S 5 RJ 130/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 RJ 130/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Zahlung von Regelaltersrente nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) hat.

Die Klägerin wurde am 00.00.1923 in T1 bei H/Q geboren. Die Klägerin ist jüdischen Glaubens und Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz. Seit 1950 lebt sie in Israel und besitzt die is¬raelische Staatsbürgerschaft. Die Klägerin beantragte am 04.11.2002 Altersrente unter Anerkennung von Ghettoarbeitszeiten. Hierzu gab sie am 21.01.2003 zum Versicherungsverlauf an, sie habe von Oktober 1941 bis Januar 1943 als Arbeiterin im Ghetto H gearbeitet. Die Höhe des Entgelts sei ihr nicht erinnerlich. In einem weite¬ren Fragebogen führte sie zu ihrer Arbeitsleistung im Ghetto H unter an¬derem aus, sie habe außerhalb des Ghettos Wege gereinigt und Wäsche gewa¬schen. Sie sei auf dem Weg zur Arbeit und während der Arbeit durch Polizisten bewacht worden. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Judenrates zu¬stande gekommen. Sie habe 10 bis 12 Stunden gearbeitet. Sie sei durch Lebens¬mittel entlohnt worden. Barlohn hätte sie keinen erhalten, auch Sachbezüge (seien ihr nicht gewährt worden.

Die Beklagte zog die Entschädigungsakte über die Klägerin bei und nahm daraus Unterlagen in Kopie zur Akte. Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens hat die Zeugin L1 am 22.11.1955 eidesstattlich versichert, sie sei im September 1941 zusammen mit der Klägerin in das Ghetto H eingeliefert worden, wel¬ches sich am Marktplatz befand und mit Stacheldraht umzäumt war und von ukrainischer Polizei und deutscher Aufsicht bewacht wurde. Man habe den gel¬ben Judenstern auf Brust auf Rücken tragen und verschiedene Zwangsarbeiten außerhalb des Ghettos verrichten müssen. Innerhalb des Ghettos gab es jüdi¬sche Polizei und einen Judenrat, von dem sie das Essen erhielten. Der Zeuge T2 führt in einer eidesstattlichen Erklärung vom 22.11.1955 ebenfalls aus, er habe verschiedene Zwangsarbeiten außerhalb des Ghettos mit der Kläge¬rin verrichtet. Das Essen habe er vom Judenrat erhalten. Die Klägerin selbst sagte eidesstattlich am 22.11.1955 unter anderem aus, sie sei im September 1941 in das Ghetto H überführt worden. Dort habe sie unter Zwang Aufräumarbeiten außerhalb des Ghettos verrichten müssen, denn viele Teile der Stadt waren ausgebrannt. Dorthin sei sie unter Bewachung ge¬bracht worden.

Mit Bescheid vom 27.05.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin gehöre nicht zu dem durch das ZRBG begünstigten Personenkreis. Die Umstände der Arbeitsleistung, wie sie sich insbesondere aus der Entschädigungsakte ergeben, spräche nicht für eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene und gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigung.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 03.06.2003 Widerspruch ein. In einer schriftlichen Erklärung vom 06.07.2003 heißt es, sie habe sich im Oktober 1941 bis Januar 1943 im Ghetto H aufgehalten und wirklich mit Hilfe des Judenrates Arbeit gefunden. Sie habe in der Wäscherei Wäsche gewaschen und Reinigungsarbeiten erfüllt. Dafür hätte sie zusätzliche Lebensmittel erhal¬ten. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei sie von Polizisten bewacht worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt eingegangenes Beschäftigungsverhältnis sei nicht glaubhaft gemacht worden.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 23.09.2003.

Die Klägerin macht weiter geltend, sich über den Judenrat eine Tätigkeit in der Wäscherei als Arbeiterin gesucht zu haben. Als Entlohnung hätte sie zu¬sätzliche Lebensmittel erhalten. Zeugen seien nicht mehr vorhanden.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.05.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2003 zu verurteilen, die Tätigkeit von Oktober 1941 bis Januar 1943 als glaubhaft gemachte Beitragszeit nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Verwaltungsentscheidung nach wie vor für rechtmä¬ßig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte und der Entschädigungsakte über die Klägerin, die Vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, voll inhaltlich verwiesen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15.09.2004 ist die Klägerin weder selbst erschienen noch vertreten gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15.09.2004 verhan¬deln und entscheiden. Auf diese verfahrensrechtliche Möglichkeit (vgl. §§ 110, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist der Bevollmächtigte der Klägerin in der Terminsmitteilung hingewiesen worden.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 27.05.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2003 nicht in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Zu Recht lehnt die Be¬klagte die Gewährung von Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 ab.

Ein Anspruch der Klägerin gemäß § 35 Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - ge¬setzliche Rentenversicherung - (SGB VI) auf Regelaltersrente besteht nicht. Die Klägerin erfüllt nicht die allgemeine Wartezeit gemäß § 34 Abs. 1 SGB VI. Für die Klägerin liegen in der deutschen Rentenversicherung keine anrechen¬baren Versicherungszeiten vor. Gemäß § 55 Abs. 1 SGB VI sind Beitragszeiten auch solche Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (sog. fiktive Beitragszeiten). Hat eine Verfolgte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in einem Ghetto, in dem sie sich zwangsweise aufgehalten hat ausgeübt, so gelten diese Bei¬träge nach Maßgabe des § 2 ZRBG als gezahlt.

Nach § 1 ZRBG findet dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolg¬ten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, Anwendung, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen den Kläger ausgeübt wurde und 2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, 3. soweit für diese Zeit nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozia¬len Sicherheit erbracht wird.

Damit knüpft das ZRBG an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den sogenannten Ghetto-Fällen an (vgl. u. a. Urteile vom 14.07.1999 - B 13 RJ 75/98 R und B 13 RJ 71/98 R in SozR 3-5070, § 14 Nr. 3 und vom 21.04.1999 - B 5 RJ 48/98 R in SozR 3-2200, § 1248 Nr. 1 b). Voraussetzung ist damit eine Vereinbarung zwischen einem konkreten Arbeitgeber und dem Beschäftigten über den Austausch von Arbeit und Lohn sowie das Eingebundensein eines Ar¬beitnehmers in den organisatorischen Ablauf eines Betriebes. Ferner muss für die geleistete Arbeit ein Arbeitsentgelt gezahlt worden sein. Erforderlich ist mithin die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tä¬tigkeit, lediglich die fehlenden Beiträge werden fingiert. Unschädlich ist der zwangsweise Aufenthalt im Ghetto.Zur Überzeugung der Kammer sind die Voraussetzungen des § 1 ZRBG in der Per¬son der Klägerin nicht erfüllt. Nach Auffassung der Kammer ist nämlich nicht glaubhaft gemacht, dass die Klä¬gerin im streitbefangenen Zeitraum in einem Beschäftigungsverhältnis, dass aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist und das gegen Entgelt ausgeübt wurde, gestanden hatte.

Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergeb¬nis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel er¬strecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Dazu muss die gute Möglich¬keit bestehen, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus ge¬wisse Zweifel bestehen bleiben können (BSGE 45, 9 ff.; BSG SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h., es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Be¬tracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahr¬scheinlichsten ist, weil die Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehen¬den Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen (BSG SozR 3-3900, § 1 5 Nr. 4). Dabei gilt, wie in allen anderen Prozessordnungen, so auch in sozialgerichtlichen Verfahren, der Grundsatz der objektiven Beweislast, wonach die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder / des nicht Festgestelltseins einer Tatsache, die also weder bewiesen noch glaubhaft gemacht worden ist, zu Lasten desjenigen gehen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will, wobei es keinen Grundsatz gibt, das im Zweifel zu Gunsten des Versicherten zu entscheiden ist.

Zunächst behauptet die Klägerin, die Arbeit in einer Wäscherei durch eigenes Bemühen durch den Judenrat vermittelt bekommen zu haben. Gleiches gelte für Reinigungsarbeiten. Von einer Arbeit in einer Wäscherei ist im Entschädi¬gungsverfahren jedoch an keiner Stelle die Rede. Vielmehr haben die Zeugen als auch die Klägerin selbst in ihren eidesstattlichen Versicherungen von Aufräumarbeiten außerhalb des Ghettos bzw. von verschiedenen Zwangsarbeiten außerhalb des Ghettos berichtet. Die Zeugin L2 sprach in ihrer eides-stattlichen Versicherung vom 22.11.1955 davon, ihr und der Klägerin seien verschiedene Aufräumungsarbeiten vom Judenrat zugewiesen worden. Für die Kam¬mer ist damit zweifelhaft, ob die Klägerin tatsächlich in einer Wäscherei au¬ßerhalb des Ghettos gearbeitet hatte. Als möglich erachtet die Kammer dies durchaus. Fraglich bleibt für die Kammer allerdings, ob die Klägerin diese Arbeit hinreichend frei aufgenommen hatte. In der Entschädigungsakte lassen sich insofern keine klaren Erkenntnisse entnehmen. Auch wenn die Zeugin L2 von einer zugewiesenen Arbeit gesprochen hat, bedeutet dies nach Meinung der Kammer noch nicht, dass die Klägerin und die Zeugin zu den Arbei¬ten durch unmittelbaren Zwang genötigt worden sind. Die Kammer hält es des¬halb für gut möglich, dass die Klägerin sich ggf. auf Aufforderung durch den Judenrat sich hinreichend freiwillig dieser Arbeit stellte oder gar selbst bemüht war, aus eigenem Interesse, mit Blick auf eine drohende Deportation, eine Tätigkeit aufzunehmen.

Die Kammer konnte sich jedoch nicht im Sinne der guten Möglichkeit davon überzeugen, dass die Klägerin gegen Entgelt gearbeitet hatte.

Die Klägerin trägt nunmehr zwar vor, sie habe für ihre Arbeiten zusätzliche Lebensmittel erhalten. Es bleibt aber nach Meinung der Kammer offen, ob es sich dabei um Lebensmittelrationen gehandelt hatte, die lediglich dazu dienten, i die Arbeitskraft der Klägerin als solche zu erhalten oder ob die Klägerin tatsächlich zusätzliche Lebensmittel als Sachbezüge durch den Judenrat erhal¬ten hatte. Nach den Angaben in der Entschädigungsakte, kann es nach Auffas- ] sung der Kammer nur als sicher angesehen werden, dass die Verpflegung im streitbefangenen Zeitraum durch den Judenrat im Ghetto H organisiert worden ist. Ein Entgelt in Form von zusätzlichen Lebensmittel über die zur Erhaltung der Arbeitskraft notwendige Verpflegung hinaus, ist möglich. Nach Auffassung der Kammer kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese Möglichkeit relativ am wahrscheinlichsten ist. Denn nach Gesamtwürdigung der Umstände spricht nach Auffassung der Kammer für die Möglichkeit des Bezugs zusätzlicher Lebensmittel nicht besonders viel. Da die bloße Möglichkeit für sich nicht ausreichend ist, konnte nicht glaub¬haft gemacht werden, dass die Klägerin die Arbeiten während ihres Aufenthal¬tes im Ghetto H gegen Entgelt im Sinne des § 1 ZRBG ausgeübt hatte. Zeu¬gen konnte die Klägerin dafür nicht benennen.

Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved