L 7 SO 1344/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 4716/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1344/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 9. April 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger hat am 10. November 2017 beim Sozialgericht Ulm Klage erhoben und von dem beklagten Landkreis begehrt, ihm eine sachgerechte medizinische Versorgung und Reha-Maßnahmen zu finanzieren sowie ihm ab April 2017 Leistungen gemäß § 27b Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zu zahlen.

Das Sozialgericht Ulm hat sich mit Beschluss vom 28. November 2017 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Freiburg (SG) verwiesen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. April 2018 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Einzige in Betracht kommende Klageart sei die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. Eine solche Klage setze eine behördliche Entscheidung in Form eines Verwaltungsaktes über den Klagegegenstand voraus. Eine sogenannte echte Leistungsklage ohne vorangegangenes Vorverfahren wäre nur zulässig, wenn ein Verwaltungsakt über die begehrte Leistung nicht zu ergehen hätte. Im Verhältnis zwischen einem Bürger und einem Sozialleistungsträger als Träger öffentlicher Gewalt bedürfe es jedoch einer derartigen Entscheidung. Unstreitig sei eine behördliche Entscheidung des Beklagten in Form eines Verwaltungsaktes über die Leistung, die Gegenstand der Klage sei, noch nicht ergangen.

Gegen den ihm am 11. April 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. April 2018 Berufung eingelegt. Die Klageerwiderung des Beklagten vom 11. Januar 2018 sei ihm erst mit dem Gerichtsbescheid zugesandt worden. Der Beklagte habe im Übrigen bereits dem Grunde nach einen Versagungsbescheid erlassen, obwohl § 67 SGB XII ausdrücklich die Prüfung der Einkommensverhältnisse ausschließe. Die Leistungsklage sei zulässig und begründet gewesen. Auf die Anfrage des Berichterstatters, gegen welchen Bescheid des Beklagten er sich wende, hat der Kläger zunächst lediglich geantwortet, dass die Verwaltungsakten beim Beklagten und nicht bei ihm lägen, und sodann den Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 genannt, mit dem der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen einen Versagungsbescheid vom 9. November 2016 zurückgewiesen hatte. Diese Bescheide sind Gegenstand des Klageverfahrens S 9 SO 645/17 vor dem SG.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 9. April 2018 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen, hilfsweise ihm eine sachgerechte medizinische Versorgung und Reha-Maßnahme zu finanzieren und ihm ab April 2017 Leistungen gem. § 27b SGB XII zu gewähren, höchsthilfsweise die Sache als Untätigkeitsklage zu behandeln.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.

2. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Mit der Berufung begehrt der Kläger im vorliegenden Verfahren die Verurteilung des Beklagten zur Finanzierung sachgerechter medizinischer Versorgung und von Reha-Maßnahmen sowie zur Zahlung von notwendigem Lebensunterhalt in Einrichtungen gem. § 27b SGB XII.

Zu befinden im Berufungsverfahren ist - entsprechend den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 21. Juni 2018 gestellten Anträgen - über die Kombination eines "Hauptantrags", der auf Zurückverweisung an das SG gerichtet ist (§ 159 Abs. 1 SGG), mit "Hilfsanträgen", mit denen der Kläger eine sachliche Entscheidung des Senats über die beim SG formulierten Anträge begehrt (vgl. dazu auch Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 9. September 1998 - B 6 KA 34/98 B - juris Rdnr. 6). Allerdings stellt das vom Kläger formulierte "Hauptbegehren" keinen Sachantrag im prozessualen Sinn dar, denn über die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung ist von Amts wegen zu entscheiden; der entsprechende "Antrag" ist deshalb als bloße Anregung zu verstehen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, § 159 Rdnr. 5). Prozessuales Ziel des Klägers ist es demnach, eine Entscheidung über die im Klageverfahren gestellten Anträge zu erlangen, wenngleich dies erst nach einer von ihm für erforderlich gehaltenen Zurückverweisung geschehen soll (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Februar 2015 - L 7 AS 1160/14 - n.v.).

3. Die Voraussetzungen für die von dem Kläger in erster Linie erstrebte Zurückverweisung der Sache an das SG liegen nicht vor. Gemäß § 159 Abs. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn 1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache zu entscheiden, 2. das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Die Zurückverweisung nach der genannten Bestimmung steht im Ermessen des LSG; sie ist, schon weil mit ihr Verzögerungen bei der Erledigung des Rechtsstreits verbunden sind, auf Ausnahmefälle zu beschränken (ständige Rechtsprechung; vgl. BSG, Beschluss vom 19. Januar 2011 - B 13 R 211/10 B - juris; Rdnr. 19; ferner Binder/Lüdtke in Hk-SGG, 5. Aufl. 2017, § 159 Rdnr. 8). Das SG hat weder zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden statt eine Entscheidung in der Sache herbeizuführen, noch liegt die Verletzung einer das gerichtliche Verfahren regelnden Vorschrift vor, welche eine Zurückverweisung rechtfertigen könnte. Denn auch soweit der Kläger vorträgt, die am 16. Januar 2018 beim SG eingegangene Klageerwiderung des Beklagten vom 11. Januar 2018 erst mit dem Gerichtsbescheid erhalten zu haben, ist auf Grund dieses Mangels keine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig.

4. Die Berufung des Klägers hat auch bezüglich der als Sachanträge aufzufassenden "Hilfsan-träge" keinen Erfolg. Die Leistungsklage ist unzulässig, da der Beklagte über das Klagebegehren bislang keine Entscheidung getroffen hat und es deshalb an der notwendigen Sachurteilsvoraussetzung einer vorherigen Verwaltungsentscheidung mangelt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger zwar behauptet, dass der Beklagte einen Versagungsbescheid bzw. "Versagensbescheide" erlassen habe, diesen Bescheid aber weder vorgelegt noch konkret bezeichnet. Auch auf die ausdrückliche Anfrage des Berichterstatters, gegen welche Bescheide er sich im vorliegenden Verfahren wende, hat der Kläger anfänglich keinen Bescheid benannt, sondern lediglich darauf verwiesen, dass die Verwaltungsakten bei dem Beklagten lägen und nicht bei ihm. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass der Beklagte über die streitgegenständlichen Begehren eine Entscheidung getroffen hätte. Mit Schriftsatz vom 1. Juni 2018 hat der Kläger ausgeführt, der Beklagte habe "zuletzt" mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 einen "Versagensbescheid" erlassen. Hierbei handelt es sich um den Widerspruchsbescheid, mit dem der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. November 2016 zurückgewiesen hat. Auch insofern wäre die Klage in jedem Fall unzulässig. Sieht man in dem am 5. Juni 2018 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingegangenen Schreiben eine Klageerhebung, wäre sie verfristet (§ 37 Abs. 3 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch, § 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG). Dies würde auch für die Klageerhebung im vorliegenden Verfahren beim Sozialgericht Ulm am 10. November 2017 gelten; dies kann indes offenbleiben, denn in der dortigen Klageschrift hat der Kläger den Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 weder ausdrücklich noch der Sache nach benannt, so dass in seiner damaligen Klageschrift keine Klageerhebung gegen den Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 gesehen werden kann. Abgesehen davon ist der Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 Gegenstand des beim SG anhängigen Klageverfahrens S 9 SO 645/17.

Die vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobene Untätigkeitsklage ist unzulässig. Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig (§ 88 Abs. 1 Satz 1 SGG). Voraussetzung für die Untätigkeitsklage ist danach, dass der Kläger einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts gestellt hat. Ein Antrag muss grundsätzlich auch gestellt werden, wenn die Behörde von Amts wegen entscheiden muss (Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 88 Rdnr. 3). Ein im Wege der Untätigkeitsklage justitiabler Bescheidungsanspruch entsteht erst mit der Stellung eines Antrags, da § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG bereits nach seinem Wortlaut an einen gestellten Antrag anknüpft (Binder in Hk-SGG, a.a.O., § 88 Rdnr. 5; Jaritz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 88 Rdnr. 17). Es ist schon nicht ersichtlich, dass der Kläger bei dem Beklagten hinsichtlich von Krankenbehandlung‚ Reha-Maßnahmen sowie Leistungen nach § 27b SGB XII ab April 2017 einen Antrag gestellt hat. Sollte der Kläger hingegen den im Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 genannten Antrag im Schreiben vom 10. April 2016 meinen, so wurde darüber bereits im Versagungsbescheid vom 9. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2017 eine Entscheidung getroffen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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