S 37 KR 2081/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
37
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 37 KR 2081/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 15.06.2015 mit seinem Verfügungssatz zu 1., soweit dort die durch Fiktion eingetretene Bewilligung aufgehoben wird, und mit seinem Verfügungssatz zu 5., beides in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2016, wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine beidseitige stationäre Liposuktion an beiden Oberschenkeln und eine anschließende Hautstraffung zu gewähren. 3. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine beidseitige Liposuktion (Fettabsaugung) an den Oberschenkeln und eine anschließende Hautstraffung.

Die Klägerin ist 1976 geboren. Bis zum Jahr 2012 war bei ihr ein erhebliches Übergewicht entstanden. Bei einer Körpergröße von 163 cm wog sie damals 128 kg (Body-Maß-Index - BMI -: 48 kg/m²). Daraufhin wurde auf ihren Wunsch im Januar 2012 auf Kosten der Beklagten eine Magen-Bypass-Operation vorgenommen. In den darauf folgenden drei Jahren nahm die Klägerin 47 kg ab und wog nur noch 81 kg (BMI: 30 kg/m²). Hierdurch entstanden bei der Klägerin große Hautüberschüsse. Im Februar 2015 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Bruststraffung und die Entfernung überschüssigen Gewebes im oberen Brustkorbbereich. Fortan litt die Klägerin noch unter Schmerzen an dem hängenden Gewebe u.a. an Bauch und Beinen, insbesondere beiden Oberschenkeln.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Kostenübernahme für Wiederherstellungsoperationen. Sie legte diesem Antrag zwei Fotodokumentationen sowie zahlreiche Berichte über stattgefundene Untersuchungen und Behandlungen bei, insbesondere als Anlage 1 einen Bericht der S. Klinik in vom 21. Oktober 2015. Dort wird zunächst eine HLT-Abdominoplastik modifiziert nach Lockwood mit Flankenneukonfiguration vorgeschlagen und für später, bei deutlichen Zeichen eines auf die Oberschenkel beschränkten Lipödems, ein zweischrittiges Vorgehen an den Oberschenkeln. In einem ersten Schritt solle eine Liposuktion erfolgen und nach einem Erholungsintervall von mindestens drei Monaten eine ausgedehnte Dermatolipektomie (Hautstraffung) an beiden Innenseiten der Oberschenkel bis zu den Kniegelenken (Seite 2 des Berichts).

Die Beklagte bat mit Schreiben vom 16. November 2015 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) um eine gutachterliche Stellungnahme zu diesem Antrag und informierte hierüber telefonisch die Klägerin. Gestützt auf eine Stellungnahme des MDK vom 26. November 2015 erklärte die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 2015 unter Bezugnahme auf den Kostenübernahmeantrag der Klägerin für eine Wiederherstellungsoperation in der S. Klinik, dass die Hauterschlaffungen keinen krankhaften Befund im krankenversicherungsrechtlichen Sinne darstellten, der einer operativen Behandlung bedürfe. Es bestünden orthopädische und dermatologische Behandlungsmöglichkeiten. Die beklagten Schmerzen seien nicht auf die lipocutanen Erschlaffungen zurückzuführen und dementsprechend auch nicht mittels kosmetischer Straffungsoperation zu behandeln. Damit könne die Beklagte die Kosten für "die Brustverkleinerung" leider nicht übernehmen. Mit eigenem Schreiben vom 11. Dezember 2015 und Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29. Dezember 2015 erhob die Klägerin Widerspruch. Sie wies insbesondere darauf hin, dass sie eine Kostenübernahme für eine Brustverkleinerung nicht beantragt habe legte dar, dass eine fristgemäße Entscheidung über den Antrag auf Behebung der Hauterschlaffungen im Bauchbereich und an den Beinen nicht erfolgt sei. Insoweit sei gemäß § 13 Absatz 3 a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von einer fiktiven Genehmigung auszugehen. Im Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte eine erneute Begutachtung durch den MDK und zwar nach persönlicher Untersuchung der Klägerin, die am 26. April 2016 stattfand. Gestützt auf das danach vom MDK unter dem 29. April 2016 erstattete Gutachten half die Beklagte mit Schreiben vom 10. Mai 2016 dem Widerspruch teilweise ab und gewährte der Klägerin die beantragte Bauchdeckenplastik mit Flankenneukonfiguration. Im Hinblick auf die Operationen der Oberschenkel blieb die Beklagte bei ihrer ablehnenden Position aus dem Bescheid vom 27. November 2016.

Nachdem die Klägerin ihren Widerspruch im Hinblick auf die abgelehnten Oberschenkeloperationen aufrecht erhielt (Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 20. Mai 2016) erteilte die Beklagte unter dem 15. Juni 2016 einen neuen Bescheid mit folgendem Tenor:

1. Die durch Fiktion eingetretene Bewilligung wird aufgehoben.

2. Dem Widerspruch vom 29. Dezember 2005 gegen den Ablehnungsbescheid vom 27. November 2015 wird abgeholfen.

3 ... (Kosten Widerspruchsverfahren)

4. Die Kosten für die Bauchdeckenstraffung werden gemäß dem Schreiben vom 10. Mai 2016 übernommen.

5. Im Übrigen wird die beantragte Straffung der Oberschenkel abgelehnt.

Zur Begründung legte die Beklagte dar, infolge der mit Fristablauf am 17. November 2015 eingetretenen Genehmigungsfiktion sei der Bescheid vom 27. November 2015 rechtswidrig. Auf die beantragte Straffung der Oberschenkel bestehe jedoch materiellrechtlich kein Anspruch. Daher werde mit diesem Bescheid die durch Verfristung eingetretene Genehmigungsfiktion aufgehoben. Im Rahmen der Ermessensausübung habe die Kasse zu keinem anderen Ergebnis kommen können. Ein schutzwürdiges Vertrauen sei bei der Klägerin allein aufgrund des Ablaufs der dreiwöchigen Bearbeitungsfrist nicht entstanden. Darüber hinaus seien keine Gesichtspunkte feststellbar, die ein Festhalten an der fingierten Genehmigung rechtfertigen könnten. Das Interesse der Gemeinschaft der Beitragszahler der Beklagten, aber auch das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung überwögen das Individualinteresse an der letztlich materiellrechtlich unberechtigten Leistung. Es seien der Klägerin auch keine Kosten entstanden, die ein schutzwürdiges Interesse entstehen ließen. Somit sei über den Antrag der Klägerin neu zu entscheiden. In diesem Rahmen werde die Kostenübernahme für die Liposuktion der Oberschenkel mit anschließender Dermatolipektomie (Oberschenkelstraffung) gestützt auf die beiden vorliegenden Gutachten des MDK abgelehnt.

Die Klägerin wandte sich gegen diesen Bescheid und legte zur Begründung insbesondere dar, dass die gesetzliche Bestimmung über die Genehmigungsfiktion leerlaufen würde, wenn letztere durch einen neuen Bescheid aufgehoben werden könne ("Widerspruch" vom 11. Juli 2016). Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie insbesondere aus, dass nach den Grundsätzen des im SGB V geregelten Leistungsrechts und unter Berücksichtigung der Beschlusslage des Gemeinsamen Bundesausschusses ein Anspruch der Versicherten auf eine Liposuktion nicht bestehe. Daher sei es der Beklagten nicht möglich, dem Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme einer Liposuktion beider Oberschenkel mit anschließender Dermatolipektomie zu entsprechen. Zur Argumentation der Beklagten im Übrigen wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Mit ihrer am 16. September 2016 erhobenen Klage erstrebt die Klägerin weiterhin die Kostenübernahme für eine Liposuktion beider Oberschenkel mit anschließender Hautstraffung. Hinsichtlich der Notwendigkeit stützt sie sich auf den bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bericht der S. Klinik vom 21. Oktober 2015. Letztlich gehe es ihr um die Beseitigung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die massiven Hautüberschüsse. Die fingierte Zustimmung habe von der Beklagten auch nicht zurückgenommen werden dürfen; denn sie sei nicht rechtswidrig gewesen. Unter keinem Gesichtspunkt sei die von der Klägerin beantragte Leistung bewilligungsuntauglich gewesen.

Die Klägerin beantragt,

1. den Bescheid vom 15. Juni 2015 mit seinem Verfügungssatz zu 1., soweit dort die durch Fiktion eingetretene Bewilligung aufgehoben wird, und mit seinem Verfügungssatz zu 5., beides in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2016, aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihr eine beidseitige stationäre Liposuktion an den Oberschenkeln und eine anschließende Hautstraffung zu gewähren.

Die Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und auf die beiden von ihr eingeholten Gutachten des MDK. Ergänzend legt sie anhand der Daten des Verwaltungsverfahrens dar, dass eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Absatz 3 a SGB V vorliegend nicht eingetreten sei (Schriftsatz vom 16. Juli 2018).

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2018 sowie in der mündlichen Verhandlung am 16. April 2019 hat die Beklagte weitere elektronisch gespeicherte Unterlagen vorgelegt. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung insbesondere Kopien von vom 15. April 2019 datierenden Fotos überreicht, die die Lipödeme sowie die Hautüberschüsse verdeutlichen sollen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) zulässig. Sie ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf eine beidseitige stationäre Liposuktion an beiden Oberschenkeln und eine anschließende Hautstraffung. Die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und aufzuheben.

Grundlage für den Anspruch der Klägerin ist der Bescheid vom 15. Juni 2016, dort Ziff. 1 des Tenors. Der Bescheid enthält hier die Regelung, dass die durch Fiktion eingetretenen "Bewilligung" aufgehoben werde. Dieser Regelung ist die Feststellung einer - logisch vorrangigen - Genehmigungsfiktion immanent. So geht auch die dem Tenor des Bescheides anschließende Sachverhaltsschilderung, ebenso wie die nachfolgende Begründung, von einer am 17. November 2015 eingetretenen Genehmigungsfiktion aus.

Die von der Klägerin begehrte Leistung kann auch als genehmigt gelten; denn ihr liegt ein fiktionsfähiger Antrag zugrunde. Er ist so bestimmt gestellt, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne des § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hinreichend bestimmt wäre (stellvertretend zu diesem Erfordernis: Bundessozialgericht - BSG – vom 7. November 2017, Az.: B 1 KR 24/17 R, Rn. 20 ff und BSG vom 26. Februar 2019, Az.: B 1 KR 21/17 R, Rn. 14 f, beide veröffentlicht in juris). Zwar mag zweifelhaft sein, ob bereits das Antragsschreiben der Klägerin vom 26. Oktober 2015 ein in diesem Sinne hinreichend bestimmtes Begehren enthält. Die Klägerin hatte diesem Schreiben jedoch als Anlage 1 den Bericht der S. Klinik beigefügt, in dem die von der Klägerin gegenüber der Beklagten gewünschte operative Therapie im Einzelnen vorgeschlagen und beschrieben wurde. In der Zusammenschau des Antragschreibens und der konkreten Operationsempfehlung der S. Klinik wäre ein Verfügungssatz, der diesem Antrag entspricht, im Hinblick auf seinen Regelungsgehalt ohne weiteres erkennbar und eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung.

Allerdings hat die Beklagte die von ihr festgestellte Genehmigungsfiktion mit demselben Verfügungssatz des Bescheides vom 15. Juni 2016 sogleich wieder aufgehoben. Zwar stand die Aufhebung im Ermessen der Beklagten; denn die Feststellung der Genehmigungsfiktion war rechtswidrig (dazu unter 1.). Allerdings hat die Beklagte von ihrem Ermessen nicht pflichtgemäß Gebrauch gemacht, so dass die Aufhebung der Genehmigungsfiktion rechtswidrig ist (2.).

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden waren die gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht erfüllt. Gemäß § 13 Abs. 3 a S. 1, 2, 5 und 6 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Kann die Krankenkasse Fristen u.a. nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6).

Nach diesen Maßgaben ist die Genehmigungsfiktion vorliegend nicht eingetreten; denn die Beklagte hat über den Leistungsantrag der Klägerin innerhalb der hier maßgeblichen Frist von fünf Wochen nach Antragseingang entschieden. Der vom 26. Oktober 2015 datierende Antrag ist ausweislich des Eingangsstempels am 30. Oktober 2015 bei der Beklagten eingegangen. Der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass die Eingangsstempel im Scanzentrum der Beklagten aufgebracht würden. Ein Anhaltspunkt dafür, dass dies hier nicht der Fall war, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Nach Eingang des Antrags hat die Beklagte mit Schreiben vom 16. November 2015 eine gutachterliche Stellungnahme des MDK eingeholt. Hierüber hat die Sachbearbeiterin der Beklagten, Frau G., die Klägerin entsprechend § 13 Abs. 3 a S. 2 SGB V am selben Tag telefonisch informiert. Zwar enthält der entsprechende Telefonvermerk auf dem in der Verwaltungsakte befindlichen Retent des Schreibens vom 16. November 2015 weder Datum noch Unterschrift. Jedoch belegt die vom Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Notiz in dem Auszug aus dem elektronischen Verwaltungsvorgang, dass Frau G. am 16. November 2015 einen Vermerk über dieses Telefonat erstellt hat. Anders als die in § 13 Abs. 3 a S. 5 SGB V geforderte Information über die Unmöglichkeit, die Fristen (u.a.) des Satzes 1 einzuhalten, unterliegt die Information des Antragstellers über die Einschaltung des MDK nach Satz 2 der Norm nicht dem Erfordernis der Schriftform. Damit hat die Beklagte die Klägerin innerhalb von drei Wochen nach der Antragstellung über ihre Absicht, eine gutachterliche Stellungnahme des MDK einzuholen, unterrichtet (stellvertretend für dieses Fristerfordernis: BSG vom 26. Februar 2019, Az.: B 1 KR 33/17 R, juris, Rn. 25). Dies hat zur Folge, dass hier die fünfwöchige Entscheidungsfrist zum Zuge kommt. Diese reichte bei einem Antragseingang am 30. Oktober bis zum 4. Dezember 2015. Mit ihrem Bescheid vom 27. November 2015, der nach Angaben der Klägerin in den Widerspruchsschreiben vom 11. Dezember und vom 29. Dezember 2015 am 2. Dezember 2015 bei ihr einging, hat die Beklagte diese Frist eingehalten.

Mit diesem Bescheid hat die Beklagte über den Antrag der Klägerin vom 26. Oktober 2015, Eingang bei der Beklagten am 30. Oktober 2015, entschieden. Zwar enthält dieser Bescheid den abschließenden Verfügungssatz, dass die Kosten für die Brustverkleinerung leider nicht übernommen werden könnten. Jedoch wird aus der hier maßgeblichen Empfängersicht bereits aufgrund der Betreff-Zeile und des Eingangssatzes hinreichend deutlich, dass sich die Ablehnung auf die beantragte Kostenübernahme für eine Wiederherstellungsoperation bezieht und es sich bei der Ablehnung einer Kostenübernahme für eine Brustverkleinerung um ein redaktionelles Versehen, wahrscheinlich bei Nutzung einer Vorlage, handelte.

2. War die Feststellung der Genehmigungsfiktion im Bescheid vom 15. Juni 2016 somit rechtswidrig, war die Beklagte befugt, diese Feststellung nach Maßgabe des § 45 SGB X zurückzunehmen. § 45 Abs. 1 SGB X bestimmt: Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Von Belang ist vorliegend § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Die in § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X aufgeführten Fälle von in der Regel schutzwürdigem Vertrauen sind vorliegend nicht von Belang, ebenso wenig die in § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X genannten Fälle einer grundsätzlich Vertrauensschutz ausschließenden Mitwirkung des Begünstigten an der Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts.

Wie vorliegend durch das Wort "darf" in § 45 Abs. 1 SGB X verdeutlicht wird, steht die Rücknahme eines Verwaltungsakts nach der genannten Bestimmung im Ermessen des Leistungsträgers, hier der Krankenkasse (vgl. Schütze, in v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 45 Rn. 2 und 88 ff). Gemäß § 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch gilt: Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch. Bei der Aufhebung der zunächst festgestellten Genehmigungsfiktion mit Bescheid vom 15. Juni 2016 hat die Beklagte ihr Ermessen nicht bzw. nicht pflichtgemäß ausgeübt. Entscheidend ist bereits, dass die Beklagte in ihrem angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 17. August 2016 gar kein Ermessen ausgeübt hat, sondern offenbar von einer gebundenen Entscheidung ausging (Ermessensausfall). So enthält der Widerspruchsbescheid in seiner Begründung keinerlei Ermessenserwägungen (vgl. § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X) und bestätigt dies durch die Aussage, dass es der Beklagten nicht möglich gewesen sei, dem Leistungsantrag zu entsprechen und dass die Rechtslage die Beklagte zu der getroffenen Entscheidung gezwungen habe (Seite 4 des Widerspruchsbescheides). Angesichts dessen kommt es auf die Ermessensausübung der Beklagten im Ausgangsbescheid gar nicht mehr an; denn gemäß § 95 SGG ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Damit ist für die Bewertung einer Ermessensausübung der Widerspruchsbescheid maßgeblich, wenn dieser insoweit vom Ausgangsbescheid abweicht (Breitkreuz, in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 95 Rn. 6).

Das Gericht weist daher nur ergänzend darauf hin, dass auch die Ermessensausübung im Ausgangsbescheid vom 15. Juni 2016 im Sinne eines Ermessensfehlgebrauchs fehlerhaft sein dürfte. Die dortige Ermessensausübung basiert auf unzutreffenden rechtlichen Annahmen. So hält die Beklagte in dem genannten Bescheid einerseits die Voraussetzungen für die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a SGB V für gegeben (siehe dagegen später den Schriftsatz der Beklagten an das Gericht vom 16. Juli 2018). Auf dieser unzutreffenden Grundlage stützt sie ihre Ermessensentscheidung andererseits im Wesentlichen auf ihre Annahme, dass die Klägerin ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf die begehrte Leistung gehabt habe. Unterstellt, die Genehmigungsfiktion wäre, wie von der Beklagten damals noch angenommen, eingetreten, wäre die entsprechende Feststellung in dem Bescheid vom 15. Juni 2016 rechtmäßig und wären schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht gegeben. Demgemäß wäre der Beklagten ein Ermessen für die Rücknahme der Genehmigungsfiktion bzw. der entsprechenden Feststellung in dem genannten Bescheid gar nicht eröffnet (stellvertretend: BSG vom 7. November 2017, Az.: B 1 KR 24/17 R und vom 26. Februar 2019, Az.: B 1 KR 33/17 R, beide juris). Diese Problematik hat die Klägerin im Widerspruchsverfahren zutreffend thematisiert.

War somit die Aufhebung der mit Bescheid vom 15. Juni 2016 festgestellten Genehmigungsfiktion rechtswidrig, steht der Klägerin die Liposuktion beider Oberschenkel mit anschließender Hautstraffung aufgrund der durch wirksamen Bescheid erfolgten Feststellung einer Genehmigungsfiktion zu. Daher ist die Ablehnung der beantragten Straffung der Oberschenkel (Ziff. 4 des Bescheides vom 15. Juni 2016) rechtswidrig und aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved