L 1 KR 245/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 210 KR 1353/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 245/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung aus einer einmaligen Lebensversicherungsleistung.

Der 1948 geborene Kläger ist bei der Beklagten zu 1) (nachfolgend nur: "die Beklagte") gesetzlich krankenversichert, seit 1. März 2014 als freiwilliges Mitglied (Anschlussversicherung).

Zum 1. September 2009 zahlte die B L-Gesellschaft ihm 62.522,70 EUR aus als einmalige (Lebens-)Versicherungsleistung eines ehemaligen Direktversicherungsvertrag, den ein früherer Arbeitgeber des Klägers abgeschlossen hatte.

Mit Bescheid vom 1. September 2009 teilte ihm die Beklagte, auch im Namen der Beklagten zu 2) mit, dass diese Versicherungsleistung für die Dauer von 10 Jahren für die Beitragsbemessung heranzuziehen sei. Der Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung wurde zum 1. Oktober 2009 unter Zugrundelegung eines beitragspflichtigen Monatseinkommens von 62.522,70 EUR./. 120 = 521,02 EUR auf insgesamt 89,09 EUR monatlich festgesetzt.

Seit dem 8. Mai 2013 leistete der Kläger keine Zahlungen mehr. Die Beklagte erwirkte eine Kontopfändung. Seit dem 1. Januar 2014 bezieht der Kläger eine Regelaltersrente der Deutschen Rentenversicherung. Die Beklagte teilte ihm mit Schreiben vom 2. Januar 2014 sowie vom 23. Januar 2014 einen Forderungsrückstand von 819,55 EUR mit. Sie informierte ihn ferner mit Schreiben vom 5. Februar 2014 darüber, dass er nicht in der Krankenversicherung der Rentner versichert sei, da die erforderliche Vorversicherungszeit nicht erfüllt sei. Mit Bescheid vom 22. Januar 2015 setzte die Beklagte ferner unter Aufhebung eines kurz zuvor unter dem 30. Dezember 2014 ergangenen Bescheides die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. März 2014 auf monatlich 245,10 EUR fest sowie ab Juli 2014 auf 247,65 EUR. Es bestehe ein Rückstand von 3.027,70 EUR. Mit weiterem Bescheid vom 22. Januar 2015 setzte sie den Gesamtbeitrag ab 1. Januar 2015 auf insgesamt 251,83 EUR fest.

Der Kläger legte am 4. März 2015 Widerspruch gegen die Berechnung seiner Beiträge ein. Bei der Einmalzahlung habe es sich um eine Art Lebensversicherung gehandelt. Der Betrag sei längst ausgegeben.

Mit Bescheid vom 13. April 2015 wiesen die Beklagten den Widerspruch zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 15. Mai 2015 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, kein vernünftiger Mensch rechne eine Einmalzahlung auf zehn Jahre um. Vielleicht sterbe er ja früher.

Der Kläger hat ergänzend ausgeführt, die Anrechnung sei willkürlich und rechtsfehlerhaft bzw. rechtsmissbräuchlich. Er habe keine kapitalisierte Betriebsrente erhalten, sondern eine Einmalzahlung. Er mache Bereicherungseinrede geltend, § 818 Absatz 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Auch berufe er sich auf Treu und Glauben.

Mit weiterem Bescheid vom 2. September 2016 setzte die Beklagte die Beiträge ab dem 1. Juli 2016 neu fest, ferner unter dem 9. Januar 2017 für die Zeit ab 1. Januar 2017. Widersprüche hiergegen haben die Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2017 zurückgewiesen, welche der Kläger mit weiterer Klage vom 5. April 2017 (Aktenzeichen SG Berlin S 73 KR 660/17) angegriffen hat.

Das SG hat die beiden Klageverfahren mit Beschluss vom 23. November 2017 verbunden. Es hat die Klagen mit Gerichtsbescheid vom 22. Juni 2018 abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, die Beklagte habe die Einmalzahlung zutreffend gemäß § 240 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 3 Absatz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler als Versorgungsbezug im Sinne des § 129 Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V angesehen und mit dem allgemeinen Beitragssatz belegt. § 229 Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V sei nicht verfassungswidrig. Die Regelung verstoße weder gegen den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz, da sie ein öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis erst mit Wirkung für die Zukunft gestalte und die Betroffenen nicht auf einen Fortbestand der bisherigen Regelung uneingeschränkt vertrauen durften (Bezugnahme auf Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 13. September 2006 - B 12 KR 5/06 R). Übergangsregelungen habe das Bundesverfassungsgericht (Bezugnahme auf Beschluss vom 7. April 2008 - 1 BvR 924/07 -) schon deshalb nicht für erforderlich erachtet, weil bei der Einmalzahlung von Versorgungsbezügen den Versicherten schon von Anfang der Belastung an die gesamte Liquidität zur Tragung der finanziellen Mehrbelastung zur Verfügung stehe. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe den gesamten Betrag bereits verbraucht und sei deshalb entreichert. Die angefochtenen Beitragsbescheide seien auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Gegen diese dem Kläger am 5. Juli 2018 zugestellte Entscheidung richtet sich dessen Berufung vom 31. Juli 2018.

Die Beklagte hat unter dem 10. April 2017 bzw. 9. Januar 2019 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab 1. Mai 2017 auf monatlich 264,85 EUR bzw. ab 1. Januar 2019 auf 272,09 EUR festgesetzt. Mit Bescheid vom 31. Januar 2019 hat sie aufgrund von Angaben des Klägers zu seinen Einkommensverhältnissen und mit weiteren Bescheid vom 31. Januar 2019 die Gesamtbeiträge für die Zeit ab 1. Juli 2018 auf 273,65 EUR sowie ab Januar 2019 auf 281,12 EUR jeweils monatlich festgesetzt. Mit Bescheid vom 20. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. November 2019 bestimmte sie zuletzt die Beiträge für die Zeit ab 1. Juli 2019 auf insgesamt 286,96 EUR monatlich.

Zur Berufungsgründung wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen und trägt vor, er sei mittellos. Vollstreckten die Beklagten, könne er seine Miete nicht mehr bezahlen, ihm drohe die fristlose Kündigung und Obdachlosigkeit. Er berufe sich auf seine Menschenwürde aus Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz. Obdachlosigkeit würde er nicht überleben, die Beklagten verstießen gegen Artikel 102 Grundgesetz ("Die Todesstrafe ist abgeschafft").

Er beantragt der Sache nach,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2018 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 22. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2015 und der Bescheide vom 2. September 2016 und 9. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2017 und der Bescheide vom 10. April 2017 sowie vom 9. Januar 2019, 31. Januar 2019 und vom 20. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. November 2019 die Beiträge zur Freiwilligen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Pflegeversicherung im Zeitraum 1. März 2014 bis 30. September 2019 ohne Berücksichtigung der im Jahr 2009 durch die Basler Lebens-Versicherungs-Gesellschaft Kapitalleistung festzusetzen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurück- und die Klage abzuweisen.

Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Es konnte entschieden werden, obgleich für die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist. Sie sind auf diese Möglichkeit in der Terminsmitteilung hingewiesen worden (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 SGG).

Klagegegenstand sind die Beitragsbescheide der Beklagten vom 22. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2015 sowie sämtliche danach ergangenen, die Beitragspflicht festsetzenden Bescheide der Beklagten für die Zeit bis 30. September 2019. Dies ergibt sich aus § 153 Abs. 1 i. V. m. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 22. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2015, vom 2. September 2016 und vom 9. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 7. März 2017, vom 10. April 2017 sowie vom 9. Januar 2019 und vom 31. Januar 2019 sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Zu entscheiden ist hier nur die Rechtmäßigkeit der Beitragsforderungen der Beklagten. Ob der Kläger seinen Beitragspflichten nachkommen kann ist hingegen nicht Streitgegenstand, ebenso wenig wie die Frage, ob die Beklagten beim Kläger Kontopfändungen veranlassen dürfen. Nicht von Relevanz ist deshalb auch, dass die bisherigen Regelungen zu Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Bezug von Arbeitslosengeld II teilweise verfassungswidrig sind.

§ 240 SGB V bestimmt über die beitragspflichtigen Einnahmen freiwilliger Mitglieder, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen soll. Dabei sind bei der Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mindestens die Einnahmen zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen wären. Für die Zeit - wie hier - seit 2009 bestimmt § 3 Abs. 1 Satz 1 der vom Vorstand des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen beschlossenen Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, dass für die Beitragsbemessung als Einnahmen das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, Versorgungsbezüge, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel zugrunde zu legen sind, die für den Lebensunterhalt verwandt werden können ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung. Gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V gelten als der Rente vergleichbare Einnahmen nach der Legaldefinition als Versorgungsbezüge auch "Renten der betrieblichen Altersversorgung", soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung erzielt werden. Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der seit 1. Januar 2004 geltenden Fassung des SGB V sowie nach § 5 Abs. 4 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler ein 120tel der Leistungen - ohne Differenzierung in einbezahlte Beiträge und dem daraus erzielten Ertrag - als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für 120 Monate. Hier ist die den Kläger begünstigende Direktversicherung zu Beginn eine solche der betrieblichen Altersversorgung gewesen. Dies hat das SG zutreffend festgestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

Der Senat teilt auch dessen Auffassung, dass die entsprechenden Regelungen nicht verfassungswidrig sind. Der Senat verweist auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 6. September 2010 (Aktenzeichen 1 BvR 739/08 und 1 BvR 1660/08), das die Zulässigkeit der Heranziehung ausdrücklich bestätigt hat. Für schon institutionell dem Recht der betrieblichen Altersversorgung unterfallenden Einrichtungen kommt es für die Beitragspflicht der Versorgungsleistungen nicht darauf an, wer die Versicherung finanziert hat (BSG Urt. v. 30. März 1995 - 12 RK 29/94 - juris Rdnr. 24; Beschluss vom 8. April 2013 - B 12 KR 55/12 R - juris Rdnr. 10, Urt. v. 26. Februar 2019 - B 12 KR 17/18 R). Die Frage, ob ein Arbeitnehmer die Beiträge selbst getragen hat, wird erst dann erheblich, wenn mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Wechsel des Versicherungsnehmers der institutionelle Rahmen des BetrAVG verlassen worden ist (BVerfG Beschluss v. 6. September 2010 - 1 BvR 739/08 – juris Rdnr. 16; Beschluss v. 27. Juni 2018 - 1 BvR 100/15, 1 BvR 249/15 - juris Rdnr, 21). Hier lag für den Kläger eine Direktversicherung (§ 1b Abs. 2 S. 1 BetrAVG) und damit eine Alterssicherung vor, die institutionell stets dem rechtlichen Rahmen des BetrAVG unterfiel. Der Kläger kann nichts daraus herleiten, dass beide Beschlüsse für Pflichtversicherte ergangen sind. Dagegen spricht schon die Regelung in § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wonach die Beitragsbelastung der freiwilligen Mitglieder mindestens der der Pflichtmitglieder entsprechen muss. Damit kommt lediglich eine Ausweitung, nicht aber eine Reduzierung der Beitragsbemessungsgrundlage für freiwillige Mitglieder gegenüber den Pflichtmitgliedern in Frage. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht ergibt sich nichts für eine Besserstellung der freiwillig Versicherten im Hinblick auf die Zahlung von Beiträgen aus Versorgungsbezügen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Absatz 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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