S 11 (9) RJ 17/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 11 (9) RJ 17/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 RJ 31/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung. Die 1920 in Klobuck/Polen geborene Klägerin ist Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes. Sie lebte heute als israelische Staatsangehörige in Israel.

Im Entschädigungsverfahren gab die Klägerin im Antrag auf Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit an, vor der Verfolgung keiner Krankenkasse angehört zu haben. Zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vor der Verfolgung gab sie an, ihr Vater sei Inhaber einer Färberei in L gewesen. In einer eigenen eidlichen Erklärung über ihr Verfolgungsschicksal vom 15.09.1957 erklärte sie, dass sie in L gewohnt habe als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Sie hätte bei ihren Eltern im eigenen Haus in der T1gasse gewohnt. Nach der Besetzung durch die Deutschen hätten sofort alle Zwangsarbeiten leisten müssen. Im Jahre 1942 sei sie dann in das Lager Klobuck-Zagusz eingewiesen worden. Die Zeugin C1 X erklärte am 30.04.1957, sie kenne die Klägerin aus der gemeinsamen Heimatstadt L. Vor dem Krieg habe die Klägerin, die damals noch unverheiratet gewesen sei, bei ihren Eltern in der T2gasse gewohnt. Nach der Besetzung durch die Deutschen im September 1939 hätte die Klägerin wie sie verschiedene Zwangsarbeiten verrichten müssen. Auch die Zeuginnen E C2 und S H gaben in eidlichen Erklärungen am 12.10.1957 an, dass sie die Klägerin aus der gemeinsamen Heimatstadt L kannten. Die Eltern der Klägerin hätten eine Fabrik und eine schöne Wohnung besessen. Die Zeugin H gab an, dass sie im selben Haus mit der Klägerin gewohnt habe. Die Zeugin C2 erklärte, dass sie fast während des ganzen Krieges mit der Klägerin zusammen interniert gewesen sei und auch fast immer an denselben Stellen Zwangsarbeit geleistet hätten.

Im Januar 1990 beantragte die Klägerin die Anerkennung von Fremdbeitragszeiten und von Ersatzzeiten, und die Gewährung einer Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung. Sie gab an, von April 1935 bis September 1939 als Schneiderin in der Konfektionsschneiderei B in Lodz gearbeitet zu haben. Außerdem habe sie von Herbst 1939 bis 1942 im Ghetto Klobuck verschiedene Zwangsarbeiten verrichtet, dabei habe es sich wohl auch um sogenannte reguläre Beschäftigungs- Verhältnisse gehandelt. Die Schneiderei habe sie bei ihrer Mutter gelernt, als sie noch zur Schule ging. Nachdem die Beklagte sie auf die Widersprüche zu ihrem Wohnort im Hinblick auf die Angaben im Entschädigungsverfahren hingewiesen hatte, erklärte die Klägerin am 05.08.1990 an Eides statt, dass sie ihre Stelle in Lodz verloren habe, als der Krieg 1939 ausbrach. Daraufhin seien sie nach L zurückgezogen. Zur Glaubhaftmachung ihrer Beschäftigung überreichte sie eidesstattliche Zeugenerklärungen der F H und des Q D vom 25.10.1992. Darin bestätigten die Zeugen die angegebene Beschäftigung als Schneiderin bei der Firma in Lodz von 1935 bis 1939. Sie seien mit der Klägerin von Kindheit an bekannt gewesen. Die Zeugin H erklärte darüber hinaus, sie sei über die Beschäftigung gut informiert, da sie die Klägerin häufig nach der Arbeit getroffen habe.

Auf Anfrage der Beklagten teilte der polnische Versicherungsträger mit, dass Un¬terlagen über die behauptete Beschäftigung der Klägerin dort nicht vorliegen. Mit Bescheid vom 25.11.1995 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung ab, da die Wartezeit nicht erfüllt sei. Es seien keine Versicherungszeiten vorhanden. Die geltend gemachte Versicherungszeit von April 1935 bis September 1939 könne nicht anerkannt werden, da die behauptete Beschäftigung in Lodz im Widerspruch zu den Angaben aus dem Entschädigungsver¬fahren stehe, dass die Klägerin vor der Verfolgung in L gewohnt habe. Mit ihrem Widerspruch gegen diesen Bescheid trug die Klägerin erneut vor, sie habe vor der Verfolgung überwiegend in Klobuck gelebt. Lediglich in den Jahren 1935 bis 1939 habe sie in Lodz gelebt. Bei Kriegsausbruch sei sie allerdings zu ihrer Familie nach L zurückgekehrt. Durch weiteren Bescheid vom 01.07.1996 lehnte die Beklagte auch die Rentengewährung aus der geltend gemachten Beschäftigung während des Ghettoaufenthaltes ab. Bei Beschäftigungen während eines Ghettoauf¬enthaltes habe es sich nicht um eine versicherungspflichtige Beschäftigung sondern um Zwangsarbeit gehandelt. Diese könne lediglich als Ersatzzeittatbestand berücksichtigt werden. Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchs¬bescheid vom 10.12.1996 zurück.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 13.12.1996 erhobenen Klage.

Mit dieser wiederholt sie ihr Vorbringen, dass ihre Angabe im Rentenverfahren nicht im Widerspruch zu den Angaben aus dem Entschädigungsverfahren stünden. Ihr regulärer Wohnort sei immer L gewesen, sie habe in Lodz nur gearbeitet, diesen Ort jedoch nicht als Wohnort betrachtet. Nach ihrer Rückkehr nach L sei sie dort Anfang 1940 ins Ghetto gekommen. Dort habe sie bis Juni 1942 beim Bau gearbeitet. Diese Arbeit sei ihr vom Judenrat vermittelt worden, nachdem sie sich dort gemeldet habe, um der Verschickung zu entgehen» Sie habe hauptsächlich beim Zubringen von Baumaterial, manchmal auch beim Bau selbst gearbeitet. Die Ar¬beitsstelle habe außerhalb des Ghettos gelegen, daher seien sie auf dem Weg zur Arbeit und zurück von der Wehrmacht begleitet worden. Für diese Arbeit sei sie bezahlt worden, an Beträge könne sie sich aber nicht erinnern. Im Juni 1942 sei sie dann in das Arbeitslager Zagorze gekommen und habe dort weiter am Bau gear¬beitet. Die Klägerin, für die im Termin zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 25.11.1995 und 01.07.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1996 zu verurteilen, ihr Altersrente unter Anrechnung der geltend gemachten Versicherungszeiten zu gewähren. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

Die Beschäftigungszeit vor der Verfolgung sei aufgrund der Widersprüche zu den Angaben im Entschädigungsverfahren nicht glaubhaft gemacht. Die Beschäftigung während des Ghettoaufenthaltes sei zwar glaubhaft gemacht. Dabei habe es sich je¬doch nicht um eine Beschäftigung gehandelt, für die eine Beitragsfiktion angenom¬men werden könne. Es habe sich dabei vielmehr um Zwangsarbeit gehandelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Ge¬richtsakte sowie der beigezogenen Rentenakte der Beklagten, der Entschädigungsak¬ten der Klägerin beim Bayerischen Landesentschädigungsamt und der Vorprozessakte S 3 RJ 13/98 Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte entscheiden, obwohl für die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, da der Klägerbevollmächtigte ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigt wurde und auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (vgl. §126 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - ).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 25.11.1995 und 01.07.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1996 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn diese Bescheide sind rechtmäßig.

Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Altersruhegeld an die Klägerin abge¬lehnt.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersruhegeld, da sie die erforderliche Mindestversicherungszeit - Wartezeit - vgl. § 1248 RVO in Verbindung mit § 300 Abs. 2 SGB VI) nicht erfüllt.

Es sind keine für die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten vorhanden, da ein Übergang der behaupteten Beitragsleistung im Sinne von § 17 Abs. 1 b Fremdrentengesetz (FRG) bzw. eine Beitragszeit im Sinne von § 1250 RVO nicht festgestellt werden kann, da eine Beitragsleistung bzw. die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht glaubhaft gemacht ist. Gemäß § 4 Abs. 1 FRG ist eine Tatsache nur dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen überwiegend wahrscheinlich ist. Dies kann vorlie¬gend jedoch nicht festgestellt werden.

Nach Ansicht der Kammer ist es nicht überwiegend wahrscheinlich und damit glaub¬haft gemacht, dass die Klägerin von April 1935 bis September 1939 als Schneiderin in Lodz beitragspflichtig beschäftigt war und daher Beiträge zur Sozialversiche¬rung entrichtet wurden. Wegen der ihren Angaben im Rentenverfahren widersprechenden Angaben im Entschädi-gungsverfahren kann die Kammer nicht davon ausgehen, dass die Klägerin von 1935 bis 1939 in Lodz gewohnt und gearbeitet hat. Die Klägerin hat im Entschädigungs¬verfahren mehrfach vorgetragen, dass sie vor dem Krieg bei ihren Eltern in L gelebt habe. Sie hat sich auch im Antragsvordruck für die Entschädigung von Schaden an Körper oder Gesundheit hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Ver¬hältnisse vor Beginn der Verfolgung nur auf die Einkommensverhältnisse ihres Va¬ters bezogen, hat eine eigene Berufstätigkeit nicht angegeben und die Mitglied¬schaft in einer Krankenkasse verneint. Auch mehrere Zeugen haben in von der Klä¬gerin eingereichten Erklärungen angegeben, dass die Klägerin vor dem Krieg bei ihren Eltern gewohnt habe und auf die wirtschaftlich guten Verhältnisse des Va¬ters hingewiesen. Vor diesem Hintergrund kann die Kammer die Angaben der Klägerin aus dem Rentenverfahren über eine Tätigkeit in Lodz vor der Verfolgung nur als zweckgerichtete Angaben werten. Der Erklärungsversuch der Klägerin zu den Wider¬sprüchen, sie habe vor der Verfolgung überwiegend in L gelebt und sei auch nach Kriegsausbruch nach L zurückgekehrt, überzeugt nicht. Dies erklärt nicht, warum die Zeugen, die im Entschädigungsverfahren davon gesprochen haben, dass die KLägerin bei ihren Eltern gewohnt habe, ihren Aufenthalt in Lodz über¬haupt nicht erwähnt haben. Auch erklärt dies nicht, dass die Klägerin ihre Be¬rufstätigkeit nicht erwähnt hat, sondern sich hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse vor der Verfolgung nur auf die Einkünfte ihres Vaters bezogen hat. Auch die von der Klägerin im Rentenverfahren vorgelegten Zeugenerklärungen sind nicht geeignet, die erheblichen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin auszuräumen. Die Kammer misst insoweit den zeitnäheren Angaben im Entschädigungsverfahren einen höheren Beweiswert zu.

Für die Zeit von Anfang 1940 bis Juni 1942 kann die Kammer gleichfalls nicht von einer versicherungspflichtigen Beschäftigung der Klägerin ausgehen. Zwar geht die Kammer davon aus, das die Klägerin tatsächlich während dieser Zeit im Ghetto Klobuck die angegebenen Tätigkeiten verrichtet hat. Insoweit decken sich ihre heutigen Angaben mit ihren Angaben im Entschädigungsverfahren, die auch durch Zeugenerklärungen bestätigt wurden. Bei diesen Tätigkeiten handelte es sich jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. zusammenfassend Gagel, Rentenversicherung von Ghettoarbeitsverhältnissen, NZS 2000, S. 231 ff.) nicht um ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Danach ist erforderlich, dass im Rahmen der Verhältnisse des Ghettos ein Arbeitsmarkt bestanden hat, auf dem aus eigenem Antrieb Beschäftigungs¬verhältnisse vertraglich begründet werden konnten, und dass diese Beschäfti¬gungsverhältnisse dem Grunde nach versicherungspflichtig waren (BSG Urteil vom 21.04.1999, B 5 RJ 48/98 R). Dabei ist zwar eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit der für die Arbeit gewährten Gegenleistung nicht erforderlich. Auch führt die seinerzeit geltende allgemeine Regulierung des Arbeitsmarktes sowie das Bestehen von Arbeitspflichten nicht zu einer derartigen Überlagerung der Gesamtheit der Arbeitsverhältnisse, dass dadurch notwendig ein Zwangsarbeitsverhältnis ange- nommen werden muss. Typisch für eine ein versicherungspflichtiges Beschäftigungs-verhältnis ausschließende Zwangsarbeit ist jedoch die Zuweisung des Arbeitenden an ein Unternehmen, die Geringfügigkeit oder das Fehlen einer Entlohnung und die Bewachung bei der Arbeit (BSG Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R und B 13 RJ 71/98 R und B 13 RJ 61/98 R). Nach dieser Rechtsprechung des BSG, der sich die Kammer anschließt, kommt es weiterhin auf die Unterscheidung zwischen berück¬sichtigungsfähigen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen einer¬seits und dem gegenläufigen Begriff der Zwangsarbeit andererseits an. Dabei ist es in Anbetracht der damaligen Verhältnisse für die Annahme eines versicherungs¬pflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausreichend, dass eine Arbeit im Sinne eines "Modells eines Normalarbeitsverhältnisses" jedenfalls in Bereichen statt¬gefunden hat, in denen außerhalb des Ghettos üblicherweise ebenfalls "Normal¬arbeitsverhältnisse" abgeschlossen wurden. Voraussetzung ist weiterhin, dass ein zumindest geringes Entgelt gezahlt wurde und nicht nur die zum Überleben not¬wendigen Leistungen erbracht wurden.

Nach diesen Kriterien hat die Klägerin während ihres Aufenthaltes im Ghetto Klobuck Zwangsarbeit geleistet und stand in keinem versicherungspflichtigen Be¬schäftigungsverhältnis. Die Umstände ihrer Tätigkeit machen deutlich, dass es sich bei der Tätigkeit um Zwangsarbeit gehandelt hat, die auch unter Berücksich¬tigung der besonderen Verhältnisse in einem Ghetto nicht mehr unter den Begriff eines Beschäftigungsverhältnisses im weitesten Sinne gefasst werden können. So hat die Klägerin Einzelheiten zu den konkret von ihr verrichteten Arbeiten nicht angegeben. Sie hat lediglich allgemein von Arbeiten auf dem Bau oder Arbeiten beim Zubringen von Baumaterialien gesprochen. Sie hat auch nicht angegeben, dass sie für konkrete Arbeitgeber gearbeitet habe, sondern allgemein von Arbeit für die Deutschen gesprochen. Bei ihrer Anhörung im Vorprozess, den sie als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes geführt hat, hat sie am 16.11.2000 vor dem Friedensgericht in Tel Aviv erklärt, dass sie während der Zeit ihres Ghetto¬aufenthaltes von 1940 bis Juli 1943 für die Deutschen bei Reinigungsarbeiten und bei Drecksarbeit bei der Instandhaltung und der Reparatur von Häusern gearbeitet habe. Für diese Arbeit, die sie durch den Judenrat erhalten habe, habe sie kein Geld aber Essen erhalten. Diese von der klägerin geschilderten Umstände sprechen dafür, dass sie nicht im Rahmen eines konkreten bestimmten Beschäftigungsver¬hältnisses tätig war, sondern je nach Anforderung verschiedene schwere Arbeiten für die deutschen Besatzer ausüben musste. Auch hat sie offensichtlich nach ihren eigenen Angaben kein Entgelt sondern lediglich Lebensmittel erhalten. Auch dieser Umstand spricht gegen ein jedenfalls im weitesten Sinne versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Damit liegen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses während des Ghetto¬aufenthaltes nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved