L 9 KR 29/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KR 314/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 29/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für den Eintritt von Versicherungspflicht nach § 1 KSVG fehlt dem Bearbeiten historischer Schwarzweißfotografien von Dampfschiffen mittels „Photoshop“ das unentbehrliche, eine Bagatellgrenze überschreitende eigenschöpferische Element.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. November 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung seiner Versicherungspflicht als selbständiger Künstler in der Künstlersozialversicherung.

Der im Jahre 1976 geborene Kläger hat Politikwissenschaft studiert. Sein Interesse gilt der Dampfschifffahrt des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts und den dabei zum Einsatz gekommenen Schiffen. Der Kläger betreibt die Website www ... Dort heißt es unter der Rubrik "über uns": "Ziel dieses Projekts ist es, die Welt der großen Ozeanliner noch einmal zum Leben zu erwecken und das goldene Zeitalter der Transatlantikreisen aus den Schwarz-Weiß Bildern der Vergangenheit in die Farbe der Gegenwart zu transportieren. Sehen und erleben Sie mit.com die großen Schiffe der Cunard-, French- und White Star Line, des Norddeutschen Lloyd und der HA-PAG in Farbe, genau so wie unsere Groß-und Urgroßeltern sie einst gesehen haben. Eine Auswahl der schönsten Fotos dieser Schiffe (die stetig erweitert wird) haben wir dafür in aufwändiger Handarbeit nachkoloriert, um die Faszination zu vermitteln, die unsere Vorfahren einst empfanden, als sie vor diesen größten je von Menschenhand erschaffenen beweglichen Objekten standen. Insofern versteht sich diese Website nicht zuletzt als eine Hommage an die legendären `Schiffe der Träume`".

Unter der Rubrik "Shop" finden sich auf der Website Kaufangebote für Bilder von Transatlantiklinern des 19. und des 20. Jahrhunderts. Diese Bilder erschafft der Kläger, indem er originale Schwarzweißfotografien der Schiffe als Vorlage nimmt, diese am Rechner digital mittels Photoshop nachbearbeitet, insbesondere nachkoloriert, und sie auf Fotopapier oder ein anderes Medium wie etwa Leinwand druckt.

In den Jahren 2012 bis 2019 erzielte der Kläger Einkünfte in folgender Höhe (2012 bis 2018 belegt durch Einkommenssteuerbescheide):

2012: 3.000,00 Euro (Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit), 2013: 8.000,00 Euro (Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit), 2014: 6.322,32 Euro (3.300 Euro Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, 3.022 Euro Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer), 2015: 8.769,00 Euro (1.405 Euro Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, 7.364 Euro Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer),

2016: 5.462,00 Euro (165 Euro Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, 5.297 Euro Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer), 2017: 5.249 Euro (1.600 Euro Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, 3.649 Euro Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer), 2018: 4.949 Euro (1.125 Euro Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, 3.824 Euro aus anderer selbständiger Arbeit), 2019: 16.651 Euro (vorläufige Angabe des Klägers, Einkünfte vorwiegend aus Vortragsreihen).

Am 5. November 2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung seiner Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz. Zu seiner Tätigkeit gab er an: "Restaurierung und Colorierung von Schwarz/Weiß-Fotografien von Ozean-Linern des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ( ) sowie Verkauf der Bilder als Kunstdrucke." Diese Tätigkeit entspreche am ehesten der Rubrik "künstlerischer Fotograf, Lichtbildner, Fotodesigner".

Mit Bescheid vom 27. November 2012 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger nicht der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz unterliege. Restauratoren übten keine künstlerische Tätigkeit aus, sondern strebten vordringlich die originalgetreue Wiederherstellung eines teilweise untergegangenen Kunst- oder Kulturguts an, nicht aber die erstmalige Realisierung einer eigenen Idee.

Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Kläger an, kein Restaurator zu sein, sondern ein selbständiger Künstler im Bereich Fotodesign, der neue Fotos bzw. Bilder erschaffe. Seine Farbbilder seien vollkommene Neuschöpfungen aus verschiedenen Elementen, mithin komplett neu komponierte eigen-ständige Kunstwerke. Diese basierten lediglich auf alten Schwarzweißfotografien. Durch seine Bearbeitung entstehe der Eindruck einer modernen Farbfotografie. Es komme ihm gezielt darauf an, mit der Kolorierung und Neugestaltung "immer auch die Geschichte des jeweiligen Schiffes ein Stück weit widerzuspiegeln". Auf seiner Website.com publiziere er passend dazu Beiträge zur Geschichte des jeweiligen Schiffes. Als Beispiel fügte er eine historische Schwarzweißfotografie der "Imperator" bei sowie das Ergebnis seiner Bearbeitung in Gestalt eines Farbbildes. Auf Bl. 27 des Verwaltungsvorgangs wird Bezug genommen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2013 zurück. Die für eine Anerkennung von Versicherungspflicht erforderliche eigenschöpferisch-gestaltende Tätigkeit im Bereich der bildenden Kunst sei nicht gegeben. In der überwiegend technisch geprägten Tätigkeit des Klägers liege keine künstlerische Tätigkeit etwa als Fotodesigner.

Zur Begründung der dagegen erhobenen Klage hat der Kläger sein Vorbringen vertieft. Unter Verwendung alter Schwarzweißfotografien kreiere er wie moderne Farbfotografien wirkende Werke. Er sehe sich als Fotokünstler und wolle Geschichte erleb-bar machen. Die Transatlantikliner hätten prägende und symbolhafte Bedeutung für das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert. Die Methoden des Fotodesigns ermöglichten es ihm, die Geschichte der Transatlantikliner erlebbar zu machen. Als Beispiele legte er Originalfotografien sowie bearbeitete Bilder der "Titanic" bzw. der "Great Eastern" vor. Auf Bl. 24 bis 26 der Gerichtsakte wird insoweit Bezug genommen. Die von der Beklagten vorgenommene Einengung des Kunstbegriffs sei nicht tragfähig. Er sei weder Restaurator noch Fotograf. Er kombiniere Elemente bestehender Fotografien, die er koloriere und zu einer neuen Collage verarbeite; auf diese Weise designe er Fotos in einem offenen Prozess.

Mit Urteil vom 25. November 2016 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Tätigkeit des Klägers gleiche keinem klassischen künstlerischen Beruf; sie weise allenfalls untergeordnete Ähnlichkeiten mit der Tätigkeit eines Grafikdesigners, Fotodesigners oder eines anderen Designers auf. Die von ihm erstellten Bilder verkörperten keine eigenschöpferische Leistung, denn vorhandene historische Fotografien würden lediglich bearbeitet und koloriert. Die Kammer siedele den Schaffensprozess des Klägers inhaltlich zwischen Collage, Kolorierung und historischer Rekonstruktion/Restauration an. Auch durch die erstmalige Farbgebung erhalte die Tätigkeit kein künstlerisches Gepräge. Der starke zeithistorische Bezug lasse den ästhetisch gestalterischen Charakter der Arbeiten in den Hintergrund treten. Weil das erklärte Ziel des Klägers darin bestehe, einen historischen Moment wieder aufleben zu lassen, löse er sich nicht entscheidend von der historischen Fotografie, sondern bearbeite diese nur handwerklich. Zu-dem fehle es an der Anerkennung des Klägers als Künstler in Kunstkreisen. Weder nehme er an Kunstausstellungen teil, noch sei er Mitglied von Künstlervereinigungen; er werde nicht in Künstlerlexika geführt und habe auch keine Auszeichnungen als Künstler erhalten.

Gegen das ihm am 4. Januar 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. Januar 2017 Berufung eingelegt. Am Vorliegen eines künstlerischen Schaffensprozesses könne kein Zweifel bestehen. Er versuche gerade nicht, mit dem bearbeiteten Bild einen historischen Moment wiederzugeben, sondern verändere diesen Moment geradezu, weil er versuche, "die gesamte Geschichte des Schiffes in seiner Ära bzw. eines Zeitabschnitts davon in seinem Werk zu versinnbildlichen". Er entwickele eine Interpretation, die mit der Realität zum Zeitpunkt der historischen Aufnahme nichts zu tun habe. Als Beispiel hat der Kläger Bearbeitungen von Bildern der "Britannic", der "Titanic" und der "Great Eastern" vorgelegt; auf Bl. 106 bis 111 der Gerichtsakte wird Bezug genommen. Die Website.com diene primär als Informationsmedium und nicht als Onlineshop, solle aber, sobald genug Kapital zur Verfügung stehe, in diese Richtung ausgebaut werden. Wichtiger als die Website sei inzwischen die Ausstellung seiner Bilder auf Veranstaltungen mit Publikum, auf denen er in Vorträgen die Geschichte und die Hintergründe der Bilder erläutere. Diese Vorträge fänden sowohl auf See an Bord der RMS Queen Mary 2 in Kooperation mit dem Kreuzfahrtunternehmen Cunard Line statt, aber auch an Land in Themenausstellungen, etwa im Grand Hotel Travemünde, im Grandhotel Heiligendamm oder bei der Volkswagen Management Association. Dis habe zunehmend Erfolg, weshalb sich seine Einkünfte im Jahre 2019 stark erhöht hätten. Seine Bilder präsentiere er dort entweder im Original oder in digitaler Form, meistens verbunden mit einem Champagnerempfang oder ähnlichem. Für die Vorträge an Land werde er bezahlt und könne dadurch seine Bilder vertreiben. Auf der Queen Mary 2 erhalte er kein Honorar, habe aber die Möglichkeit, seine Bilder auch außerhalb der Vorträge anzubieten. Ein weiterer regelmäßiger Einkommensfaktor sei seine publizistische Tätigkeit für die Zeitschrift "The Queens, Das Cunard Magazin", wo er die Kolumne "Tradition & Faszination" veröffentliche. Diese Publikationen seien ein wichtiger Multiplikator für seine Arbeiten. Insoweit habe sich seine praktische Arbeit in der Zeit nach dem erstinstanzlichen Urteil verändert. Sowohl seine Vorträge als auch seine publizistische Tätigkeit basierten auf seinen Bildern und seien ohne sie nicht denkbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. November 2916 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2013 aufzuheben und festzustellen, dass er ab dem 5. November 2012 aufgrund seiner Tätigkeit als selbständiger Künstler der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz unterliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, bleibt aber ohne Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger unterliegt nicht der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz.

1. Zugunsten des Klägers geht der Senat davon aus, dass die Geringfügigkeitsgrenze aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) überschritten ist. Danach ist versicherungsfrei nach dem KSVG, wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3.900 Euro nicht übersteigt. Der Kläger hat insoweit angegeben, dass die in den Steuerbescheiden enthaltenen "Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer" den Umsatz aus dem Verkauf seiner Bilder ausmachten. Im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2018 waren dies 4.631,20 Euro pro Jahr.

2. Sofern der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht hat, nunmehr aufgrund einer publizistischen Tätigkeit der Versicherungspflicht zu unterliegen, ist dies nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, denn sein An-trag auf Feststellung von Versicherungspflicht nach dem KSVG bezog sich allein auf eine künstlerische Tätigkeit, und auch nur insoweit hat die Beklagte ein Verwaltungs-verfahren durchgeführt.

3. Soweit es die Frage der Versicherungspflicht des Klägers aufgrund einer Tätigkeit als selbständiger Künstler nach § 1 KSVG betrifft, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffende und überzeugende Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Zu ergänzen bleibt:

Auch zur Überzeugung des Senats fehlt dem Bearbeiten historischer Schwarzweißfotografien von Dampfschiffen das unentbehrliche, eine Bagatellgrenze überschreiten-de eigenschöpferische Element. Der Kläger nutzt bei der elektronisch am Rechner mittels Photoshop vorgenommenen Bildbearbeitung einen stark eingeschränkten gestalterischen Freiraum, denn die vor allem farblich umzugestaltende Fotografie ist verbindlich vorgegeben und bleibt im Wesentlichen gleich. Im Zentrum der Bilder stehen nach wie vor die abgelichteten Schiffe, deren Gestalt der Kläger, wenn überhaupt, nur marginal verändert, etwa durch stärkere Betonung einer Takelage oder (im Falle der "Great Eastern") durch Hinzunahme eines fünften Schornsteins. Ähnlich wie bei der Gemäldefotografie (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 1998, B 3 KR 11/97 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16) fehlt damit die eigenschöpferische Komponente. Der Kläger "geht um" mit historischen Fotografien und verfremdet diese farblich, wobei der kreative Anteil im gesamten Schaffensprozess stark untergeordnet bleibt; es geht ihm um die Schiffe, nicht um die Kunst. Die gedankliche Überhöhung, die der Kläger seiner Bildbearbeitung beimisst (z.B.: "Die `Britannic` will ich so darstellen, dass man das dramatische Schicksal, das in einigen Jahren im I. Weltkrieg vor ihr liegt, förmlich spüren/visuell erahnen kann."), kann dabei nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Im Gesamtbild bedient der Kläger sich des vorhandenen historischen Bildmaterials, um die Tätigkeit rund um seine Liebhaberei zu illustrieren und sich Einkommensquellen zu erschließen; hier zielt der Kläger mittlerweile vor allem auf gut dotierte Vortragsreihen, in deren Rahmen er seine Bilder als historische Illustrationen einsetzt. Die Grenze zum Künstlerischen ist damit, wie vom Sozialgericht zutreffend erklärt, nicht überschritten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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