L 1 U 1215/17

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 9 U 2421/15
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 1215/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 8 SGB VII, § 11 SGB VII

Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - Behandlung eines anlagenbedingten Leidens durch den Durchgangsarzt - Zurechnung als mittelbare Unfallfolge - Setzung des Anscheins einer unfallversicherungsrechtlichen Heilbehandlung durch den Durchgangsarzt - subjektive Sicht des Versicherten - besonderer Zurechnungstatbestand im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII

1. Gesundheitsschäden aufgrund einer ärztlichen Behandlung sind auch dann mittelbare Unfallfolgen, wenn die Heilbehandlung zwar objektiv der Behebung eines nicht durch das Unfallereignis bedingten Leidens dient, der Verletzte aufgrund des Verhaltens eines Durchgangsarztes jedoch den Eindruck haben durfte, die Behandlung solle zur Behebung der durch einen Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsschäden durchgeführt werden (Anschluss an BSG, Urteil vom 06.09.2018, B 2 U 16/17 R).
2. Auch die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einer der nach § 11 Abs. 1 SGB VII tatbestandlichen Maßnahme erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 – B 2 U 31/11 R ).
Das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 4. September 2017 und der Bescheid der Beklagten vom 12. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2015 werden abgeändert. Als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 22. August 2014 wird eine Wundheilungsstörung mit Fistelbildung sowie eine daraus resultierende ausgedehnte Narbenbildung und eingeschränkte Beweglichkeit der linken Schulter festgestellt. Die Beklagte wird zur Übernahme von Heilbehandlungskosten über den 21. September 2014 hinaus nach pflichtgemäßen Ermessen verurteilt. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob als weitere Folge eines von der Beklagten als Arbeitsunfall anerkannten Ereignisses vom 22. August 2014 eine Rotatorenmanschettenruptur und Bewegungseinschränkungen der Schulter links anzuerkennen sind.

An diesem Tag stürzte der Kläger bei Arbeiten in seinem Wald am Steilhang mit dem linken Arm auf eine Holzrolle. Der am 5. September 2014 erstmals aufgesuchte Durchgangsarzt diagnostizierte eine Kontusion der Schulter links und den Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenläsion. Am 16. September 2014 wurde der Durchgangsarzt in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie in S. aufgesucht. Dieser diagnostizierte ausweislich des MRT-Befundes einen Supraspinatussehnen- und Subscapularriss mit Retraktion links. Deshalb befand sich der Kläger in der Zeit vom 22. bis 29. September 2014 dort in stationärer Behandlung. Durchgeführt wurde eine Schulterarthroskopie mit offener Refixation der Subscapularissehne und der Rekonstruktion der Supraspinatussehne mit LASA-Schraube. Ausweislich des Operationsberichtes vom 24. September 2014 war die Rotatorenmanschettenruptur nicht traumatisch. Ein Impingementsyndrom der Schulter wurde beschrieben. Nach dem Histologiebefund vom 25. September 2014 fand sich ein frischer Sehnenriss ohne degenerative Veränderungen und ein weitgehend regelrechtes Sehnengewebe. Vom 23. Oktober bis 5. November 2014 befand sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung der Thüringen Kliniken in S. aufgrund von Wundheilungsstörungen und einer Fistelbildung. In dieser Zeit erfolgten drei operative Eingriffe.

Mit Bescheid vom 12. November 2014 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 22. August 2014 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Prellung der linken Schulter an. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit wurde für die Zeit vom 3. bis 21. September 2014 angenommen. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit wurde verneint. Bei dem Ereignis vom 22. August 2014 sei es zu einer Prellung der linken Schulter gekommen. Der anschließend festgestellte Rotatorenmanschettenschaden sei jedoch unfallfremd auf einen vorbestehenden Aufbrauchschaden am linken Schultergelenk zurückzuführen. Hiergegen legte der Kläger am 20. November 2014 Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren verneinte der Beratungsarzt der Beklagten D. in einer Stellungnahme vom 9. Januar 2015 eine Kausalität zwischen dem Unfallereignis und dem festgestellten Rotatorenmanschettenschaden. Eine Zusammenhangsbegutachtung sei aufgrund des eindeutigen operativen Befundes nicht erforderlich. Aus dem OP-Bericht ergebe sich eine ausgeprägte Schultereckgelenksarthrose mit Impingementsymptomatik und degenerativer Supraspinatussehnenruptur bei Retraktion und Atrophie der Muskulatur. Ein solcher Befund sei nicht mit einem erst wenige Wochen zurückliegenden Unfallereignis vereinbar. Im Auftrag der Beklagten erstellte Prof. Dr. H. und der Facharzt für Orthopädie Dr. V. am 22. Juni 2015 ein Zusammenhangsgutachten. Darin bejahten diese das Vorliegen einer frischen Ruptur der Supraspinatussehne. Eine vorbestehende Symptomatik im Bereich des linken Schultergelenks werde vom Kläger nicht angegeben. Aufgrund der MRT-Diagnostik und des pathologischen Befundes sei von keinem Vorschaden in dieser Körperregion auszugehen. Die im Operationsbericht beschriebene Gelenkarthrose habe zwar schon vor dem Sturzereignis bestanden, jedoch nicht zu den Beschwerden geführt. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bis auf weiteres von 20 v. H. sei zu bejahen. Beigezogen wurde von der Beklagten des Weiteren ein unfallchirurgisches Fachgutachten des MDK Thüringen vom 11. Juni 2015. Darin bejaht der Chirurg Dr. L. das Vorliegen eines Arbeitsunfalls. Der Unfall sei wesentliche Ursache für die Schädigung im Bereich des linken Schultergelenks. Dem histologischen Befundbericht vom 25. September 2014 ließen sich keine degenerativen Veränderungen entnehmen. Dieser Einschätzung widersprach der Beratungsarzt der Beklagten Dr. G. in einer Stellungnahme vom 28. August 2015. Ein Sturzereignis sei nicht geeignet, einen Schaden im Bereich der Rotatorenmanschette hervorzurufen. Der Kläger habe erst ca. drei Wochen nach dem angeschuldigten Ereignis einen Arzt aufgesucht. Ein solcher Zeitraum sei mit einer traumatischen Läsion der Rotatorenmanschette nicht vereinbar. Auch die bildgebenden Befunde und der Operationsbericht belegten einen länger bestehenden Vorschaden. Insbesondere die Retraktion des Sehnenstumpfes sei als deutlicher Hinweis auf einen vorbestehenden Schaden zu werten. Daraufhin beauftragte die Beklagte den Unfallchirurgen Dr. C. mit der Erstellung eines weiteren Zusammenhangsgutachtens. Dieser führte in seinem Gutachten vom 27. Okto-ber 2015 aus, dass sowohl das Verhalten nach dem Unfallereignis als auch die bildgebenden Befunde und der Operationsbericht gegen einen unfallbedingten Schaden sprächen. Beim erstmaligen Arztkontakt nach dem Unfallereignis am 5. September 2014 sei noch eine einge-schränkte Beweglichkeit des linken Schultergelenks vorhanden gewesen. Dies sei bei traumatisch bedingten Zusammenhangstrennungen ausgeschlossen. Die bildgebenden Befunde belegten erhebliche degenerative Veränderungen. Auch der Operationsbericht erbringe den Nachweis deutlicher degenerativer Veränderungen, die mit einem mehrere Wochen alten Ereignis nicht vereinbar seien. Daraufhin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 10. November 2015 den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Meiningen Klage erhoben. Im Klageverfahren legte er eine Stellungnahme der Arbeitsmedizinerin seines Arbeitgebers vom 4. März 2016 vor, wonach bei den Untersuchungen bis einschließlich Juli 2014 bei ihm kein auffälliger Befund im Muskelskelettbereich erhoben worden sei. Auch entsprechende Beschwerden seien zu keinem Zeitpunkt geäußert worden. Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht den Unfallchirurgen Prof. Dr. I. nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser legt in seinem Gutachten vom 6. Januar 2017 dar, dass der Unfallhergang (ein Überschlagen) sehr wohl geeignet sei, eine Rotatorenmanschettenruptur zu verursachen. Das zu fordernde Rasanzereignis liege vor. Das Verhalten des Klägers nach dem Ereignis sei nicht untypisch. Er habe die Arbeit sofort eingestellt. Dass er mit einem Arztbesuch gewartet habe, bis sein Hausarzt erreichbar gewesen sei, sei nachvollziehbar. Der bei der ersten Untersuchung durch den Durchgangsarzt erhobene Befund spreche nicht gegen ein traumatisches Geschehen. Die bildgebenden Befunde seien insbesondere durch die Beratungsärzte überinterpretiert worden. Der Operationsbericht sei in sich nicht schlüssig. Der histologische Befund gehe eindeutig von traumatischen Veränderungen aus und schließe einen degenerativen Schaden weitgehend aus. Der erforderliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Ruptur der Supraspinatussehne sei daher zu bejahen. Dem Gutachten von Prof. Dr. I. war eine Stellungnahme des Chefarztes der Pathologie der Thüringen Kliniken vom 12. Januar 2017 beigefügt. Darin bestätigt dieser das Vorliegen typischer Veränderungen für einen frischen Sehnenriss.

Sodann hat das Sozialgericht den Unfallchirurgen Dr. K. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser verneint in seinem Gutachten vom 22. Mai 2017 das Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und den Schäden im Bereich der linken Schulter des Klägers. Die ärztlichen Erstbefunde nach dem Ereignis seien mit einem traumatischen Rotatorenmanschettenschaden nicht in Einklang zu bringen. 11 Tage nach dem Unfallereignis hätten zumindest noch Resterscheinungen eines Blutergusses gesichert werden können müssen, was nicht der Fall gewesen sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die Rückkehr des Hausarztes aus dem Urlaub abgewartet worden sei. Die für einen traumatischen Rotatorenmanschettenschaden zu fordernde Pseudoparalyse sei zu keinem Zeitpunkt diagnostiziert worden. Der kernspintomographische Befund und der OP-Bericht belegten eine deutliche Retraktion des Sehnenstumpfes. Knochenmarködeme oder Zeichen einer Einblutung in das Sehnengleitgewebe seien nicht festgestellt worden. Den Ausführungen von Prof. Dr. I. in seinem Gutachten könne nicht gefolgt werden. Wenn es unfallbedingt zu einer Ruptur einer anatomischen Struktur mit frischer Zerreißung durch eine pathologische Gewalteinwirkung komme, dann seien Einblutungen zwangsläufig. Die Kritik am Operationsbericht durch Prof. Dr. I. sei nicht nachvollziehbar. Insbesondere die nachgewiesene Sehnenretraktion spreche gegen eine unfallbedingte Gewalteinwirkung auf die Rotatorenmanschette.

Mit Urteil vom 4. September 2017 hat das Sozialgericht Meiningen die Klage abgewiesen. Eine traumatische Ursache der Rotatorenmanschettenruptur sei zu verneinen. Eine Anprallverletzung führe nicht zu einer Gefährdung der Rotatorenmanschette. Zudem spreche die festgestellte Sehnenretraktion gegen eine unfallbedingte Gewalteinwirkung auf die Rotatorenmanschette. Ein vorher nicht bekannter Vorschaden spreche nur dafür, dass dieser nicht behandlungsbedürftig gewesen sei, seine Existenz werde daher jedoch nicht in Frage gestellt.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die im September 2014 diagnostizierte Ruptur der Supraspinatussehne sei Folge des Arbeitsunfalls vom 22. August 2014. Ausweislich des histologischen Befundes seien degenerative Veränderungen ausgeschlossen. Es liege ein regelrechtes Sehnengewebe vor. Der Unfallhergang sei bislang erst lückenhaft gewürdigt worden. Nicht berücksichtigt worden sei das Kippen mit der Schulter nach hinten. Der Arbeitsunfall stelle zumindest eine wesentliche Mitursache der Sehnenruptur dar. Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 4. September 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2015 abzuändern und festzustellen, dass die Rotatorenmanschettenruptur links Folge des Arbeitsunfalls vom 22. August 2014 ist und die Beklagte zu verurteilen, ihm Heilbehandlung nach pflichtgemäßen Ermessen über den 21. Septem-ber 2014 hinaus zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen Urteil.

Der Senat hat in einem Erörterungstermin vom 26. Februar 2018 den Kläger hinsichtlich des Unfallhergangs angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen.

Der Senat hat im Berufungsverfahren Prof. Dr. T. mit der Erstellung eines radiologischen Gutachtens beauftragt. Dieser legt in seinem Gutachten vom 5. Juli 2018 dar, dass sich präoperativ deutliche knöcherne Anbauten im Schultereckgelenk mit Einengung des subacromialen Raumes zeigten. Im Kernspintomogramm fänden sich Abrisse der Sehnen des Muskulus Supraspinatus mit bereits vorhandenen Retraktionen. Die nachweisbare fettige Degenerati-on insbesondere des Supraspinatusmuskels beweise eine länger bestehende Vorschädigung mit zumindest ausgeprägter Teilruptur oder kompletter Ruptur der Supraspinatussehne.

Des Weiteren hat der Senat Prof. Dr. K. mit der Erstellung eines histopathologischen-histologischen Gutachtens beauftragt. Dieser legt in seinem Gutachten vom 14. November 2018 dar, dass das am 24. September 2014 entnommene Sehnenresektat eine hochgradige Texturstörung aufweise, welche einen erheblichen Degenerationsgrad belege und Zeichen einer älteren Kontinuitätstrennung im Sinne einer Texturstörung Grad III nach Krenn sei. Zeichen einer traumatischen Rotatorenmanschettenruptur seien dem Material nicht zu entnehmen. Ergebnis der histopathologischen Untersuchung sei ein tendinöses Gewebe mit Anzeichen einer Degeneration im Sinne einer schwergradigen Texturstörung entsprechend Grad III nach Krenn. Merkmale einer pathologischen Gewalteinwirkung auf die Sehne seien im vorliegenden Material nicht sicher nachweisbar.

Sodann hat der Senat ein fachchirurgisches Gutachten von Dr. St. vom 12. Februar 2019 eingeholt. Dieser verneint in seinem Gutachten einen Zusammenhang zwischen der vorliegenden Läsion der Rotatorenmanschette links mit dem Unfallereignis vom 22. August 2014. Ein direktes Anschlagen der Schulter gegen den Boden des Hangs oder gegen anderes Holz sei nicht geeignet, zu einer Schädigung der Rotatorenmanschette zu führen. Es könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass es bei dem Überschlagen und dem Herabrutschen am Hang zu einwirkenden Kräften im anderen Sinne gekommen sei. Diese seien nicht mehr hinreichend rekonstruierbar, sodass der Unfallhergang weder positiv noch negativ gewürdigt werde. Gegen eine Unfallkausalität spreche jedoch, dass der Kläger erst sehr spät ärztliche Hilfe in Anspruch genommen habe. Auch der primäre ärztliche Untersuchungsbefund vom 5. September 2014 stehe mit einer traumatischen Schädigung der Rotatorenmanschette nicht im Einklang. Danach sei eine Abduktion der linken Schulter bis 60 Grad möglich gewesen. Dieser Befund entspreche bei Weitem nicht der zu fordernden Pseudoparalyse. Auch in den bildgebenden Befunden fänden sich Anzeichen für erhebliche degenerative Veränderungen. Insbesondere die fettige Degeneration des Muskulus Supraspinatus sei mit einem erst wenige Wochen alten Schaden nicht in Einklang zu bringen. Nach dem Operationsbericht vom 24. September 2014 sei die Subscapularissehne nicht mehr identifizierbar gewesen. Auch dies spreche erheblich gegen einen Unfallzusammenhang. Die von Prof. K. in seinem Gutachten festgestellten histologischen Veränderungen würden ebenfalls gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen. Daher sei es nicht wahrscheinlich, dass der Unfall vom 22. August 2014 für die Schädigung an mehreren Sehnen der Rotatorenmanschette links verantwortlich sei. Die jetzige Funktionseinschränkung der linken Schulter sei auf die in der Zeit vom 23. Oktober bis 5. November 2014 erforderliche erneute stationäre Behandlung etwa zur Hälfte zurückzuführen. In diesem Zeitraum seien wegen Komplikationen drei weitere Operationen erforderlich gewesen. Dadurch habe die Physiotherapie erst sehr spät einsetzen können.

Letzterer Einschätzung hat der Beratungsarzt der Beklagten Dr. O. in seiner Stellungnahme vom 16. Mai 2019 widersprochen. Es sei unklar, ob die Komplikationen im Falle des Klägers auf eine aseptische Sehnennekrose oder auf eine geringgradige Infektion zurückzuführen seien. Selbst eine geringgradige Infektion sei bei einer schwerstgeschädigten Sehne nicht für die weiteren Komplikationen verantwortlich zu machen. Nach dem "Alles-oder-Nichts Prinzip" in der gesetzlichen Unfallversicherung könne damit auch über § 11 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) ein Zusammenhang nicht begründet werden.

Dr. St. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 22. Juli 2019 daraufhin dargelegt, dass nicht mit hinreichender Sicherheit beantwortet werden könne, ob die drei weiteren Operationen wegen einer aseptischen Sehnennekrose oder eines geringgradigen Infekts der Supraspinatussehne erforderlich geworden seien. Für einen niedriggradigen Infekt spreche die eine Woche vor der erneuten stationären Aufnahme aufgetretene Wundabsonderung. Gegen einen niedriggradigen Infekt spreche die mikrobiologische Untersuchung, bei der alle Wundabstriche steril gewesen seien. Der fehlende mikrobiologische Nachweis eines Erregers schließe jedoch einen niedriggradigen Infekt nicht aus. Die klinischen Symptome könnten durch beide Frontaldiagnosen voll umfänglich erklärt werden. Bei Unterstellung einer aseptischen (nicht durch eine Infektion) verursachten Sehnennekrose sei die Möglichkeit gegeben, dass eine vorgeschädigte Supraspinatussehne im weiteren Verlauf weiter nekrotisiere. Bei der Erstoperation sei jedoch die Supraspinatussehne mobilisiert und mit drei Fäden durch eine Zugschraube fixiert worden. Eine Nekrose der Sehne sei zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar gewesen. Die Operation vom 24. September 2014 sei wesentliche Ursache für die Wundheilungsstörung mit Fistelbildung und Wundsekretion gewesen. Die gravierende Beeinträchtigung der Schulterfunktion durch die drei Nachoperationen sei gleichwertig mit der unfallunabhängigen Schädigung der Supraspinatussehne. Laut Operationsbericht vom 24. Oktober 2014 sei ein großflä-chiges Vorgehen zur Entfernung von infiziertem, geschädigtem oder abgestorbenem Gewebe erforderlich gewesen. Dieser Eingriff verursache eine großflächige innere Narbe. Drei Nachoperationen und die vorhandenen Komplikationen seien eine wesentliche Mitursache für die verbliebenen Bewegungseinschränkungen in der linken Schulter.

Dieser Einschätzung hat der Beratungsarzt der Beklagten Dr. O. in einer weiteren Stellungnahme vom 9. August 2019 widersprochen. Nicht die operative Maßnahme und die in Teilen ungeklärten Komplikationen seien ursächlich für das Funktionsdefizit, sondern die unfallfremden Texturstörungen. Der Vorschaden sei wesentlich für das noch bestehende Funkti-onsdefizit. Der Vorzustand der Sehnen entspreche dem Nachzustand (vorher und nachher funktionslos). Die Annahme einer Infektion könne einen negativen Einfluss auf das Ausheilergebnis haben. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass dieses entscheidend sei. Es sei bereits nicht ausreichend gesichert, dass die entstandenen Defekte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die OP zurückzuführen seien. Mehrfache Operationen führten zwar zu zusätzlichen Verwachsungen und seien ungünstig für den Heilverlauf. Fraglich sei jedoch, ob die Folgeoperationen überhaupt noch der primären Operation zuzuschreiben seien.

Hierzu hat Dr. St. in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 16. September 2019 aus-geführt, dass eine verzögert einsetzende Physiotherapie immer einen ungünstigen Einfluss habe. Eine erneute Operation führe zu weiteren Vernarbungen im Schulterbereich und beeinflusse das Behandlungsergebnis ungünstig. Es sei nicht mit hinreichender Sicherheit zu klären, ob eine aseptische Sehnennekrose oder ein niedriggradiger Infekt vorliege. Im Gesamtzusammenhang mit den vorausgegangenen Operationen müssten Wundsekretion und Fistelbildung als realistische Möglichkeit einer Infektion von den behandelnden Ärzten bewertet werden. Aufgrund der Wundsekretion und der Fistelbildung sei die Diagnose einer Infektion zwingend in Betracht zu ziehen. Zwar sei auch eine aseptische Sehnennekrose eine in Betracht zu ziehende Möglichkeit. Beide Differentialdiagnosen seien aber gleichwertig nebeneinander zu stellen. Es sei ein wesentlicher Unterschied, ob eine Einzeloperation an der Narbenbildung beteiligt sei oder drei weitere Operationen. Die Texturstörung an der Rotatorenmanschette hätte zwar wesentlich an den Bewegungseinschränkungen des Klägers mitgewirkt, ebenso wesentlich sei jedoch die aufgrund der Komplikationen erforderlich gewordene weitere Behandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang, die Gegenstand der Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig (§§ 143, 151 SGG) und hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Das Sozialgericht Meiningen hat die Klage hinsichtlich der Feststellung weiterer Unfallfolgen und eines Anspruchs auf Heilbehandlung über den 21. September 2014 hinaus zu Unrecht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 12. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2015 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als dieser Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen hat. Ebenso hat der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Gewährung von Heilbehandlung über den 21. September 2014 hinaus. Ein Anspruch auf Feststellung der Ruptur der Supraspinatus- und der Subscapularissehne als Unfallfolge besteht hingegen nicht.

Die Beklagte hat bereits in dem Bescheid vom 12. November 2014 festgestellt, dass der Klä-ger am 22. August 2014 einen Arbeitsunfall mit der Folge einer Schulterprellung links erlitten hat. Darüber hinaus sind die im Tenor benannten weiteren Unfallfolgen festzustellen.

Richtige Klageart für die Feststellung weiterer Unfallfolgen ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1, 3 SGG.

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses", "Unfallereignis" und "Gesundheitsschaden" wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R, zitiert nach Juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R, BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, beide zitiert nach Juris).

Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Rotatorenmanschettenschaden im Bereich der linken Schulter nicht als weitere Unfallfolge aus dem Ereignis vom 22. August 2014 festgestellt werden kann.

Hinsichtlich der Entstehung einer Rotatorenmanschettenruptur ist zu berücksichtigen, dass sich im Bereich der Schulter das Schulterhauptgelenk und das wenig bewegliche Schultereckgelenk befinden. Das Schulterhauptgelenk wird von dem Oberarmkopf und der relativ kleinen Schulterpfanne gebildet. Um den Oberarmkopf fest in der Pfanne zu verankern, gibt es eine Vielzahl von Muskeln zwischen Schulterblatt und Oberarm. Die Summe der Muskeln, die den Oberarmkopf im Bereich der Schulterpfanne zentrieren, nennt man zusammengefasst Rotatorenmanschette. Dazu gehört unter anderem der Musculus supraspinatus. Gesichert ist, dass diese Muskeln und Sehnen erheblichen degenerativen Veränderungen unterliegen. Jenseits des 50. Lebensjahres sind degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette sehr häufig anzutreffen (Mehrhoff u.a., Unfallbegutachtung, 14. Auflage 2019, Seite 293). Derartige Sehnenschäden werden häufig zum Beispiel durch ein Engpasssyndrom verursacht. Ist eine Rotatorenmanschettenruptur hingegen traumatisch bedingt, sind nur bestimmte Verletzungsmechanismen geeignet, eine solche zu verursachen. Nicht geeignet sind eine direkte Krafteinwirkung auf die Schulter, wie bei einem Sturz, Schlag oder Prellung oder ein Sturz auf den ausgestreckten Arm (Schönberger, Mehrtens, Valentin, Unfallbegutachtung, 9. Auflage 2017 S. 433 ff.).

Daraus folgt bezogen auf den vorliegenden Fall, dass nach wie vor erhebliche Zweifel bestehen, ob der Hergang des Geschehens am 22. August 2014 geeignet ist, eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur zu verursachen.

Ausweislich des vom Kläger gegenüber dem Berichterstatter des Senats in einem Erörterungstermin geschilderten Unfallherganges (Stolpern mit einer Holzrolle im Arm, Sturz und Überschlagen und Abrutschen am Hang ca. 3 bis 4 m) ist es fraglich, ob dieser Unfallhergang geeignet ist, einen Rotatorenmanschettenschaden zu verursachen. Dies hat der Sachverständige Dr. St. in seinem Gutachten vom 12. Februar 2019 eingehend dargelegt.

Letztlich kann es jedoch dahinstehen, ob hier überhaupt ein unfallgeeigneter Unfallhergang vorliegt. Denn aus der Auswertung des Durchgangsarztberichtes vom 5. September 2014, der Befunde aus dem Operationsbericht in Verbindung mit der histologischen Untersuchung des feingeweblichen Materials und des bildgebenden Materials vor der Operation ergeben sich hinreichende Zweifel daran, dass im vorliegenden Fall von einer traumatisch bedingten Rotatorenmanschettenruptur ausgegangen werden kann. Der Sachverständige Dr. St. hat in seinem Gutachten vom 12. Februar 2019 nachvollziehbar dargelegt, dass die am 5. September 2014 erhobenen ärztlichen Befunde nicht für einen traumatischen Abriss der Rotatorenmanschette typisch sind. Insbesondere ist noch eine Beweglichkeit des linken Schultergelenks (Abduktion bis 60 Grad möglich) festgestellt worden, die der zu fordernden Pseudoparalyse nicht entspricht. Dr. St. hat in dem genannten Gutachten auch eingehend dargelegt, dass sich bereits den Röntgenaufnahmen vom 22. September 2014 eine ausgeprägte Arthrose des linken Schultereckgelenks mit radiologisch gesicherten knöchernen Anbauten entnehmen lässt. Der MRT Befund der linken Schulter vom 11. September 2014 belegt eine erhebliche fettige Degeneration der Supraspinatussehne. Eine solche Veränderung ist mit einer frischen Verletzung nicht in Einklang zu bringen. Dies steht mit den Ausführungen des radiologischen Sachverständigen Prof. Dr. T. in seinem Gutachten vom 5. Juli 2018 im Einklang. Auch dieser beschreibt erhebliche Retraktionen im Bereich der Abrisse der Sehnen und führt aus, dass eine nachweisbare fettige Degeneration des Supraspinatusmuskels eine länger bestehende Vorschädigung mit zumindest augeprägter Teilruptur oder kompletter Ruptur der Supraspinatussehne beweist. Anschließend wertet Dr. St. den Operationsbericht vom 24. September 2014 aus und legt dar, dass der operierende Arzt ein Impingementsyndrom der Schulter beschreibt. Insbesondere die Ausführungen des Operateurs, wonach die Subscapularissehne nicht mehr identifizierbar war, werden von Dr. St. als Anzeichen für einen deutlichen degenerativen Vorschaden gewertet. Bei einer frischen Ruptur wäre hingegen ca. fünf Wochen nach dem Ereignis das Auffinden dieser Sehne leicht möglich. Daraus zieht Dr. St. nachvollziehbar den Schluss, dass die intraoperativ festgestellten Veränderungen gravierend gegen einen Unfallzusammenhang sprechen. Der Befund des primär untersuchenden Pathologen hinsichtlich der Histologie weicht deutlich von dem Ergebnis des vom Senat eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. K. vom 14. November 2018 ab. In diesem ausführlichen Gutachten legt Prof. K. eingehend dar, dass die nunmehr erneut vorgenommene histopathologische Untersuchung tendinöses Gewebe mit Anzeichen einer Degeneration im Sinne einer schwergradigen Texturstörung entsprechend Grad III der Klassifikation nach K. zeigt. Damit spricht auch dieser Befund deutlich gegen ein frisches traumatisches Geschehen.

Damit bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die Rotatorenmanschettenruptur links im Fall des Klägers schicksalhafter Natur ist. Einen Zusammenhang mit dem Ereignis vom 22. August 2014 kann daher nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Jedoch kann der Kläger die Feststellung der vorliegenden funktionellen Einschränkungen hin-sichtlich der Beweglichkeit der linken Schulter und die Narbenbildung als mittelbare Unfallfolge nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII beanspruchen. Unerheblich ist insoweit, dass am 24. September 2014 objektiv keine Unfallfolge behandelt wurde. Denn auch objektiv nicht durch den Arbeitsunfall bedingte Heilbehandlungen können den Tatbestand des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII auslösen. § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII setzt nicht voraus, dass bei der Heilbehandlungsmaßnahme ein "Unfall" vorliegt, sodass auch Gesundheitsstörungen ohne neues Unfallereignis erfasst werden. § 11 SGB VII stellt eine spezielle Zurechnungsnorm dar, die Gesundheitsschäden auch dann einem anerkannten Versicherungsfall zurechnet, wenn sie etwa durch die Durchführung einer berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder durch eine Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts wesentlich verursacht wurden (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2018 - B 2 U 16/17 R, zitiert nach Juris). Aber auch diese gesetzliche Zurechnung setzt voraus, dass die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands des § 11 SGB VII durch das (behauptete oder anerkannte) Unfallereignis notwendig bedingt war (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R, zitiert nach Juris).

Die Durchführung einer Heilbehandlung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ist zu bejahen, wenn der Unfallversicherungsträger dem Versicherten einen Anspruch auf eine bestimm-te Heilbehandlungsmaßnahme nach den §§ 26 ff. SGB VII - nicht notwendig durch Verwaltungsakt in Schriftform - bewilligt oder ihn durch seine Organe oder Leistungserbringer zur Teilnahme an einer solchen diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme aufgefordert hat und der Versicherte an der Maßnahme des Trägers den Anordnungen der Ärzte folgend teilnimmt. Die gesetzliche Zurechnung beruht nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 5. Juli 2011 a.a.O.) auf der (grundsätzlich auch mitwirkungspflichtigen) Teilnahme des Versicherten an einer vom Unfallversicherungsträger oder diesem zurechenbar bewilligten oder angesetzten Maßnahme. Es kommt rechtlich nicht darauf an, ob die Heilbehandlungsmaßnahme durch den Träger objektiv rechtmäßig war oder ob objektiv ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 26 Abs. 5 S 1 SGB VII) über die Bewilligung eines Anspruchs auf diese Heilbehandlung bestand. Nicht notwendig ist deshalb, dass objektiv, d. h. aus der nachträglichen Sicht eines fachkundigen Beobachters, die Voraussetzungen eines Versicherungsfalls oder einer Unfallfolge im engeren Sinne wirklich vorlagen. Auch objektiv nicht durch den Arbeitsunfall bedingte Heilbehandlungen können die Tatbestände des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII oder ggf. § 11 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII auslösen.

Eine Heilbehandlung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ist deshalb zu bejahen, wenn ein D-Arzt der gesetzlichen Unfallversicherung in dieser Funktion zur Behandlung einer von ihm als unfallbedingt eingeschätzten Gesundheitsbeeinträchtigung ohne weiteren Kontakt zum Unfallversicherungsträger tätig wird oder dem Versicherten gegenüber eindeutig und klar erklärt, dass es sich bei dem ärztlichen Eingriff um eine Heilbehandlungsmaßnahme zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund eines Arbeitsunfalls handelt. Denn der D-Arzt hat gemäß § 27 Abs. 1 des Vertrags nach § 34 Abs. 3 SGB VII unter Berücksichtigung von Art oder Schwere der Verletzung zu beurteilen und zu entscheiden, ob eine allgemeine Heilbehandlung oder eine besondere Heilbehandlung erforderlich ist. Leitet er eine besondere Heilbehandlung ein, so führt er die Behandlung durch. Dem D-Arzt kommt damit an dieser Stelle die Funktion eines Amtswalters des Unfallversicherungsträgers zu, der für den Versicherungsträger verbindlich den Behandlungs- und Untersuchungsanspruch des Versicherten konkretisiert und für dessen Fehler der Versicherungsträger ggf. zu haften hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2016, VI ZR 208/15, zitiert nach Juris). Bei den Zurechnungstatbeständen des § 11 SGB VII muss sich der Unfallversicherungsträger daher das Handeln des D-Arztes grundsätzlich zurechnen lassen (vgl. BSG vom 5. Juli 2011 a.a.O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen stellt sich daher der operative Eingriff am 24. September 2014 aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung der objektiven Gegebenheiten als ein der Beklagten zuzurechnendes Verhalten dar. Bis zu dem operativen Eingriff am 24. September 2014 befand sich der Kläger ausschließlich in durchgangsärztlicher Behandlung. Der Durchgangsarzt hat die stationäre Aufnahme und den operativen Eingriff veranlasst. Die Anordnung muss dabei nicht durch den Unfallversicherungsträger selbst, sondern kann auch durch einen Durchgangsarzt erfolgen. Der Durchgangsarzt hat dem Kläger gegenüber zumindest den Anschein gesetzt, dass mit der Operation am 24. September 2014 eine unfallversiche-rungsrechtliche Maßnahme durchgeführt wird. Aus der Akte ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, die dagegen sprechen. Die Beklagte hat erst mit Bescheid vom 12. November 2014 nach Abschluss der stationären Behandlung festgestellt, dass nach Durchsicht des Operationsberichts keine behandlungsbedürftigen Unfallfolgen bestanden.

Die Bewegungseinschränkungen im Bereich der linken Schulter beruhen auch rechtlich wesentlich auf der Operation am 24. September 2014. Auch die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einer der nach § 11 Abs. 1 SGB VII tatbestandlichen Maßnahme erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 - B 2 U 31/11 R, zitiert nach Juris). Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen gegebenenfalls neben anderen konkret festgestellten unversicherten (Wirk-) Ursachen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt; das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich, wie z. B. Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen, sein (vgl. BSG Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, zitiert nach Juris). Erst wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist. Dabei ist zu prüfen, ob die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstat-bestand gerade Schutz gewähren soll. Die Wesentlichkeit der Ursache ist eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die noch heute bestehenden funktionellen Störungen im Bereich der linken Schulter des Klägers sowohl objektiv als auch im Rechtssinne wesentlich verursacht durch den der Beklagten zurechenbaren operativen Eingriff am 24. September 2014. Nach allen ärztlichen Feststellungen ist es im Zusammenhang mit der Heilbehandlung und insbesondere der Operation am 24. September 2014 zu einer Wundheilungsstörung im Bereich der linken Schulter gekommen. Die Feststellungen des Sachverständigen Dr. St. und des Beratungsarztes Dr. O. weichen nur insoweit voneinander ab, als Dr. O. als Ursache der Wundheilungsstörungen eine aseptische Sehnennekrose aufgrund des Vorschadens in der linken Schulter als im Vordergrund stehend einstuft, während Dr. St. auch einen niedriggradi-gen Infekt als gleichwertige Ursache ansieht und darlegt, dass sich weder die eine noch die andere Ursache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit belegen lässt. Diesen Ausführungen folgt der Senat. Die Vorschädigung durch die nicht unerheblichen Texturstörungen im Bereich der linken Schulter ist im Vergleich zu dieser durchgeführten Behandlung nicht von überragender Bedeutung für die heute noch bestehenden Funktionseinschränkungen im linken Schultergelenk. Der Sachverständige Dr. St. hat in seinem Gutachten vom 12. Februar 2019 und insbesondere in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16. September 2019 dargelegt, dass die Funktionseinschränkungen im linken Schultergelenk des Klägers auf Verwachsungen im Schulterbereich nach drei zusätzlichen Operationen aufgrund einer vorausgegangenen schleichenden Infektion als wesentlich anzusehen sind. Eingehend hat er dargelegt, dass diese am Zustandekommen der bleibenden Funktionsstörungen den gleichen Anteil, wie die aus körpereigenen Gründen entstandenen Vorschäden tragen. Nachvollziehbar sieht er in den drei Nachoperationen und der Komplikation (Sehnennekrose oder niedriggradige Infektion) eine wesentlich Mitursache für die verbliebenen Bewegungseinschränkungen. Zwar kann zum jet-zigen Zeitpunkt nicht mehr eindeutig geklärt werden, ob die erneute stationäre Behandlung mit den drei Nachoperationen ab dem 23. Oktober 2014 wegen einer aseptischen Sehnennekrose der Supraspinatussehne oder einer niedriggradigen Infektion erforderlich geworden ist. Der erneute stationäre Aufenthalt des Klägers wurde erforderlich, weil im Laufe des Oktobers 2014 eine Wundheilungsstörung mit Fistelbildung und Wundsekretion bei ihm festgestellt worden ist. Dr. St. führt insoweit nachvollziehbar aus, dass die Wundsekretion und die Fistelbildung von den behandelnden Ärzten realistischer Weise unter dem Gesichtspunkt einer Infektion zu bewerten waren und diese zur Nachoperation zwangen. Nach den Ausführungen von Dr. St. sind beide Differentialdiagnosen gleichwertig nebeneinander zu stellen. So schließt der fehlende Nachweis von Bakterien in allen Wundabstrichen das Vorliegen eines niedriggradigen Infekts nicht aus. Selbst wenn man von einer aseptischen Sehnennekrose als einer ernsthaft in Betracht zu ziehenden Möglichkeit ausgeht, ist jedoch zu beachten, dass nach den Ausführungen von Dr. St. sowohl die vorhandenen Texturschädigungen der Rotatorenmanschette, die zu einer aseptischen Sehnennekrose hätten führen können, als auch die Behandlung der Wundheilungsstörungen als annähernd gleichwertig am Zustandekommen der Bewegungsminderungen anzusehen sind. Dass hier eine genaue Abgrenzung des Verursachungsanteils nicht möglich ist, kann nicht zu Lasten des Klägers gehen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt des Maßstabs der hinreichenden Wahrscheinlichkeit auch nicht erforderlich. Denn es ist ausreichend, dass die Heilbehandlung im Rechtssinne wesentlich war. Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 a.a.O.). Sozialrechtlich ist allein relevant, ob (auch) das Unfallereignis bzw. hier die Heilbehandlung wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache ebenfalls wesentlich war, ist unerheblich. Wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange keine andere Ursache überragende Bedeutung hat. Dass die vorhandenen Texturschädigungen der Rotatorenmanschette hinsichtlich der gestörten Wundheilung von derart überragender Bedeutung sind, lässt sich den ärztlichen Festsstellungen nicht entnehmen. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass die Texturschädigungen derart weit fortgeschritten waren, dass es in jedem Fall zu einer Wundheilungsstörung gekommen wäre. Dies wäre aber erforderlich, denn die innere Ursache und ihr Ausmaß muss bei dieser Prüfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R, zitiert nach Juris). Vielmehr verhält es sich nach den Ausführungen von Dr. St. so, dass ein niedriggradiger Infekt als Ursache der Wundheilungsstörungen zumindest gleichberechtigt neben den vorliegenden Texturschädigungen steht. Denn nach den Ausführungen von Dr. St. konnte bei der Erstoperation die Supraspinatussehne mobilisiert und mit drei Fäden durch eine Zugschraube fixiert werden. Anhaltspunkte für eine Nekrose der Sehne zu diesem Zeitpunkt ergeben sich daher nach Dr. St. nicht. Auch das pathologische Gutachten von Prof. Dr. K. vom 14. November 2018 belegt zwar schwere degenerative Veränderungen der Sehnen, aber ein Anhalt für eine zum Zeitpunkt der Entnahme des untersuchten Materials während der Operation bereits bestehende Infektion fand sich nicht. Ebenso fanden sich in dem untersuchten Material keine Zeichen für nekrotisierende Veränderungen.

Es handelt sich hierbei auch um sog. mittelbare Unfallfolgen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Danach sind Folgen eines Versicherungsfalls auch Gesundheitsschäden infolge der Durchführung einer Heilbehandlung. Normale Folgen einer (geglückten) Operation, wie beispielsweise Narben oder typischerweise verbleibende funktionelle Einschränkungen, unterfallen dabei nicht dem Anwendungsbereich dieser Norm, weil § 11 SGB VII eine gesonderte, zusätzliche Zurechnungsnorm darstellt und dem entsprechend jene Gesundheitsschäden, die einer normalen Behandlung entsprechen und ohnehin nur der entsprechenden originären Zurechnungsnorm (dem hier nicht einschlägigen § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) unterfallen, nicht erfasst (Schutzzweck der Norm). § 11 SGB VII erfasst somit nur Gesundheitsschäden, die nicht wesentlich durch den behandelten Gesundheitsschaden, sondern durch einen Schädigungstatbestand des § 11 SGB VII verursacht werden (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R, Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17. November 2016 - L 10 U 2980/13, zitiert nach Juris). Als Folge der am 24. September 2011 erfolgten Operation, sind - wie dargelegt - Folgen aufgetreten, die über das Ergebnis einer erfolgreichen Operation im Bereich der linken Schulter im negativen Sinne hinausgehen.

Entsprechend den obigen Ausführungen hat der Kläger einen Anspruch auf Heilbehandlung hinsichtlich der vorliegenden Unfallfolgen über den 21. September 2014 hinaus nach den §§ 26 ff. SGB VII. Die Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid vom 12. November 2014 generell die Übernahme weiterer Heilbehandlungen und Fahrtkosten abgelehnt, da sie davon ausgegangen ist, dass die Behandlung der Unfallfolgen am 21. September 2014 abgeschlossen war. Dies ist nicht zutreffend, sodass der Kläger einen Anspruch auf Gewährung weiterer Heilbehandlungsmaßnahmen hat. Die Unfallversicherungsträger bestimmen im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung und der Leistungen zur Teilhabe sowie die Einrichtungen, die diese Leistungen erbringen, nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII). Die Beklagte wird daher im Einzelnen zu entscheiden haben, welche dies sind.

Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte in dem Bescheid vom 12. November 2014 über weitere Entschädigungsansprüche wie Verletztengeld oder Ver-letztenrente, nicht entschieden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Der Kläger hat hinsichtlich der Unfallfolgen teilweise, hinsichtlich der grundsätzlichen Verpflichtung zur Übernahme der Heilbehandlung über den 21. September 2014 hinaus vollständig obsiegt. Dies rechtfertigt es, seine außergerichtlichen Kosten der Beklagten zur Hälfte aufzuerlegen.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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