L 1 P 23/18

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 26 P 26/18
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 P 23/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 13/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bewilligung von Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) nach dem Pflegegrad 1.

Der am ... 1966 geborene Kläger bewohnt alleine ein Einfamilienhaus. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 wegen "psychischer Gesundheitsstörung, sexueller und sozialer Beeinträchtigung" festgestellt. Er befand sich seit 1991 mehrfach in stationärer psychiatrischer Behandlung. Er war ab Februar 2001 arbeitslos und bezieht mittlerweile Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der Kläger beantragte am 19. Mai 2017 Leistungen nach dem SGB XI. Die Beklagte ließ durch die Pflegefachkraft G. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt e.V. (MDK) das Gutachten nach Hausbesuch vom 5. September 2017 erstellen. Der Kläger gab eine schwankende psychische Tagesform an. Er habe Angst, das Haus zu verlassen, und er fühle sich nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen oder selbst ein Auto zu führen. Er sei ganztägig mit der Hauswirtschaft, der Pflege des Gartens und einer Schildkröte beschäftigt sowie in der Heimatgeschichtsforschung aktiv. Er verlasse die Wohnung eher selten. Nahrungsmittel lasse er sich gegen Bezahlung liefern, der Nachbar fahre ihn auch mal zur Bank. Die Gutachterin beschrieb soziale Isolierungstendenzen; Zukunftsängste/Halluzinationen habe der Kläger verneint. Es gebe keine Vollmachten und kein Betreuungsverhältnis. Er habe einen Hausarzt, gehe aber nicht hin. Als Medikamente nehme er bei Bedarf Aspirin gegen Kopfschmerzen. Das Mitfahren im Auto sei ihm möglich, das Gehen im Außenbereich erfolge selbstständig. Die Gutachterin nannte als pflegebegründende Diagnosen: psychische Gesundheitsstörung, sexuelle und soziale Beeinträchtigung, Anpassungsstörung sowie Probleme in Bezug auf Lebensführung. Sie ermittelte eine Summe von 3,75 gewichteten Punkten (1. Mobilität: 0 Punkte, 2. und 3. kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: 3,75 Punkte (selten auftretende Ängste), 4. Selbstversorgung: 0 Punkte, 5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: 0 Punkte, 6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: 0 Punkte). Eine besondere Bedarfskonstellation verneinte die Gutachterin. Sie gelangte zu der Einschätzung, dass kein Pflegegrad vorliege.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 7. September 2017 die Bewilligung von Leistungen der Pflegeversicherung ab, weil eine geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit mindestens 12,5 Gesamtpunkten nicht vorliege.

In seinem dagegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei wegen seiner gesundheitlichen und sozialen, psychischen und sexuellen Einschränkungen dauerhaft nicht selbstständig mobil. Aktivitäten außer Haus funktionierten nicht, Sozialkontakte fänden nur fernmündlich statt. Ein Zahnarztbesuch könnte nur mit einem Taxi erfolgen, das er sich nicht leisten könne.

Die Beklagte ließ daraufhin die Pflegefachkraft B. das Gutachten nach Aktenlage vom 8. November 2017 erstatten. Die Gutachterin ermittelte 0 gewichtete Punkte (1. Mobilität: 0 Punkte, 2. und 3. kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: 0 Punkte (keine Angabe von Zukunftsängsten oder Halluzinationen gegenüber der Erstgutachterin), 4. Selbstversorgung: 0 Punkte, 5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: 0 Punkte, 6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: 0 Punkte).

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2018 zurück, weil ein Grad der Pflegebedürftigkeit mit 0 bzw. 3,75 gewichteten Gesamtpunkten nicht vorliege.

Dagegen hat der Kläger am 12. Februar 2018 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben. Seit einer 36-tägigen Freiheitsberaubung in der Universitätsklinik H. im Jahr 1994 sei er im Lebensalltag auf fremde Hilfe angewiesen. Da seine Krankenkasse dies mit seinen Beiträgen honoriert habe, habe er gegen diese Anspruch auf Bezahlung von Pflegeleistungen durch diese. Ein von ihm vorgelegtes Gutachten des MDK vom 17. November 2003 erfülle den Straftatbestand des Betrugs.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2018 abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch lasse sich auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens nicht feststellen. Die Gutachten des MDK vom 5. September und 13. Oktober 2017 seien schlüssig und plausibel. Für eine nachhaltige Verschlechterung der Pflegesituation seien keine Anhaltspunkte offenkundig. Eine höhere gewichtete Gesamtpunktzahl als 3,75 lasse sich nicht begründen.

Gegen das ihm am 2. Juni 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. Juni 2018 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Der Gerichtsbescheid sei sitten- und rechtsstaatswidrig. Er besitze aufgrund seiner psycho-sozialen Schadenssituation keinerlei soziale Mobilität. Außerhalb der eigenen vier Wände sei er ein Schwerpflegefall. Zur Besorgung von Lebensmitteln benötige er Fremdhilfe. Mangels eigenen Vermögens seien außerhäusliche Aktivitäten nicht möglich. Nur durch weitgehenden Verzicht auf Körperwäsche und Kleiderwechseln sowie Beheizen der Wohnung könne er 14-tägig eine Einkaufshilfe finanzieren.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2018 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 29. Mai 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab Antragstellung Pflegeleistungen nach dem Pflegegrad 1 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Nach dem MDK-Gutachten vom 5. September 2017 erfolge das Gehen im Außenbereich selbstständig. Ferner seien keine Gründe angegeben worden, weshalb eine außerhäusliche Mobilität nicht vorliege.

Auf Nachfrage des Senats hat die Beklagte erklärt, vom 31. Dezember 2016 bis zum 23. November 2018 seien keine ambulanten ärztlichen Leistungen erbracht worden.

Der Senat hat eine Auskunft des Kriminalhauptkommissars S. von der Dienststelle SG 2 RKD M.-S. vom 14. November 2018 eingeholt. Danach habe der Kläger seine Wohnung für seine wiederkehrenden Aktivitäten (d.h.: gleichlautende Anzeigen und wiederholte Anrufe bei verschiedensten Institutionen und Behörden) nie verlassen.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. G. hat unter dem 28. Dezember 2018 von letzten Behandlungen des Klägers im Juli 2014 (Kreuzschmerz) und November 2016 (Fädenziehen nach Atherom-Operation) berichtet.

Der Kläger hat sich unter dem 10. Februar 2019 und die Beklagte unter dem 11. Februar 2019 mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch statthaft (§ 151 Abs. 1 und § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 SGG).

II.

Die Berufung ist aber unbegründet, da die angefochtenen Bescheide der Beklagten und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts nicht zu beanstanden sind. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XI zu, denn er ist nicht pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes.

1.

Pflegebedürftig sind nach § 14 SGB XI i.d.F. ab dem 1. Januar 2017 Personen, die wegen gesundheitlich bedingter Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten der Hilfe durch andere bedürfen. Sie dürfen die körperlichen, kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingten Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss voraussichtlich für mindestens sechs Monate und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen. Maßgeblich sind insoweit gemäß § 14 Abs. 2 SGB XI die in den folgenden sechs Bereichen genannten Kriterien: Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sowie Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte. Kann die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden, wird dies gemäß § 14 Abs. 3 SGB XI bei den Kriterien der o.g. Bereiche berücksichtigt.

Der Pflegegrad wird gemäß § 15 Abs. 1 und 2 SGB XI nach der Schwere der Beeinträchtigungen in sechs Modulen ermittelt, die den sechs Bereichen in § 14 Abs. 2 entsprechen. In jedem Modul sind als Kriterien die in Anlage 1 zum SGB XI dargestellten Kategorien vorgesehen, denen in Bezug auf die einzelnen Kriterien Einzelpunkte zugeordnet werden. Die jeweils erreichbaren Summen aus Einzelpunkten werden nach den in Anlage 2 zum SGB XI festgelegten Punktbereichen 0 bis 4 gegliedert. Jedem Punktbereich in einem Modul werden die in Anlage 2 festgelegten, gewichteten Punkte zugeordnet. Die Module werden unterschiedlich zwischen 10% und 40% gewichtet.

Zur Ermittlung des Pflegegrads sind gemäß § 15 Abs. 3 SGB XI die Einzelpunkte in jedem Modul zu addieren und dem in Anlage 2 festgelegten Punktbereich sowie den sich daraus ergebenden gewichteten Punkten zuzuordnen. Den Modulen 2 und 3 wird der höchste gewichtete Punkt eines dieser Module zugeordnet. Die Module 7 und 8 (Haushaltsführung und außerhäusliche Aktivitäten) fließen nicht in die Ermittlung der Gesamtpunkte ein (§ 18 Abs. 5a SGB XI).

Die gewichteten Punkte aller Module werden zu Gesamtpunkten addiert, auf deren Basis die pflegebedürftigen Personen in einen Pflegegrad einzuordnen sind:

1. ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1 (geringe Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten),

2. ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2 (erhebliche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten),

3. ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3 (schwere Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten),

4. ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4 (schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten),

5. ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5 (schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung). Pflegebedürftige mit einem spezifischen, außergewöhnlich hohen Hilfebedarf und mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung können dem Pflegegrad 5 zugeordnet werden, auch wenn ihre Gesamtpunkte unter 90 liegen (§ 15 Abs. 4 S. 1 SGB XI).

Bei der Begutachtung werden gemäß § 15 Abs. 5 SGB XI auch Maßnahmen der Behandlungspflege berücksichtigt, wenn dieser Hilfebedarf regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Maßnahme in den in § 14 Absatz 2 genannten sechs Bereichen ist oder mit einer solchen notwendig in einem unmittelbaren Zusammenhang steht.

Die Pflegekassen beauftragen gemäß § 18 Abs. 1 SGB XI den MDK oder andere unabhängige Gutachter mit der Prüfung, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welcher Pflegegrad vorliegt.

2.

Bei dem Kläger sind keine wesentlichen Defizite im Bereich der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten bei den in § 14 Absatz 2 SGB XI genannten Kriterien nachweisbar.

a.

Im Bereich der Mobilität liegt keine Einschränkung vor, da die körperlichen Funktionen nicht beeinträchtigt sind. Das Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs und das Treppensteigen sind vollständig möglich.

b.

Das gleiche gilt für die Selbstversorgung. Das Waschen, das An- und Auskleiden, das Zubereiten der Nahrung und die Nahrungsaufnahme sowie das Benutzen einer Toilette sind ungestört.

Soweit der Kläger darlegt, sich aus Kostengründen nur einmal pro Woche waschen zu können, beruht dies nicht auf Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeitsstörungen. Vielmehr liegt die Ursache in einer finanziellen Misere, die nach seinen Angaben u.a. auf den täglichen Warmwasserbedarf seiner Schildkröte zurückzuführen ist. Äußere, von der Person des Antragstellers losgelöste Faktoren werden aber bei der Einschätzung der Pflegebedürftigkeit nicht berücksichtigt (Richter, Die neue soziale Pflegeversicherung – PSG II, 2016, S. 61).

c.

Die Bewältigung von und der selbstständige Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sind ebenfalls nicht erkennbar beeinträchtigt. Bei Bedarf versorgt sich der Kläger mit Aspirin, weitere Medikamente sind nach seinen Angaben nicht erforderlich. Arztbesuche sind ihm im Bedarfsfall möglich, wie sich aus dem Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. G. vom 28. Dezember 2018 ergibt. Der Kläger war bei diesem im Juli 2014 wegen Kreuzschmerz und im November 2016 zum Fadenziehen nach einer Atherom-Operation vorstellig geworden.

Der Kläger hat zwar seit dem 31. Dezember 2016 keine ambulanten ärztlichen Behandlungen mehr in Anspruch nehmen müssen. Der Senat ist der Überzeugung, dass ihm dies ggf. unter Inanspruchnahme seines unmittelbaren sozialen Umfelds im Bedarfsfall gelingen würde. Denn der Nachbar fährt ihn auch regelmäßig zur Bank. Möglich wäre im Notfall auch die Inanspruchnahme des ärztlichen Notdienstes; die erforderliche Vorgehensweise ist dem Kläger nach seinen eigenen Ausführungen auch bekannt.

d.

Die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten sind erhalten und eine Einbuße der Selbstständigkeit nicht erkennbar. Der Kläger ist vollständig örtlich und zeitlich orientiert. Er ist in der Lage, sein Alltagsleben selbst zu gestalten und der Umwelt seine elementaren Bedürfnisse mitzuteilen. Mit seinem Vater, der nach seinen Angaben die Pflegeperson ist, sowie mit dem Nachbarn erfolgt die Kommunikation auf direktem Wege. Die anzuliefernden Lebensmittel werden von dem Kläger telefonisch bestellt. Mit Behörden kommuniziert er überwiegend in schriftlicher Form.

e.

Pflegerelevante Verhaltensweisen und psychische Problemlagen liegen nicht vor. Es gibt keine motorischen Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, physisch aggressives Verhalten gegenüber Dingen oder Personen, verbale Aggression oder andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage oder sozial inadäquate Verhaltensweisen.

Aus dem Umstand, dass der Kläger wiederholt - aus seiner Sicht - wegen erlittener seelischer Beeinträchtigungen infolge ungesetzlicher stationärer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik im Jahr 1994 Beschwerden an die verschiedensten Behörden macht, ergibt sich ebenfalls keine pflegerelevante Auffälligkeit. Der Kampf des Klägers um eine Anerkennung seiner seelischen Leiden und um materielle Entschädigung bewegt sich nicht in einem Rahmen, der zu einem Verlust der Selbstständigkeit und zur Begründung eines Pflegebedarfs führt. Eventuell auftretende körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen können selbstständig kompensiert oder bewältigt werden. Eine eingreifende Steuerung durch eine Pflegeperson ist nicht erforderlich.

f.

Auch die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte gelingt dem Kläger ohne notwendige pflegende Unterstützung. Er ist in der Lage, den Tagesablauf zu gestalten, sich ganztägig zu beschäftigen und sich an Veränderungen anzupassen. Nach seinen Angaben gibt es verschiedenste Aktivitäten im Bereich des Haushalts, des Gartens, der Tierpflege sowie des Hobbys der Geschichtsforschung. Er isst, ruht und schläft regelmäßig.

Die Interaktion mit Personen im direkten Kontakt und die Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds gelingt ihm. Er kann seine Bedürfnisse unmittelbar äußern. Dies gilt etwa für den Hausnachbarn, seinen Vater, den Hausarzt oder etwa den Lieferdienst. Gegenüber Ämtern ist der Kläger uneingeschränkt in der Lage, auf schriftlichem Wege zu kommunizieren.

Auch die Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds ist nicht eingeschränkt. Denn dazu gehört auch die Fähigkeit, mit technischen Kommunikationsmitteln wie Telefon und brieflicher oder elektronischer Kommunikation umzugehen. Dass dies dem Kläger gelingt, zeigen schon der umfangreiche Schriftverkehr mit dem Sozial- und dem Landessozialgericht sowie die regelmäßigen Beschwerden gegenüber unterschiedlichsten Behörden.

Das vom Kläger in den Vordergrund gestellte Unvermögen, selbst einkaufen zu gehen und deshalb einen entgeltlichen Einkaufsdienst in Anspruch nehmen zu müssen, ist nicht pflegerelevant. Die Haushaltsführung im Modul 8 gehört nicht zu den für den Pflegegrad relevanten Modulen.

g.

Der Senat kann offen lassen, ob die im MDK Gutachten vom 8. November 2017 mit 3,75 gewichteten Punkten bewerteten selten auftretenden Ängste tatsächlich vorliegen. Offensichtlich ist die Gutachterin G. aufgrund der Angabe des Klägers, er verlasse das Haus nie, zu dieser Einschätzung gelangt. Der Kläger hat während des Hausbesuchs aber gleichfalls angegeben, keine Ängste vor der Zukunft und auch keine Halluzinationen zu haben. Des Weiteren hat er regelmäßige Aktivitäten außerhalb seines Wohnhauses beschrieben, wie etwa die Wege zur Bank gemeinsam mit dem Nachbarn.

Unter "Ängste" i.S.d. Moduls 3 werden aber starke Ängste und Sorgen oder unabhängig von der Ursache erlebte Angstattacken, erhöhte Ängstlichkeit bei der Durchführung von Pflegemaßnahmen oder im Kontakt mit anderen Personen gefasst (Richter, a.a.O., S. 45). Diese müssen Auswirkungen auf die selbstständigen Fähigkeiten in den Modulen 1 bis 6 haben, anderenfalls sind sie nicht pflegerelevant.

Wohl zu Recht sind im MDK-Gutachten nach Aktenlage vom 8. November 2017 insoweit keine gewichteten Punkte festgestellt worden. Denn die Angst des Klägers ist allein auf das Verlassen des persönlichen Umfelds bezogen und betrifft somit lediglich die Haushaltsführung (Modul 8 - Einkaufen für den täglichen Bedarf). Dies hat der Kläger auch in seinen Klage- und Berufungsschriftsätzen eindeutig zum Ausdruck gebracht. Er hat mehrfach eine Entschädigungsleistung für den von ihm zu bezahlenden Einkaufsdienst verlangt. Funktionsstörungen in dem Modul 8 sind aber für den Pflegegrad nicht relevant.

In seinem Widerspruchsschreiben hat der Kläger auch geschildert, bei ausreichender finanzieller Ausstattung würde er sich ein Taxi etwa für einen Zahnarztbesuch leisten können. Die Ursache für die aus seiner Sicht bestehende Immobilität liegt daher nicht in pflegerelevanten gesundheitlichen Einschränkungen der Selbstständigkeit, sondern in fehlenden finanziellen Mitteln. Eine krankheitsbedingte Störung der Selbstpflegeerfordernisse ist somit nicht erkennbar.

Der Senat musste der Frage des Auftretens von Ängsten und deren Bewertung aber nicht weiter nachgehen, da auch mit 3,5 gewichteten Punkten die Mindestzahl von 12,5 Punkten bei weitem nicht erreicht ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved