S 13 KR 486/09

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 13 KR 486/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 119/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine operative Brustverkleinerung sowie einer Hautstraffung am Bauch.

Mit Schreiben vom 21. April 2009 beantragte die jetzt 46-jährige Klägerin bei der Beklagten die streitige Leistung. Sie wies darauf hin, sie habe sich im Oktober 2005 einer Gastric-Banding-Operation unterzogen und infolgedessen etwa 22 kg Gewicht verloren. Ihre Brust sei durch die Gewichtsabnahme erschlafft und ziehe nach unten, was sich schmerzhaft auf ihre Brustwirbelsäule auswirke. Die BH-Träger würden in die Schultern einschneiden. Dies führe auch zu Schmerzen und Verspannungen. Unter der herabhängenden Brust würde sich gerade in den Sommermonaten durch Schwitzen immer wieder Entzündungen bilden. Ebenfalls seit dem vergangenen Sommer würde sich eine Entzündung am Bauchnabel einstellen, was auf die Überlappung und das Schwitzen in der überhängenden Bauchfalte zurückzuführen sei. Es wurden Arztberichte des Klinikums Offenbach (Prof. Dr. C.) vom 22, August 2008 sowie ein Attest des Dr. D. (Orthopäde, D-Stadt) vom 29. Januar 2009 nebst einer Fotodokumentationen vorgelegt.

In der Folgezeit holte die Beklagte ein sozialmedizinisches Gutachten bei Dr. E. (MDK) vom 16. Juni 2009 ein. Die Gutachterin kam zu der Einschätzung, dass eine Kostenübernahme für die vorgesehene operative Maßnahme nicht angeraten werde. Eine Erkrankung im Sinne des SGB V liege nicht vor. Die Klägerin wiege bei einer Körpergröße von 162 cm 93,5 kg (BMI 35,6). Hier sei zunächst eine weitere Gewichtsreduktion von circa 23 kg indiziert und empfehlenswert. Nach Erreichen des Zielgewichts solle vor Durchführung plastisch-ästhetischer Folgeoperationen dieses mindestens ein Jahr gehalten werden. Die anamnestisch auftretenden intertriginösen Hautveränderungen, die zum Untersuchungszeitpunkt nicht vorgelegen hätten, seien in der Regel mit konservativen Behandlungsmaßnahmen therapierbar. Der Ptosis beider Mammae sei keine funktionelle Beeinträchtigung beizumessen. Die beklagten orthopädischen Beschwerden könnten durch Gewichtsreduktion und die Fortsetzung physikalischer Therapiemaßnahmen, insbesondere aber auch Rückenschulung und eine regelmäßig betriebene aktive Wirbelsäulengymnastik behandelt werden. Auch durch die mäßig ausgebildete Fettschürze bestehe keine funktionelle Beeinträchtigung mit Krankheitswert.

Mit Bescheid vom 26. Juni 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab, wogegen die Klägerin am 22. Juli 2009 Widerspruch einlegte. Sie wies darauf hin, bei ihr bestehe ein um das dreifache erhöhte Brustkrebsrisiko. Die Hautentzündungen ließen sich nicht mit Hygiene erledigen. Sie wies in diesem Zusammenhang auf ihren Beruf als Altenpflegerin mit den besonderen Erschwernissen hin. Ihre BH-Schnürfurchen seien nicht diskret, sondern nach einem Arbeitstag in der Pflege sehr ausgeprägt und teilweise gerötet. Die gewünschte Gewichtsabnahme von noch 23 kg sei absolut unrealistisch. Vor der Operation sei ihr von dem Operateur ein realistisches Abnahmeziel von 20 bis 25 kg beschrieben worden. Dies habe sie erreicht. Zur Stützung ihres Vorbringens legte die Klägerin ein Attest von Dr. F. (Allgemeinmedizin, F-Stadt) vom 31. Juli 2009 vor.

Nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens nach Aktenlage durch Dr. G. vom 26. August 2009 (Blatt 26), wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 12. November 2009 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 2. Dezember 2009 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen hat die Kammer zunächst Befundberichte bei den behandelnden Ärzten Dr. F. vom 25. Februar 2010 nebst Attest vom 19. Februar 2010, Dr. H. (Gynäkologin, F-Stadt) vom 25. Februar 2010, Dr. J. (Neurologie/Psychiatrie, J-Stadt) vom 4. März 2010 und Dr. D. vom 28. Mai 2010 sowie den Reha-Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Bad Driburg vom 20. Februar 2008 beigezogen. Weiter hat die Kammer ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Amts wegen bei Dr. K. vom 2. Dezember 2010 (Untersuchung 2. September 2010) eingeholt. Dieser ist zu dem Ergebnis gekommen, die Notwendigkeit der begehrten Behandlungen bestehe nicht. Wegen der Einzelheiten des Sachverständigengutachtens wird auf Bl. 83 bis 107 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Klägerin trägt vor, der Umfang der Brust bzw. der Umfang des Bauchdeckengewebes habe bei ihr Krankheitswert. Es handele sich nicht lediglich um eine ernährungstechnisch bedingte Schönheitsoperation. Bis zum Jahr 2001 habe sie üblicherweise die Kleidergröße 36 bis 38 getragen. Im Jahr 2001 sei es plötzlich zu einer ganz erheblichen Gewichtszunahme gekommen. Man vermute einen Zusammenhang mit der Entfernung ihres rechten Eierstocks. Aufgrund der Magenbandoperation habe sie etwa 22 kg Gewicht verloren.

Dadurch sei überflüssige Haut im Bauchbereich entstanden. Es komme bei ihr im Bereich des Bauchnabels zu übelriechenden und vor allem im Sommer fast durchgängig vorhandenen Entzündungen im und am Bauchnabel. Hierbei handele es sich um Pusteln und durchgängig feuchte Hautstellen im Bereich des Nabels und unter der Brust. Die Hautpartien müssten mehrfach täglich gesäubert und/oder getrocknet werden, ohne dass hierdurch eine Erleichterung im Sinne auf die Symptomatik eintrete. Entzündungen, Rötung, Nässe und Juckreiz befänden sich im Bereich unterhalb der Brust und seien ständig vorhanden. Sie leide wegen des übergroßen Brustumfangs unter Schmerzen im Halswirbel-, Brust- und Lendenwirbelbereich. Außerdem beständen Schmerzen durch die Träger des BHs im Schulterbereich, obwohl sie extra breite Träger und Spezial-BHs für große Größen trage. Außerdem bestehe ein massiver Muskelhartspann im Bereich der gesamten paravertebralen Muskulatur und Schultermuskulatur. Im Bereich der Knie würden ständige Schmerzen aufgrund des großen Leibesumfangs bestehen. Sport (Laufen) sei nicht möglich. Durch die Fettschürze seien Beugeübungen behindert, daher sei Entlastungssport bezüglich der Knieschmerzen nur sehr eingeschränkt möglich. Wegen der Fettschürze leide sie häufig unter Magenbeschwerden, weil durch den Hosenbund die Schürze nach oben gedrückt werde. Wegen der Hautprobleme werde sie durch ihre Hausärztin behandelt. Einmal habe sie einen Hautarzt kontaktiert. Aufgrund der bestehenden Schamgefühle sei es aber nicht zu einer körperlichen Untersuchung gekommen.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine operative Straffung der Bauchdecke sowie für eine operative Brustverkleinerung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen

Sie weist darauf hin, dass solche "mittelbare" Behandlungen, wie von der Klägerin gewünscht, nach der Rechtsprechung des BSG einer besonderen Rechtfertigung bedürften, in der eine Abwägung zwischen dem voraussichtlich medizinischen Nutzen und möglichen gesundheitlichen Schäden erfolgen müsse. Werde dabei in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen, seien strenge Anforderungen zu stellen. Gefordert werde, dass konservative Maßnahmen ausgeschöpft seien und aufgrund der Therapieresistenz der Beschwerden ein weiterer Behandlungsbedarfs bestehe. Durch das Gutachten des Dr. K. sieht sie sich in ihrer Haltung bestätigt.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2009 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin wird hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Übernahme der Kosten für eine operative Straffung der Bauchdecke und eine operative Brustverkleinerung.

Der Anspruch ergibt sich nicht aus den §§ 27 Abs. 1, 39 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst insbesondere auch gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V, die Krankenhausbehandlung. Die Krankenhausbehandlung im Sinne des § 39 Abs. 1 SGB V wird vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant (§ 115b SGB V) erbracht. Unter einer Krankheit wird ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustandes verstanden, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht.

Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeden körperlichen Unregelmäßigkeiten zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leitet, die entstellend wirkt.

Vorliegend steht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. K. vom 2. Dezember 2010 mit körperlicher Untersuchung der Klägerin vom 2. September 2010 zur Überzeugung der Kammer fest, dass weder die Durchführung der Brustverkleinerung noch die operative Straffung der Bauchdecke bei der Klägerin notwendig im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V sind.

Unstreitig besteht bezüglich der Brust keine Erkrankung. Dies hat die behandelnde Gynäkologin Dr. H. in ihrem Befundbericht vom 25. Februar 2010 bestätigt. Allerdings sind beide Brüste überdurchschnittlich groß (Hypermastie beidseits). Von einer entstellenden Wirkung kann aber - auch unter Berücksichtigung der vom Sachverständigen vorgelegten Fotodokumentation - mitnichten ausgegangen werden. So trug die Klägerin im Rahmen der Begutachtung einen BH mit der Größe 95 D mit breiten Trägern. Insoweit handelt es sich um eine durchaus übliche Konfektionsgröße.

Der Sachverständige Dr. K. führt in seinem Gutachten nachvollziehbar aus, dass im Rahmen der Untersuchung nach Abnahme des BHs allenfalls geringfügige Streifen in der Haut unterhalb des Träger, nicht aber Hautentzündungen - ebensowenig im Bereich des Nabels oder der Bauchwand - festzustellen waren. Hautauffälligkeiten waren auch von der MDK-Gutachtern Dr. E. in deren Gutachten vom 16. Juni 2009 nicht zu objektivieren. Sie wurden auch zu keinem Zeitpunkt fotographisch dokumentiert. Zu Recht weist Dr. K. darauf hin, dass die Untersuchungen bei Dr. E. - genau wie seine eigene Untersuchung - in der warmen Jahreszeit stattgefunden hat. Ein belastbarer Beleg für die behaupteten Hautirritationen lässt sich nicht finden. Die Klägerin befindet sich auch nicht in fachärztlicher Behandlung. Die Angaben von Dr. F. in ihrem Befundbericht vom 25. Februar 2010 zur dermatologischen Fachbehandlung sind äußerst vage. Nachvollziehbarerweise weist Dr. E. darauf hin, dass konservative Behandlungsmöglichkeiten gegebenenfalls wegen Hautveränderungen zumutbar sind.

Die von der Klägerin geschilderten Schmerzen im gesamten Schulter-, Nacken- und Rückenbereich ließen sich im Rahmen der Begutachtung nicht plausibel machen. Ebensowenig konnte der Sachverständige Dr. K. Anknüpfungspunkte für häufig wiederkehrende oder länger währende schmerzhafte Funktionsstörungen in diesen Regionen aus dem Akteninhalt herleiten. So weist er schlüssig darauf hin, dass sich aus den Befunden von Dr. D. vom 29. Januar 2009 und 28. Mai 2010 ebenso wie aus dem Reha-Entlassungsbericht vom 20. Februar 2008 keine Hinweise darauf ergeben, dass die Klägerin häufig wegen muskoskelettaler Funktionsstörungen behandelt werden muss. Auch sind aus den Befunden wegen derartiger Beschwerden keine erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiträume auffällig geworden. Der Sachverständige ist daher für die Kammer überzeugend zu dem Schluss gekommen, dass es sich bezüglich der Verhältnisse an der Brust der Klägerin aus orthopädischer Sicht nicht um einen regelwidrigen, behandlungsbedürftigen Zustand im Sinne des SGB V - auch nicht als Co-Faktor im gemeinschaftlichen Einwirken mit anderen, konkurrierenden Beschwerdeursachen - handelt. Weder die Größe noch das Gewicht der Brust der Klägerin verursachen Beschwerden oder funktionelle Einschränkungen. Die - zweifellos bestehende - überdurchschnittliche Brustgröße - ist demnach nicht beschwerdeverursachend. Die Feststellungen des Sachverständigen Dr. K. werden durch das Gutachten von Dr. E. bestätigt. Auch diese konnte keine wesentlichen Funktionsstörungen auf orthopädischem Gebiet feststellen und hat überdies noch nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass sich durch Rückenschulung und regelmäßig betriebene aktive Wirbelsäulengymnastik die beklagten orthopädischen Beschwerden normalerweise gut therapieren lassen würden. Damit werden die anderslautenden Einschätzungen der behandelnden Ärztinnen Dr. F. und Dr. D. überzeugend widerlegt.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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