S 5 KR 169/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 169/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme beziehungsweise Kostenerstattung für Rheopherese-Be-handlungen. Am 00.00.2004 beantragte der Kläger unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen von Dr. D Dr. S die Kostenübernahme für die Durchführung der Rheopherese-Therapie bei trockener altersabhängiger Makuladegeneration. Zur Begründung wurde ausgeführt, bei der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) handele es sich im weitesten Sinne um eine Stoffwechsel- und Mikrozirkulationsstörung des inneren Auges. Es gebe nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse keine etablierte Behandlungsmöglichkeit für die trockene AMD. Die Therapieoptionen, photodynamische Therapie sowie chirurgische Eingriffe seien nur bei ausgewählten Patienten und nur bei feuchter AMD anwendbar. Bei dem Kläger würden diese genannten therapeutischen Maßnahmen nicht in Frage kommen. Eine Erfolg versprechende und vertretbare Behandlungsmöglichkeit für den Kläger bestehe daher nur noch in der Rheopherese-Behandlung, die in randomisierten, kontrollierten Studien ihre Wirksamkeit bei der Behandlung der trockenen AMD unter Beweis gestellt habe. Die für den Kläger beantragte und begonnene Behandlung mit der Rheopherese erfolge nicht im Rahmen einer klinischen Studie sondern auf Grund der bestehenden Praxisempfehlung zur Anwendung der Rheopherese bei AMD. Ziel der Rheopherese-Behandlungen bei dem Kläger sei es, das Sehvermögen bei¬der Augen zu stabilisieren. Die Pigmentepitheldefekte sowie der rasche Visusabfall an beiden Augen ließen auf eine Progredienz schließen und stellten somit eine Hochrisikokonstellation hinsichtlich einer Erblindung dar. Der Verlauf der Erkrankung bis zur drohenden Erblindung im Sinne des Gesetzes könne mit begründeter Aussicht auf Erfolg aufrecht erhalten werden. Die Therapie finde im Rheopherese-Zentrum Köln statt. Es seien zunächst 8 bis 10 Behandlungen geplant. Die Kosten für eine einzelne Rheopherese-Behandlung betrügen 1.394,- Euro. Am 12. November 2004 hatte der Kläger mit der Therapie begonnen und legte der Beklagten eine Rechnung über 2.788,02 Euro für zwei Therapietage vor. Er bat um Überprüfung unter Hinweis auf Einzelentscheidungen verschiedener anderer Krankenkassen.

- 3 - Die Beklagte befragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK), der die Behandlung nicht für notwendig zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung hielt. Mit Bescheid vom 10. Februar 2005 lehnte die Beklagte sodann den Antrag auf Kostenübernahme ab. Auf den Inhalt des Bescheides wird Bezug genommen. Dagegen legte der Kläger am 17. Februar 2005 Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, es bestehe eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende fortschreitende Erkrankung, bei der keine vertragsärztliche Therapie zur Verfügung stehe und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, mit der Rheopherese einen Behandlungserfolg zu erzielen. Die Wirksamkeit der Rheopherese bei AMD generell sein in kontrollierten randomisierten Studien der Universitätsklinik Köln mit einer statistisch signifikanten Aussage belegt worden und in einer international renommierten ophtalmologischen Fachzeitschrift publiziert worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2005 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides wird Bezug genommen. Am 02. August 2005 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung seiner Klage bezieht er sich im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Wi-derspruchsverfahren. Ergänzend trägt er vor, es liege ein Systemversagen vor. In der Uni-versitätsklinik L und in der Universitätsklinik T seien randomisierte Studien durchgeführt worden. Die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses sei willkürlich. Ohne die Therapie sei der Kläger wahrscheinlich erblindet. Zu berücksichtigen sei auch die neueste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 06. Dezember 2005. Der Kläger legte noch einen Bericht aus dem Apherese-Forschungsinstitut L vom 26. Februar 2007 vor.

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Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte zur Kostenerstattung von 14.053,56 Euro zu verurteilen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält den angefochtenen Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides für rechtmäßig. Ergänzend trägt sie vor, es liege kein Systemversagen vor. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe beraten, aber wegen fehlender Datenlage die Rheopherese nicht in die Anlage A aufgenommen. Das Gericht hat beim Gemeinsamen Bundesausschuss eine Anfrage gestellt. Auf den Inhalt des Antwortschreibens wird Bezug genommen. Zu dem Schreiben des Gemeinsamen Bundesausschusses hat sich der Bevollmächtigte des Klägers kritisch geäußert. Das Gericht hat daraufhin eine ergänzende Anfrage an den Gemeinsamen Bundesausschuss gestellt. Auch auf dieses Antwortschreiben wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie den sonstigen Inhalt der Prozessakte und den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

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Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist sachlich nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2005 entspricht der Sach- und Rechtslage. Dadurch wird der Kläger nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn die Beklagte hat zu Recht die Kostenübernahme beziehungsweise Kostenerstattung für die Rheopherese-Behandlung abgelehnt. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB V besteht an Stelle der so genannten Sachleistung nur dann ein Kostenerstattungsanspruch, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Eine unaufschiebbare Leistung wird vor allem bei den so genannten Notfällen im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V angenommen, also in den Fällen, in denen die Behandlung durch einen Kassenarzt nicht mehr möglich oder zumutbar und der Versicherte daher auf die Hilfe eines Nichtkassenarztes angewiesen war. Von einem solchen Notfall im Sinne von § 76 Abs, 1 Satz 2 SGB V kann dementsprechend in der Regel nur bei akut auftretenden Erkrankungen ausgegangen werden, die eine unverzügliche ärztliche Behandlung erfordern, weil jede weitere Verzögerung mit medizinischen Risiken verbunden ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Bereits am 15. Oktober 2004 hat der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen die Durchführung der Rheopherese-Behandlung beantragt. Erst am 12. November 2004 hat er mit der Therapie begonnen. Damit lag ein Notfall im Sinne des Gesetzes ersichtlich nicht vor. Aber auch die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind vorliegend nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift besteht der Kostenerstattungsanspruch nur dann, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Soweit es die Behandlung des Klägers bis 10. Februar 2005 betrifft, steht einer Kostenerstattung bereits entgegen, dass der Kläger nicht zuvor die Entscheidung der Beklagten über seinen Kostenerstattungsantrag vom 15. Oktober 2004 abgewartet hat. Aus der genannten Vorschrift folgt, dass die Kostenerstattungspflicht der Krankenkasse bereits dann nicht besteht, wenn die ärztliche Leistung bereits in Anspruch genommen wurde, bevor die Krankenkasse entschieden hat (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Dezember 2006, Az.: L 1 KR 67/04 m. w. N.).

Ein Anspruch auf Kostenerstattung oder Kostenübernahme für die Rheopherese-Behandlung besteht aber auch ansonsten nicht. Der Kostenerstattungsanspruch scheitert auch daran, dass die beim Kläger durchgeführte Rheopherese-Therapie nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkasse gehört und auch nicht gehören muss. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch und setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 26. September 2006, Az.: B 1 KR 3/06 R und LSG Berlin-Brandenburg a. a. 0.). Gemäß § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungen müssen hierbei ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, § 12 Abs. 1 SGB V. Alle Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken, die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Die Versicherten können sie nicht beanspruchen. Die Rheopherese-Therapie zur Behandlung der trockenen AMD zählt nicht zu den von einer gesetzlichen Krankenkasse geschuldeten Leistungen, weil diese Methode (noch) nicht zur vertragsärztlichen Versicherung gehört und die für die Abrechnungsfähigkeit neuer Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 SGB V erforderliche Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V nicht vorliegt. § 135 Abs. 1 SGB V bestimmt, dass neue Behandlungsmethoden nur abgerechnet werden dürfen, wenn der Bundesausschuss in den genannten Richtlinien Empfehlungen u. a. zum therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Diese Vorschrift legt nach gefestigter Rechtsprechung des BSG, der die Kammer folgt, für ihren Anwendungsbereich zugleich den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen fest (BSG Urteil vom 19. Februar 2003, Az.: B 1 KR 18/01 R m. w. N. und LSG NW, Az.: L 5 KR 181/03, Beschluss vom 01. März 2004). Bei den BUB-Richtlinien handelt es sich um untergesetzliche Rechtsnormen, die in Verbindung mit § 135 Abs. 1 SGB V für Arzte, Krankenkassen und Versicherte verbindlich regeln, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zum Leistungsumfang der Krankenversicherung zählen.

Das Fehlen einer positiven Entscheidung des Bundesausschusses steht einer Leistungspflicht der Krankenkasse entgegen. § 135 Abs. 1 SGB V ist in der Art eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt gefasst und schließt neue Behandlungsmethoden so lange von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen aus, als nicht der Bundesausschuss sie als zweckmäßig anerkannt hat (vgl. LSG NW a. a. 0. m. w. N.). Die Prüfung und Feststellung ob eine neue Behandlungsweise dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und damit dem in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geforderten Versorgungsstandard genügt, obliegt nach der gesetzlichen Konzeption - vom Ausnahmefall des Systemversagens abgesehen - dem Gemeinsamen Bundesausschuss (früher dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen). Der Bundesausschuss der Arzte und Krankenkassen hat mit seinem Beschluss vom 24. März 2003 seine Beratung für Apherese-Behandlungen, die auch die Rheopherese einschloss, abgeschlossen. Er hat in der Anlage A die zugelassenen Indikationen für die Behandlungsart genannt und die Voraussetzungen hierfür präzisiert. Auch wenn die Rheopherese nicht ausdrücklich in die in der Anlage B der BUB-Richtlinien genannten ausgeschlossenen Methoden aufgenommen worden ist, ergibt sich aus dieser auf zwei Indikationen beschränkten Entscheidung des Bundesausschusses, dass für alle anderen Indikationen der für eine Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung geforderte Qualitätsnachweis nicht vorliegt. Dies ergibt sich darüber hinaus auch aus den Stellungnahmen des Gemeinsamen Bundesausschusses gegenüber dem Gericht vom 08. März 2006 und 06. April 2006. Die Ablehnung durch den Bundesausschuss hat nach § 135 Abs. 1 SGB V zur Folge, dass die Rheopherese von den Krankenkassen als Sachleistung nicht gewährt werden darf. Hat der Bundesausschuss in einem ordnungsgemäßen Verfahren eine Entscheidung getroffen, so ist diese einer inhaltlichen Überprüfung durch die Gerichte nicht zugänglich, das Gesetz bewirkt selbst eine Bindung, indem es anordnet, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ohne Empfehlungen in den Richtlinien nicht zu Lasten der Krankenversicherung angewendet werden dürfen (BSG, Urteil vom 29. Februar 2003, Az.: B 1 KR 18/01 R). Entgegen der Auffassung des Klägers ist angesichts des Umstandes, dass sich der Bun-desausschuss zeitnah mit der Methode befasst hat und seine Beratungen in angemessener Zeit abgeschlossen hat, für die Annahme eines Systemversagens, das ausnahmsweise trotz fehlender Anerkennung durch den Bundesausschuss zu einem Leistungsanspruch

-8- führen kann, kein Raum. Aber auch auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06. Dezember 2005 rechtfertigt sich keine andere Entscheidung. Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG bedarf es zur Umsetzung und Konkretisierung des genannten Beschlusses des Bundesverfassgungsgerichts lediglich einer Korrektur, wenn nach den Vorschriften ein Leistungsausschluss besteht, obwohl es sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt, bei der eine allgemein anerkannte medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vorliegt. In allen anderen Fällen (keine derart lebensbedrohliche Krankheit; anerkannte und zumutbare Standardtherapien stehen zur Verfügung; die Alternativmethode bietet ebenfalls keine hinreichende Erfolgsaussicht) muss der Versicherte nach dieser Rechtsprechung Leistungsausschlüsse hinnehmen, wenn keine notstandsähnliche Extremsituation zu Grunde liegt, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden kann. Ansprüche des Klägers direkt aus der Verfassung scheiden danach aus, weil die trockene AMD keine lebensbedrohliche Erkrankung ist beziehungsweise einer solchen auch nicht gleichgestellt werden kann (vgl. LSG Berlin-Brandenburg a. a. 0.). Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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