L 1 KR 148/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 182 KR 484/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 148/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht primär ein Anspruch auf Krankengeld.

Der 1977 geborene Kläger war als Bezieher von Arbeitslosengeld I pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Ab dem 4. August 2015 war er in Folge eines Kreuzbandrisses arbeitsunfähig. Die Beklagte gewährte ihm ab dem 15. September 2015 Krankengeld, zuletzt aufgrund der Folgebescheinigung des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. S des MVZ Sporthopaedicum vom 22. September 2015, welche Arbeitsunfähigkeit (AU) bis voraussichtlich 9. Oktober 2015 bescheinigt.

Ausweislich einer als ärztliches Attest bezeichneten Bescheinigung des Dr. S vom 22. Oktober 2015 rief der Kläger am 8. Oktober 2015 im MVZ an mit der Bitte um Verlängerung der AU, welche am 9. Oktober 2015 auslaufe. Von der Praxis sei ihm mitgeteilt worden, dass eine Feststellung der weiteren AU am bereits vereinbarten Termin, dem 15. Oktober 2015, ausreichend sei.

Unter dem 13. Oktober 2015 bescheinigte Dr. S auf einem Auszahlschein die weitere AU bis auf weiteres.

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2015 stellte die Beklagte die Krankengeldzahlung zum 9. Oktober 2015 ein. Die Folge-AU sei nicht rechtzeitig eingegangen.

Unter dem 20. Oktober 2015 bescheinigte Dr. S AU für den Zeitraum vom 9. Oktober 2015 bis zum 13. Oktober 2015. Ausweislich eines Telefonvermerkes der Beklagten rief der Kläger am 21. Oktober 2015 bei dieser an und teilte mit, seine Arztpraxis habe die AU nicht bis zum nächsten Termin ausgestellt und trotz seines Hinweises das Datum nicht geändert. Nach einem weiteren Vermerk rief Dr. S am 22. Oktober 2015 bei der Beklagten an und erklärte, montags immer zu operieren, daraus könne seinem Patienten doch kein Nachteil entstehen.

Der Kläger erhob am 12. November 2015 Widerspruch.

Er übt seit dem 4. Januar 2016 wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2016 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 18. März 2016 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben: Es liege ein Ausnahmefall vor, bei dem die nicht rechtzeitige ärztliche Feststellung der fortbestehenden AU unschädlich sei. Denn der Kläger selbst habe die notwendigen Schritte unternommen, um die unstreitig fortbestehende AU feststellen zu lassen. Er sei im Oktober 2015 nicht lauffähig gewesen. Ohne Bestellung eines Krankentransportes habe er einen Arzt nicht aufsuchen können. Die rückwirkende Bestätigung/Feststellung der AU sei ihm durch die Arztpraxis zugesagt worden. Er sei seinerzeit unter Schmerzmitteln gestanden und bettlägerig gewesen.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass dem Kläger die Problematik des notwendigen nahtlosen AU-Nachweises ausweislich seines Anrufes am 8. Oktober 2015 klar gewesen sei. Ihrerseits habe sich vor dem 14. Oktober 2015 kein individueller Beratungsbedarf des Klägers gezeigt.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 5. April 2018 abgewiesen. Dem Kläger stehe für den streitgegenständlichen Zeitraum kein Krankengeld zu, weil er in dieser nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei. Das weitere Klagebegehren, den Kläger für die Dauer seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sowie die anschließende Arbeitslosigkeit nach Genesung beitragsfrei als Mitglied zu führen, stelle sich sachdienlich ausgelegt als Antrag auf Feststellung einer Mitgliedschaft nach § 5 Absatz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) im streitgegenständlichen Zeitraum dar (Bezugnahme auf Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 13. Juli 2007 - B 12 KR 29/06 R - juris-Rdnr. 10). Die Feststellungsklage sei wegen Subsidiarität gegenüber der Anfechtungs- und Leistungsklage unzulässig, weil die Frage des Versicherungsverhältnisses bereits dort inzident geprüft werde. Darüber hinaus sei eine Feststellungsklage nach § 55 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch unbegründet.

Gegen diese am 11. April 2018 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 7. Mai 2018. Zu deren Begründung wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, er könne nicht auf ungewisse Schadensersatzansprüche gegen den ihn behandelnden Arzt verwiesen werden. Dieser habe sehr wohl auch rückwirkend AU feststellen können. Der Kläger wisse heute nicht mehr sicher, ob und zu welchem Termin er durch seinen Vater oder mit einem Krankentransport gebracht worden sei. Die Alternative wäre für ihn nur gewesen, am 9. Oktober 2015 oder am 12. Oktober 2015 einen anderen Arzt aufzusuchen, um dort vorstellig zu werden mit dem Ansinnen, AU bescheinigt zu bekommen. Bei einem anderen Arzt wäre die Frage gestellt worden, weshalb sich der Kläger eigenmächtig in die Behandlung eines anderen Arztes begebe, obwohl die Arzt-Patienten-Beziehung nicht gestört sei. Es sei hochgradig unwahrscheinlich, dass unter diesen Umständen ein anderer Arzt den Kläger untersucht und ihm AU ab dem 10. Oktober 2015 bescheinigt hätte. Die Entscheidung des SG sei weltfremd und gehe an den tatsächlichen Verhältnissen vorbei. Die Beklagte verhalte sich sozialstaatswidrig, wenn sie sich auf eine Regel berufe, die sie dem Kläger nicht zugänglich gemacht habe. Da ein aktueller Notfall nicht vorgelegen habe, hätte auch eine Untersuchung im Rahmen einer Notfallambulanz ausgeschieden. Auch ein dringender Fall als Voraussetzung für einen Hausbesuch habe nicht vorgelegen. Die Beendigung der Mitgliedschaft der Beklagten wegen eines Meldeversäumnisses stelle sich als eine unangemessene und unverhältnismäßige Sanktion dar.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheides vom 5. April 2018 unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2016 zu verpflichten, dem Kläger Krankengeld für den Zeitraum 10. Oktober 2015 bis 3. Januar 2016 zu gewähren sowie für die Dauer seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sowie die anschließende Arbeitslosigkeit nach Genesung beitragsfrei als Mitglied zu führen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Der Kläger hätte auch bei Verhinderung seines behandelnden Arztes Dr. S rechtzeitig einen anderen Arzt des MVZ aufsuchen können. Er habe sich nicht telefonisch auf den 13. Oktober 2015 "vertrösten lassen" dürfen. Überdies sei eine etwaige Falschberatung durch eine Mitarbeiterin eines Vertragsarztes kein Ausnahmefall von der grundsätzlich bestehenden Obliegenheit zur rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der AU.

Entscheidungsgründe:

Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine entschieden werden, § 155 Abs. 3, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten haben sich mit einer solchen Vorgehensweise im Erörterungstermin am 18. Juli 2019 einverstanden erklärt.

Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 19. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat ab dem 10. Oktober 2015 keinen Anspruch auf Krankengeld nach § 44 Absatz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn sie wegen Krankheit arbeitsunfähig sind oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitierungseinrichtung behandelt werden. Der Kläger war zwar auch über den 9. Oktober 2015 hinaus arbeitsunfähig. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die vom behandelnden Arzt am 20. Oktober 2015 rückwirkend ausgestellte AU-Bescheinigung in der Sache zutreffend war. Der weitere Fortbestand des Anspruchs auf Krankengeld scheitert aber daran, dass der Kläger ab dem 10. Oktober 2015 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hatte, bestand die Mitgliedschaft des Klägers als pflichtversichertes Mitglied bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld als Bezieher von Arbeitslosengeld nach Auslaufen des Anspruches auf Arbeitslosengeld I nur solange fort, wie ein Anspruch auf Krankengeld gemäß § 192 Absatz 1 Nr. 2 SGB V bestanden hat. Ein solcher hat jedoch nur bis zum 9. Oktober 2015 bestehen können, weil es an einer lückenlosen ärztlichen Feststellung der AU über diesen Tag hinaus fehlt. Die nächste ärztliche Feststellung der AU des Klägers erfolgte hier dann erst am 13. Oktober 2015. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert. Dies ist materielle Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld (vgl. Just/Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2. Auflage 2016, Rdnr. 722 m. w. Nachw.). Ab dem 10. Oktober 2015 war der Kläger als freiwillig Versicherter ohne regelmäßig erzieltes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, das der Beitragsberechnung unterliegt, welche nach § 47 Abs. 1 SGB V Grundlage der Krankengeldberechnung ist, ohne Krankengeldanspruch versichert (vgl. Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 02/16, § 44 SGB V Rdnr.41, wonach es auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers beruhe, dass freiwillig Versicherte zu den Versicherten im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB V gehören).

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (hier in der ab dem 23. Juli 2015 bis zum 10. Mai 2019 geltenden Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes vom 16. Juli 2015 [BGBl I, 1211]) von dem Tag der ärztlichen Feststellung an. Dies gilt auch für einen Anschlusszeitraum, d. h. wenn - wie hier - in dem vorangegangenen Zeitraum die AU ärztlich festgestellt worden ist oder ein stationärer Krankenhausaufenthalt vorgelegen hat. Eine rückwirkend erfolgende Feststellung ist für § 46 SGB V nicht ausreichend und nach dem Gesetz auch nicht zulässig. Vertragsärzte dürfen zwar nach § 5 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Eingliederung in der ab Januar 2014 maßgeblichen Version vom 14. November 2013 (AU-RL, BAnz AT vom 27. Januar 2014, B4) ausnahmsweise eine Krankschreibung auch für Tage vor dem Behandlungsbeginn ausstellen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 46 Absatz 1 Satz 2 SGB V lässt eine solche rückwirkend erfolgte ärztliche Feststellung den Krankengeldanspruch aber erst ab diesem Tage entstehen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. September 2019 - L 9 KR 254/18 - juris-Rdnr. 26).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG, Urt. v. 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R - juris Rdnr. 34). Danach steht dem Krankengeldanspruch eine erst nachträglich erfolgte ärztliche AU-Feststellung nicht entgegen, wenn 1. der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um (a) die ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen, und (b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeld-Anspruch erfolgt ist, 2. er an der Wahrung der Krankengeld-Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (z. B. eine irrtümlich nicht erstellte AU-Bescheinigung), und 3. er - zusätzlich - seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht. Der Kläger hat nicht alles ihm mögliche und zumutbare getan, um innerhalb der gesetzlichen Frist eine verlängernde AU-Bescheinigung zu erhalten. Zu seinen Obliegenheiten hätte gehört hier spätestens bis zum 12. Oktober 2015 einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufzusuchen und ihm seine Beschwerden zu schildern. Dies hat der Kläger aber unstreitig nicht getan. Hier ist, wie bereits das SG zutreffend ausgeführt, nicht ersichtlich, dass der Kläger nicht bereits am 9. oder 12. Oktober 2015 statt erst am 13. Oktober 2015 einen Arzt hätte aufsuchen können. Unterschiede in der "Lauffähigkeit" haben nicht bestanden. Auch hat die Beklagte bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Kläger ausweislich seines Telefonates am 8. Oktober 2015 die Relevanz der rechtzeitigen AU-Bescheinigung bewusst gewesen sein muss.

Auf die Begründung des SG wird ergänzend Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Absatz 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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