L 11 AL 186/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AL 621/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 186/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 219/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.05.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) sowie die Rückforderung überzahlter Leistungen.

Die 1949 geborene und verheiratete Klägerin beantragte nach dem Bezug von Arbeitslosengeld (Erschöpfung des Anspruchs ab 04.09.1997) am 15.08.1997 Alhi. Auf dem Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" verneinte sie die Fragen nach eigenem Einkommen und Vermögen. Mit Bescheid vom 05.09.1997 bewilligte die Beklagte laufend Alhi ab 04.09.1997. Im April 2001 erhielt die Beklagte Kenntnis über bei der Sparkasse N. geführte Sparkonten der Klägerin und ihres Ehemannes. Danach verfügte die Klägerin per 12.05.1999 über zwei Sparkonten in Höhe von 43.954,00 DM / 3.709,59 DM (Konto-Nrn. 1034537 / 244000394). Die genannten Konten wurden am 28.09.2000 / 18.07.2000 aufgelöst.

Mit Bescheid vom 23.07.2001 nahm die Beklagte die Entscheidung vom 03.11.2000 über die Bewilligung der Alhi ab 26.07.2001 zurück, da sie rechtswidrig ergangen sei. Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine Saldenbestätigung der Sparkasse N. zum 04.09.1997 vor. Zu diesem Zeitpunkt waren auf den genannten Sparkonten 30.878,72 DM / 2.376,66 DM eingezahlt. Zusammen mit den weiteren (gemeinsamen) Sparkonten verfügten die Eheleute am 04.09.1997 über Sparvermögen in Höhe von 46.799,32 DM. Hierzu erklärte die Klägerin, ihre Sparbücher seien etwa 1993 angelegt worden. Mit Eintritt ihrer Arbeitslosigkeit hätten ihre Kinder Ö. , Ö. und N. die Sparbücher weitergeführt. Es sei vereinbart worden, dass die Sparbücher den Kindern zustehen sollten.

Mit Bescheid vom 20.02.2002 nahm die Beklagte die Alhi-Bewilligungen vom 05.09.1997, 26,09.1997 und 20.10.1997 für die Zeit vom 04.09.1997 bis 20.05.1998 ganz zurück. Nach Abzug eines Freibetrages von 16.000,00 DM habe im Hinblick auf das restliche Vermögen Bedürftigkeit für 37 Wochen nicht vorgelegen (46.799,32 DM: 820 DM gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt). Die Klägerin habe daher Leistungen in Höhe von 10.464,20 DM zu Unrecht erhalten. Diese sowie die zur Kranken- und Pflegeversicherung entrichteten Beiträge (3.720,94 DM) seien zu erstatten (zusammen 7.252,75 EUR). Auch gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie sei während des Alhi-Bezugs über die Sparbücher nicht mehr verfügungsberechtigt gewesen. Ihre Kinder erkärten am 14.03.2002 schriftlich, sie hätten den Sparvertrag der Mutter ab dem Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit übernommen. Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.02.2002 durch Widerspruchsbescheid vom 15.07.2002 zurück.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Das an die Kinder übertragene Vermögen habe sie nicht mehr verwerten können. Gerügt werde ferner die fehlende Ermessensausübung und die Nichteinhaltung der für die Rückforderung zu beachtenden Jahresfrist.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 07.05.2003 abgewiesen. Die Sparkonten der Klägerin seien in keiner Weise als Treuhandkonten gekennzeichnet gewesen. Verdeckte Treuhandkonten seien jedoch als reine Privatkonten zu behandeln. Mithin könne der Herausgabeanspruch des Treugebers nicht in Abzug gebracht werden. Da der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die die Klägerin zumindest grob fahrlässig unrichtig gemacht habe, könne sie sich nicht auf Vertrauen berufen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Die Darlehensforderung gegen die Bank habe sie jederzeit formlos abtreten können. Die Beklagte habe es unterlassen zu prüfen, ob sie - die Klägerin - noch Inhaberin der Darlehensforderung sei. Außerdem sei das Sparbuch nur mit einer Frist von drei Monaten kündbar gewesen, eine Verwertung sei insoweit ohnehin nicht in Betracht gekommen. Selbst wenn das Sparvermögen verwertbar gewesen wäre, sei zu berücksichtigen, dass dieses der Altersversorgung gedient habe. Anwartschaften auf eine Altersversorgung könnten aber nicht auf die Alhi angerechnet werden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 07.05.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Klägerin habe keinen Nachweis darüber vorgelegt, dass sie nicht mehr Inhaberin der Forderung gewesen sei. Die Erkärung der Kinder erläutere nicht, welchen Sparvertrag diese übernommen hätten. Der Einwand der dreimonatigen Kündigungsfrist sei unbeachtlich, denn derartige Konten seien zur Verwertung geeignet. Diese Anlageform lasse gerade nicht auf den Zweck der Altersversorgung schließen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn die Beklagte durfte die Alhi-Bewilligungen rückwirkend aufheben und Erstattung der überzahlten Leistungen fordern.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Alhi-Bewilligungen stellt § 45 Abs 1, 4 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren (SGB X) dar. Auf Vertrauensschutz (§ 45 Abs 2 Satz 1, 2 SGB X) kann sich die Klägerin nicht berufen, denn die Alhi-Bewilligungen beruhten auf Angaben, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X). Die unterlassenen Angaben der Klägerin über das vorhandene Vermögen waren ursächlich für die Entscheidungen der Beklagten. Das Unterlassen der Angaben steht nach Sinn und Zweck der Vorschrift den unvollständigen Angaben gleich (Wiesner in von Wulffen, SGB X, 4.Aufl., § 45 Rdnr 22). Das Sparvermögen war als verwertbares Vermögen grundsätzlich zu berücksichtigen.

Gemäß § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) / § 190 Abs 1 Nr 5 Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung (SGB III) setzt der Anspruch auf Alhi Bedürftigkeit voraus. Bedürftig ist ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi nicht erreicht (§ 137 Abs 1 AFG, § 193 Abs 1 SGB III). Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist (§ 137 Abs 2 AFG / § 193 Abs 2 SGB III). Nach § 6 Abs 1 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV; gültig ab 01.04.1996 bis 28.06.1999) ist Vermögen zu berücksichtigen, soweit es verwertbar ist, die Verwertung zumutbar ist und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar ist, jeweils 8.000,00 DM übersteigt. Vermögen ist dabei die Gesamtheit der dem Vermögensträger gehörenden Sachen und Rechte in Geldeswert (vgl. z.B. BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 4).

Die Klägerin war zum Zeitpunkt des ersten Tages, für den sie Alhi beantragt hatte (04.09.1997) - das ist der übliche Stichtag für die Prüfung der Vermögensberücksichtigung (Ebsen in Gagel, SGB III, § 193 Rdnr 73) -, Inhaberin von zwei Sparkonten über 33.255,38 DM. Diese Inhaberschaft ist belegt durch die Saldenbestätigung der Sparkasse N. vom 16.08.2001. Als Inhaberin dieser Sparkonten war die Klägerin bezüglich der Forderungen Gläubigerin der Sparkasse N. (BGH NJW 1994, 931 f). Diese Sparguthaben und die weiteren (gemeinsamen) Sparkonten der Eheleute hätten bei der Bedürftigkeitsprüfung von Anfang an berücksichtigt werden müssen. Allerdings macht die Klägerin geltend, dass die Sparbücher mit dem Eintritt ihrer Arbeitslosigkeit ihren Kindern zustehen sollten.

Grundsätzlich trägt die Beklagte bei einer auf § 45 SGB X gestützten Rücknahme die volle Beweislast für die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsaktes. Diesen Beweis hat die Beklagte unter Hinweis auf die Sparguthaben erbracht. Die Klägerin trifft allerdings im Wege der Umkehr der Beweislast die objektive Beweislast dafür, dass sie trotz der Inhaberschaft der Konten zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Alhi bedürftig war mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht vorlagen (LSG Brandenburg, Urteil vom 28.08.1997, E-LSG AL 165).

Diesen Nachweis hat die Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht erbracht. So hat sie keine schriftliche Abtretungserklärung (§ 398 Bürgerliches Gesetzbuch) vorgelegt. Selbst der Erklärung der Kinder vom 14.03.2002 kann eine Forderungsabtretung nicht entnommen werden. Die Kinder haben nach ihren Angaben lediglich ab dem Alg-Bezug ihrer Mutter (Klägerin) die monatlichen Sparbeiträge übernommen. Offenbar sollte der Sparvertrag in Zukunft der Schwester N. zugute kommen. Dies bedeutet, dass die Klägerin weiterhin Inhaberin der früheren Forderung blieb. Dieses Ergebnis ist auch der Saldenaufstellung der Sparkasse vom 16.08.2001 zu entnehmen, denn als Kontoinhaberin ist weiterhin die Klägerin aufgeführt. Eine Auflösung des / der klägerischen Konten erfolgte erst am 18.07.2000 / 28.09.2000.

Trotz dreimonatiger Kündigungsfrist war das Sparvermögen verwertbar. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass gerade eine solche Geldanlage zur Bestreitung des Lebensunterhalts besonders geeignet ist.

Nach Anlageform und mitgeteilter Zweckbestimmung (Unterstützung der Tochter) war das Vermögen von vornherein nicht zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung der Klägerin bestimmt (§ 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 AlhiV). Die Verwertung des Sparvermögens war somit zumutbar.

Das Unterlassen der Angaben durch die Klägerin über das Vorhandensein von Vermögen erfolgte wenigstens grob fahrlässig. Der Klägerin war aufgrund des Zusatzfragebogens "Bedürftigkeitsprüfung" bekannt, dass das Vermögen anzugeben war. Hierauf wurde sie auch durch das Merkblatt für Arbeitslose hingewiesen, dessen Empfang sie unterschriftlich bestätigt hat. Die Nichtbeachtung des Merkblatts begründet ebenfalls grobe Fahrlässigkeit (BSG Urteil vom 24.04.1997 - 11 RA 89/96; Wiesner in von Wulffen, aaO § 45 Rdnr 24).

Gemäß §§ 152 Abs 2 AFG, 330 Abs 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X hatte die Beklagte bei der Rücknahme der Alhi-Bewilligungen kein Ermessen auszuüben. Rechtsgrundlage für die Erstattung der überzahlten Leistungen - gegen ihre Höhe hat die Klägerin keine Einwände erhoben - ist § 50 SGB X. Das Erstattungsbegehren bezüglich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung stützt sich auf §§ 157 Abs 3a, 166c AFG, 335 SGB III.

Die Rücknahme der Alhi-Bewilligung erfolgte unter Beachtung der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X, da die Beklagte erstmals im April 2001 vom Vermögen der Klägerin zum Stand 04.09.1997 Kenntnis erlangte.

Die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 07.05.2003 ist daher zurückzuweisen.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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