L 18 AS 2213/19 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 26 AS 1356/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2213/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialge-richts Neuruppin vom 29. Oktober 2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerde-verfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Es besteht ungeachtet des-sen, dass derzeit mangels hinreichender Sachverhaltsaufklärung nicht abschließend zu beurteilen ist, ob der Antragsteller hilfebedürftig ist, jedenfalls derzeit kein unauf-schiebbares Regelungsbedürfnis für die begehrte, auf Verpflichtung des Antragsgeg-ners zur darlehensweisen Gewährung von Regelleistungen (Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung macht der Antragsteller ausdrücklich nicht geltend) nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit ab 1. September 2018 bis 31. Dezember 2019 vgl Antragsschrift) gerichtete einstweilige Anordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Für die Zeit bis zum Antragseingang (18.Oktober 2019) folgt dies schon daraus, dass die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für zurückliegende Zeiträume im Eilrechtsverfahren, das der Beseitigung gegenwärtiger Notlagen dient, regelmäßig nicht in Betracht kommt.

Im Übrigen gilt Folgendes: Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht vollendet haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebe-dürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Hilfebedürftig iSv § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 iVm § 9 Abs. 1 SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus zu berück-sichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann, und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozial-leistungen erhält. Nach § 12 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermö-gensgegenstände zu berücksichtigen; dazu können bewegliche Sachen ebenso ge-hören wie Immobilien und Forderungen. Als Verwertungsmöglichkeiten kommen hier die Veräußerung oder die Verpfändung des Erbteils des Antragstellers (Miteigen-tumsanteil am Grundstück und Kontoguthaben des Erblassers), der Verkauf des Hausgrundstücks sowie die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft in Betracht. Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II sind als Vermögen allerdings nicht zu berück-sichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Nach § 9 Abs. 4 SGB II ist schließlich hilfebedürftig auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde. Ist eine sofortige Verwertung eines Vermögensgegenstandes nicht möglich, sind die Leistungen als Darlehen zu erbringen (§ 24 Abs. 5 Satz 1 SGB II); die Leistungen können davon abhängig gemacht werden, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird (§ 24 Abs. 5 Satz 2 SGB II).

Zu den Vermögensgegenständen, die vorliegend in die Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach §§ 9, 12 SGB II einzubeziehen sind (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 27. Ja-nuar 2009 – B 14 AS 42/07 R = SozR 4-4200 § 12 Nr. 12), gehören der Anteil an dem Nachlass, über den der Kläger (allein) nach § 2033 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verfügen kann, der Miteigentumsanteil an dem in Rede stehen-den Grundstück und dem Kontoguthaben in ungeteilter Erbengemeinschaft und der Anspruch auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft (§§ 2042 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Vermögen ist verwertbar, wenn seine Gegenstände ver-braucht, übertragen und belastet werden können. Ist der Inhaber dagegen in der Verfügung über den Gegenstand beschränkt und kann er die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen, ist von der Unverwertbarkeit des Vermögens auszugehen (vgl BSG aaO Rn. 20). Eine bloß theoretisch in Betracht kommende Verwertungsvariante des Nachlasses durch Verkauf oder Verpfändung genügt nicht, um von seiner Verwertbarkeit iS des § 12 Abs. 1 SGB II auszugehen.

Es bedarf daher tatsächlicher Feststellungen, dass eine – rechtlich mögliche - Ver-wertung des gesamten Erbteils durch Verkauf oder Verpfändung am Markt tatsäch-lich möglich war bzw ist (vgl BSG aaO Rn 26,27). Dazu bedarf es ungeachtet des-sen, dass der Verkehrswert des Erbteils gesondert zu ermitteln wäre (BSG aaO Rn 42), zudem auch Feststellungen dazu, ob ein (potentieller) Käufer für dieses Erbteil existiert. Klärungsbedürftig ist zudem, ob einem Verkauf des Miteigentumsanteils am Gesamthandvermögen - der Miteigentumsanteil am Grundstück könnte, sofern die Angaben des Antragstellers zutreffen, mittlerweile in dem auf dem Grundstück be-findlichen Haus trotz dessen erheblichen Renovierungsbedarfs zu wohnen, gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II privilegiert sein -, der nur gemeinschaftlich durch die Miterben hätte erfolgen können (vgl § 2040 Abs. 1 BGB), möglicherweise die Weige-rung des anderen Miterben (Bruder) entgegenstand bzw –steht. Eine – rechtlich mögliche - Geltendmachung des Anspruchs auf Auseinandersetzung hätte dann ab-sehbar nicht zum wirtschaftlichen Erfolg geführt. Wenn der Antragsteller seinerseits an der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nicht interessiert sein sollte und den Auseinandersetzungsanspruch nicht ernstlich geltend gemacht hätte bzw gel-tend machen würde, besteht bzw bestand zwar kein tatsächliches Verwertungshin-dernis im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II. Eine solche Interessenlage bedarf indes ebenfalls konkreter tatsächlicher Feststellungen.

Ob möglicherweise von einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung des Grundstücks auszugehen ist, weil der zu erzielende Gegenwert in einem deutli-chen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegen-standes stand bzw steht (vgl BSG vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 56/06 R - juris Rn 34; BSG SozR 4-4200 § 12 Nr. 5 Rn 22 unter Hinweis auf die entsprechende Rspr zur Alhi), hängt davon ab, welchen Verkehrswert der Vermögensgegenstand gegenwärtig auf dem Markt hat. Dieser gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert gegenüber zu stellen (vgl BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 – B 14 AS 42/07 R – Rn 37). Vorliegend fehlt es jedoch bereits an einer Bestimmung des maßgebenden Verkehrswerts des Grundstücksteils im Antragszeitpunkt (vgl § 12 Abs. 4 Satz 2 SGB II). Letztlich ist derzeit nicht abschließend zu beurteilen, ob das in Rede stehende Grundstück verwertbar ist. Obwohl eine insoweit erforderliche umfassende Sachaufklärung damit im vorliegenden Verfahren untunlich ist, steht einer letztlich zugunsten des Antragstellers vorzunehmenden verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung entgegen, dass – anders als das Grundstück - das Kontoguthaben von mehr als 40.000,- EUR und die Berechtigung des Antragstellers daran jedenfalls beziffer- und auch verwertbar ist. Zwar stellt sich die Sachlage derzeit nach Angaben des Antragstellers so dar, dass sein Bruder D G als Miterbe das Kontoguthaben beanspruche und nicht bereit sei, den Differenzbetrag zum Wert des Grundstücks an den Antragsteller auszukehren. Er wirke auch an einer einvernehmlichen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nicht mit. Hieraus könnte sich ein tatsächliches Verwertungshindernis iSv § 12 Abs. 1 SGB II. (vgl BSG aaO Rn 35) ergeben, und zwar unabhängig davon, dass der Antragsteller den Auseinandersetzungsanspruch bislang nicht gerichtlich geltend gemacht hat. Auch der Antragsteller hat jedoch, wie sich seinem Schreiben an den Antragsgegner vom 20. November 2019 entnehmen lässt, nach der augenscheinlichen Weigerung seines Bruders, die vorgeschlagene Erbaufteilung (vgl ebenda Variante 2) durchzuführen, die weitere Erbauseinandersetzung nicht betrieben, sondern ist vielmehr – jedenfalls nach seinen Angaben - in das auf dem geerbten Grundstück befindliche Gebäude gezogen. Da das Grundstück dem Gesamthandsvermögen unterfällt, ist nicht erkennbar, dass damit noch von einem ernsthaften Betreiben der Erbauseinandersetzung auszugehen wäre. Hierfür spricht auch, dass der Antragsteller trotz mehrfacher Hinweise des Antragsgegners eine gerichtliche Teilungsversteigerung (vgl §§ 180 ff Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung) bzw eine gerichtliche Teilauseinandersetzung nicht einmal ernsthaft in Erwägung gezogen hat bzw zieht, zumal auch für derartige Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ein entsprechendes Verfahren kein (bereits) anhän-giges Klageverfahren voraussetzt. Dass für Grundstücke der hier in Rede stehenden Art kein Markt existiere, ist weder vorgetragen noch belegt, wobei hier vorläufig von dem vom Gutachterausschuss für Grundstückswerte des Landkreises Uckermark am 20. Juni 2019 ermittelten Gesamtwert von 25.000,- EUR auszugehen ist.

Der Antragsteller ist auch nicht am freihändigen Verkauf bzw der Verpfändung seines Anteils am Nachlass als einem Inbegriff von Rechten und Pflichten (also seiner ideel-len quotale Berechtigung am Gesamthandsvermögen, nicht am konkreten einzelnen Nachlassgegenstand) nach § 2033 Abs. 1 BGB gehindert. Insoweit besteht auch ein Markt für Erbanteilskäufe (vgl die entsprechenden Internetauftritte). Dass der Antragsteller sich um eine solche Verwertung, in Gestalt eines freihändigen Verkaufs oder einer Beleihung, auch nur bemüht hätte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat er die Verwertung des Erbanteils ausschließlich im Wege der (angestrebten vertraglichen) Erbauseinandersetzung betrieben und strebt insoweit letztlich die von ihm vorgeschlagene Lösung an, ohne Alternativen in Betracht zu ziehen.

In Bezug auf die Verwertung des Erbanteils kann der Senat derzeit keine durchgrei-fenden Gründe erkennen, die den Antragsteller bei anhaltender Weigerung des Mit-erben von einer Verpflichtung zur gerichtlichen Erbauseinandersetzung zumindest im hier streitbefangenen Zeitraum befreien würden bzw befreit hätten. Unterlässt ein gegebenenfalls Hilfebedürftiger einen solchen Schritt, kann dies nicht zu seinen Gunsten dazu führen, von einer Unverwertbarkeit des Vermögens auszugehen. Ist verwertbares Vermögen vorhanden, das auch nach konkreten Hinweisen der Behör-de auf die Folgen eines Unterlassens nicht verwertet wird, ist die Schutzposition aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz, die in dem Erfordernis der bereiten Mittel zum Ausdruck kommt, nicht berührt. Vielmehr ist es in die Eigenverantwortung der betroffenen Person gestellt, ob sie ihren zumutbaren Selbsthilfeobliegenheiten iS des § 2 SGB II zur Sicherung von dessen Nachrang durch Verwertungsbemühungen nachkommt und, solange die Verwertung nicht gelungen ist, darlehensweise Leistungen erhält, oder ob sie Verwertungsbemühungen unterlässt. Darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II können indes nicht dadurch erzwungen werden, dass die Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen unterlassen wird, obwohl es verwertbar ist (vgl BSG, Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 16/16 R = SozR 4-4200 § 9 Nr 16 – Rn 37 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Wegen mangelnder Erfolgsaussichten war die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zi-vilprozessordnung).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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