L 4 AS 677/18 NZB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 395/17
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 677/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Nichtzulassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 13. August 2018 im Rechtsstreit S 4 AS 395/17.

Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Beschwerdeführerin beantragte beim Beklagten und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beschwerdegegner) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Mit Bescheid vom 29. April 2016 bewilligte der Beschwerdegegner für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2016 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 440,15 EUR monatlich und begründete die Vorläufigkeit damit, dass das Einkommen der Klägerin aus deren selbstständiger Tätigkeit noch nicht bekannt sei. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin am 1. Juni 2016 Widerspruch.

Mit Schreiben vom 5. Januar 2017 forderte der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin auf, Unterlagen vorzulegen, aufgrund derer er die Leistungen für den oben genannten Zeitraum endgültig festsetzen könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2017 wies der Beschwerdegegner den Widerspruch vom 1. Juni 2016 bezüglich der vorläufigen Bewilligung zurück. Kosten des Widerspruchsverfahrens seien nicht zu erstatten, weil der Rechtsbehelf keinen Erfolg gehabt habe.

Am 23. Januar 2017 gingen bei dem Beschwerdegegner die von ihm erbetenen Unterlagen zur endgültigen Festsetzung der Leistungsansprüche im Zeitraum 1. Mai bis 31. Oktober 2016 ein.

Am 9. Februar 2017 hat die Beschwerdeführerin eine auf die im Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2017 getroffene Kostengrundentscheidung beschränkte Klage beim Sozialgericht (SG) Halle erhoben. Mit weiterem Bescheid vom 10. Februar 2017 hat der Beschwerdegegner sodann die Grundsicherungsleistungen der Beschwerdeführerin ohne Anrechnung von Einkommen für den oben genannten Zeitraum endgültig festgesetzt. Dies führte zu einer Nachzahlung in Höhe von 1.343,10 EUR.

Die Beschwerdeführerin hat die Auffassung vertreten, dass ihr nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [(BSG), Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 6 KA 35/10 R – juris] ein Anspruch auf Kostenerstattung zustehe. Hinsichtlich der genauen Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 18. April 2017 verwiesen.

Der Beschwerdegegner hat sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13. August 2018 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen, weil der Widerspruch keinen (auch nur teilweisen) Erfolg gehabt habe. Der Widerspruchsbescheid habe die Rechtslage nicht zu Gunsten der Beschwerdeführerin abgeändert. Eine Änderung zu ihren Gunsten sei erst nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens aufgrund der endgültigen Festsetzung vom 10. Februar 2017 eingetreten. Dieser sei jedoch nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden, weil das Verwaltungsverfahren bereits mit Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2017 abgeschlossen gewesen sei. Vielmehr wäre die endgültige Festsetzung gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden, falls die Beschwerdeführerin nicht lediglich gegen die Kostengrundentscheidung des Widerspruchsbescheides Klage erhoben hätte. Darüber hinaus fehle es an der Kausalität zwischen der Erhebung des Widerspruchs einerseits und der begünstigenden Entscheidung andererseits, weil die endgültige Festsetzung nicht wegen des Widerspruchs erfolgt sei. Der Beschwerdegegner hätte die Leistungen auch ohne die Einleitung eines Widerspruchsverfahrens endgültig festgesetzt. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen.

Nachdem der Beschwerdeführerin das Urteil am 20. August 2018 zugestellt worden war, hat die Beschwerdeführerin am 20. September 2018 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und diese folgendermaßen begründet: Die Berufung sei zuzulassen, weil die Rechtsfrage, ob eine nach Erhebung einer (isolierten) Klage gegen die Kostengrundentscheidung im Widerspruchsverfahren erlassene endgültige Festsetzung Gegenstand des Widerspruchs- oder Klageverfahrens werde, falls die Hauptsacheentscheidung des Widerspruchsbescheides in Bestandskraft erwachsene, grundsätzliche Bedeutung habe. Das Sozialgericht habe zwar zutreffend erkannt, dass die endgültige Festsetzung nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei, es habe sich jedoch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Bescheid vom 10. Februar 2017 innerhalb der laufenden Klagefrist noch Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sei. In diesem Fall läge eine Abhilfeentscheidung vor.

Darüber hinaus weiche das SG von der Rechtsprechung des BSG ab. Es stelle den Rechtssatz auf, ein Verwaltungsakt – hier die endgültige Festsetzung – könne nur Gegenstand des Klageverfahrens werden, wenn keine Beschränkung der Klage auf die Kostenentscheidung erfolge. Allerdings sei nach Maßgabe der Rechtsprechung des BSG die endgültige Festsetzung vorliegend zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.

Darüber hinaus stelle das SG den Rechtssatz auf, dass eine Kausalität zwischen Widerspruchserhebung und Änderung des Bescheides derart bestehen müsse, dass der Erfolg wegen des Widerspruchs eintreten müsse. Hiermit weiche es ebenfalls von der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10. Oktober 2011 – B 6 KA 35/10 R – juris) ab.

Die Beschwerdeführerin beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 13. August 2018, Aktenzeichen S4 AS 395/17, zuzulassen.

Der Beschwerdegegner hat sich nicht geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, welche Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.

II.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 SGG eingelegt worden.

Sie ist jedoch unbegründet. Nachdem die Berufung aufgrund des Streitgegenstands nicht bereits gesetzlich eröffnet ist (hierzu unter 1.), hat das SG die Berufung zu Recht nicht zugelassen, weil keiner der gesetzlichen Zulassungsgründe vorliegt (hierzu unter 2.).

1. Ohne Zulassung ist die Berufung nur bei wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), was bei einer Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahren nicht der Fall ist. Das Begehren des Beschwerdeführers überschreitet zudem nicht den Wert von 750 Euro, ab dem bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, eine Berufung ohne Zulassung eröffnet ist (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG).

2. Ist die Berufung nicht bereits gesetzlich eröffnet, ist sie gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr.3).

a) Der Entscheidung in der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn ein Verfahren bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage, zu § 144, Rn. 28). Ungeklärte und rechtserhebliche Rechtsfragen sind aber weder von den Beteiligten aufgeworfen worden noch aus dem Inhalt der Verfahrensakten für den Senat ersichtlich. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne der Vorschrift liegt nicht vor, wenn die Beantwortung einer höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfrage so gut wie unbestritten ist bzw. sich die Antwort ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften ergibt und von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl. hierzu Beschluss des BSG vom 24. Oktober 2016 – B 9 V 43/16 B – Rn. 6 – juris; Leitherer, in: Meyer-Ladewig und andere, SGG, 12. Auflage, zu § 144, Rn. 28 mit Verweis auf § 160, Rn. 8a).

Hiernach ist die Rechtsfrage, ob ein vor Ablauf der Klagefrist erlassener Bescheid, welcher einen Widerspruchsbescheid abändert oder ersetzt, nicht klärungsbedürftig. Nach der Neufassung des Sozialgerichtsgesetzes auf Grund von Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (Bundesgesetzblatt 2008, Teil 1, Seite 444) ist geklärt, dass Verwaltungsakte, die nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergehen, unter den Voraussetzungen des § 96 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung Gegenstand des Klageverfahrens werden (vgl. hierzu Bundestagsdrucksache 16/7716, zu Nr. 16 (§ 96), Seite 18 f. sowie Klein, in: jurisPK (Stand 6. Dezember 2019), zu § 96 SGG, Rn. 22 f. mit Nachweisen der zur früheren Rechtslage ergangenen abweichenden Rechtsprechung des BSG). Nach dem Willen des Gesetzgebers erstreckt sich der Anwendungsbereich der Norm auch auf den Zeitraum zwischen Erlass des Widerspruchsbescheides und der Klageerhebung. Damit sind sowohl der Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2017 als auch die endgültige Festsetzung vom 10. Februar 2017 in der Hauptsache gemäß § 77 SGG in Bestandskraft erwachsen (vgl. auch § 87 SGG). Hiervon geht auch das Sozialgericht zutreffend aus.

b) Auch der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nicht vor. Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Eine eventuelle Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (vgl. Beschluss des BSG vom 05. Oktober 2010 – B 8 SO 61/10 B zum gleichlautenden § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG – juris). Vorliegend hat das Sozialgericht keinen von der Rechtsprechung der genannten Gerichte abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt.

aa) Es trifft zwar zu, dass das BSG in der Vergangenheit die Auffassung vertreten hat, ein nach Erlass des Widerspruchsbescheides, aber vor Erhebung der Klage erlassener Bescheid werde gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (vgl. u.a. Urteil des BSG vom 1. August 1978 – 7 RAr 37/77 – juris). Dieser Rechtsprechung ist – wie dargelegt – nach der Neufassung des SGG zum 1. April 2008 die Grundlage entzogen, sodass eine Divergenz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ausscheidet.

bb) Außerdem weicht das angefochtene Urteil entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch nicht vom Urteil des BSG vom 19. Oktober 2011 – B 6 KA 35/10 R (juris) ab. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) erfolgt eine Kostenerstattung, falls der Widerspruch Erfolg hatte. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, welcher der Senat nach eigener Prüfung folgt, der Fall, wenn zwischen der Einlegung des Widerpruchs einerseits und der Abhilfeentscheidung andererseits eine Kausalität im Rechtssinne vorliegt (vgl. mit ausführlichen Nachweisen zur Rechtsprechung des BSG: Becker, in Hauck/Noftz, (Stand: 05/17), zu § 63 SGB X, Rn. 27b f.). Hiervon geht – entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers – auch das BSG in der von ihm zitierten Entscheidung vom 19. Oktober 2011 – B 6 KA 35/10 R (juris) aus. Wörtlich heißt es unter Rn. 14:

"Der Senat hält grundsätzlich daran fest, dass ein Widerspruch nicht immer schon dann erfolgreich ist, wenn zeitlich nach der Einlegung des Rechtsbehelfs eine den Widerspruchsführer begünstigende Entscheidung ergeht, sondern auch erforderlich ist, dass zwischen der Einlegung des Rechtsbehelfs und der begünstigenden Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne besteht [ ]".

Soweit das BSG in der Folge ausführt (BSG, aaO, Rn. 20 – juris), es komme nicht auf eine Kausalität zwischen der Widerspruchsbegründung einerseits und dem Erfolg des Widerspruches andererseits an, heißt dies nicht, dass es einer Kausalität im Rechtssinne nicht bedarf. Vielmehr setzt das BSG hierbei eine Kausalität zwischen der Einlegung des Rechtsbehelfes und der positiven Entscheidung der Behörde voraus.

Diese Grundsätze legt das SG seinem Urteil vom 13. August 2018 seiner Entscheidung zu Grunde. Insofern würde es sich bei der Annahme einer fehlenden Kausalität durch das SG allenfalls um einen – im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde – unbeachtlichen Rechtsanwendungsfehler handeln (vgl. Beschluss des BSG vom 5. Oktober 2010 – B 8 SO 61/10 B – Rn. 11 – juris).

Da der Beschwerdeführer keine Verfahrensfehler geltend macht, war die Nichtzulassungsbeschwerde somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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