S 39 RJ 111/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
39
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 39 RJ 111/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung und die Zahlung einer Hinterbliebenenrente nach dem Zusatzabkommen zum Abkommen vom 17.12.1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit (DISVA). Streitig ist unter anderem, ob der verstorbene Ehemann dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat.

Die am 00.00.1923 geborene Klägerin ist die Witwe des verstorbenen Versicherten K N1.

Der Verstorbene wurde am 00.00.1920 in Sofia geboren und verstarb am 00.00.1989 in Israel. In Sofia besuchte er bis 1935 die Schule. Anschließend war er nach den Angaben der Klägerin von 1936 bis 1941 als Glaser in Sofia beschäftigt. Am 00.00.1941 heiratete die Klägerin den Versicherten in Sofia. Im März 1941 wanderten sie nach Palästina aus. Seither lebte der Versicherte und die Klägerin in Israel.

Am 09.07.1997 beantragte die Klägerin die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung sowie die Zahlung einer Hinterblie¬benenrente nach dem DISVA.

, Im Fragebogen gab die Klägerin unter dem 02.12.1997 an, der Versicherte habe im Herkunftsgebiet bis zur Auswanderung im persönlichen Lebensbereich Deutsch gesprochen. Darüber hinaus habe er in der Umgangssprache Deutsch und Bulgarisch gesprochen. Zur Bestätigung ihres Vorbringens reichte sie eine Erklärung des Zeugen H F ein. Der genannte Zeuge gab an, im Elternhaus des Versicherten sei die deutsche Sprache als Verständigungsmittel benutzt worden. Diesen Angaben wurden in einer weiteren Erklärung der Zeugin Sofie Meir bestätigt worden; wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Erklärungen Bezug genommen.

Die Beklagte zog eine Auskunft der Heimatauskunftstelle beim Landesausgleichs¬amt Baden-Württemberg zur Bevölkerungsstruktur der Stadt Sofia bei. Danach hatte die Stadt Sofia im Jahre 1940 ca. 400 000 Einwohner. Davon waren ca. 175 deutsche Familien; wegen der Einzelheiten wird auf die genannte Auskunft Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 10.03.2000 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Nachentrichtung von Beiträgen zur deutsche Rentenversicherung sowie auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente ab. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, es seien keine auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten vorhanden. Es sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht, dass der Versicherte dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe. Die eingereichten Zeugenerklärungen seien zur Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis nicht geeignet. Gegen die Zugehörigkeit des verstorbenen Ehemannes würde zudem der Umstand sprechen, dass er in einem nichtdeutschen Siedlungsgebiet aufge¬wachsen sei. Nach Auskunft der Heimatauskunftstelle hätten die Juden in Bulgarien ein eigenständiges Leben geführt. Sie hätten zu den Deutschen keinen Kontakt gehabt. Die meisten Juden in Bulgarien hätten bei der Volkszählung Jiddisch als Muttersprache angegeben. Demnach sei es nach den vorliegenden Unterlagen nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der verstorbenen Ehemann mit einer ausschlie߬lich jüdischen Schulausbildung in einer bulgarischen Umgebung überwiegend Deutsch gesprochen habe.

Hiergegen legte die Klägerin am 28.03.2000 Widerspruch ein. Sie machte geltend, der Verstorbene habe engen Kontakt zu den deutschen Familien in Sofia gehabt. Im Widerspruchsverfahren wies die Beklagte mit Schriftsatz vom 16. Mai 2000 zudem auf den Umstand hin, dass der Versicherte bereits im März 1941 nach Palästina ausgereist sei. Der Beginn der nationalsozialistischen Verfolgung in Bulgarien sei jedoch der 06. April 1941. Mithin habe sich der Versicherte zu dem Zeitpunkt als sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf sein Heimatgebiet erstreckt habe, nicht mehr dort aufgehalten. Dies habe zur Folge, dass § 17 a FRG keine Anwendung finde.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05. Oktober 2000 zurück. Sie verblieb bei ihrer Auffassung, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Heimatgebietes im März 1941 und der bevorstehenden nationalsozialistischen Verfolgung nicht bestanden habe. Dies werde bestätigt dadurch, dass der Antrag der Klägerin auf Beihilfe aus dem Härtefond der Claims- Conference am 20. Februar 1995 abgelehnt worden sei, weil die behaupteten nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen nicht als nachgewiesen betrachtet worden seien. Eine Anspruchsberechtigung nach § 17 a Fremdrentengesetz (FRG) sei somit nicht gegeben.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der am 18. Oktober 2000 erhobenen Klage. Sie ist der Auffassung, Verfolgter sei auch derjenige, der kurz vor Beginn der Verfolgung sein Heimatgebiet verlassen habe. Der 06. April 1941 sei nicht als Ausschlussfrist zu werten. Bulgarien habe bereits seit 1934 unter starkem deutschen Einfluss gestanden. Im Jahre 1940 sei in Bulgarien eine extreme antijü¬dische NS-Verfolgung im Gange gewesen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.03.2002, von dem Bevollmächtgite der Klägerin benachrichtigt worden ist, ist die Klägern weder erschienen noch ver¬treten gewesen. Dem schriftlichen Vorbringen der Klägerin ist der Antrag zu entnehmen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.03.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2000 zu verurteilen, ihr - der Klägerin - Hinterbliebenenrente unter Anerkennung der geltend gemachten Versicherungs¬zeiten aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes zu gewähren und sie zur Nachentrichtung zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, dass der angefochtene Bescheid der Sach- und Rechtslage entspreche. Sie verneint weiterhin einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Beginn der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen und dem Verlassen des Herkunftsgebietes im März 1941. Bulgarien sei während des Zweiten Weltkrieges ein in seiner Judenpolitik selbständiger Staat gewesen. Die Festlegung des Beginns des NS-Einflusses in Bulgarien sei das Datum 06.04.1941 unter Berücksich¬tigung des § 43 Abs. 1 Nr. 2 BEG.

Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung und bezüglich des Vorbringens der Betei-ligten im einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die Rentenakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

{ Obwohl für die Klägerin niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, durfte die Streitsache verhandelt und entschieden werden, weil ihr Bevollmächtigten in der ihm zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 10.03.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2000 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert, weil dieser Bescheid nicht rechtswidrig ist. Die Beklagte hat zu Recht die Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge sowie die daran anschließende Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach dem Zusatzabkommen zum Abkommen vom 17.12.1973 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Staat Israel über soziale Sicherheit abgelehnt, da die Voraus-setzungen des § 17 a FRG nicht erfüllt sind. Eine Anrechnung der behaupteten Beitragszeiten des Versicherten in Sofia nach § 17 a FRG findet nicht statt. Nach § 17 a FRG in der ab 01. Juli 1990 geltenden Fassung, finden die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgebenden Vorschriften dieses Gesetzes auch auf Personen Anwendung, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf ihr jeweiliges Fleimatgebiet erstreckt hat, 1. dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben, 2. das 60. Lebenjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kultur¬kreis angehört haben und 3. sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volks¬tum bekannt hatten und die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) verlassen haben. Die Kammer hat offen gelassen, ob die Anwendbarkeit des § 17 a FRG bereis daran scheitert, dass der Versicherte sein Heimatgebiet bereits im März 1941 und damit vor Beginn der freiheitsentziehenden Maßnahmen durch die nationalsozialistische Regierung am 06. April 1941 verlassen hat. Denn die weiteren Voraussetzungen des § 17 a FRG sind vorliegend nicht erfüllt. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sieht die Kammer es als nicht überwiegend wahrscheinlich und damit als glaubhaft gemacht an, dass der Versicherte im maßgebenden Zeitraum dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG ist eine Tatsache dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, d.h. wenn nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen mehr Umstande dafür, als dagegen sprechen. Hier gilt, wie in allen Prozessordnungen, so auch im sozialgerichtlichen Verfahren, der Grundsatz der objektiven Beweislast, wonach die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des Nichtfestgestelltseins einer Tatsache, die also weder bewiesen noch glaub¬haft gemacht worden ist, zu Lasten desjenigen gehen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will, wobei es keinen Grundsatz gibt, dass im Zweifel zu Grünsten des Versicherten zu entscheiden ist.

Für die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis ist der Gebrauch der deutschen Sprache von ausschlaggebender Bedeutung. Die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem zumindest überwiegenden Gebrauch der deutschen , Sprache als Muttersprache im persönlichen Lebensbereich. Denn wer eine Sprache in seinem persönlichen Lebensbereich dauernd gebracht, gehört nicht nur zu diesem Sprach-, sondern auch zu dem durch sie vermittelten Kulturkreis an, weil sie ihm den Zugang zu dessen Weltbild und Gedankenwelt erschliesst (vgl. Urteil des BSG vom 05.11.1980 - 11 RA 74/80 - SozR Nr. 3 zu § 20 WGSVG; Urteil des BSG vom 08.09.1983 - 5 BRJ 70/82 - SozR 5070 Nr. 5 zu § 20 WGSVG). Eine Mehrsprachig¬keit steht der Zugeörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis dann nicht ent¬gegen, wenn der Verfolgte die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und im persönlichen Lebensbereich überwiegend gebraucht hat. Bei der Beurteilung der Frage, ob die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht worden ist, ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen. Die Zugehörigkeit zum dSK kann daher z.B. nicht allein deshalb verneint werden, weil ein Betroffener die deutsche Schriftsprache nicht oder nur unzureichend beherrscht (vgl. BSG Urteil ( vom 10.03.1999 - Az.: B 13 RJ 83/98 R).

Die Gesamtwürdigung der Umstände des vorliegenden Falles ist zur Überzeugung der Kammer nicht geeignet die Zugehörigkeit des Versicherten zum deutschen Sprach- und Kulturkreis glaubhaft zu machen.

Dies beruht in erster Linie auf den Umstand, dass der verstorbene Versicherte nicht in der Lage war, eine Sprachprüfung abzulegen. Mithin fehlt es am wesent¬lichen Beweismittel zur Feststellung der Zugehörigkeit des Versicherten zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Die eingereichten Zeugenerklärungen sind nicht geeignet, dieses Beweismittel zu ersetzen. Die gilt um so mehr, als der Versicherte in einem nichtdeutschen Siedlungsgebiet aufgewachsen ist. Im Hinblick auf die Bevölkerungsstruktur in der Stadt Sofia erachtet es die Kammer nicht als überwiegend wahrscheinlich, dass der verstorbene Versicherte in einer bulgarischen Umgebung überwiegend Deutsch gesprochen hat. Die eingereichten Zeugenerklärungen sind nicht geeignet, die Kammer angesichts der Gesamtumstände hiervon zu überzeugen.

Im Hinblick auf die fehlende Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zum dSK, konnte offenbleiben, ob die Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten glaubhaft gemacht sind. ( Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGg.
Rechtskraft
Aus
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