S 19 KR 284/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KR 284/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Vergütung für Hausbesuche. Die Klägerin betreibt eine krankengymnastische Praxis in C, in der mehrere Physiotherapeuten angestellt sind. Sie ist als Leistungs- erbringerin nach § 124 Buch V des Sozialgesetzbuches zugelassen. Seit Jahren streitet sie um (höhere) Gebühren von den gesetzlichen Krankenkassen für Leistungen, die sie deren Mitgliedern erbringt. Sie gehört keinem Berufs- verband an, der sich bezüglich krankengymnastischer Leistungen und der dafür zu zahlenden Vergütungen mit den gesetzlichen Krankenkassen vertraglich ge- bunden hat. Sie rechnet - unter dem Vorbehalt von Nachforderungen - nach dem Vertrag ab, den der Interessenverband Freiberuflicher Krankengymnasten e.V. und der Landesverband nordrhein-westfälischer Krankengymnasten/Physiothera- peuten e.V. unter anderem mit dem AOK Landesverband Rheinland über die Er- bringung und Vergütung physikalisch-therapeutischer Leistungen am 25.06.1991 abgeschlossen hat. Nach Anlage 2 zu diesem Vertrag ist bei Behandlung mehrerer Patienten während eines Hausbesuches nur einmal die volle Haus- besuchsgebühr (Hausbesuch gemäß Nr. 29901 zuzüglich Wegegeld gemäß Nr. 29911) und für jeden weiteren Patienten eine reduzierte Gebühr in Höhe von 5,30 DM bis zum 31.07.2001 und danach in Höhe von 5,39 DM berechnungsfähig. Bei der Beklagten ist der im Jahre 1906 geborene H versichert. Er lebt in einem Heim an der G in C. Ihm verordnete der praktische Arzt Dr. med. L aus C unter dem 13.07.2001 zehnmal Krankengymnastik mit Hausbesuch bei der Diagnose: Zustand nach Prostata-Ca und Bandscheibenoperation. Bei den fünf Behandlungen im Juli 2001 zahlte die Beklagte einmal den vollen Satz von 18,- DM, im übrigen 5,30 DM, bei den fünf Behandlungen des Monats August 2001 einmal 5,39 DM, im übrigen 18,29 DM. Die Klägerin nimmt den Abrechnungsfall zum Anlass, ihr Rechtsverhältnis zur Beklagten bezüglich der Hausgebühren grundsätzlich zu klären. Dazu macht sie

geltend, sie sei zur Erbringung von Heilmitteln öffentlich-rechtlich zuge- lassen, jedoch sei weder sie noch ihr Berufsverband einem Vertrag nach § 125 SGB V beigetreten; seit Jahren streite sie um einen sachgerechten Vertrag; wie wenig leistungsgerecht und sogar sachwidrig die Regelungen des von der Beklagten angewandten Vertrages seien, zeige sich besonders krass am Problem der Hausbesuchsüberschneidungen; sie würden zur Willkürlichkeit und damit Ungleichbehandlungen sowie Umgehungsmöglichkeiten führen; die Haus-besuche in einer Einrichtung seien für die Beklagte nur erkennbar, wenn der Arzt dies auf der Verordnung kennzeichne, der Krankenkasse das Heim unter der entsprechenden Adresse bekannt sei oder die Pflegeversicherung Heimleistungen erbringe; auch in diesen Fällen aber seien Verwechslungen möglich, darüber hinaus würden die Leistungserbringer in Versuchung geführt, nicht ordnungsgemäß abzurechnen; so könne die Beklagte nicht wissen, ob der Therapeut nicht am selben Tag auch Versicherte anderer Krankenkassen behandelt habe; jedenfalls sei die Klägerin nicht in der Lage, die Regelung betriebswirtschaftlich und rechtlich einwandfrei durchzuführen; es liege auf der Hand, wie unsinnig es sei, für die selbe Leistung verschiedenen Vergütungen zu erhalten, insbesondere wenn bis zu 9 verschiedene Preise am gleichen Ort in der selben Praxis im selben Zeitraum für die gleiche Leistung abgerechnet werden müssten und sogar 2 verschiedene Preise bei dem selben Patienten bei Therapienotwendigkeit durch Krankheit oder durch Unfall; diese Fragen bedürften einer grundsätzlichen Klärung losgelöst vom einzelnen Leistungsfall; immerhin seien beim Sozialgericht Köln mehr als 250 Streitsachen anhängig; würde in jedem Fall im Hinblick auf die im einzelnen geringe Streitsumme die Entscheidung abgewartet werden müssen, bis das Rechtsverhältnis zur Beklagten geklärt sei, würden Jahre vergehen, in denen die Klägerin im Zustand wirtschaftlicher und rechtlicher Unsicherheit leben müsste. Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass die Beklagte seit dem 01.01.1998 verpflichtet ist,

1. mangels eines rechtsgültigen Vertrages nach § 125 Abs. 2 SGB V gegenüber der Klägerin nicht Vertrags- inhalte anderer Berufsverbände anzuwenden, insbesondere keine Beträge wegen "Hausbesuchsüberschneidungen" abzuziehen, 2. festzustellen, dass die Beklagte seit dem 01.01.1998 verpflichtet ist a) einen Entschädigungssatz von 26,- DM (ab 01.01.2002: 13,50 EURO) pro Einzelhausbesuch und b) für innerörtliche Wegentschädigung eine Pauschale von 17,- DM (ab 01.01.2002: 8,90 EURO) pro Hausbesuch, c) ab 10 km eine Wegentschädigung von 1,60 DM (ab 01.01.2002: 0,90 EURO) pro km zu zahlen; hilfsweise 3. festzustellen, dass die Beklagte ab 01.01.1998 verpflichtet ist a) einen Entschädigungssatz von 49,50 DM (ab 01.01.2002: 25,30 EURO) pro Einzelhausbesuch und b) für eine innerörtliche Wegentschädigung eine Pauschale von 19,20 DM (ab 01.01.2002: 9,80 EURO) pro Hausbesuch sowie c) pro Rezeptur zur Abgrenzung des Kostenträgers und der zu berechnenden Hausbesuchs-Gebühr für die jeweiligen Haus-besuche einen Zuschlag von 16,50 DM (ab 01.01.2002: 7,70 EURO) zu zahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist a) Rechnungen binnen 14 Tage nach Rechnungsdatum zu begleichen, b) die Forderungsbeträge ab dem 14. Tag nach Rechnungsdatum gemäß den Verzugszinsen des Bürgerlichen Gesetzbuches zu verzinsen zuzüglich eine pauschale Verzugsgebühr von 7,70 EURO zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, die Klägerin habe den Vertrag vom 25.06.1991 anerkannt und sei deshalb auch an die Preisvereinbarungen gebunden; jedenfalls aber könne die Klägerin nicht mehr verlangen, als die Beklagte anderen niedergelassenen Krankengymnasten zu zahlen habe.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu-lässig, wonach mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nicht-bestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden kann. Zulässigkeits-voraussetzung für diese Klageart ist ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung. Daraus leitet sich ab, dass die Feststellungsklage unter anderem auch gegenüber der Leistungsklage subsidiär ist (Krasney/ Udsching, Handbuch des Sozialgerichtlichen Verfahrens, 1997, Kapitel IV Rndr. 97 s). Da die Klägerin ihren ursprünglichen Zahlungsantrag in der vorliegenden Klage nicht weiter verfolgt hat, zum anderen die in dem Klage¬antrag bezeichneten Rechtsfragen für zahlreiche bei der Kammer anhängigen Klagen entscheidungserheblich ist, kommt dem Feststellungsbegehren eine

eigenständige Bedeutung zu. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte darf mit ihrer Vergütung nicht über die Liste der zu zahlenden Vergütungen für krankengymnastische Leistungen entsprechend dem Vertrag vom 25.06.1991 hinaus gehen, auch soweit dort die Vergütungen für Hausbesuche geregelt sind einschließlich der Vergütungsfrage bei Hausbesuchsüberschneidungen. Zwar ist die Klägerin an die in Anlage 1 vereinbarte Hausbesuchsvergütung grundsätzlich nicht gebunden. Zum einen ist die Klägerin diesem Vertrag nicht beigetreten. Denn mit ihrer Erklärung vom 29.08.1994, auf die die Beklagte sich bezieht, hat die Klägerin zu erkennen gegeben, dass sie den Vertrag über die Erbringung und Vergütung physikalisch-therapeutischer Leistungen für die Versicherten der Mitgliedskassen der Landesverbände durch Krankengymnasten/Physiotherapeuten in Nordrhein vom 25.06.1991 nur insoweit anerkennt, als es sich "um eine Vereinbarung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 SGB V handelt". Die genannte Vorschrift aber macht die Zulassung nur vom Anerkenntnis jener Vereinbarungen abhängig, die für die "Versorgung" der Versicherten gelten, mithin die All-gemeinversorgung betreffen (vgl. dazu Urteil der Kammer vom 24.02.2003 - S 19 KR 104/01 -). Dennoch kann sich die Klägerin mit ihren Vorstellungen gegenüber der Beklagten nicht durchsetzen. Aus § 125 Abs. 2 SGB V folgt, dass der Gesetzgeber entsprechend der allgemeinen Intention des SGB V zur Kostenreduzierung von einem freien Spiel der Kräfte ausgeht (zu der verlgeichbaren Regelung des § 132 a Abs. 2 SGB V BSG, Urteil vom 25.09.2001 - B 3 KR 5/00 R - in: SozR 3-2500 § 132 a Nr. 1). Zwar galt sowohl für die Verbands- wie für die Einzelverträge bis einschließlich 1999 ausschließlich Privatrecht (BSG, Urteil vom 10.07.1996 - 3 RK 11/95 - in: USK 96 138). Daraus folgt jedoch kein Recht der Klägerin, die Leistungen sowie die dafür zu zahlenden Preise nach ihren Vorstellungen zu bestimmen. Ist eine Vergütungsvereinbarung gekündigt, kann gerade nicht durch Anwenden des § 316 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einseitig die durch die Kündigung gerade nicht gewollte höhere Vergütung bestimmt werden (BSG, Urteil vom 24.01.1990 - 3 RK 11/88 - in: USK 90 87). Das gleiche gilt, wenn Verbands- oder Einzelvereinbarungen ausgelaufen sind. Kommt eine Anschlussvereinbarung nicht zustande, ist der Krankenkasse kein Preisbestimmungsrecht eingeräumt; andererseits aber kann

auch der Leistungserbringer nicht einseitig die Preise bestimmen (BSG, Urteil vom 25.09.2001 - B 3 KR 15/00 R - a.a.O.). Es kommt nicht - wie sich die Klägerin berühmt - auf die nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit kalkulierten Preise gemäß der jeweils gültigen Preisliste der Klägerin an, und zwar weder auf den von der Klägerin sogenannten "objektiven Wert" der Behandlung, wie er von ihrem Bevollmächtigten, dem Wirtschaftsassessor T - ihrem Ehemann, berechnet ist noch auf den von der Klägerin in anderen Rechtsstreitigkeiten sogenannten "AOK-Wert". Können aber die Beteiligten in dem vorn Gesetzgeber vorgesehenen Verfahren des § 125 Abs. 2 SGB V nicht einigen, hat andererseits weder die Klägerin noch die Beklagte das Recht, die Vergütung einseitig zu bestimmen, bleibt nun der Rückgriff auf jenen Wert, um den die Beklagte durch die Leistung der Klägerin bereichert ist. Deshalb wendet die Kammer die Vorschrift des § 818 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend an. Eine direkte Anwendung ist einerseits nicht möglich, weil es sich bei Verträgen nach § 125 Abs. 2 SGB V nunmehr um öffentlich-rechtliche Verträge handelt (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.2001 - B 3 KR 3/01 R - in: BSGE 89,24 ff), andererseits die Klägerin insofern nicht rechtsgrundlos leistet, als sie aufgrund ihrer Zulassung nach § 124 SGB V zum Erbringen der Dienstleistungen berechtigt ist. Da aber Leistung und Gegenleistung in einem engen Verhältnis stehen, des vom Inhalt und Wert her zu bestimmen (in Grenzen) den Beteiligten obliegt, kann für den Wertausgleich nur herangezogen werden, was auf gleicher Ebene bereits konkretisiert ist. Dies ist nach Auffassung der Kammer die Vereinbarung mit den maßgeblichen Berufsverbänden der Krankengymnasten/Physiotherapeuten. Soweit dort Regelungen bei Hausbesuchsüberschneidungen vorgesehen sind, ist es gerade dieser Wert, um den die Beklagte bereichert ist, wenn die Klägerin an einem Tag in einem Heim mehrere Patienten betreut. Da der Gesetzgeber Leistungserbringer und gesetzliche Krankenkassen auf ein Ringen um einvernehmliche Lösungen verpflichtet, kann der nicht einigungswillige Leistungserbringer nicht mehr verlangen, als das, was die Krankenkassen nach erfolgreichem Abschluss vergleichbarer Vereinbarungen zahlen müssen. Andererseits kann sich die gesetzliche Krankenkasse nicht weigern, einem nicht einigungswilligen Therapeuten weniger zu zahlen als sie in vergleichbaren Fällen zu zahlen verpflichtet ist. Im Einzelfall mögen die durch andere getroffenen Vereinbarungen für die Klägerin unbefriedigend oder gar unwirtschaftlich sein. Dies jedoch kann jedenfalls solange unberücksichtigt bleiben, wie die

Vereinbarungen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt unvernünftig sind. Anhaltspunkte dafür aber vermochte die Kammer bei der Regelung von Hausbesuchsüberschneidungen nicht zu erkennen. Sachzwänge einer Heimunterbringung verpflichten nicht zu den von der Klägerin selbst errechneten Werten. Unter Berücksichtigung eines heimspezifischen Organisationsablaufes, der maßgeblich durch die Mahlzeiten bestimmt wird, stehen dem Therapeuten vormittags wie nachmittags jeweils ca. 3 Stunden zum Erbringen der Leistungen zur Verfügung. Organisiert die Klägerin die Krankengymnastik, die sie im jeweiligen Heim erbringt, kann die von der Beklagten gezahlte Vergütung bei Hausbesuchsüberschneidung allenfalls unwirtschaftlich sein, wenn die Therapien für verschiedene Patienten durch eine (Mittags-) Pause unterbrochen werden, so dass zwei Anfahrten erforderlich sind, von denen trotz Neuanfahrt der Hausbesuche nach der Pause Fahrtkosten mit lediglich um 2,5 EURO vergütet wird. Sinn einer jeden Regelung aber ist gerade, den Therapeuten zu einer möglichst wirtschaftlichen Leistungserbringung anzuhalten. Gelingt es ihm mithin, in den Vormittagsstunden Leistungen für 5 Patienten zu erbringen, ist nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin die Regelung nicht unangemessen. Gelingt ihm dieses nicht, auch nicht unter Aufbieten aller praxisinternen organisatorischen Möglichkeiten, kann dies die Klägerin nur in geringem Umfang belasten, was durch die höheren Einnahmen bei optimalem Ausschöpfen der Regelung ausgeglichen wird. Schließlich kann die Klägerin - solange eine Zinsregelung nicht vereinbart ist - keine Zinsen verlangen. Für den Bereich des öffentlichen Rechtes fehlt eine gesetzliche Anspruchsgrundlage (LSG Niedersachsen, Urteil vom 24.05.1995 - L 4 KR 21/92 -; BSG, Urteil vom 17.01.1996 - B 3 KR 2/95 - in: USK 96 82).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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