L 3 BA 20/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 R 751/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 BA 20/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2018 wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungs-verfahren. 3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch über die Feststellung von Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung für die Klägerin als Gesellschafter-Geschäftsführerin der Beigeladenen zu 1) in der Zeit ab dem 16. Oktober 2015 bis zum 31. Dezember 2016. Insoweit kommt es darauf an, ob die Sperrminorität, die der Klägerin nach § 7 des Gesellschaftsvertrages eingeräumt wurde, ihr eine so umfassende Rechtsmacht einräumte, dass sie trotz einer bloßen Beteiligung an der GmbH im Umfang von 25 % ihr nicht genehme Weisungen verhindern oder die Geschicke des Unternehmens bestimmen konnte.

Die Beigeladene zu 1) betrieb in der Rechtsform der GmbH Unternehmensberatung und die Vermittlung von Immobilien. Die Klägerin war ab dem 15. Juli 2013 Gesellschafterin der Bei-geladenen zu 1). Sie war mit einer Stammeinlage von 6.250 Euro (25%) am Stammkapital der Beigeladenen zu 1) in Höhe von insgesamt 25.000 Euro beteiligt. Den übrigen Anteil von 18.750 Euro (75%) hielt der weitere Gesellschafter und Geschäftsführer T ... Laut Gesellschaftsvertrag vom 5. Juni 2014 kamen die Beschlüsse der Gesellschafterver¬sammlung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen zustande, soweit nicht der Ge-sellschaftsvertrag oder das Gesetz zwingend eine andere Mehrheit vorgeschrieben hatten. Je ein Euro des Nennbetrages eines Geschäftsanteils gewährte eine Stimme. Mit notarieller Urkunde des Gesellschafterbeschlusses vom 16. Oktober 2015 wurde der Gesellschaftsver-trag dahingehend geändert, dass zwar weiterhin die Beschlüsse der Gesellschaft mit einfa¬cher Mehrheit zustande kamen, jedoch für verschiedene Beschlüsse 76 % der abgegebenen Stimmen erforderlich waren.

§ 7 Abs. 4 Gesellschaftsvertrag sieht seitdem eine 76%-Mehrheit vor für Beschlüsse betref-fend: - Änderungen der Satzung, - Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern, Liquidatoren und Proku-risten einschließlich der Entscheidung über die Vertretungsberechtigung sowie Abschluss, Beendigung und Änderung der Anstellungsverträge mit diesen, - Zustimmungen und Weisungen zu Geschäftsführungsmaßnahmen - Erlass, Änderung und Aufhebung einer Geschäftsordnung für die Geschäfts¬führung, - Feststellung des Jahresabschlusses und Ergebnisverwendung, - Ausschluss von Gesellschaftern nebst dessen Umsetzung, - Befreiung von einem etwaigen Wettbewerbsverbot, - die Bildung oder der Erwerb von sog. "eigenen Anteilen" und - Verlegung des Verwaltungssitzes und/oder des Ortes der Geschäftsleitung an einen anderen als den Satzungssitz.

Die Klägerin war zunächst vom 1. Juli 2013 bis zum 31. Dezember 2014 als Geschäftsführe¬rin ohne Alleinvertretungsmacht bei der Beigeladenen zu 1) tätig. Ab dem 1. Januar 2015 war die Klägerin alleinvertretungsberechtigte und vom Selbstkontrahierungsverbot nach § 181 BGB befreite Geschäftsführerin. Laut dem Geschäftsführervertrag vom 1. Januar 2015 war die Klägerin nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden. Allerdings durfte sie bestimmte Geschäfte nur nach vorheriger Zustimmung der Gesellschafterversammlung ausführen. Die Klägerin erhielt eine feste monatliche Vergütung in Höhe von 5.000 Euro, sowie eine Weih-nachtsgratifikation und erfolgsabhängige Tantiemen. Geschäftsführungs- und betriebsbe¬dingte Kosten und Aufwendungen, sowie Reisespesen wurden ihr durch die Beigeladene zu 1) ersetzt. Des Weiteren hatte sie Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von 30 Ar-beitstagen. Laut Angaben der Klägerin, wurden ihr ihre Bezüge nach Abzug der Lohnsteuer überwiesen. Seit dem 31. Dezember 2016 übt die Klägerin die Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsfüh-rerin bei der Beigeladenen zu 1) nicht mehr aus. Die Gesellschaft befindet sich seitdem in Liquidation. Die Klägerin ist seitdem weiter im ursprünglichen Geschäftsbereich selbständig tätig, allerdings allein und nicht mehr mit der Rechtsform einer GmbH.

Die Klägerin beantragte am 11. Mai 2015 bei der Beklagten die Feststellung, dass ihre Tätig-keit bei der Beigeladenen zu 1) ab dem 1. Januar 2015 keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gewesen sei.

Mit Anhörungsschreiben vom 20. November 2015 teilte die Beklagte mit, dass sie beabsich-tige, einen Bescheid über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung zu erlassen. Wei-terhin beabsichtige sie, in der ausgeübten Beschäftigung Versicherungspflicht zu verschiede-nen Zweigen der Sozialversicherung festzustellen.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2015 teilte die Klägerin daraufhin mit, dass ihrem Erachten nach die vorgelegten Unterlagen nicht korrekt gewertet worden seien. Sie habe durch die Änderung des Gesellschaftsvertrages eine Sperrminorität inne und Einfluss auf alle Belange der Gesellschaft. Sie habe damit Unternehmerstatus erlangt und sei nicht mehr sozialversi-cherungspflichtig.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2015 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin fest, dass ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) ab dem 1. Januar 2015 im Rahmen eines abhängi-gen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit rele¬vanten Tatsachen würden die Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprächen, überwiegen. Die Klägerin habe eine Sperrminorität für verschiedene Beschlüsse erhalten. Eine vollumfängliche Sperrminorität, welche für alle zu fassenden Beschlüsse gelte, sei nicht eingeräumt worden. Angesichts der Zahlung fester Bezüge trage die Klägerin kein eine selb-ständige Tätigkeit kennzeichnendes Unternehmerrisiko. Die zusätzlich gewährte Gewinnbe-teiligung in Form von Tantiemen führe zu keiner anderen Beurteilung. Hinsichtlich der Ar-beitszeit, des Arbeitsortes und der Ausübung der Tätigkeit sei ihr weitgehende Gestaltungs-freiheit belassen. Trotzdem bleibe die Arbeitsleistung fremdbestimmt, da sie sich in eine von der Gesellschafterversammlung vorgegebene Ordnung des Betriebes eingliedere. Die Wei-sungsgebundenheit verfeinere sich, wie bei Diensten höherer Art üblich, zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 12. Januar 2016 fristgerecht Widerspruch mit der Begründung, die Entscheidung der Beklagten beruhe auf einer fehlerhaften Gewich¬tung der Merkmale für eine selbständige Tätigkeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer Sperrminorität, die nicht auf alle Angelegenheiten der Gesellschaft Anwendung finde, sondern u.a. auf die Festlegung der Unternehmenspoli¬tik, die Änderung des Gesellschaftsvertrages sowie die Auflösung der Gesellschaft be¬schränkt sei, besitze keinen maßgeblichen Einfluss. Zur Beschlussfassung in der Gesell-schafterversammlung der Beigeladenen zu 1) sei grundsätzlich eine einfache Mehrheit erfor-derlich. Nur bestimmte Beschlüsse würden mit 76% der Stimmen gefasst.

Daraufhin hat die Klägerin am 4. Juli 2016 (Montag) Klage erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt. Sie hat zur Begründung ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren dahingehend ergän¬zt, dass das umfassende ihr zustehende Veto-Recht bereits mit Gesellschaftsbeschluss vom 2. Januar 2015 beschlossen worden sei und bereits ab diesem Zeitpunkt gelte. Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass die Sperrminorität nicht auf alle Angelegenheiten der Ge-sellschaft Anwendung finde. Sie verkenne, dass Weisungen der Gesellschafterversammlung zu Geschäftsführungsmaßnahmen sowie der Erlass, die Änderung und Aufhebung einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführung stets der Zustimmung der Klägerin bedürften.

Die Beklagte hat im Klageverfahren auf ihre Ausführungen im Ausgangs- und Widerspruchs-bescheid verwiesen.

Mit Urteil vom 15. Oktober 2018 hat das Sozialgericht Hamburg der Klage für die Zeit ab 16. Oktober 2015 stattgegeben, sie im Übrigen abgewiesen. Die Klägerin sei ursprünglich versi¬cherungspflichtig beschäftigt gewesen, jedoch seit dem 16. Oktober 2015 hätten die Gesichts¬punkte, die für eine selbständige Tätigkeit sprächen, überwogen. Die Klägerin sei ab dieser Zeit in der Lage gewesen, ihr nicht genehme Weisungen der Gesellschaft zu unter-binden und verfügte daher über eine umfassende Sperrminorität. Zwar sei sie am Stammka-pital der Beigeladenen zu 1) in Höhe von 25.000 Euro (nur) mit einer Stammeinlage von 6.250 Euro (25%) beteiligt gewesen, jedoch sei im Gesellschaftsvertrag der Beigeladenen zu 1) ab dem 16. Oktober 2015 geregelt gewesen, dass Beschlüsse der Gesellschafterver¬sammlung nur mit einer einfachen Mehrheit zustande kämen, soweit nicht das Ge¬setz zwin¬gend oder der Gesellschaftsvertrag ausdrücklich etwas anderes bestimmten. Die Aufzählung der Be¬schlüsse im Gesellschaftsvertrag, für die eine 76%-Mehrheit erforderlich gewesen sei, sei so umfassend, dass die Klägerin hierdurch jede ihr nicht genehme Weisung habe verhin¬dern können und so die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich habe beeinflus¬sen können. So sei die 76%-Mehrheit für die Änderung der Satzung, die Abberufung und Bestellung von Ge-schäftsführern, Liquidatoren und Prokuristen einschließlich der Entschei¬dung über die Ver-tretungsberechtigung sowie Abschluss, Beendigung und Änderung der Anstellungsver¬träge, Zustimmungen und Weisungen zu Geschäftsführungsmaßnahmen, Erlass, Änderung und Aufhebung einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführung, die Feststellung des Jah¬res-abschlusses und die Ergebnisverwendung und die Verlegung des Verwaltungssitzes und/oder des Ortes der Geschäftsleitung an einen anderen als den Sat¬zungssitz erforderlich. Umstände, die für diesen Zeitraum für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sprä¬chen, lägen nicht vor.

Gegen diese ihr am 13. November 2018 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte fristge¬mäß am 27. November 2019 Berufung eingelegt. Die Klägerin sei auch über den 15. Oktober 2015 hinaus als Gesellschafter-Geschäftsführerin in einer abhängigen Beschäftigung geblie¬ben, denn entgegen der Auffassung des Sozialgerichts habe sie als Minderheitsgesellschaf¬terin keine echte/umfassende Sperrminorität inne gehabt. Sie habe die Geschicke der Ge¬sellschaft nicht umfassend bestimmen können, da die Beschlüsse grundsätzlich noch mit einfacher Mehrheit zustande gekommen seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2018 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2018 zurückzuweisen

Sie hat die Auffassung vertreten, die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffend, denn die vereinbarte Sperrminorität sei eine umfassende, weil davon insbesondere sämtliche Wei-sungen und Zustimmungen zur Geschäftsführung betroffen gewesen seien.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Prozessakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Betei¬ligten ihr Einver¬ständnis hiermit erklärt haben (§ 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht teilweise stattgegeben. Die Tätigkeit der Klägerin als Gesellschafterin-Geschäftsführerin für die Zeit ab dem 16. Oktober 2015 bis zum 31. De-zember 2016 unterlag nicht der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung, Arbeitslo-senversicherung und Kranken- und Pflegeversicherung (§ 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB VI), § 25 Absatz ein Satz 1 Sozialgesetzbuch-Drittes Buch (SGB III) für die Arbeitsförderung, § 5 Abs.1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V) für die Krankenversicherung und § 20 Abs. 1 und Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Elftes Buch (SGB XI) für die Pflegeversicherung), denn es handelte sich um eine selbstständige Tätig¬keit. Der angefochtene (Feststellungs-) Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2016 ist insoweit zutreffend korrigiert wor¬den.

Rechtsgrundlage der Entscheidung über den von der Klägerin gestellten Antrag auf Status-feststellung ist § 7a Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch – Viertes Buch (SGB IV). Danach können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung der nach § 7a Abs. 1 S. 3 SGB IV zuständigen Beklagten beantragen, ob eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antrag-stellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Die Beklagte entscheidet aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Be-schäftigung vorliegt (§ 7a Abs. 2 SGB IV).

Beurteilungsmaßstab ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Eine Beschäftigung ist danach die nicht-selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Zur Abgrenzung zwischen einer abhängigen und einer selbständigen Beschäftigung hat die Rechtsprechung Kriterien herausgearbeitet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bun-dessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Ar-beitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerri-siko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekenn-zeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dabei ist das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tat¬sächlich vollzogen worden ist, ausschlaggebend. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinba-rungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hier¬aus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung ge¬hen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung des Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zu¬stehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Aus¬schlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgebend ist die Rechtsbezie¬hung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. BSG 30.4.13, B 12 KR 19/11 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 21; 29.8.12, B 12 KR 25/10 R, BSGE 111, 257; 28.5.08, B 12 KR 13/07 R, Die Beiträge Beilage 2008, 333; 22.6.05, B 12 KR 28/03 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 5; 12.2.04, B 12 KR 26/02 R, juris; grundlegend bereits BSG 1.12.77, 12/3/12 RK 39/74, BSGE 45, 199). Vornehmlich bei Diensten höherer Art kann das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch eingeschränkt und "zur dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein, wenn der Versicherte nur in den Betrieb eingegliedert ist (vgl. BSG 18.12.01, B 12 KR 8/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 19).

Diese Grundsätze gelten auch zur Beurteilung, ob der geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH zu dieser in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Dies ist neben seiner gesell-schaftsrechtlichen Stellung möglich (BSG 25.1.2006, B 12 KR 30/04 R, juris). Ein Gesell-schafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Ge-sellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesell-schafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können (vgl. BSG 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R, BSGE 119, 216 und 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 28). Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50% der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapital¬beteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist grundsätzlich ab¬hängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50% der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Denn der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Ge-sellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesell-schafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine "unechte", auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (BSG 14.3.2018, B 12 KR 13/17 R, BSGE 125, 183).

Zu Recht hat das Sozialgericht eine qualifizierte Sperrminorität angenommen. Diese Ein-schätzung teilt der Senat und geht deswegen in der Gesamtschau von einer selbständigen Tätigkeit aus. Nach § 37 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) sind die Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die Beschrän-kungen einzuhalten, welche u.a. durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind. Dies bedeutet eine umfassende und grundsätzliche Weisungsunterworfenheit der Ge-schäftsführer gegenüber den Gesellschaftern der GmbH. Die Satzung der GmbH kann je¬doch hiervon abweichende Regelungen treffen (Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Auf¬lage, § 37 GmbHG Rdnr. 12 m.w.N.). Dies ist hier im Gesellschaftsvertrag zugunsten einer Sperrminorität für die Klägerin erfolgt. Das Bundessozialgericht stellt hohe Anforderungen an eine qualifizierte Sperrminorität. So ist es trotz einer Vielzahl von Handlungen, die ohne Zustimmung des be¬troffenen Gesell¬schafter-Geschäftsführers ausgeschlossen waren, in seiner Entscheidung vom 14. März 2018 noch nicht von einer echten Sperrminorität ausgegangen (vgl. B 12 KR 13/17 R, BSGE 125, 183 sowie Darlegung der einzelnen Regelungen im zugrundeliegenden Urteil des Lan-dessozialgerichts Berlin-Brandenburg 10.5.2017, L 1 KR 281/15, juris). Dabei ließ es das Bundessozialgericht nicht ausreichen, dass der Geschäftsführer seine Abberu¬fung sowie die Änderung seines Anstellungsvertrages verhindern und über seine Entlastung nicht ohne ein Einvernehmen mit ihm entschieden werden konnte. Vorliegend sind die von der Klägerin beeinflussbaren Entscheidungen jedoch weiter gehend. Zwar kann sie nicht gestaltend auf das Unternehmen ohne Zustimmung des weiteren Gesellschafters Einfluss nehmen, aber sie kann sich einer Änderung der Gesellschaft wirksam widersetzen, denn ohne ihre Zustim¬mung ist keine Änderung der Satzung möglich, darf kein (weiterer) Ge¬schäftsführer berufen werden, kann der Jahresabschluss nicht festgestellt und über die Er¬gebnisverwendung ent¬schieden werden und ist weder die Bildung oder der Erwerb von sog. "eigenen Anteilen" noch die Verlegung des Verwaltungssitzes und/oder des Ortes der Ge¬schäftsleitung zuläs¬sig. Lediglich in dem Fall, dass ein wichtiger Grund zum Ausschluss ihrer Person als Gesell¬schafterin vorliegen sollte, dürfte die vereinbarte Sperrminorität ins Leere laufen, weil der Gesellschaftsvertrag insoweit vorsieht, dass der betroffenen Gesellschafter nicht mitstimmen darf. Was aber nach Auffassung des Senats am stärksten für eine selb¬ständige Tätigkeit spricht ist der Umstand, dass die Klägerin jeglichen Einfluss auf ihre eige¬nen Handlungen und damit ihr nicht genehme Weisungen unterbinden kann. So kann ohne ihr Einverständnis keine Abberufung als Geschäftsführerin erfolgen, ihr Anstellungsvertrag weder gekündigt noch geändert und es kann die Geschäftsordnung (die ihre Tätigkeit im Einzelnen regelt) nicht geändert oder aufgehoben oder eine neue erlassen werden. Ohne ihr Einverständnis können keine Zustimmungen und auch keine Weisungen zu Geschäftsfüh¬rungsmaßnahmen erteilt werden. Da damit sämtliche Weisungen an sie als Geschäftsführe¬rin von ihrer Zu¬stimmung abhängen, ist sie in ihrer Tätigkeit letztlich weisungsunabhängig.

Die Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB spricht als Indiz für das Vor-liegen einer selbständigen Tätigkeit (vgl. BSG 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 28). Das gilt ebenso für die der Klägerin eingeräumten Alleinvertretungsbefugnis und die zu ihren Gunsten bestehenden Kapitalversicherung. Auch die fehlende Bindung an be¬stimmte Arbeitszeiten und erfolgsabhängige Tantiemen sind Gesichtspunkte, die für eine selbstän¬dige Tätigkeit sprechen. Zwar sprechen die feste monatliche Vergütung in Höhe von 5.000 Euro, die Weihnachtsgra-tifikation und der Ersatz von Geschäftsführungs- und betriebsbedingte Kosten und Aufwen-dungen sowie Reisespesen durch die Beigeladene zu 1) eher für eine abhängige Beschäfti-gung. Des Weiteren gilt dies ebenso für den Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen und den Umstand, dass laut Angaben der Klägerin ihr ihre Bezüge nach Abzug der Lohnsteuer überwiesen wurden. Insgesamt sind diese Gesichtspunkte jedoch nicht geeignet, eine aufgrund der qualifizierten Sperrminorität anzunehmende selbständige Tätigkeit in Frage zu stellen.

Da vorliegend ab 16. Oktober 2015 eine abhängige Beschäftigung nicht (mehr) gegeben war, bestand auch keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts¬streits in der Hauptsache. Gegenüber den Beigeladenen kommt eine Kostenerstattung nicht in Betracht.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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