S 12 KR 3435/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Heilbronn (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 3435/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.113,56 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% seit dem 14.01.2017 zu zahlen. 2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin weitere Kosten für Sozialleistungen zu erstatten, die die Klägerin wegen des Schadenereignisses, das zum Krankenhausaufenthalt vom 29.03.2015 bis 30.03.2015 führte, erbrachte oder noch zu erbringen hat.

Tatbestand:

Im vorliegenden Verfahren macht die Beklagte gegen die Klägerin Schadenersatzansprüche geltend.

Die am XXX geborene Beklagte ist bei der Klägerin krankenversichert.

Die Beklagte befand sich im Zeitraum vom 29.03.2015 bis 30.03.2015 in stationärer Behandlung im Klinikum XXX. Als Diagnosen wurden hierbei durch das Krankenhaus mitgeteilt: Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule, Prellung Schulter und Oberarm sowie Prellung Thorax. Das Krankenhaus teilte der Beklagten zudem mit, Ursache der Verletzungen sei wohl die Reaktion eines Pferdes gewesen.

Die Klägerin schrieb die Beklagte daraufhin an und bat darum, zur Klärung etwaiger Schadenersatzansprüche einen Unfallfragebogen auszufüllen. Die Anschreiben an die Beklagte blieben ohne Reaktion; auch telefonisch war die Beklagte nicht zu erreichen.

Mit Datum vom 16.08.2016 sandte die Klägerin der Beklagten eine Zahlungsaufforderung über einen Betrag in Höhe der bisherigen Behandlungskosten von 1.113,56 EUR zu. Hierauf nahm die Beklagte mit der Klägerin am 29.08.2016 telefonisch Kontakt auf. Sie teilte mit, sie wisse nichts von einem Unfall und sei auch nicht in einem Krankenhaus gewesen. Die Mutter ihres früheren Lebensgefährten besitze drei Pferde, mit diesen habe sie aber nie Kontakt gehabt. Vom Unfallfragebogen der Klägerin habe sie nichts erfahren, da sie umgezogen sei. Ihre Unterlagen, einschließlich der Krankenversicherungskarte, seien noch längere Zeit in der alten Wohnung gewesen. Zwischen der Klägerin und der Beklagten wurde vereinbart, dass die Beklagte diese Angaben schriftlich zur Verfügung stelle. Dies ist in der Folgezeit jedoch nicht geschehen. Einen weiteren Kontakt zwischen der Klägerin und der Beklagten gab es nicht; sämtliche Versuche der Kontaktaufnahme der Klägerin mit der Beklagten blieben erfolglos.

Mit Datum vom 23.10.2017 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Heilbronn. Zur Begründung wurde ausgeführt, die geltend gemachten Kosten in Höhe von 1.113,56 EUR seien für Flugrettung, Notarztwagen und Krankenhausbehandlung entstanden. Hinsichtlich weiterer erbrachter Leistungen sei aufgrund des bisherigen wegen mangelnder Mitwirkung unzureichenden Kenntnisstandes über die Umstände des Schadenereignisses eine Zuordnung zum Schadenereignis womöglich noch nicht möglich oder bereits von den Leistungserbringern der Klägerin erbracht, jedoch dieser gegenüber noch nicht abgerechnet. Des Weiteren seien zukünftige Folgebehandlungen, die auf das Schadenereignis zurückzuführen seien, nicht auszuschließen.

Die Klägerin beantragt: 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.113,56 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 Prozentpunkten seit dem 14.01.2017 zu zahlen. 2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin weitere Kosten für Sozialleistungen zu erstatten, die die Klägerin wegen des Schadenereignisses, das zum Krankenhausaufenthalt vom 29.03.2015 bis 30.03.2015 führte, erbrachte oder noch zu erbringen hat. Hilfsweise, 3. Die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu geben, über den Hergang des unter Ziffer 2. benannten Schadenereignisses, insbesondere die Angaben vollständig zu erteilen, die mit dem der Klageschrift vom 16.10.2017 als Anlage K1 beigefügten Fragebogen angefordert werden.

Auch im gerichtlichen Verfahren war eine Kontaktaufnahme mit der Beklagten nicht möglich. Sie blieb drei Terminen zur Erörterung des Sachverhalts ohne Angabe von Gründen fern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Heilbronn erhobene Klage ist zulässig und hinsichtlich der unter Ziffer 1. und 2. gestellten Hauptanträge auch begründet. Hierbei handelt es sich bei dem unter Ziff.1 gestellten Antrag um eine Leistungs- und bei dem unter Ziff.2 gestellten Antrag um eine Feststellungsklage. Das für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse ist vorliegend im wirtschaftlichen Interesse der Klägerin zu sehen, von den Folgekosten des Unfallereignisses freigestellt zu werden.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des unter Ziff.1 geltend gemachten Betrages in Höhe von 1.113,56 EUR sowie einen Anspruch auf die unter Ziff.2 geltend gemachte Feststellung. Rechtsgrundlage hierfür ist nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) das zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehende Versicherungsverhältnis in der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1977, Az. 3 RK 44/75).

Aus diesem Versicherungsverhältnis ergibt sich als ungeschriebene Nebenpflicht die Pflicht des versicherten Geschädigten, dem Sozialleistungsträger die zur Geltendmachung eines übergegangenen Schadenersatzanspruchs nach § 116 SGB X nötigen Auskünfte zu erteilen, insbesondere über die Person des Schädigers und den Schaden. Die durch das Versicherungsverhältnis begründete Mitgliedschaft des Versicherten zur Krankenkasse berechtigt ihn nicht nur zur Inanspruchnahme aller Leistungen und der Betreuung durch den Versicherungsträger, es verpflichtet ihn als Glied der Solidargemeinschaft auch zur Mitwirkung im Rahmen des Versicherungsverhältnisses. Dazu gehört die Mitteilung und die Anzeige aller für die ordnungsgemäße Abwicklung der Versicherung notwendigen Umstände. Begründen lässt sich dieser Auskunftsanspruch der Krankenkasse aus §§ 402, 412 BGB wie aus §§ 60 ff. SGB I (BSG a.a.O., Rz. 18 / Kass. Komm., § 116 SGB X, Rz. 161).

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Beklagte verpflichtet war, der Klägerin Auskunft zu erteilen, über den Sachverhalt, der zu ihrem Krankenhausaufenthalt im Klinikum XXX vom 29.03. bis 30.03.2015 geführt hat. Der Auskunft des Klinikums zufolge war Ursache der dort behandelten Verletzungen die Reaktion eines Pferdes, mithin ein Unfallereignis. Soweit die Beklagte der Klägerin gegenüber im August 2016 telefonisch mitteilte, nichts von einem Unfall zu wissen und auch nicht im Krankenhaus gewesen zu sein, ist dies nicht glaubhaft. Die Versichertenkarte der Beklagten wurde durchgehend vor und nach dem durch die Klinik gemeldeten Unfallereignis eingesetzt; Hinweise auf Missbrauch oder Diebstahl waren hierbei in keiner Weise ersichtlich. Zudem hat sich die Beklagte im weiteren Verlauf des Verwaltungs- sowie des sozialgerichtlichen Verfahrens entgegen ihrer ursprünglichen Ankündigung, ihre Angaben schriftlich zur Verfügung zu stellen, zu keinem Zeitpunkt mehr gemeldet; auch eine Kontaktaufnahme mit ihr war weder der Beklagten noch dem Sozialgericht möglich. Vor diesem Hintergrund geht die erkennende Kammer davon aus, dass die Beklagte aufgrund eines Unfallereignisses am 29.03.2015, an dem ein Pferd beteiligt war, stationär behandelt werden musste. Die Auskunftspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin bestand damit zur Klärung möglicher übergegangener Schadenersatzansprüche der Klägerin nach § 116 SGB X.

Anhaltspunkte für ein Auskunftsverweigerungsrecht der Beklagten entsprechend der Regelung des § 65 SGB I sind nicht ersichtlich. Trotzdem hat die Beklagte keinerlei Auskünfte über das Unfallereignis erteilt.

Stehen dem Versicherten keine Weigerungsgründe zur Seite, bleibt er aber – wie vorliegend- bei der Verweigerung der erforderlichen Auskunft, so verstößt er gegen die oben dargestellte, ihm obliegende Pflicht aus dem Versicherungsverhältnis. Ein derartiges pflichtwidriges Verhalten begründet eine Verpflichtung des Versicherten, der Kasse den Schaden zu ersetzen, den er ihr durch sein Verhalten zufügt. Das BSG geht hierbei von einer Situation aus, die derjenigen einer positiven Forderungsverletzung im Rahmen eines privaten Versicherungsvertrags vergleichbar ist. Danach besteht hierbei weder ein rechtlicher noch ein sachlicher Grund dafür, dass ein vertragswidriges Verhalten im privatvertraglichen Versicherungsverhältnis strenger zu beurteilen sei als ein gleiches Verhalten im Versicherungsverhältnis der gesetzlichen Krankenversicherung, Die wirtschaftliche Folge der rechtswidrigen Auskunftsverweigerung und die daraus resultierende Vereitelung des Ersatzanspruchs beeinträchtigen das Vermögen des Trägers der sozialen Krankenversicherung um nichts weniger als das Vermögen des privaten Krankenversicherungsunternehmens. Es ist, so das BSG, auch nicht zu ersehen, warum das Vermögen der in der Krankenkasse organisierten Solidargemeinschaft der Versicherten weniger schutzwürdig sein sollte, als das Vermögen des privaten Versicherungsunternehmens, das in den unterschiedlichsten Rechtsformen existieren kann (BSG, a.a.O., Rz. 23).

Damit hat ein Versicherter, der durch Auskunftsverweigerung, ohne dass ihm ein Auskunftsverweigerungsrecht zur Seite steht, die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches nach § 116 SGB X vereitelt, der Krankenkasse den Vermögensnachteil zu ersetzen, der der Kasse durch sein Verhalten entsteht.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Beklagte, die bislang der Klägerin gegenüber die Auskunft über die Ursachen des Krankenhausaufenthalts vom 29.03. bis 30.03.2015 im Klinikum XXX und damit die Prüfung und Geltendmachung eines etwaigen übergegangenen Schadenersatzanspruchs nach § 116 SGB X verweigert, der Klägerin den Schaden zu ersetzen hat, der ihr (der Klägerin) durch diese Verweigerung entstanden ist. Dieser besteht in den bislang angefallenen Transport- und Behandlungskosten in Höhe von 1.113,56 EUR sowie in möglicherweise noch zukünftig anfallenden Behandlungskosten für Folgeschäden.

Nach alledem war die Beklagte zur Zahlung der unter Ziff.1 angegebenen Betrages zu verurteilen sowie, wie unter Ziff.2 beantragt, festzustellen, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin auch zur Erstattung etwaiger weiterer Folgekosten aus dem Unfallereignis verpflichtet ist.

Die Verzinsung des Zahlungsanspruchs nach Ziff.1 folgt aus § 44 SGB I analog.

Da die Klage hinsichtlich der beiden unter Ziffer 1. und 2. gestellten Hauptanträge somit erfolgreich war, war über den unter Ziffer 3. lediglich hilfsweise gestellten Antrag nicht zu entscheiden.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Eine Einlegung per E-Mail ist nicht zulässig. Wie Sie bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejustice-bw.de beschrieben.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Heilbronn, Paulinenstr. 18, 74076 Heilbronn, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
Rechtskraft
Aus
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