mit der Folge eines Leistungsbezuges nach dem SGB XII der Träger nach dem WoGG auf ein Erstattungsverlangen des Sozialhilfeträgers gehalten wäre, über die Wirksamkeit des Verzichts zu entscheiden (zur Entscheidung über die Wirksamkeit vgl. Wagner in Schleger/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 46, Rn. 33f.).

Da vorliegend die Feststellung des Anspruchs nach dem WoGG auf Veranlassung des Antragsgegners erfolgt ist, führt damit der Verzicht der Antragstellerin auf Auszahlung des WohnG nicht dazu, dass der realisierbare Anspruch nicht vorrangig im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB XII zu berücksichtigen ist. Bei dieser Fallgestaltung vermag der Senat ein "Wahlrecht" der Antragstellerin nicht zu erkennen. Soweit die Antragstellerin also im einstweiligen Verfahren einen unabhängig vom zuerkannten WohnG bestehenden Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII geltend macht, ist dieser nicht glaubhaft gemacht.

Da die Antragstellerin nicht einen weiteren, ihr Gesamteinkommen übersteigenden einmaligen oder dauernden Bedarf konkret dargelegt hat, war ein weiterer, nicht gedeckter Bedarf auch nicht festzustellen. Der Senat weist darauf hin, dass der Antragsgegner unabhängig von einer Inanspruchnahme des WohnG bei entsprechender Beantragung durch die Antragstellerin weiterhin Ansprüche nach dem SGB XII zu prüfen haben wird. Eine Regelung dahin, dass bei Bewilligung von WohnG keine weiteren Leistungen der Sozialhilfe zur Bedarfsdeckung (auch weiterer Aufwendungen für Kosten der Unterkunft und Heizung) zu bewilligen wären, ist nicht ersichtlich.

Im Hinblick auf die Erhöhung des Regelbedarfs zum 1. Januar 2018 und der im Verfahren angedeuteten Erhöhung der Aufwendungen für Kosten der Unterkunft und Heizung wäre die Antragstellerin vor Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe – wie bereits oben dargelegt - zunächst gehalten, den Antragsgegner mit einem weiteren Leistungsbegehren zu befassen. Dieser hat auch bereits angekündigt, einen Leistungsanspruch erneut zu prüfen,

Nach allem lagen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor, so dass die Beschwerde zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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