L 4 AY 3/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 AY 57/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AY 3/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. April 2017 abgeändert und wie folgt neu gefasst: Der Bescheid vom 11. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2010 wird abgeändert und die Beklagte unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, der Klägerin zu 1. für den Zeitraum vom 11. Februar 2008 bis zum 30. November 2009 sowie der Klägerin zu 2. für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 30. November 2009 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerinnen auf höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum vom 11. Februar 2008 bis zum 30. November 2009.

Die am 7. August 1984 in Kotor, Montenegro (ehemals Jugoslawien), geborene Klägerin zu 1. hat nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie ist Mutter von acht Kindern, die 1998 (S.), 1999 (M.), 2001 (St.), 2002 (D.), 2005 (I.), 2008 (P.), 2015 (Zeynep) und 2018 (Shirin) geboren wurden. Die Töchter I. und P., die Klägerinnen zu 2. und 3., lebten im streitgegenständlichen Zeitraum bei ihr. Die vier ältesten Töchter lebten jedenfalls seit September 2006 in einem Kinderhaus in. Die Töchter S. und M. sind gehörlos.

Die Klägerin zu 1. reiste im Juni 1999 im Alter von 14 Jahren zusammen mit Herrn B. (geb. 31.3.1979), mit dem sie nach Roma-Sitte verheiratet war, und ihrer damals 10 Monate alten ältesten Tochter S. nach Deutschland ein. Sie beantragte bei der Ausländerbehörde der Beklagten eine Duldung und gab dabei an, die jugoslawische Staatsangehörigkeit zu besitzen und weder einen Pass oder sonstigen Reiseausweis zu haben. Mit eingereicht wurde eine am 7. April 1999 in Cetinje (Montenegro) ausgestellte, nicht übersetzte Geburtsurkunde der Klägerin. Der Klägerin zu 1. wurde daraufhin eine Duldung erteilt, die befristet war und mehrfach verlängert wurde. Auch ihre Kinder erhielten Duldungen.

Nachdem der bis 2002 geltende Abschiebestopp nach Ex-Jugoslawien beendet worden war, forderte die Ausländerbehörde mit Bescheid vom 17. Oktober 2002 die Klägerin zu 1. und ihre Tochter S. zur Ausreise auf und drohte für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Jugoslawien an. Die Ausländerbehörde forderte die Klägerin zu 1. und ihre Kinder außerdem mit Schreiben vom gleichen Tag dazu auf, innerhalb von 14 Tagen einen Nationalpass, ein anderes anerkanntes Ausweispapier oder den Nachweis über die Beantragung eines Passes oder Ausweispapieres vorzulegen. Mit Schreiben ihres damaligen Bevollmächtigten vom 30. Oktober 2002 teilte dieser mit, er überreiche "eine Bescheinigung des Konsulats über die Beantragung von Passersatzpapieren. Beigefügt war ein Informationsblatt des jugoslawischen Konsulats in dem mitgeteilt wurde, dass für die Erstellung eines Passersatzpapiers folgende Unterlagen vorzulegen seien: Reisepass oder Personalausweis, Bescheinigung über die jugoslawische Staatsangehörigkeit und drei Fotos. Auf diesem Blatt waren der Name und das Geburtsdatum der Klägerin zu 1. vermerkt, dazu "+ 4 Kinder".

Im Dezember 2002 richtete die Ausländerbehörde ein Übernahmeersuchen betreffend die Klägerin zu 1. und ihre vier Kinder an das Innenministerium in Belgrad. Dem Ersuchen war die von der Klägerin zu 1. bei der erstmaligen Beantragung einer Duldung vorgelegte Geburtsurkunde beigefügt worden. In der Folgezeit wurden der Klägerin zu 1. weiter Duldungen erteilt, da zunächst keine Antwort auf das Übernahmeersuchen erging. Am 15. Januar 2004 erließ die Ausländerbehörde eine erneute Abschiebungsankündigung, die aber nicht umgesetzt wurde. Im Juni 2004 sprach die Klägerin zu 1. bei einer Beratungsstelle der Flüchtlingshilfe vor und beantragte mit deren Hilfe beim Bezirksamt Wandsbek die Übernahme von Gebühren für vom Generalkonsulat auszustellende Ersatzpässe für sich, ihren Ehemann und vier Kinder. Am 2. Juli 2004 ging bei der Ausländerbehörde die Antwort der Republik Montenegro auf das Rücknahmeersuchen ein. Diese teilte mit, es bestehe keine Pflicht zur Rückübernahme der Klägerin zu 1. und ihrer Kinder. Man sei nicht in der Lage, die Identität und Staatsangehörigkeit der Betroffenen zu bestätigen. Sie seien nicht im Staatsangehörigkeitsregister der Gemeinde Cetinje eingetragen. Es sei auch kein Identifikationsdokument seitens der Republik Montenegro oder der Gemeinde Cetinje ausgestellt worden. Die Eltern der Klägerin zu 1. seien Staatsangehörige der Republik Serbien. Daraufhin erhielt die Klägerin zu 1. wiederum Duldungen. Mit Schreiben vom 10. Januar 2005 kündigte die Ausländerbehörde erneut die Abschiebung an. Herr B. verließ Deutschland offenbar im Februar 2005. Der Klägerin zu 1. wurden auch in der Folgezeit Duldungen erteilt. Die ab Juli 2005 erteilten Duldungen enthielten z.T. den Hinweis "Personalien sind nicht nachgewiesen, sondern beruhen lediglich auf den Angaben des/der Betroffenen" und manchmal "Soll sich um Dokumente kümmern. Betr. wurde zur Passbeschaffung aufgefordert" bzw. "Keine Dokumente" (S. 105 Ausländerakte).

Mit Schreiben vom 17. Januar 2007 beantragte der damalige Bevollmächtigte der Klägerin zu 1. für diese und ihre inzwischen fünf Kinder Aufenthaltsgenehmigungen. Er wies unter anderem darauf hin, dass die Klägerin zu 1. keinen Pass beschaffen könne, weil sie nicht in das Geburtenregister eingetragen sei und ein nachträglicher Eintrag mangels lebender Zeugen ihrer Geburt nicht möglich sei. Auf den der Klägerin in der Folgezeit erteilten Duldungen ist z. T. wiederum vermerkt, dass die Klägerin zu 1. auf ihre Passpflicht hingewiesen und aufgefordert worden sei, einen Pass vorzulegen.

Mit Bescheid vom 26. April 2007 lehnte die Ausländerbehörde den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 17. Januar 2007 für die Klägerin zu 1. und ihre fünf Kinder ab. Zur Begründung berief sich die Ausländerbehörde auf die Weisung der Behörde für Inneres Nr. 1/2006 vom 29. November 2006, mit der die von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren am 17. November 2006 beschlossenen Regelungen für ein Bleiberecht für wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige Ausländer umgesetzt worden seien. Nach dieser Weisung scheide die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus, wenn die Aufenthaltsbeendigung von den Betroffenen vorsätzlich hinausgezögert oder behindert oder die Ausländerbehörde über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht worden sei. Eine vorsätzliche Verzögerung oder Behinderung der Aufenthaltsbeendigung liege u.a. bei Passlosigkeit vor, insbesondere wenn diese Passlosigkeit der Betroffene selbst zu verantworten habe. Dies sei bei der Klägerin zu 1. und ihren Kindern der Fall. Sie seien regelmäßig aufgefordert worden, sich um Dokumente bzw. Identitätsnachweise zu bemühen. Bis zum heutigen Tag hätten sie keine Unterlagen vorgelegt. Wenn ein Ausländer sich darauf berufe, dass ihm kein Pass ausgestellt werde, so habe er Nachweise beizubringen, dass die Ausstellung des Passes aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen verweigert werde.

Die Klägerin zu 1. und ihre Kinder erhielten seit der Einreise nach Deutschland bzw. seit der Geburt Leistungen nach § 3 AsylbLG von der Beklagten. Die Leistungen für die Klägerin zu 1. wurden im Zeitraum vom 1. Juli 2003 bis zum 31. Oktober 2007 nach § 1a AsylbLG eingeschränkt, zunächst um 20,45 Euro, ab dem 1. September 2005 um 40,90 Euro.

Per Email vom 2. November 2007 und Schreiben vom 6. November 2007 wandte sich das Fachamt Jugend- und Familienhilfe an die Grundsicherungs- und Sozialabteilung der Beklagten und bat um Überprüfung der Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG sowie der Frage, ob ein Anspruch auf Analogleistungen nach § 2 AsylbLG vorliege. Das Fachamt Grundsicherung und Soziales bat mit Schreiben vom 6. November 2007 die Ausländerbehörde um Mitteilung, ob aufenthaltsbeendende Maßnahmen vollzogen werden könnten bzw. welche Gründe dem Vollzug ggf. entgegenstünden und ob eine freiwillige Rückkehr ins Heimatland möglich sei. Am 7. November 2007 wandte sich die Grundsicherungs- und Sozialabteilung erneut schriftlich an die Ausländerbehörde und teilte mit, der Leistungsanspruch der Klägerin zu 1. werde bereits seit 2003 nach § 1a AsylbLG eingeschränkt. Es lägen leider keine Unterlagen der Ausländerbehörde als Nachweis vor, sodass die Leistungseinschränkung nunmehr habe aufgehoben werden müssen. Da auch ein Antrag auf Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG vorliege, werde um Mitteilung gebeten, ob die Klägerin zu 1. den Mitwirkungspflichten nachkomme. Auf dem Schreiben ist handschriftlich – offenbar von einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde – vermerkt "Die Betr. ist bis heute der Mitwirkungspflicht bzgl. der Passbeschaffung nicht nachgekommen. Wir müssen davon ausgehen, dass sie falsche Personalien angegeben hat, ihre Identität verschleiert".

Mit Schreiben vom 26. November 2007 teilte die Ausländerbehörde dem Fachamt Grundsicherung und Soziales mit, dass nach Durchsicht der Ausländerakte aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten, da keinerlei Personaldokumente vorlägen. Einer freiwilligen Ausreise stünde nichts im Wege. Die Grundsicherungs- und Sozialabteilung fragte per Email vom 28. November 2007 bei der Ausländerbehörde nach, ob die Klägerin zu 1. selbst für die Hinderung der aufenthaltsbeenden Maßnahmen verantwortlich sei, ob sie beim Versuch, die erforderlichen Papiere zu beschaffen mitwirke, und ob überhaupt Möglichkeiten für die Klägerin zu 1. bestünden, die Papiere zu besorgen. Mit Schreiben vom 21. Januar 2008 fragte das Fachamt Jugend- und Familienhilfe beim Grundsicherungs- und Sozialamt nach dem Stand der Entscheidungsfindung hinsichtlich der Analogleistungen nach § 2 AsylbLG. Mit Schreiben vom 5. Februar 2008 teilte die Ausländerbehörde der Grundsicherungs- und Sozialabteilung mit, die Klägerin zu 1. sei verpflichtet, für sich und die Kinder einen Pass zu beschaffen bzw. eine gültige Staatsangehörigkeitsurkunde vorzulegen. Trotz mehrfacher Aufforderung sei die Klägerin zu 1. dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Der Klägerin zu 1. sei es auch durchaus zuzumuten, das Bundesgebiet mit den Kindern freiwillig zu verlassen. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin zu 1. auf Leistungen nach § 2 AsylbLG mit Bescheid vom 11. Februar 2008 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass es der Klägerin zu 1. nach Auskunft der Ausländerabteilung möglich und zumutbar sei, in ihr Heimatland auszureisen. Die Klägerin zu 1. widersprach dem Ablehnungsbescheid mit Schreiben vom 19. Februar 2008.

Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 11. Februar 2008 bis zum 30. November 2009 erhielten die Klägerinnen Leistungen nach § 3 AsylbLG. Dabei wurden die Leistungen z.T. ohne Bescheid gewährt. Bescheide ergingen am 16. April 2008 für den Monat Mai 2008, am 2. Mai 2008 für den Monat Juni 2008, am 11. Juni 2008 für den Monat Juli 2008, am 30. September 2008 für den Monat Oktober 2008, am 27. November 2008 für den Monat Dezember 2008, am 19. Dezember 2008 für den Monat Januar 2009, am 30. Januar 2009 für den Monat Februar 2009, am 18. Mai 2009 für den Monat Juni 2009 und am 16. Juli 2009 für den Monat August 2009.

Die Ausländerbehörde schrieb unter dem 19. März 2008 erneut das Grundsicherungs- und Sozialamt an und teilte mit, es sei der Klägerin zu 1. zumutbar, für sich und ihre Kinder Ausweisdokumente zu beschaffen und auszureisen. Bislang sei die Klägerin zu 1. dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Eine Ausreise in ihr Heimatland sei jederzeit möglich.

Am 10. Juni 2008 beantragte der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu 1. für diese und ihre Kinder erneut die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Er wies darauf hin, dass die Klägerin zu 1. bereits zwischen 2002 und 2004 mehrere aktenkundige erfolglose Versuche unternommen habe, die Ausstellung von Personaldokumenten zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, warum ein späterer Versuch zu einem anderen Ergebnis führen sollte. Gleichwohl werde die Klägerin zu 1. einen weiteren Anlauf unternehmen, Ergebnisse werde sie zu gegebener Zeit vorlegen.

Mit Schreiben vom 8. September 2008 forderte die Ausländerbehörde den Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen auf, einen Reise- oder Nationalpass der Klägerin zu 1. und deren Kinder vorzulegen. Vorgelegt wurde von dieser dann ein Mutterpass, wonach die Entbindung des sechsten Kindes Ende November 2008 zu erwarten war. Am 19. September 2008 wurde die Duldung bis 23. September 2008 verlängert, in der Ausländerakte ist vermerkt, dass die Klägerin zu 1. keinen ganzen Satz Deutsch und Nachfragen nach ihrem Pass nicht verstehe. Da eine Abschiebung ohne Identitätspapiere bis zum Entbindungstermin nicht mehr möglich sein werde, erhalte sie eine kurzfristige Duldung um nachzuweisen, dass sie einen Pass beim serbischen Konsulat beantragt habe – laut ihren eigenen Angaben komme sie aus Serbien. Am 23. September 2008 teilte Frau H., Mitarbeiterin des Jugendamts der Beklagten, der Ausländerbehörde per Email mit, die Klägerin zu 1. bemühe sich um ihre Passangelegenheit. Sie habe bereits in Ex-Jugoslawien notwendige Dokumente für die Passbeantragung besorgt und werde mit ihrer, Frau H.s, Unterstützung beim serbischen Konsulat in Hamburg den Pass beantragen. Der Kontakt mit dem Konsulat sei bekanntermaßen schwierig, die Ausländerbehörde werde deshalb gebeten, eine Bescheinigung darüber auszustellen, dass die Klägerin zu 1. bei Passvorlage eine Aufenthaltsgenehmigung erhalte. Die Ausländerbehörde erteilte am 23. September 2008 eine Bescheinigung zur Vorlage beim montenegrinischen Konsulat darüber, dass der Klägerin zu 1. und ihren fünf Kinder bei Vorlage von gültigen montenegrinischen Nationalpässen befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden könnten. Die Bescheinigung war bis zum 11. Dezember 2008 befristet.

Mit Schreiben vom 27. März 2009 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu 1. der Ausländerbehörde mit, die Klägerin zu 1. habe sich um Dokumente zum Identitätsnachweis aus ihrem Herkunftsland bemüht und bei der Vertretung Montenegros die Ausstellung von Pässen beantragt. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen. Er bitte um Aktualisierung der inzwischen abgelaufenen Bescheinigung vom 23. September 2008. Ferner bitte er um Nachricht, ob die inhaltliche Prüfung der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen im Übrigen – abgesehen von den vorzulegenden Nationalpässen – abgeschlossen sei bzw. um Mitteilung, welche Voraussetzungen hierfür noch nicht vorlägen.

Mit Schreiben vom 20. April 2009 wandte sich die Ausländerbehörde an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 1. und forderte diesen zur Vorlage von Meldebescheinigungen, Mietvertrag und zum Nachweis von Deutschkenntnissen der Klägerin zu 1 auf. Ferner wies sie darauf hin, dass die Klägerin zu 1. diverse Male zur Beschaffung eines Passes aufgefordert worden sei, bis heute aber nur eine Bescheinigung über die Vorsprache beim Serbischen Generalkonsulat vorgelegt worden sei. Dies sei kein ausreichender Nachweis darüber, dass die Klägerin zu 1. sich in der erforderlichen und zumutbaren Weise um die Ausstellung von Pässen für sich und ihre Kinder bemüht habe.

Der Bevollmächtigte der Klägerin zu 1. legte im Juni 2009 die Kopie eines am 19. Dezember 2008 ausgestellten montenegrinischen Passes der Klägerin zu 1. vor. Die Ausländerbehörde bescheinigte unter dem 8. Juni 2009, dass der Klägerin zu 1. sowie ihren inzwischen sechs Kindern bei Vorlage gültiger Nationalpässe der Kinder eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt werde.

Am 10. August 2009 erteilte die Ausländerbehörde der Klägerin zu 1. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die bis zum 9. Februar 2010 befristet war. Auch den Klägerinnen zu 2. und 3. wurden in der Folgezeit Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Mit Bescheid vom 13. August 2009 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1. die Leistungen nach dem AsylbLG ein mit der Begründung, dass die Klägerin zu 1. mit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in den Anwendungsbereich des SGB II falle. Jedenfalls seit Dezember 2009 erhalten die Klägerinnen Leistungen nach dem SGB II. Am 9. Februar 2010 wurde der Klägerin zu 1. eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 23 Abs. 1 AufenthG) erteilt.

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. Februar 2008 mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2010 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin zu 1. habe keinen Anspruch auf Analogleistungen gem. § 2 AsylbLG, weil sie die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst habe. Das rechtsmissbräuchliche Verhalten liege darin, dass die Klägerin trotz mehrfacher Aufforderung keine Pässe oder Staatsangehörigkeitsdokumente für sich und ihre Kinder beschafft habe.

Am 9. Juli 2010 hat die Klägerin zu 1. Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihr und den in ihrem Haushalt lebenden Kindern für den Zeitraum vom 11. Februar 2008 bis zum 30. November 2009 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass ihr kein sozialwidriges Verhalten anzulasten sei. Hierfür genüge es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17.6.2008 – B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 32) nicht, dass die Dauer des Aufenthalts auf Gründen beruhe, die in der Verantwortungssphäre des Hilfesuchenden liegen. In objektiver Hinsicht setze der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes sozialwidriges Verhalten voraus, dem zudem ein erhebliches Gewicht zukommen müsse. Daneben sei in subjektiver Hinsicht vorsätzliches Handeln erforderlich, und zwar sowohl bezüglich der tatsächlichen Umstände als auch bezüglich der Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin zu 1. nicht erfüllt. Sie habe sich jedenfalls seit August 2008 um die Ausstellung von Personendokumenten bemüht. Diese Bemühungen seien dann auch erfolgreich gewesen, seit dem 19. Dezember 2008 sei sie im Besitz eines montenegrinischen Reisepasses. Jedenfalls ab August 2008 fehle es daher schon an einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten. Aber auch für die Zeit davor müsse sich die Klägerin zu 1. kein sozialwidriges Verhalten vorwerfen lassen. Sie habe keine falschen Angaben zu ihrer Identität gemacht und bereits mit ihrem ersten Antrag auf Erteilung einer Duldung eine Geburtsurkunde eingereicht. Einen eigenen Reisepass habe sie nicht gehabt. Soweit die Beklagte der Klägerin zu 1. mangelnde Mitwirkung bei der Passbeschaffung vorwerfe, sei dem entgegenzuhalten, dass die Beklagte die Klägerin zu 1. nicht konkret auf die leistungsrechtlichen Folgen der Verletzung ihrer Mitwirkungspflichten hingewiesen habe. Da die Klägerin zu 1. Analphabetin sei und nur schlecht deutsch spreche, sei davon auszugehen, dass sie etwaige Aufforderungen der Ausländerbehörde gar nicht verstanden habe. Eine schriftliche Aufforderung sei soweit ersichtlich nur einmal im Oktober 2002 ergangen; auf diese habe die Klägerin zu 1. mit einem – wenn auch erfolglosen – Antrag beim Generalkonsulat reagiert. Ansonsten seien Aufforderungen offensichtlich jeweils nur mündlich anlässlich der Duldungsverlängerungen ergangen. Dass die Klägerin zu 1. auf die Folgen einer mangelnden Mitwirkung hingewiesen wurde, sei nicht dokumentiert. Im Übrigen sei die Klägerin zu 1. durchaus auch über die Vorsprache beim Generalkonsulat hinaus bemüht gewesen. Als Analphabetin sei sie zur Stellung schriftlicher Anträge aber nicht in der Lage gewesen. Sie habe sich aber um Unterstützung Dritter gekümmert, z.B. der Jugend- und Familienhilfe. Aus der Ausländerakte ergebe sich ferner, dass die Klägerin zu 1. im Juni 2004 über das Büro der Flüchtlingshilfe Zuschüsse für erforderliche Gebühren beantragt habe. Ferner müsse sie später nochmals Kontakt zum Generalkonsulat gehabt haben, wo man ihr mitgeteilt habe, dass sie wegen Nichteintragung ins Register keinen Pass erhalten könne.

Abgesehen davon sei der Klägerin zu 1. jedenfalls kein vorsätzliches Verhalten vorzuwerfen. Dagegen sprächen schon die schlechten Deutschkenntnisse und das begrenzte Einsichtsvermögen der Klägerin zu 1. Im Übrigen sei ein etwaiges Fehlverhalten nicht kausal für die Dauer des Aufenthalts: Die Klägerin zu 1. sei zunächst bis zum Oktober 2002 wegen des allgemeinen Abschiebestopps bezüglich des damaligen Jugoslawiens geduldet worden. Zwei in Deutschland lebende Töchter der Klägerin zu 1. seien gehörlos; eine Abschiebung der Kinder sei ausgeschlossen gewesen, da diese sich in Jugoslawien aufgrund der Unterschiede zwischen der dortigen und der deutschen Gebärdensprache nicht hätten verständigen können. Alle Kinder seien in Deutschland gut integriert, besuchten die Schule und sprächen – mit Ausnahme der beiden gehörlosen Töchter – die deutsche Sprache. Sie seien daher als faktische Inländer zu betrachten. Es sei zudem davon auszugehen gewesen, dass ihre Integration in Montenegro scheitern würde, da sie mit den dortigen Lebensverhältnissen nicht vertraut seien, die Sprache nicht bzw. nur rudimentär sprächen und von der Mutter nicht die erforderliche Unterstützung erhalten könnten. Eine Abschiebung der Kinder hätte daher zu keinem Zeitpunkt erfolgen dürfen. Infolge dessen hätte auch die Klägerin nicht abgeschoben werden dürfen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, für die Zeit vom 11. Februar 2008 bis Ende Juli 2008 sei weder aus der Akte erkennbar noch klägerseits vorgetragen, dass es konkrete Belege für etwaige Bemühungen der Klägerin zu 1. um eine Passerlangung gäbe. Die fehlende Mitwirkung sei der Klägerin zu 1. auch subjektiv vorwerfbar, sie habe insoweit vorsätzlich gehandelt. Spätestens seit 2002 sei ihr bewusst gewesen, dass sie zur Beschaffung von Passpapieren verpflichtet sei. Dies folge bereits aus ihrer entsprechenden Vorsprache beim Konsulat. Soweit die Klägerin zu 1. auf mangelnde Sprachkenntnisse verweise, sei dem entgegenzuhalten, dass es ihr gelungen sei, sich der Unterstützung anderer zu bedienen. Sie sei zudem seit Januar 2007 anwaltlich vertreten gewesen. Das rechtsmissbräuchliche Verhalten habe sich auch auf die Aufenthaltsdauer niedergeschlagen. Soweit die Klägerin zu 1. darlege, sich ab August 2008 erfolgreich um einen Pass bemüht zu haben, folge hieraus kein Anspruch auf Analogleistungen für die Zeit ab August 2008. Die Rechtsfolge des vorangegangenen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sei grundsätzlich irreversibel. Maßgebend sei allein der Zusammenhang zwischen der gesamten Dauer des Aufenthalts und dem Fehlverhalten, unabhängig davon, ob dieses einmalig oder auf Dauer angelegt gewesen sei oder sich wiederholt habe.

Mit Urteil vom 24. April 2017 (ohne mündliche Verhandlung) hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, den Klägerinnen unter Abänderung des Bescheides vom 11. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2010 für die Zeit vom 11. Februar 2008 bis zum 30. November 2009 Analogleistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren.

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerinnen hätten einen Anspruch auf die begehrten Analogleistungen. Es stehe fest, dass die Klägerinnen bereits im Februar 2008 die geforderte 48monatige Vorbezugszeit von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erfüllt hätten. Das Gericht sei ferner der Überzeugung, dass sie ihren Aufenthalt im Land nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst hätten. Der Begriff der Rechtsmissbräuchlichkeit sei im AsylbLG nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des BSG enthalte er eine objektive und eine subjektive Komponente. Das inkriminierte Verhalten müsse (objektiv) generell geeignet sein, die Aufenthaltsdauer überhaupt beeinflussen zu können, und es müsse (subjektiv) vor allem unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes solchen Gewichts ("unentschuldbar") sein, dass der Ausschluss privilegierter Leistungen gerechtfertigt sei. Im Fall der Klägerin zu 1. fehle es an der subjektiven Komponente. Von Vorsatz könne nur ausgegangen werden, wenn dem Hilfeempfänger das rechtmäßige Alternativverhalten bekannt gewesen sei und er darüber hinaus gewusst habe, welche Konsequenzen sein Fehlverhalten in leistungsrechtlicher Hinsicht haben würde. Entsprechende Hinweise müssten unmittelbar vom Leistungsträger kommen; Hinweise der Ausländerdienststelle reichten dafür nicht aus. Im vorliegenden Fall fehle es an einer konkreten, diesen Anforderungen genügenden Aufklärung der Klägerin zu 1. Soweit erkennbar, sei sie allenfalls durch die Ausländerbehörde auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen worden, nicht aber durch das Grundsicherungs- und Sozialamt. Zudem sei nicht klar, ob die Klägerin zu 1. aufgrund ihres persönlichen Hintergrundes in der Lage gewesen sei, entsprechende Hinweise zu verstehen. Bezüglich der beiden Töchter sei es darüber hinaus unzulässig, ihnen ein etwaiges Fehlverhalten der Mutter vorzuwerfen. Die Beklagte hätte daher prüfen müssen, ob den Töchtern selbst ein vorwerfbares Verhalten zur Last gelegt werden könne. Das sei soweit ersichtlich nicht erfolgt.

Das Urteil wurde der Beklagten am 11. Mai 2017 zugestellt. Am 8. Juni 2017 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung führt sie aus, entgegen der Annahme des Sozialgerichts habe die Klägerin zu 1. die Dauer ihres Aufenthalts sehr wohl rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Insbesondere sei auch die subjektive Komponente der Rechtsmissbräuchlichkeit gegeben. Die Klägerin zu 1. sei ihrer Verpflichtung aus § 15 Abs. 2 Nr. 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) nicht nachgekommen, wonach sie zur Vorlage ihres Passes oder Passersatzes bzw. zur Mitwirkung an der Beschaffung eines Identitätspapieres verpflichtet sei. Sie habe auch von dieser Pflicht gewusst. Die Ausländerbehörde habe die Klägerin zu 1. mehrfach auf ihre Verpflichtung hingewiesen. Diese Hinweise reichten auch aus, Hinweise durch die Sozialhilfebehörde seien nicht erforderlich. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Sozialleistungsträger keinen Zugriff auf die Ausländerakte habe und auf Angaben der Ausländerbehörde bezüglich der ausländerrechtlichen Mitwirkung angewiesen sei. Es sei nicht fachliche Aufgabe der Sozialämter, zu prüfen, welche konkreten Schritte zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung erforderlich seien. Für eine eigene ausländerrechtliche Prüfung durch die Sozialämter sei kein Raum. Eine eigenständige Prüfung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerinnen zu 2. und 3. sei nicht erforderlich, da diese asylbewerberleistungsrechtlich das Schicksal ihrer Mutter teilten. Im Übrigen verweist die Beklagte auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Nach Hinweis des Senats auf Zweifel an der Erfüllung der erforderlichen Vorbezugszeit hat sich die Beklagte weiter dahingehend eingelassen, dass für die Klägerin zu 3. die Vorbezugszeit im streitgegenständlichen Zeitraum gar nicht und für die Klägerin zu 2. jedenfalls nicht vor Mai 2009 erfüllt gewesen sei. Die Voraussetzung der Erfüllung der Vorbezugszeit gelte auch für minderjährige Kinder, die in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern oder einem Elternteil leben. Auch für die Klägerin zu 1. liege die Vorbezugszeit nicht vor. In der Zeit vom 1. Juli 2003 bis zum 31. Oktober 2007 seien ihre Leistungen nach § 1a AsylbLG eingeschränkt gewesen. Dieser Zeitraum müsse bei der Berechnung der Vorbezugszeit außer Betracht bleiben. Außerdem habe die Leistungseinschränkung die Folge, dass die Frist für die Vorbezugszeit danach neu zu laufen begonnen habe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. April 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen

Die Klägerinnen beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweisen auf die Gründe des angefochtenen Urteils und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend tragen sie vor, es bestünden bereits Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des Anspruchs auf Analogleistungen. Die Klägerin zu 1. erfülle die erforderliche Vorbezugszeit. Hinsichtlich der in Deutschland geborenen Klägerinnen zu 2. und 3. könne eine eigenständige Erfüllung der Vorbezugszeit nicht verlangt werden, da sich ihr aufenthaltsrechtliches Schicksal nicht von dem der Mutter trennen lasse und insofern insgesamt für alle Klägerinnen nicht mehr von einem Kurzaufenthalt auszugehen gewesen sei. Ferner hätten unabhängig von dem Vorhandensein von Passpapieren Duldungsgründe vorgelegen, insbesondere in Bezug auf die Gehörlosigkeit der 1998 und 1999 geborenen Töchter S. und M. und die gute Integration aller Kinder in Deutschland.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf das Sitzungsprotokoll und den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

I. Klägerin und Berufungsbeklagte sind neben der Klägerin zu 1. auch die beiden im streitgegenständlichen Zeitraum bei ihr lebenden Töchter I. und P., die Klägerinnen zu 2. und 3. Auch wenn diese nicht im Aktivrubrum des erstinstanzlichen Verfahrens geführt wurden, ergibt sich ihre Klägerinnenstellung doch aus der Klagschrift. Mit dieser wurde der Antrag formuliert, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin zu 1. Leistungen nach § 2 AsylbLG "für sie selbst und die in ihrem Haushalt lebenden Kinder" – das waren die Klägerinnen zu 2. und 3. – zu bewilligen. Dementsprechend wurde die Beklagte zur Gewährung von Leistungen an die Klägerin zu 1. und die beiden Töchter I. und P. verpflichtet.

II. Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Die Berufung ist teilweise begründet; zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage vollen Umfangs stattgegeben.

1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. In zeitlicher Hinsicht ist zulässiger Streitgegenstand der vom Klagantrag umfasste Zeitraum vom 11. Februar 2008 bis zum 30. November 2009. Der Ablehnungsbescheid vom 11. Februar 2008 bestimmt keinen zeitlichen Geltungsbereich. Er bezieht sich in jedem Fall auf den bei Erlass laufenden Bewilligungszeitraum, also den Monat Februar 2008. Daneben sind auch die Folgezeiträume bis Ende November 2010 in das Widerspruchsverfahren – und damit auch das folgende Klageverfahren – einbezogen, und zwar unabhängig davon, ob für sie Bewilligungsbescheide erlassen wurden oder ob die Bewilligung konkludent durch Auszahlung der Leistungen erfolgte. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 17.6.2008 – B 8 AY 11/07 R – und vom 9.12.2016 – B 8 SO 14/15 R) werden jedenfalls für die Zeit bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids ausdrückliche bzw. konkludente Bewilligungsbescheide, die Folgezeiträume betreffen, in analoger Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Insoweit gelte nicht der von der Rechtsprechung angeführte Einwand fehlender Prozessökonomie, weil bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides die Verwaltung ohnedies das Verfahren in der Hand behalte und auch ohne weiteres alle bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides ergangenen Bewilligungen überprüfen könne und müsse. Der Widerspruchsbescheid erging hier erst am 3. Juni 2010 und damit nach Ende des Zeitraums, für den Ansprüche geltend gemacht werden.

2. Die Klage ist nur teilweise begründet. Der Bescheid vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Juni 2010 ist nicht vollen Umfangs rechtswidrig. Nicht alle drei Klägerinnen haben für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG in der hier maßgebenden, bis 28. Februar 2015 geltenden Fassung vom 19. August 2007 (a.F.).

Einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. haben diejenigen Leistungsberechtigten, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben. Nach § 2 Abs. 3 AsylbLG a.F. erhalten minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, Analogleistungen nur, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Analogleistungen erhält.

Unstreitig gehörten alle drei Klägerinnen im streitgegenständlichen Zeitraum zum Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, da sie sich als Ausländerinnen tatsächlich im Bundesgebiet aufgehalten haben und im Besitz von Duldungen nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) waren.

3. Die Klägerin zu 1. erfüllt für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum die weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen nach § 2 AsylbLG a.F.

a. Gegeben ist zunächst die sog. Vorbezugszeit, da die Klägerin zu 1. bei Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums bereits über eine Dauer von mehr als 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hatte.

Sie bezog vom 1. Juli 1999 bis zum 30. Juni 2003 und erneut ab November 2007 ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG, also insgesamt mehr als 48 Monate. Die zwischenzeitlich, nämlich für den Zeitraum vom 1. Juli 2003 bis zum 31. Oktober 2007, erfolgte Leistungsminderung nach § 1a AsylbLG a.F. ist – unabhängig von der Frage ihrer Rechtmäßigkeit – insofern unschädlich. Sie führt nicht dazu, dass die Frist für die Vorbezugszeit nach Ende der Leistungsminderung neu begonnen hat. Der abweichenden Auffassung der Beklagten vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Beklagte beruft sich insoweit auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 23. November 2007 (L 7 AY 5480/06) und einen Beschluss des OVG Niedersachsen vom 27. März 2001 (12 MA 1012/01). Diese Entscheidungen sind jedoch für die hiesige Fallkonstellation nicht einschlägig, sodass die zitierte Rechtsprechung die Auffassung der Beklagten nicht zu stützen vermag. Das LSG Baden-Württemberg hat in seinem Urteil unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des OVG Niedersachsen ausgeführt, dass die Vorbezugszeit zwar nicht ununterbrochen laufen müsse, jedoch neu beginne, wenn eine nachhaltige und tiefgreifende Unterbrechung vorliege. Eine solche sei auch dann gegeben, wenn während eines nur kurzfristigen Aufenthalts in einem Drittstaat ein Asylantrag gestellt werde. Das OVG Niedersachsen hat in dem zitierten Beschluss befunden, dass Unterbrechungen nur dann zum erneuten Anlauf der Frist führten, wenn sie mindestens 6 Monate dauerten und im Hinblick auf die der Vorschrift auch innewohnende Integrationskomponente beachtlich seien. Genauer heißt es dort: "Wird der 36-Monatszeitraum aber nachhaltig unterbrochen, so steht dieser Leistungsberechtigte ebenso da, wie ein Leistungsberechtigter, der die Leistungen noch nicht 36 Monate lang bezogen hat. Nachhaltige Unterbrechungen müssen sich deshalb auf einen längeren Zeitraum erstrecken, die Dauer der Unterbrechung muss im gewissen Umfang mit der 36-Monatsfrist korrespondieren, d.h. dass allenfalls eine Unterbrechung von 6 Monaten hinreicht, um die Frist neu anlaufen zu lassen. Auch sind nur Unterbrechungen bedeutsam, die es rechtfertigen, auch Ablauf von insgesamt 36 Monaten des Leistungsbezugs, einen Integrationsbedarf zu verneinen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der Ausländer längere Zeit in seinem Heimatland aufgehalten hat und deshalb die Vorbereitung der Integration in die deutsche Gesellschaft abgebrochen hat, entsprechendes gilt, wenn ein Ausländer längere Zeit "untertaucht", und er so die Wartezeit, nach deren Ablauf ihm erst wegen des Integrationsbedarfs höhere Leistungen bewilligt werden dürfen, nicht erfüllt. Danach ergibt sich zugleich, dass anderweitige Leistungsunterbrechungen - etwa Hilfe Dritter oder wegen des Bezugs von Einkommen (vgl. Hohm, aaO) - die Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht erneut anlaufen lassen." Nach dieser Rechtsprechung ist neben der reinen Dauer der Unterbrechung – auf die für den hiesigen Fall die Beklagte allein abstellt – eine Auswirkung auf den Integrationsbedarf erforderlich. Eine solche ist hier nicht erkennbar: Weder ist die Klägerin zu 1. "untergetaucht", noch hat sie Deutschland für längere Zeit verlassen oder in einem Drittstaat einen Asylantrag gestellt.

Auch das Bundessozialgericht hat sich zur Frage der Relevanz einer Unterbrechung der Vorbezugszeit geäußert: In seinem Urteil vom 17. Juni 2008 (B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 18) hat es ausgeführt, Bezugszeiten vor und nach Unterbrechungen seien grundsätzlich unabhängig von der Dauer der Unterbrechungen zu addieren. Offen gelassen hat es lediglich, ob dies ausnahmsweise bei zwischenzeitlicher Rückkehr ins Heimatland oder sonstiger längerer Abwesenheit bzw. längerem Untertauchen nicht gelte. In seinem Urteil vom 24. März 2009 (B 8 AY 10/07 R) hat das Bundessozialgericht befunden, dass die Frist für die Vorbezugszeit dann neu beginne, wenn die Leistungsberechtigung dadurch ende, dass der Betroffene in ein anderes Land reise und dort einen Asylantrag stelle. § 2 AsylbLG greife als Anspruchsvoraussetzung den Begriff des "Leistungsberechtigten" auf, woraus folge, dass die Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG durchgehend vorliegen müsse. Hingegen seien Unterbrechungen des Leistungsbezugs, die nicht gleichzeitig mit einer Beendigung der allgemeinen Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG einhergehen, unabhängig von ihrer Dauer für das Erfüllen der Vorbezugszeit unschädlich. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Da die Leistungsberechtigung der Klägerin zu 1. durchgehend vorlag, führte die zwischenzeitliche Leistungsminderung nicht zu einem Neubeginn der Frist für die Vorbezugszeit mit der Folge, dass die Vorbezugszeit hier erfüllt war.

b. Die Klägerin zu 1. hat die Dauer ihres Aufenthalts auch nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Der Begriff des Rechtsmissbrauchs wird im AsylbLG an keiner Stelle definiert, er entstammt dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch). Ihm liegt der Gedanke zu Grunde, dass niemand sich auf eine Rechtsposition berufen darf, die er selbst treuwidrig herbeigeführt hat (vgl. hierzu und zum folgenden BSG, Urteil vom 17.6.2008 – B 8/9b AY 1/07 R). Es geht also um vorwerfbares Fehlverhalten; erforderlich ist ein objektiver Missbrauchstatbestand und ein subjektives Verschulden. Nicht ausreichend ist hingegen, dass die Dauer des Aufenthalts auf Gründen beruht, die in der Verantwortungssphäre des Hilfesuchenden liegen. Ferner genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Die Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den Ausländer sowie über die Regelung des § 2 Abs. 3 AsylbLG für dessen minderjährige Kinder so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher führt nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen; nur dann ist es gerechtfertigt, auch die minderjährigen Kinder mit den Folgen dieses Verhaltens zu belasten. Typische Beispiele eines Rechtsmissbrauchs sind die Vernichtung des Passes oder die Angabe einer falschen Identität.

Ferner muss das rechtlich missbilligte Verhalten mit der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes kausal verknüpft sein (vgl. auch insoweit BSG, Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R). Ein Rechtsmissbrauch im oben genannten Sinn kann deshalb nur vorliegen, wenn der Ausländer sich hierüber auch bewusst ist. Der Vorwurf rechtmissbräuchlichen Verhaltens setzt daher sowohl Vorsatz bezüglich der tatsächlichen Umstände als auch der Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts voraus. In der bloß fahrlässig herbeigeführten Verlängerung der Aufenthaltsdauer liegt kein so schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsordnung, dass eine dauerhafte Absenkung der Leistungen gerechtfertigt wäre; ein bloß fahrlässiges Verhalten kann unter Berücksichtigung der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland nicht als sozialwidrig eingestuft werden.

Gemessen an diesen Maßstäben kann der Klägerin zu 1. hier keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer ihres Aufenthalts vorgeworfen werden. Die Klägerin zu 1. hat weder Ausweispapiere vernichtet noch über ihre Identität getäuscht. Der objektive Missbrauchstatbestand kann hier allein darin bestehen, dass sie ihren ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten nicht hinreichend nachgekommen ist, indem sie sich nicht ausreichend um die Ausstellung von Pässen oder Passersatzpapieren für sich und ihre Kinder bemüht hat. Das Mitwirken an der Beschaffung der zur Ausreise oder Abschiebung notwendigen Dokumente ist grundsätzlich zumutbar, weshalb eine Verletzung der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten durchaus den objektiven Tatbestand des Rechtsmissbrauchs erfüllen kann. Um den Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Handelns erheben zu können, ist allerdings eine nachhaltige Pflichtverletzung erforderlich. Auch kann man von Rechtsmissbrauch nur sprechen, wenn die Behörde dem Ausländer klar und unmissverständlich mitgeteilt hat, was konkret von ihm erwartet wird (vgl. Oppermann, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 2 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 66; ähnlich LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 4.9.2014 – L 8 AY 70/12). Denn nur wenn der Ausländer weiß, was konkret von ihm erwartet wird, kann ihm der Vorwurf der vorsätzlichen Nichtmitwirkung gemacht werden. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts im erstinstanzlichen Urteil genügt es hierfür allerdings, dass die Ausländerbehörde entsprechende Hinweise und Mitwirkungsaufforderungen erteilt, entsprechende bzw. weitergehende Hinweise durch den Leistungsträger der AsylbLG-Leistungen sind nicht erforderlich. Vorsätzlich ist ein Verhalten bereits dann, wenn dem Ausländer bewusst ist, dass er die von ihm ausländerrechtlich verlangten Mitwirkungshandlungen nicht erfüllt und dass er dadurch seinen Aufenthalt verlängert. Insbesondere ein Hinweis des Leistungsträgers auf die mögliche Nichterfüllung der Voraussetzungen für Analogleistungen ist nicht erforderlich, um vorsätzlich rechtsmissbräuchliches Verhalten anzunehmen.

Vorliegend sieht der Senat zwar, dass die Klägerin zu 1. sich vor 2008 jedenfalls nicht intensiv um Pässe bzw. Passersatzpapiere für sich und ihre Kinder bemüht hat. Andererseits sind auch keine nachhaltigen Aufforderungen bzw. Hinweise der Ausländerbehörde zu erkennen. Erstmals ist die Klägerin zu 1. im Oktober 2002 – offenbar nach Ende des Abschiebestopps nach Ex-Jugoslawien – zur Mitwirkung aufgefordert worden. Damals war sie gerade volljährig geworden. Sie hatte daraufhin ein Informationsblatt des jugoslawischen Konsulats über die für die Ausstellung von Passersatzpapieren notwendig vorzulegenden Unterlagen vorgelegt. Weitere Aufforderungen zu konkreten Handlungen oder gar Hilfsangebote bzw. Beratungen, was sie nun zu unternehmen habe, sind nicht dokumentiert. In der Folgezeit sind lediglich mündliche Aufforderungen zur Vorlage von Pässen bzw. Nachweisen über die Passbeantragung dokumentiert. Diese erfolgten offenbar auch lediglich anlässlich der Aushändigung der Duldungsverlängerungen, weshalb Zweifel daran bestehen, ob die Klägerin zu 1. sie überhaupt verstanden hat bzw. ihnen entnehmen konnte, was genau von ihr erwartet wurde. Noch im September 2008 ist in der Ausländerakte vermerkt worden, dass die Klägerin zu 1. keinen ganzen Satz Deutsch und auch Fragen nach ihrem Pass nicht verstehe. Ausführlichere Gespräche, ggf. unter Hinzuziehung eines Dolmetschers, Belehrungen oder schriftliche Hinweise sind nicht dokumentiert. Unter Berücksichtigung der besonderen persönlichen und familiären Situation der Klägerin zu 1., die als Analphabetin bei ihrer Einreise nach Deutschland im Altern von 14 Jahren bereits Mutter einer – von Geburt an gehörlosen – Tochter war und bis zum Eintritt der Volljährigkeit drei weitere Töchter bekam, von denen eine wiederum gehörlos war, hätte durchaus Anlass bestanden, die Klägerin zu 1. umfassender, nachdrücklicher und konkreter über die von ihr erwarteten Mitwirkungshandlungen aufzuklären.

Ferner ist zumindest zweifelhaft, ob die unzureichende Mitwirkung der Klägerin zu 1. an der Passbeschaffung kausal für die Dauer ihres Aufenthalts war. Insoweit ist zunächst auffällig, dass das Rückübernahmeersuchen der Ausländerbehörde trotz korrekter Angaben der Klägerin zu 1. zu ihren Personalien und trotz Vorhandenseins einer Geburtsurkunde erfolglos war. Auch berichtete die Mitarbeiterin der Beklagten, Frau H., selbst, dass der Umgang mit dem Konsulat schwierig sei. Tatsächlich wurden Pässe in dem Moment ausgestellt, in denen die Ausländerbehörde der Klägerin zu 1. und ihren Kindern die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zusicherte und damit eine Perspektive für einen längeren Verbleib in Deutschland in Aussicht stellte. Erstmals wurde eine entsprechende Bescheinigung im September 2008 ausgestellt – offensichtlich sah zum damaligen Zeitpunkt auch die Ausländerbehörde der Beklagten bereits eine Perspektive für einen dauerhaften oder jedenfalls gesicherteren Aufenthalt. Schließlich hat die Ausländerbehörde den Klägerinnen 2009 Aufenthaltserlaubnisse nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt. Nach der Altfallregelung des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll Ausländern, die über acht bzw. sechs Jahre hin ununterbrochen geduldet waren, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Voraussetzung hierfür ist u.a., dass der Ausländer die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat (§ 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4).

In der Gesamtschau und unter Berücksichtigung aller Umstände des speziellen Einzelfalls lässt sich das Verhalten der Klägerin zu 1. aus Sicht des Senats nicht als so schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsordnung einzustufen, dass hierdurch eine dauerhafte Absenkung der Leistungen gerechtfertigt wäre.

4. Die Klägerin zu 2. ist am 1. April 2005 geboren, sie erfüllt die 48monatige Vorbezugszeit daher erst zum 1. April 2009. Für die Zeit vor April 2009 kann sie schon aus diesem Grund keine Leistungen beanspruchen. Soweit das Sozialgericht die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin zu 2. Analogleistungen für die Zeit vom 11. Februar 2008 bis zum 31. März 2009 zu gewähren, ist das Urteil daher bereits aus diesem Grund aufzuheben.

Entgegen der Auffassung der Klägerinnen kann auf das Erfordernis der Vorbezugszeit auch bei minderjährigen, in Deutschland geborenen Kindern nicht verzichtet werden. Das Bundessozialgericht hat dazu in seinem Urteil vom 17. Juni 2008 (B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 25 f.) befunden: "[ ] ist bei minderjährigen Kinder [ ], die in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern oder einem Elternteil leben, nicht mit Blick auf § 2 Abs 3 AsylbLG auf die Erfüllung dieser Voraussetzung zu verzichten. Nach § 2 Abs 3 AsybLG erhalten minderjährige Kinder Analog-Leistungen nur dann, wenn mindestens ein Elternteil diese Leistungen erhält. Mit § 2 Abs 3 AsylbLG sollte zwar erreicht werden, dass innerhalb einer Familie minderjährigen Kindern (grundsätzlich) keine anderen Leistungen gewährt werden als ihren Eltern, mit denen sie in einer Haushaltsgemeinschaft leben (BT-Drucks 13/2746, S 16 zu § 2 Abs 3). Die gewollte leistungsrechtliche Gleichbehandlung bezweckt aber keine an einem Familienmitglied orientierte Besserstellung anderer Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft, sondern normiert nur eine zusätzliche leistungseinschränkende Voraussetzung auf Analog-Leistungen für den in § 2 Abs 3 AsylbLG genannten Personenkreis. Dies ergibt sich aus Systematik ("erhalten Leistungen nach Abs 1") und Wortlaut ("nur") der Norm sowie der Rechtsentwicklung. Der ursprüngliche Gesetzentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 24. Oktober 1995 (BT-Drucks 13/2746) sah Analog-Leistungen ohne Wartefrist nur für geduldete Ausländer vor; ohne die dem jetzigen Abs 3 inhaltlich entsprechende damalige Regelung des Abs 2 hatte es zu unterschiedlichen Leistungen innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft kommen können, wenn beide Elternteile lediglich für sich einen Asylantrag gestellt haben, während die Kinder eine Duldung besaßen und so früher in den Genuss von Analog-Leistungen gekommen wären (BT-Drucks 13/2746, S 16 zu § 2 Abs 3). Nur dieser Situation sollte begegnet werden. Auf das Erfüllen (auch) der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG für minderjährige Kinder, die in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern oder einem Elternteil leben, sollte allerdings nicht verzichtet werden [ ]. Ein Abweichen von der zwingenden Regelung der Vorbezugszeit für erst in Deutschland geborene Kinder ist damit nicht vereinbar. Ob der Gesetzgeber eine sinnvollere oder bessere Lösung hätte wählen können, ist vom Senat nicht zu beurteilen."

Auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Leistungen nach § 3 AsylbLG vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) hat das Bundessozialgericht hieran explizit festgehalten, so im Urteil vom 28. Mai 2015 (B 7 AY 4/12 R, Rn. 27). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Ab dem 1. April 2009 erfüllte die Klägerin zu 2. die Vorbezugszeit, denn laut Auskunft der Beklagten sind ihr seit der Geburt uneingeschränkte Leistungen nach § 3 AsylbLG gewährt worden. Die Klägerin zu 2. war im streitgegenständlichen Zeitraum minderjährig und lebte mit ihrer Mutter, der Klägerin zu 1., in einer Haushaltsgemeinschaft. Weitere Voraussetzung für einen Anspruch der Klägerin zu 2. auf Analogleistungen für den Zeitraum von April 2009 bis November 2009 ist daher gem. § 2 Abs. 3 AsylbLG a.F., dass auch die Klägerin zu 1. für diesen Zeitraum einen Anspruch auf Analogleistungen hat. Dies ist entsprechend den obigen Ausführungen der Fall.

5. Die Klägerin zu 3. hat bereits deshalb keinen Anspruch auf Analogleistungen, weil es bei ihr an der erforderlichen Vorbezugszeit fehlt (zur Erforderlichkeit der Vorbezugszeit auch bei minderjährigen, in Deutschland geborenen Kindern s.o.). Sie ist erst im November 2008 geboren und kann die Vorbezugszeit schon deshalb im Zeitraum Februar 2008 bis November 2009 nicht erfüllen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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