S 11 AL 1390/04

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 1390/04
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 292/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die befristete Bewilligung von Arbeitslosenhilfe bis 31.12.2004.

Die 1950 geborene Klägerin ist seit 01.10.1991 durchgehend arbeitslos. Nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld hat die Klägerin ab 29.09.1992 Anschlussarbeitslosenhilfe bezogen. Der Arbeitslosenhilfebezug wurde unterbrochen durch die Gewährung von Unterhaltsgeld während einer Fortbildungsmaßnahme und der Gewährung von Anschlussunterhaltsgeld im Zeitraum vom 17.09.1997 bis 14.06.1998. Seit 15.06.1998 erhält die Klägerin erneut Anschlussarbeitslosenhilfe. In 2004 betrug die wöchentliche Leistungshöhe vom 01.01.2004 bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnitts am 31.05.2004 164,57 EUR wöchentlich auf der Grundlage eines gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelts von 430,00 EUR und Leistungsgruppe B nach dem erhöhten Leistungssatz. Die Klägerin ist geschieden. Sie hat 2 Kinder. Das jüngste Kind ist im März 1987 geboren. Die Klägerin bewohnt ein eigenes Einfamilienhaus mit einer Grundfläche von 80 qm.

Mit Bescheid vom 01.06.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Gewährung von Arbeitslosenhilfe werde bis 31.12.2004 befristet.

Mit Schreiben vom 15.06.2004 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Dazu machte sie geltend, die Streichung der Arbeitslosenhilfe sei rechts- und verfassungswidrig. Damit sei auch die Befristung der Bewilligung bis 31.12.2004 rechtswidrig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 190 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der bis zum 31.03.2004 geltenden Fassung dürfe Arbeitslosenhilfe längstens für ein Jahr bewilligt werden. Diese Rechtsvorschrift gelte jedoch nicht mehr. Durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBI. I Seite 2954) sei § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB III mit Wirkung vom 01.04.2004 wie folgt neu gefasst worden: Die Arbeitslosenhilfe darf längstens bis zum 31.12.2004 bewilligt werden. Des Weiteren werde durch das vorgenannte Gesetz der 7. Unterabschnitt des 8. Abschnitts des SGB III (Arbeitslosenhilfe, §§ 190 bis 206) mit Wirkung vom 01.01.2005 ganz aufgehoben. Arbeitslosenhilfe könne mithin ab 01.01.2005 nicht mehr gewährt werden. An die Stelle der Arbeitslosenhilfe werde ab 01.01.2005 das Arbeitslosengeld Il treten und bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nahtlos weiterzuzahlen sein.

Hiergegen richtet sich die am 15.07.2004 beim Sozialgericht Kassel eingegangene Klage. Dazu macht die Klägerin geltend, mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt werde die Arbeitslosenhilfe ab 01.01.2005 abgeschafft und durch das so genannte Arbeitslosengeld Il ersetzt. Es stehe zu befürchten, dass bis zum 01.01.2005 noch keine praktikablen Regelungen der Umsetzung in Kraft sein würden und dass auch die Höhe der tatsächlichen Geldleistungen nicht geregelt sein würden. Für sie bestehe ab dem 01.01.2005 eine unmittelbare und nicht abwendbare Existenzgefahr. Ab Januar 2005 sei eine Grundabsicherung bzgl. Verpflegung, Miete, Strom- und Heizkosten nicht mehr gegeben. Es müsse angenommen werden, dass die Sozialämter ab Januar 2005 organisatorisch und logistisch nicht in der Lage sein werden, die Flut der Sozialhilfe-Anträge zu bearbeiten. Auch seien die Kommunen nicht in der Lage, die dann eintretende Zahllast zu übernehmen. Bei den Arbeitslosen finde eine Enteignung und Beraubung grundlegender Rechte statt. Gleichzeitig würden durch eine Steuerreform den Einkommensmillionären erhebliche Steuergeschenke gemacht. Die Arbeitslosen würden gezwungen, jeglichen Besitz der Altersvorsorge zu veräußern. Dagegen werde nicht einmal eine minimale Vermögenssteuer eingeführt. Es komme somit zu gravierenden Verstößen gegen das Grundgesetz. Der ab dem 01.01.2005 drohende Zustand verstoße grundlegend gegen das Sozialstaatsprinzip der Bundesrepublik. Auch weitere Artikel des Grundgesetzes würden durch die gesetzliche Neuregelung verletzt. Die Neuregelung diskriminiere insbesondere allein erziehende Frauen mit Kindern. Ergänzend wird von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin begehrt, im Wege eines Vorlagebeschlusses beim Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des neuen SGB Il prüfen zu lassen. Die Leistungen nach dem SGB III würden für die Klägerin künftig geringer ausfallen als die bisherigen Leistungen und die Leistungseinbußen würden zu einer Lebensführung unterhalb des sozialstaatlich gebotenen Existenzminimums führen. Jedenfalls würden die Leistungsvorschriften des neuen SGB Il gegen das Sozialstaatsgebot der Artikel 20 und 28 GG unter Berücksichtigung der Artikel 1, 2 und 3 GG verstoßen. Eine Verletzung der Artikel 1, 2 und 3 GG werde darin gesehen, dass die Arbeitslosenhilfe bei erwerbsfähigen Personen auf das Sozialhilfeniveau reduziert werde und dabei nicht berücksichtigt werde, dass die Regelsätze in der Sozialhilfe seit Jahren nicht angehoben worden seien. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei aus dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 GG i. V. m. Artikel 1 GG die Verpflichtung des Staates abgeleitet worden, mittellosen Bürgern die Mindestvoraussetzungen für menschenwürdiges Dasein zu bieten. Diese Mindestvoraussetzungen würden vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Leistungsvorschriften des SGB Il nicht eingehalten. Der Klägerin werde ab 01.01.2005 kein würdevolles Leben mehr garantiert. In gleicher Weise sei sie an der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und in ihrer Chancengleichheit beeinträchtigt. Die Bestimmungen des SGB Il würden gegen Artikel 1, 2 und 3 GG verstoßen und müssten daher vom Bundesverfassungsgericht für unwirksam erklärt werden. Aus diesem Grund sei der Antrag auf Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gestellt worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 01.06.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, vorläufig die Arbeitslosenhilfe über den 31.12.2004 hinaus zu gewähren,

im Wege eines Vorlagebeschlusses beim Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des SGB Il überprüfen zu lassen, soweit sie leistungsrechtliche Ansprüche betreffen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Neue rechtserhebliche und für die Beklagte maßgebliche Gesichtspunkte würden mit der Klage nicht vorgetragen. Für die Beklagte seien die im Widerspruchsbescheid vom 28.06.2004 zitierten gesetzlichen Bestimmungen maßgeblich. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 28.06.2004 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entschieden werden, nachdem die Beteiligten zuvor entsprechend angehört worden sind und ihnen eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt wurde. Darüber hinaus weist die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt, soweit er für die Entscheidung relevant ist.

Die form- und fristgerecht beim zuständigen Sozialgericht erhobene Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. So hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 01.06.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheídes vom 28.06.2004 zutreffend festgestellt, dass der Klägerin nur noch befristet bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe gewährt werden kann.

Nach § 190 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGBIII) in der bis zum 31.03.2004 geltenden Fassung ist Arbeitslosenhilfe längstens für ein Jahr, d. h. für jeweils einen so genannten Bewilligungsabschnitt, bewilligt worden. Im Falle der Klägerin lief dieser Bewilligungsabschnitt am 31.05.2004 ab. Eine Wiederbewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 01.06.2004 für ein weiteres Jahr war aufgrund des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBI. I Seite 2954) nicht mehr möglich. Denn nach § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB III in der mit Wirkung ab 01.04.2004 geltenden Fassung darf die Arbeitslosenhilfe nunmehr noch längstens bis 31.12.2004 bewilligt werden. Dies beruht darauf, dass durch das vorgenannte Gesetz die Bestimmungen über die Arbeitslosenhilfe, nämlich die §§ 190 bis 206 SGB III, mit Wirkung vom 01.01 2005 ganz aufgehoben werden. Vor diesem Hintergrund entspricht die angefochtene Entscheidung der Beklagten vom 01.06.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2004 den mit Beginn des neuen Bewilligungsabschnitts am 01.06.2004 geltenden Bestimmungen des SGB III.

Entgegen der Auffassung der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten hält die erkennende Kammer die Bestimmung zur Befristung der Arbeitslosenhilfe bis 31.12.2004, nämlich § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB III in der ab 01.04.2004 geltenden Fassung vor dem Hintergrund des ab 01.01.2005 in Kraft tretenden Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB Il-Grundsicherung für Arbeitsuchende) auf der Grundlage des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt nicht für verfassungswidrig. Eine Vorlage zum Bundesverfassungsgericht kommt daher nicht in Betracht.

Die erkennende Kammer verkennt nicht, dass die ab 2005 neu geltenden Bestimmungen des SGB Il zu erheblichen finanziellen Einschnitten bei der Leistungsgewährung an Arbeitslose führen werden. Eindeutige Verstöße gegen Verfassungsgrundsätze sind hieraus nach Auffassung der erkennenden Kammer jedoch nicht herzuleiten. So ist der Gesetzgeber in Zeiten knapper Kassen in allen Sozialleistungsbereichen insbesondere berechtigt, einen strengeren Bedürftigkeitsmaßstab an ausschließlich steuerfinanzierte Leistungen anzulegen und so den einzelnen in eine stärkere Verantwortung zu nehmen. Zu beachten ist, dass mit den ab 01.01.2005 geltenden Bestimmungen des SGB Il jeglicher Bezug der Leistungen zu der während einer früheren Beschäftigung erzielten Entgelthöhe im Gegensatz zu den bisherigen Bestimmungen zur Arbeitslosenhilfegewährung aufgegeben werden. Vielmehr orientiert sich die neu geschaffene Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich am Bedarf des Arbeitslosen und der mit ihm in einer so genannten Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Die Frage der Bedürftigkeit wird also bei den Neuregelungen des SGB Il noch weitaus stärker in den Vordergrund gerückt, als das bisher bei der ebenfalls bedürftigkeitsabhängigen Arbeitslosenhilfegewährung der Fall war. Aufgrund des dem Gesetzgeber zustehenden, im Sozialrecht besonders weiten, Gestaltungsspielraums, der auch nur einer eingeschränkten rechtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. insoweit BVerfGE 81, 156, 205 ff.) ist der vom Gesetzgeber mit der Einführung des SGB Il verfolgte Zweck der Verringerung der derzeitigen Ausgaben für die Leistungen an (Langzeit-) Arbeitslose eine letztendlich rechtlich nicht angreifbare wertungspolitische Entscheidung. Eine Verletzung der Eigentumsgarantie nach Artikel 14 Grundgesetz (GG) durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe ab 2005 scheidet schon deswegen aus, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht dem Schutzbereich der Eigentumsgarantie unterfällt (BSGE 85, 123, 130; BSGE 91, 94, 103). Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass die neuen Regelungen des SGB Il gegen das Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3 GG verstoßen. Denn ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage kann nicht begründet werden. Die bereits erwähnte besonders weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Sozialrechts umfasst nämlich grundsätzlich auch die Kürzung von Sozialleistungen durch entsprechende Gesetzesänderung. Daher kann es insbesondere nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Prüfung sein, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hat (BVerfGE 81, 156, 205 ff.). Die ab 2005 maßgeblichen Bestimmungen des SGB Il verstoßen auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser primär bei staatlichen Eingriffen einschlägige Verfassungsgrundsatz kann zwar auch bei staatlichen Leistungen als Grundgedanke Anwendung finden, jedoch nur, soweit bereits eine gesicherte Rechtsposition vorliegt (Mauns-Düring-Herzog, GG, Artikel 20, Rd.-Nr. 72). Die bloße Möglichkeit, dass die vom Gesetzgeber mit der Neugestaltung des Rechts der Arbeitslosenförderung bezweckte Haushaltskonsolidierung nicht in dem erwarteten Ausmaß eintritt, begründet allerdings nicht die fehlende Verhältnismäßigkeit im Sinne einer Ungeeignetheit der Norm. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist nach Auffassung der erkennenden Kammer auch, dass die nach dem SGB Il vorgesehene Leistungshöhe dem Niveau der bisherigen Sozialhilfeleistungen für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger angepasst wird. Zukünftig erhalten damit bisherige erwerbsfähige Sozialhilfebezieher und die bisherigen Arbeitslosenhilfebezieher die als Arbeitslosengeld Il bezeichnete Leistung nach einheitlichen gesetzlichen Bestimmungen. Eine Unvereinbarkeit mit Artikel 3 GG ist hierin nicht zu sehen. Denn bei der Absenkung der bisherigen Arbeitslosenhilfeleistungen auf das Sozialhilfeniveau muss beachtet werden, dass die Arbeitslosenhilfe keine Versicherungsleistung der Arbeitslosenversicherung ist, vielmehr eine rein steuerfinanzierte Leistung des Bundes an Arbeitsuchende. Auch zukünftig wird mit den Bestimmungen des SGB Il eine Existenzsicherung des einzelnen Arbeitslosen Klägerin, sie werde durch die neue Leistung ab 2005 binnen weniger Monate größter Existenznot ausgesetzt, ist daher in keinster Weise begründet. Gerade weil die Leistungen an erwerbsfähige Arbeitsuchende (bisherige Arbeitslosenhilfeempfänger und bisherige Sozialhilfeempfänger) rein steuerfinanzierte Leistungen sind und sich die Konsolidierung des Bundeshaushaltes (wieder einmal) als dringlich darstellt, ist im Hinblick auf die Leistungsbeschränkung durch die Neuregelungen des SGB Il die Befugnis des Gesetzgebers zur Leistungsbeschränkung zu bejahen. So muss die Leistungsbeschränkung als dem Zweck des Gemeinwohls dienend bezeichnet werden und dem Gesetzgeber war es daher auch nicht verwehrt, die Ansprüche der Arbeitslosen umzugestalten. Die Voraussetzungen für einen Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht sind daher nicht zu bejahen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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