S 11 KR 1400/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 1400/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2017 verurteilt, der Klägerin die Kosten für die OrCam MyEye in Höhe von 4.190,00 Euro zu erstatten. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine OrCam MyEye.

Die im Jahr 1949 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an einer hochgradigen Sehbehinderung (Stufe 3). Mit ihrem rechten Auge kann die Klägerin noch Handbewegungen in einer Entfernung von 30 cm erkennen. Die Sehschärfe auf ihrem linken Auge beträgt 1/35, d.h. das Sehvermögen liegt bei ca. 3%. Die Klägerin besitzt aufgrund ihrer Behinderung einen Blindenstock, die Vergrößerungssoftware Zoomtext sowie das Vorlesegerät I-See.

Der behandelnde Augenarzt Dr. Q verordnete der Klägerin am 23.05.2017 eine OrCam MyEye. Die Klägerin stellte am 02.06.2017 einen entsprechenden Antrag bei der Beklagten. Die Beklagte holte zunächst ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein.

Unter dem 14.06.2017 erstellte der MDK sein Gutachten. Er kam zu dem Ergebnis, es handele sich um eine noch nicht ausreichend getestete Technologie mit der Folge, dass ein wesentlicher Gebrauchsvorteil und damit eine Wirtschaftlichkeit bisher noch nicht nachgewiesen seien. Die OrCam MyEye sei bisher noch nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet, sodass dessen Funktionstauglichkeit nicht gesichert sei. Es könne beispielsweise nicht geklärt werden, welche Schriftgröße in welcher Entfernung unter welchen Umständen noch erkannt würden. Es gebe zur allgemeinen Deckung des Informationsbedarfs andere Kompensationsmöglichkeiten.

Mit Bescheid vom 14.06.2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab und verwies zur Begründung auf das eingeholte Gutachten des MDK vom 14.06.2017.

Mit Schreiben vom 03.07.2017 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid. Zur Begründung führte sie an, es sei nicht entscheidend, ob die OrCam MyEye in dem Hilfsmittelverzeichnis gelistet sei. Es handele sich nicht um eine abschließende Regelung. Der Anwendungsbereich der OrCam MyEye gehe zudem über den eines normalen Vorlesesystems hinaus. Sie sei auch im mobilen Bereich einsetzbar, sodass sie mittels der OrCam MyEye auch unterwegs Straßenschilder, Speisekarten etc. lesen könne. Es handele sich zugleich um ein Produkterkennungsgerät. Über ein solches verfüge sie bisher noch nicht.

Mit Schreiben vom 31.07.2017 schlug der MDK eine Erprobung der OrCam MyEye vor. Der Hersteller stellte das Gerät jedoch nicht zur Verfügung.

Unter dem 14.09.2017 erstellte der MDK erneut ein Gutachten und verblieb bei seiner Auffassung, dass kein wesentlicher Gebrauchsvorteil gegeben sei. Es sei nicht ersichtlich, wie das Hilfsmittel von Blinden zu bedienen sei, da der Fokus auf das jeweils zu benennende Objekt gerichtet werden müsse. Zudem sei der Lieferant des Systems nicht bereit gewesen, das Gerät zur Erprobung zur Verfügung zu stellen. Dies deute darauf hin, dass selbst der Lieferant nicht von einem wesentlichen Gebrauchsvorteil überzeugt sei.

Mit Schreiben vom 17.10.2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine Kostenerstattung nicht möglich sei. Gleichzeitig bot sie der Klägerin an, die Kosten für ein anderes mobiles Vorlesesystem, z.B. VOXbox zu übernehmen. Die Klägerin teilte der Beklagten am 01.11.2017 mit, dass die vorgeschlagene Alternativversorgung eine OrCam MyEye nicht ersetzen könne und der Widerspruch aufrechterhalten bleibe.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch unter dem 06.12.2017 mit der bereits zuvor vorgebrachten Argumentation ab.

Die Klägerin beschaffte sich die OrCam MyEye im Mai 2018 auf eigene Kosten zu einem Preis von 4.190,00 Euro (Rechnung vom 23.05.2018).

Die Klägerin hat am 13.12.2017 Klage bei dem hiesigen Gericht erhoben und verfolgt ihr Begehren fort. Zur Begründung trägt sie vor, die OrCam MyEye sei nunmehr ins Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen worden. Damit sei die Argumentation der Beklagten bezüglich der Funktionstauglichkeit hinfällig. Zudem betreffe das begehrte Hilfsmittel ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Durch die OrCam MyEye sei auch die Informationserfassung unterwegs möglich, sodass sie sich freier und selbständiger außerhalb ihres Wohnumfeldes bewegen könne und weniger auf die Hilfe Dritter angewiesen sei. Dadurch sei eine eigenständige Lebensführung möglich. Sie weist ferner darauf hin, dass stark sehbehinderte Menschen mit stationärem Bildschirmlesegerät und elektronischer Lupe für unterwegs ausgestattet würden. Es sei nicht hinnehmbar, dass nahezu komplett erblindeten Menschen, die vergrößernde Sehhilfen nicht mehr nutzen können, diese Möglichkeit nicht zustehen solle. Die Klägerin gibt an, sie nutze derzeit die Vergrößerungssoftware Zoomtext und das Bildschirmlesegerät I-See und sei bereit, das Bildschirmlesegerät zurückzugeben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2017 zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die selbstbeschaffte OrCam gemäß der Rechnung vom 23.05.2018 in Höhe von 4.190,00 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Versorgung mit der Orcam MyEye und verweist zur Begründung auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte, die das Gericht beigezogen hat.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kostenerstattung für die selbstbeschaffte OrCam MyEye.

Der Anspruch der Klägerin folgt aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung- (SGB V). Danach ist eine Kostenerstattung möglich, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 13 Abs. 3 Alt. 2 SGB V liegen vor. Die Beklagte hat die Versorgung mit der OrCam MyEye zu Unrecht abgelehnt. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind.

Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V müssen Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht beanspruchen.

Die beantragte OrCam MyEye ist weder nach § 34 SGB V ausgeschlossen noch handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Sie wurde speziell für hochgradig sehbehinderte Menschen entwickelt und wird auch nur von diesem Personenkreis regelmäßig in Anspruch genommen.

Bei der von der Klägerin beantragten OrCam MyEye handelt es sich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V. Die OrCam MyEye ist seit dem 16.01.2018 im Hilfsmittelverzeichnis unter der Gruppe 07 (Blindenhilfsmittel) als Produkt 07.99.04.6001 (Elektronische Systeme zur Informationsverarbeitung und Informationsausgabe für Blinde) gelistet. Lediglich der guten Ordnung halber weist das Gericht darauf hin, dass das Hilfsmittelverzeichnis keinen abschließenden Leistungskatalog darstellt, sondern allein eine Auslegungs- und Orientierungshilfe für die medizinische und pflegerische Praxis. Aus diesem Grund entscheidet, entgegen der Auffassung des von der Beklagten zitierten MDK, die Aufnahme einer Sache in das Hilfsmittelverzeichnis auch nicht darüber, ob, auf welcher Rechtsgrundlage und in welcher Weise die Krankenkasse sie im Rahmen der Sachleistungsgewährung zur Verfügung zu stellen hat.

Der von der Beklagten geschuldete Behinderungsausgleich bemisst sich entscheidend danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit steht bei dem in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als dritte Variante genannten Zweck des Behinderungsausgleichs der unmittelbare Ausgleich der angefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion im Vordergrund. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst erfüllt, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglich weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17.12.2009, Az.: B 3 KR 20/08 R).

Ist der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht oder nicht ausreichend möglich und werden deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt (sogenannter mittelbarer Behinderungsausgleich), sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist deshalb nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören unter anderem das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme und deren Ausscheidung sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG, Urteil vom 16.09.2004, Az.: B 3 KR 19/03 R). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen geistigen Freiraums gehören unter anderem die Aufnahme von Informationen und Kommunikation mit anderen Menschen (BSG, Urteil vom 12.08.2009, Az.: B 3 KR 11/03 R).

Die OrCam MyEye dient lediglich einem mittelbaren Behinderungsausgleich. Es wird nicht die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion des Sehens wiederhergestellt, sondern lediglich die Folgen der Behinderung in einem Teilbereich kompensiert, indem visuelle Informationen für die sehbehinderte Klägerin hörbar gemacht werden. Der Ersatz eines ausgefallenen bzw. beeinträchtigten Sinnes durch die Nutzung eines intakten anderen Sinnes stellt sich als mittelbarer Behinderungsausgleich dar (BSG, Urteil vom 29.04.2010, Az. B 3 KR 5/09 R). Die Kosten für das Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich sind hier von der Beklagten zu tragen, da es sich um ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens handelt. Das Hilfsmittel betrifft nach Überzeugung des Gerichts das Grundbedürfnis der Informationsaufnahme. Die OrCam MyEye ermöglicht es der Klägerin, Informationen wie geschriebene Texte und Textpassagen in Büchern, Zeitschriften, Broschüren etc. auf akustische Weise wahrzunehmen. Darüber hinaus kann sie auch unterwegs visuelle Informationen wie Straßenschilder, Fahrpläne, Preisschilder oder Ähnliches aufnehmen. Dies ermöglicht der Klägerin eine selbständige Orientierung in ihrem Umfeld und in der Öffentlichkeit, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.

Das Gericht ist zur Überzeugung gelangt, dass die OrCam MyEye objektiv erforderlich ist. Sie ist geeignet, die bestehende Sehbehinderung der Klägerin auszugleichen. Beurteilungsmaßstab ist hierfür der aktuelle, allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse. Maßgeblich ist insoweit, dass die Mehrheit der einschlägigen Fachleute die objektive Eignung des Hilfsmittel zur Erreichung des jeweiligen Versorgungsziels befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, insoweit Konsens besteht (BSG, Urteil vom 15.03.2012, Az.: B 3 KR 2/11 R). Ein solcher Konsens liegt hinsichtlich der OrCam MyEye vor. Sie ist seit dem 16.01.2018 im Hilfsmittelverzeichnis gelistet.

Die OrCam MyEye ist auch subjektiv erforderlich, d.h. notwendig. Das Hilfsmittel ist unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse der Klägerin für diese unentbehrlich. Der Unentbehrlichkeit steht nicht entgegen, dass die Klägerin von der Beklagten bereits mit der Vergrößerungssoftware Zoomtext und dem Vorlesegerät I-See ausgestattet wurde. Zwar muss eine Unentbehrlichkeit verneint werden, wenn bereits ein funktionsgleiches Hilfsmittel vorhanden ist, um eine Mehrfachausstattung der Versicherten zu vermeiden. Die Hilfsmittel Zoomtext und I-See sind jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht funktionsgleich mit der beantragten OrCam MyEye. Es handelt sich ausweislich der Beschreibung im Hilfsmittelverzeichnis nicht um ein bloßes Vorlesegerät, sondern darüber hinaus kann es auch zur Produkt- und Gesichtserkennung eingesetzt werden.

Der Kostenerstattung für die OrCam MyEye steht schließlich auch nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V entgegen. Diesbezüglich kann auch nicht auf eine günstigere Alternative, z.B. die angebotene VOXbox verwiesen werden. Wirtschaftlichkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V bedeutet nicht die billigste zweier Leistungen, sondern diejenige mit der besten Kosten-Nutzen-Relation. Die Mehrkosten dürfen im Verhältnis zum medizinischen Vorteil nicht unangemessen hoch sein. Die VOXbox ist zwar günstiger als die OrCam MyEye, bietet jedoch weniger Leistung und ist im Vergleich weniger alltagstauglich. Mit den vom Hersteller angegebenen Maßen von 19,5 cm x 21,5 cm x 8 cm und einem Gewicht von 1,8 kg ist es zudem erheblich unhandlicher für einen täglichen dauerhaften Einsatz, wie dies bei der Klägerin der Fall ist. Das Gericht hat ferner berücksichtigt, dass die Kostenersparnis der Beklagten durch eine Versorgung mit einer VOXbox als geringfügig einzustufen ist. Der Preis für eine VOXbox beläuft sich nach den Recherchen des Gerichtes je nach Ausführung auf 3.495,00 bzw. 3.995,00 Euro. Für die OrCam MyEye sind der Klägerin Kosten in Höhe von 4.190,00 Euro entstanden. Daraus ergibt sich lediglich ein Preisunterschied von 195,00 Euro bzw. 695,00 Euro, der angesichts des erheblichen Mehr an Funktionen nicht stark ins Gewicht fällt.

Nach der Überzeugung des Gerichts bietet das beantragte Hilfsmittel für die Klägerin einen wesentlichen Gebrauchsvorteil, der geeignet ist, ihre bestehende Behinderung im Alltagsleben auszugleichen. Es handelt sich nicht – wie üblich – um ein stationäres Vorlesegerät, welches lediglich im häuslichen Bereich verwendet werden kann. Die Klägerin wird vielmehr durch die praktische Befestigung der Kamera an ihrer Brille jederzeit durch die Technologie unterstützt, unabhängig davon, ob sie sich zuhause oder unterwegs befindet. Zudem erfordert die OrCam MyEye kein aktives Platzieren des Textes unter das jeweilige Vorlesegerät wie dies bei üblichen Vorlesegeräten der Fall ist. Stattdessen erfasst die OrCam MyEye die Texte in natürlicher Blickrichtung ähnlich wie die Augen eines gesunden Menschen, da sich das Hilfsmittel direkt neben dem Auge der Klägerin befindet. Das Gericht hat weiter berücksichtigt, dass der Anwendungsbereich der OrCam MyEye über den eines gängigen Vorlesegeräts hinausgeht. So kann das beantragte Hilfsmittel bis zu 100 Gesichter nach deren Einspeicherung erkennen. Die Klägerin ist daher beispielsweise nicht mehr darauf angewiesen, die vor ihr stehende Person nach ihrem Namen zu fragen. Darüber hinaus sieht das Gericht einen wesentlichen Gebrauchsvorteil darin, dass es sich bei dem Hilfsmittel zugleich um ein Produkterkennungsgerät handelt. Die Klägerin kann Objekte hinzufügen und bezeichnen, sodass diese in Zukunft automatisch erkannt werden. Dies erleichtert ihr den Alltag erheblich. Die Gesamtheit der genannten Funktionen führt zu einem erheblichen Gebrauchsvorteil im Vergleich zu herkömmlichen Vorlesegeräten.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass nicht ersichtlich sei, wie das Hilfsmittel von Blinden zu bedienen sei, geht dieser Einwand fehl. Zwar ist ihr zuzustimmen, dass die Benutzung des Hilfsmittels bei vollständiger Erblindung eines Menschen kaum möglich sein dürfte. Die Klägerin ist jedoch nicht blind, sondern lediglich hochgradig sehbehindert, sodass sie noch Schattierungen und Umrisse erkennen kann. Gerade diese noch vorhandene Sehstärke ermöglicht es ihr, ihren Blick und damit die OrCam MyEye auf die jeweiligen Objekte zu richten.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

Sozialgericht Gelsenkirchen, Bochumer Straße 79, 45886 Gelsenkirchen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Einreichung in elektronischer Form erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle. Diese ist über die Internetseite www.sg-gelsenkirchen.nrw.de erreichbar. Die elektronische Form wird nur gewahrt durch eine qualifiziert signierte Datei, die den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO SG) vom 07.11.2012 (GV.NRW, 551) entspricht. Hierzu sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes vom 16.05.2001 (BGBl. I, 876) in der jeweils geltenden Fassung zu versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur und das ihr zugrunde liegende Zertifikat müssen durch das Gericht überprüfbar sein. Auf der Internetseite www.justiz.nrw.de sind die Bearbeitungsvoraussetzungen bekanntgegeben.

Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
Rechtskraft
Aus
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