L 1 U 949/18

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 9 U 787/16
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 949/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 8 SGB VII

Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - Gesundheitserstschaden - haftungsbegründende Kausalität - Konkurrenzursache - Vorschaden - Kniescheibenverrenkung - Theorie der wesentlichen Bedingung - Kniescheibenluxation - Außenrotation -- Sulcuswinkel - medizinischer Erfahrungssatz- Schadensanlage - anlagebedingte Faktoren



Leitsatz


1. Eine Verrenkung der Kniescheibe kann traumatisch nur entweder durch eine direkte Gewalteinwirkung auf deren Innenseite oder im Wege indirekter Gewalteinwirkung durch eine forcierte Innendrehung des Oberschenkels gegenüber dem in Außenrotation fixierten Unterschenkel bei gleichzeitiger Kniebeugung entstehen.

2. Das Schadensbild nach einer Kniescheibenverrenkung ist in der Regel nicht ausreichend in der Lage, Aussagen zur Kausalität zu treffen, da bei erstmals auftretenden Kniescheibenverrenkungen, seien sie traumatisch oder anlagebedingt, ein weitgehend identisches Befundbild zu erwarten ist.
3. Ein Sulcuswinkel über 150 Grad gemessen nach Brattström ist als wesentliche konkurrierende Ursache anzusehen.

4. Dispositionelle Faktoren für eine Kniescheibenluxation müssen nicht kumulativ vorliegen, sondern das Vorliegen einzelner Schadensanlagen kann ausreichend sein.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 18. Juni 2018 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am 16. Juli 2015 einen Arbeitsunfall mit der Folge einer traumatisch bedingten Patellaluxation rechts erlitten hat.

Der 1998 geborene Kläger war als Beifahrer in der Werkstatt des F. D. in S., um gereinigte Rollschläuche der Freiwilligen Feuerwehr Sch. abzuholen. Beim Verladen der Rollschläuche sprang seine rechte Kniescheibe heraus. Der am Unfalltag aufgesuchte Durchgangsarzt stellte eine Patellaluxation rechts fest. Er befand sich deshalb in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie in S. bis zum 18. Juli 2015 in stationärer Behandlung.

Mit Schreiben vom 29. Juli 2015 lehnte die Beklagte die Übernahme weiterer Behandlungskosten ab. Die eingetretene Patellaluxation rechts sei Folge eines Anlassgeschehens. Beim Kläger liege eine Fehlform der rechten Kniescheibe vom Typ Wiberg IV vor, die als wesentliches disponierendes Merkmal für eine Verrenkungsgefährdung der Kniescheibe einzustufen sei. Mit Schreiben vom 5. August 2015 legte der Kläger Widerspruch gegen die Ablehnung der Kostenübernahme durch Bescheid vom 29. Juli 2015 ein. Daraufhin erließ die Beklagte gegenüber dem Kläger am 2. September 2015 einen Bescheid, mit welchem die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt wurde. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Im Wider-spruchsverfahren holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 9. Februar 2016 ein. Dieser führte darin aus, dass der Kläger in dem typischen Alter für eine Kniescheibenerstverrenkung sei. Aufgrund erheblicher disponierender Faktoren, wie Jägerhut-Kniescheibe und sehr flaches Kniescheibengleitlager, sei diese aus körpereigener Ursache eingetreten. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2016 zurück. Alleinige Ursache der Patellaluxation rechts sei die vorhandene Kniescheibenfehlform.

Hiergegen hat der Kläger am 18. April 2016 beim Sozialgericht Meiningen Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Dr. K. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser verneint in seinem Gutachten vom 11. Oktober 2016 das Vorliegen einer traumatisch bedingten Patellaluxation rechts. Eine Ausrenkung der rechten Kniescheibe sei vollbeweislich am Unfalltag gesichert. Bereits der Unfallhergang sei nicht geeignet, eine traumatische Luxation der rechten Kniescheibe zu verursachen. Ein äußerer seitlicher Anprall an das Kniegelenk könne eine Kniescheibenausrenkung nach außen nicht herbeiführen. Hierzu wäre ein Anprall im Bereich des inneren Kniegelenks notwendig. Auch die auftretende Krafteinwirkung sei nicht ausreichend. Die Röntgenaufnahmen belegten eine erhebliche Dysplasie des Kniescheiben/Oberschenkelrollengelenks. Der Sulcuswinkel nach Brattström betrage 157 Grad (der Normwert liege bei 142 Grad). Im Fall des Klägers liege eine sogenannte Wiberg IV-Variante der Kniescheibenrückfläche vor, bei welcher sich nahezu keine Kielform mehr finde. Diese Form werde auch als Jägerhutpatella bezeichnet. Der Kniescheibenstand sei sehr hoch. Nach dem Insall-Salvati Index betrage er 1,6. Der Normwert liege zwischen 0,8 und 1,2. Diese Faktoren begünstigten eine seitliche Ausrenkung der Kniescheibe. Aufgrund des nicht als geeignet anzusehenden Unfallmechanismus und einer erheblichen dysplastischen Schadensanlage des Kniescheibengelenks sei daher eine traumatische Kniescheibenluxation zu verneinen.

Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht Prof. Dr. H. mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beauftragt. Dieser bejaht in seinem Gutachten vom 28. Februar 2018 das Vorliegen einer traumatischen Patellaluxation rechts. Von sechs eine Patellaluxation begünstigenden Kriterien würden im Fall des Klägers nur zwei, nämlich eine Dysplasie des Kniescheibengleitlagers und der Kniescheibe vom Typ Wiberg Grad IV und eine deutliche Hypermobilität der Kniescheibe vorliegen. Bis zum Alter von 17 Jahren habe der Kläger keine Patellaluxation erlitten. Das Ereignis vom 16. Juli 2015 stelle keine austauschbare Gelegenheitsursache dar. Der Kläger habe zwei schwere Gegenstände im rechten und linken Arm gehabt und eine Drehbewegung und Verlagerung des Körpergewichts nach rechts vorgenommen. Diese Krafteinwirkung gehe über einen alltäglichen Vorgang hinaus.

Dieser Einschätzung widersprach der Beratungsarzt der Beklagten Dr. C. in einer Stellungnahme vom 16. März 2018. Die vom Kläger geschilderte Drehbewegung des Oberkörpers auch mit Rollschläuchen und eine unterstellte Gewichtsverlagerung auf das rechte Bein gefährdeten das Kniegelenk nicht. Zudem sei es zwischenzeitlich zu einer Patellaluxation links gekommen.

Mit Urteil vom 18. Juni 2018 hat das Sozialgericht Meiningen die Klage abgewiesen. Eine Rotationsbewegung des Oberkörpers sei nicht geeignet, eine Patellaluxation zu verursachen. Im Fall des Klägers würden erhebliche anlagebedingte Dispositionen für eine Kniescheibenverrenkung vorliegen. Dafür spreche nicht zuletzt, dass mittlerweile auch die linke Kniescheibe luxiert sei. Auch der Sachverständige Prof. Dr. H. beschreibe zwei disponierende Faktoren für eine Verrenkungsneigung der Patella.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er habe Feuerwehrschläuche mit einem erheblichen Gewicht getragen. Bei einem Hineinlegen eines Feuerwehrschlauches in das Heck eines Fahrzeuges sei es zu einer ruckartigen Bewegung gekommen. Diese habe zu der Kniescheibenverrenkung geführt. Die für ein Unfallereignis geforderte äußere Einwirkung liege damit vor. Dieser Bewegungsmechanismus sei nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. geeignet, eine Verrenkung der Kniescheibe zu verursachen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 18. Juni 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2016 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 16. Juli 2015 ein Arbeitsunfall mit der Folge einer Patellaluxation rechts war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil.

Der Senat hat im Berufungsverfahren Unterlagen der Berufsgenossenschaft Holz und Metall über einen Arbeitsunfall des Klägers vom 7. Februar 2018, bei welchem dieser eine Patellaluxation links erlitt, beigezogen. Des Weiteren hat der Senat von dem Sachverständigen Prof. Dr. H. eine ergänzende Stellungnahme vom 27. Mai 2019 eingeholt. In dieser legt der Sachverständige dar, dass sich der beim Kläger aus den Röntgenaufnahmen des rechten Kniegelenks ergebende Sulcuswinkel von ca. 155 Grad ein die Kniescheibenverrenkung begünstigender Faktor sei. Der Umstand, dass der Kläger am 7. Februar 2018 auch am linken Kniegelenk ein Verrenkungsereignis erlitten habe, sei bei Abfassung des Gutachtens bekannt gewesen. Es sei nicht Aufgabe seines Gutachtens, die Zusammenhangskausalität dieses Ereignisses vom 7. Februar 2018 zu klären. Für die exante-Betrachtung des schädigenden Ereignisses vom 16. Juli 2015 habe dieses Ereignis keine Auswirkungen auf seine gutachterliche Einschätzung. Der vom Beratungsarzt Dr. C. benannte Patellahochstand liege nach den Röntgenaufnahmen nicht vor. Der Insall-Salvati-Index, der einen Patellahochstand ab einem Quotienten von 1,20 definiere, werde mit 1,1 nicht erreicht. Der Kläger leide an keiner X-Bein-Fehlstellung. Die Annahmen des Beratungsarztes hinsichtlich des Unfallhergangs, dass ein Mensch zum Ablegen eines Gegenstandes seinen Körper nach rechts wende und dabei sein Kniegelenk im Sinne eines X-Beins stelle, seien nicht nachvollziehbar. Beim Ablegen der schweren Feuerwehrschläuche werde das Gewicht des Oberkörpers eher nach rechts außen verlagert. Darauf entgegnete der Beratungsarzt Dr. C. in einer Stellungnahme vom 26. Juni 2019, dass sich sowohl nach den Methoden von Trillat als auch nach Insall-Salvati Werte errechneten, die einen Hochstand der Kniescheibe belegten. Eine deutliche Disposition für eine Kniescheibenverrenkung liege nicht nur vor, wenn alle prädisponierenden Faktoren erfüllt seien. Er sei in seiner Stellungnahme nicht von einer X-Stellung im Kniegelenk bei der Drehbewegung ausgegangen. Voraussetzung für ein geeignetes Ereignis sei eine überraschende, kräftige Gegenbewegung zwischen Unter- und Oberschenkel mit dem Kniegelenk als Schnittpunkt der gegenläufigen Kräfte. Ein derartiger Mechanismus sei nicht festzustellen. Die Aussagen des Sachverständigen Prof. Dr. H. seien teilweise in sich widersprüchlich. Die zwischenzeitlich eingetretene Kniescheibenverrenkung links sei sehr wohl von Bedeutung. Denn sie sei ein Argument für eine unfallfremde Entstehung der Kniescheibenverrenkung.

Der Kläger sieht sich durch die Ausführung des Sachverständigen Prof. Dr. H. in seiner Auffassung bestätigt.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten und den Verwaltungsvorgang der Berufsgenossenschaft Holz und Metall Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheiden.

Die Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig (§§ 143 ff. SGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht Meiningen hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 17. März 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 SGG). Bei dem Ereignis vom 16. Juli 2015 handelt es sich nicht um eine traumatische Patellaluxation. Das Ereignis vom 16. Juli 2015 stellt daher mangels Gesundheitserstschadens keinen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung dar.

Nach § 8 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) hat der Kläger an diesem Tag keinen Arbeitsunfall erlitten. Er stand zwar zum Unfallzeitpunkt aufgrund seiner Tätigkeit für die Freiwillige Feuerwehr beim Abholen der Feuerwehrschläuche unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 2 Abs. 1 SGB VII). Die Patellaluxation rechts ist jedoch nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen.

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses", "Unfallereignis" und "Gesundheitserstschaden" wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007, B 2 U 27/06 R, nach Juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, nach Juris). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

Erwiesen ist für den Senat aufgrund der vorliegenden Gutachten von Dr. K. und Prof. Dr. H., das die Patella des rechten Kniegelenks am 16. Juli 2015 aus ihrem Halteapparat gerissen und es zu einer Reponierung durch den Notarzt gekommen ist. Dies ist durch den zeitlichen Ab-lauf und durch die vorliegenden Befunde belegt.

Dass die Patella rechts im konkreten Fall aufgrund der erforderlichen aufzuwendenden Kraft luxierte und die Krafteinwirkung die wesentliche Ursache für diese Luxation gewesen ist, steht für den Senat hingegen unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses mit der geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht fest. Im Rahmen der Beurteilung, ob eine Patellaluxation traumatisch bedingt ist, kommt der Analyse der mechanischen Einwirkung eine entscheidende Bedeutung zu. Davon gehen die Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. H. in ihren Gutachten übereinstimmend aus, und dies entspricht auch dem Stand der medizinischen Literatur (vgl. nur Ludolph/Schröter u.a., Patellaluxation, MedSach 1105/2014, S. 212 ff.). Insoweit kann der Senat nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten einen geeigneten Hergang für eine Patellaluxation weder bejahen, noch einen solchen definitiv verneinen. Nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft (vgl. hierzu Thomann u.a., Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 2. Aufl. 2013, Kap. 9.4.7 Patellaluxation, S. 141 ff; Lu-dolph/Schröter u.a., Patellaluxation, MedSach 110 5/2014, S. 212 ff.; Strich, Gutachtliche Bewertung der Patellaluxation, MedSach 113 1/2017 S. 24 ff.), wie er sowohl von den Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. H. als auch von dem Beratungsarzt Dr. C. korrekt wiedergegeben worden ist, kann eine Verrenkung der Kniescheibe traumatisch nur entweder durch eine direkte Gewalteinwirkung auf deren Innenseite oder im Wege indirekter Gewalteinwirkung durch eine forcierte Innendrehung des Oberschenkels gegenüber dem in Außenrotation fixierten Unterschenkel bei gleichzeitiger Kniebeugung entstehen.

Hinsichtlich der Hergangsschilderung legt der Senat den Hergang zugrunde, den der Kläger im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Berichterstatter des Senats am 29. Oktober 2018 geschildert hat. Danach hatte der Kläger in beiden Händen Feuerwehrschläuche und wollte diese im Fahrzeug ablegen. Als er den Schlauch aus der rechten Hand ablegen wollte und sich in Richtung Fahrzeug gedreht hat, verspürte er ein Knacken. Dann hat er sich hingesetzt und festgestellt, dass die Kniescheibe rausgesprungen ist. Diese Schilderung entspricht auch den erstmaligen Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten in dem Fragenbogen Knieverletzung vom 23. Juli 2015. Auch dort wird vom Beladen des Feuerwehrfahrzeugs mit den Schläuchen und einem Drehen zum Feuerwehrauto berichtet. Dieser Schilderung lässt sich nicht die erforderliche Außenrotation des Unterschenkels bei gleichzeitiger Innenrotation des Oberschenkels unter voller Belastung des Beines entnehmen. Denn es fehlt die Feststellung einer Fixierung des Unterschenkels bei der Außenrotation. Insoweit ist den Ausführungen des Beratungsarztes der Beklagten Dr. C. in seiner Stellungnahme vom 26. Juni 2019 zuzustimmen, dass eine Drehbewegung mit dem Oberkörper, auch mit Lasten in den Armen, nicht zu einer Gefährdung des Kniegelenkes führt. Insbesondere lässt sich nicht die erforderliche Fixierung des Unterschenkels feststellen. Auch Dr. K. legt in seinem Gutachten vom 11. Oktober 2016 dar, dass eine Rotationsbewegung des Oberkörpers allein nicht geeignet ist, eine Kniescheibenausrenkung zu verursachen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass Dr. K. davon ausgeht, dass der Kläger mit seinem rechten Bein an den Stoßfänger eines Transporters gestoßen ist und er dies nicht als erforderliche direkte Krafteinwirkung ansieht. Dies betrifft nur die zweite Form eines geeigneten Hergangs, nämlich die direkte Gewalteinwirkung auf die Innenseite der Kniescheibe. Eine solche liegt hier ersichtlich nicht vor und wird auch vom Kläger nicht behauptet. Auch Prof. Dr. H. führt in seinem Gutachten vom 28. Februar 2018 zunächst aus, dass sich ein Schädigungsablauf im Sinne eines gewaltsamen Wegdrückens der Kniescheibe nach außen aus dem Gleitlager des Kniegelenks nicht feststellen lässt. Seine anschließenden Ausführungen in dem Gutachten, dass der Kläger zwei schwere Gegenstände im rechten und linken Arm hatte, als er eine Drehbewegung und eine Verlagerung des Körpergewichts nach rechts vornahm und deshalb von einer Krafteinwirkung auf das Kniegelenk jenseits des Alltäglichen auszugehen ist, berücksichtigen jedoch nicht die besonderen Anforderungen an einen geeigneten Hergang. Insbesondere wird die Fixierung des Unterschenkels nicht beschrieben. Dasselbe gilt für seine Ausführungen in seiner ergänzenden, durch den Senat eingeholten Stellungnahme vom 27. Mai 2019. Auch dort geht er davon aus, dass das Gewicht des Oberkörpers samt des abzulegenden Schlauches eher nach rechts außen verlagert worden ist. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob es dabei zu einer Belastung des Kniegelenks im Sinne eines O-Beins oder eines X-Beins kommt. Für Prof. Dr. H. ist es ausreichend, dass die Muskulatur des Quadrizeps in einer solchen Situation mit der erforderlichen Kraftentwicklung gefordert war. Damit wird jedoch erneut außer Acht gelassen, dass nach der relevanten unfallversicherungsrechtlichen Literatur eine Innendrehung des Oberschenkels gegenüber dem in Außenrotation fixierten Unterschenkel bei gleichzeitiger Kniebeugung gefordert ist. Ein solcher Hergang ist jedenfalls nicht gesichert. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Anforderung an die Sicherung eines Unfallhergangs im Falle einer Patellaluxation nicht überspannt werden dürfen. Verständlicherweise kann von niemandem erwartet werden, sich an die konkrete Stellung der Beine, des Kniegelenks und einen bestimmten Verdrehmechanismus zu erinnern. Nichts desto trotz bleiben jedoch bei Auswertung aller zur Verfügung stehenden Informationen im vorliegenden Fall einige Zweifel, ob ein geeigneter Unfallhergang, insbesondere im Hinblick auf die zu fordernde Fixierung des Unterschenkels, vorgelegen hat.

In die Kausalitätsbetrachtung weder positiv noch negativ ist das entstandene Schadensbild nach der Luxation der rechten Kniescheibe einzubeziehen. Nach der medizinischen Literatur (vgl. nur Ludolph/Schröter u.a., Patellaluxation, MedSach 1105/2014, S. 212 ff.) ist das Schadensbild nach einer Kniescheibenverrenkung in der Regel nicht ausreichend in der Lage, Aus-sagen zur Kausalität zu treffen, da bei erstmals auftretenden Kniescheibenverrenkungen, seien sie traumatisch oder anlagebedingt, ein weitgehend identisches Befundbild zu erwarten ist. Viele Verletzungen sind zwangsläufige Folge der Luxation bzw. der Reposition. Rückschlüsse auf die einwirkenden Kräfte können daher nur mit größter Vorsicht gezogen werden.

Entscheidend gegen die Annahme eines traumatischen Geschehens spricht das Vorhandensein erheblicher, eine Patellaluxation begünstigender anlagebedingter Faktoren. Im Fall des Klägers sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme innere Ursachen jedenfalls in dem Sinne gesichert, dass der Senat sich nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen kann, dass die Patellaluxation rechts am 16. Juli 2015 eine traumatische Ursache hat. Aus dem Gutachten von Dr. K. vom 11. Oktober 2016 und auch dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. H. vom 28. Februar 2018 lässt sich eine dysplastische Situation hinsichtlich der rechten Kniescheibe des Klägers ableiten. Nach beiden Gutachten beträgt der Sulcuswinkel nach Brattström ca. 157 Grad und liegt eine sogenannte Wiberg IV-Variante der Kniescheibenrückfläche vor. Auch Prof. Dr. H. geht in seinem Gutachten vom 28. Februar 2018 vom Vorliegen einer Kniescheibe vom Typ Wiberg Grad IV und einer deutlichen Hypermobilität der Kniescheibe aus. Soweit damit nur zwei von sechs für eine Disposition verlangte Kriterien erfüllt sind, ist zu beachten, dass nach der medizinischen Literatur (vgl. Ludolph/Schröter u.a., Patellaluxation, MedSach 1105/2014, S. 212 ff.) diese dispositionellen Faktoren nicht kumulativ vorliegen müssen, sondern ein alternatives Vorliegen ausreichen kann. Entscheidend ist die Prüfung, ob die einzelnen dispositionellen Faktoren so gravierend sind, dass sie die Luxation allein überwiegend oder nur partiell verursachen. Ausdrücklich stellt Prof. Dr. H. in diesem Zusammenhang fest, dass sich aus den Röntgenaufnahmen vom 16. Juli 2015 eine deutliche Minderausbildung (Dysplasie) des patellofemoralen Gleitlagers ergibt, welches die Feststellung einer Kniescheibenform des Typs Wiberg Grad IV rechtfertigt. Daraus zieht er den Schluss, dass die normalerweise vorhandene Gleitrinne des Ober-schenkelknochens ebenso wenig vorhanden ist, wie der üblicherweise kielförmige Querschnitt der Patella. Auch nach der Literatur (vgl. Ludolph/Schröter u. a., Patellaluxation, MedSach 1105/2014, S. 212 ff.) zählt dieser Kniescheibentyp Wiberg IV mit der Sonderform der Jägerhutpatella eindeutig zu den Dysplasien. Des Weiteren beträgt nach allen Gutachtern der soge-nannte Brattström-Winkel im Fall des Klägers ca. 157 Grad. Ein solcher Sulcuswinkel nach Brattström von über 150 Grad wird in der Literatur als wesentliche konkurrierende Ursache angesehen. Dies bestätigt auch Prof. Dr. H. in seiner ergänzenden Stellungnahme gegenüber dem Senat vom 27. Mai 2019. Dort sieht er darin und in den übrigen festgestellten Dysplasien einen wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktor für die Patellaluxation der rechten Kniescheibe. Angesichts dessen kommt es nicht mehr darauf an, ob zusätzlich noch von einem Kniescheibenhochstand auszugehen ist. Der Senat muss nicht klären, ob die von dem Beratungsarzt Dr. C. oder die vom Sachverständigen Prof. Dr. H. im Hinblick darauf verwandten Messmethoden nach Insall-Salvati oder Trillat zutreffend sind.

Soweit der Sachverständige Prof. Dr. H. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27. Mai 2019 beanstandet, dass der Beratungsarzt hinsichtlich des Längenwachstums des Klägers von unzutreffenden Angaben ausgeht, ist zu beachten, dass nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur das Schadensbild einer anlagebedingten Luxation nach dem 18. Lebensjahr äußerst selten ist. Die erstmalige Schadensmanifestation im Jugendalter beruht auf einem Missverhältnis zwischen einem vermehrten Längenwachstum und einer unzureichend ausgeprägten Muskulatur. Daraus erklärt sich, dass bis zu der erstmaligen Luxation eine volle Funktion des Kniegelenks gegeben ist. Die Frage, ob die Dysplasien im Fall des Klägers durch einen Wachstumsschub und einem Missverhältnis zwischen vermehrten Längenwachstum und ausgeprägter Muskulatur zu erklären sind, ist für die Lösung des Falles unerheblich. Denn die anlagebedingten Veränderungen in Form erheblicher Dysplasien sind festgestellt. Daher spielt es keine Rolle, worauf diese wiederum beruhen. Unerheblich für die Kausalitätsbeurteilung im Fall des Klägers ist auch, inwieweit die Luxation des linken Kniegelenks bei einem weiteren Ereignis am 7. Februar 2018 anlagebedingt erfolgt ist.

In der Gesamtwürdigung gelangt der Senat mithin zu dem Ergebnis, dass aufgrund der fest-gestellten erheblichen anlagebedingten Veränderungen im Bereich des rechten Kniegelenks des Klägers der Senat sich nicht die Überzeugung bilden konnte, dass wesentlich mehr Anhaltspunkte für eine traumatisch bedingte Patellaluxation rechts durch das Ereignis vom 16. Juli 2015 sprechen als dagegen. Daher war das Ereignis vom 16. Juli 2015 nicht als Arbeitsunfall mit der Folge einer Patellaluxation rechts anzuerkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved