L 13 SB 259/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 5 SB 293/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 259/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. November 2017 wird zurückgewiesen. Der Tenor zu 1) des Urteils wird jedoch zur Klarstellung wie folgt neu formuliert: Der Bescheid des Beklagten vom 6. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2013 wird aufgehoben, soweit darin der Beklagte seinen Bescheid vom 9. November 2007 aufgehoben und damit den bei der Klägerin festzustellenden Grad der Behinderung auf einen Wert unter 40 abgesenkt hat. Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Im Übrigen bleibt es bei der Kostenentscheidung des Sozialgerichts. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 1. September 1968 geborene Klägerin wehrt sich gegen die Absenkung des bei ihr festgestellten Grades der Behinderung (GdB) bzw. begehrt dessen Heraufsetzung.

Bei der Klägerin war ein Melanom am linken Oberschenkel festgestellt und mit einer tiefgehenden Operation entfernt worden. Im Hinblick darauf stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. November 2007 bei der Klägerin einen GdB von 50 fest und ging von einem Zeitraum der Heilungsbewährung bis Januar 2012 aus. Im Rahmen des 2012 eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens gab die Klägerin an, sie leide nunmehr auch unter chronischem Asthma mit täglicher Dauermedikation und beantragte insoweit die Neufeststellung. Zugleich gab sie an, sie leide unter einem Lymphödem, das vom linken Oberschenkel nunmehr auch auf das rechte Bein übergriffen habe. Neben den Schmerzen bereiteten ihr auch die Auswirkungen auf die Ästhetik und ihre Kleidungsmöglichkeit Probleme. Insoweit sei sie auch in ihren täglichen Freizeitaktivitäten und Urlaubsmöglichkeiten eingeschränkt. Ihr Selbstwertgefühl sei stark gesunken.

Der Beklagte holte Auskünfte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein, wobei die die Klägerin behandelnde Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten u.a. ein starkes sekundäres Lymphödem des linken Beines mit Grad II und eine psychogene Belastungsreaktion anführte. Hierzu gab sie an, es bestehe ein starkes Lymphödem des linken Beines in gesamter Länge sowie ein leichtes Ödem des rechten Beines mit Spannungsschmerz des linken Beines, besonders beim Sitzen und Stehen. Die Beweglichkeit im Knie sei eingeschränkt, obwohl regelmäßig manuelle Lymphdrainagen vorgenommen würden. Zusätzlich bestehe ein Schweregefühl im linken Bein. Dieses Lymphödem werde fortschreiten und es bestehe die Gefahr von Hautdefekten. Der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten gelangte in Auswertung der Unterlagen zu der Einschätzung, bei der Klägerin bestehe ein Lymphödem beider Beine mit einem GdB von 30. Zusätzlich bestehe ein Asthma bronchiale mit einem GdB von 10, insgesamt sei der GdB auf 30 festzusetzen. Mit Bescheid vom 6. März 2013 hob der Beklagte seinen Bescheid vom 9. November 2007 mit Wirkung ab Bekanntgabe auf, soweit darin ein Grad der Behinderung von mehr als 30 festgesetzt wurde. Zugleich stellte er eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest und lehnte den Neufeststellungsantrag der Klägerin im Übrigen ab.

Den am 14. März 2013 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass ihres Erachtens das Lymphödem unterbewertet worden sei. Darüber hinaus sei die ihr ärztlich attestierte psychogene Belastungsreaktion nicht gewürdigt worden. In einem Befundbericht teilte die Ärztin der Klägerin mit, die Beinschwellung greife inzwischen auch auf das rechte Bein über, weshalb Umfangdifferenzen beider Beine nur bedingt aussagefähig seien. Darüber hinaus neige die Klägerin zu depressiver Stimmungslage, habe Zukunftsängste und Angst vor einem Fortschreiten der Erkrankung. Der Beklagte holte eine Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes ein, der zu der Einschätzung gelangte, das Lymphödem beider Beine sei mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet. Das Asthma bronchiale sei nicht mit einem GdB von mehr als 10 zu bewerten. Nunmehr sei auch eine psychische Störung festzustellen, die indes einen GdB von 10 nicht übersteige. Insgesamt verbleibe es daher bei dem Gesamt-GdB von 30. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der am 17. Oktober 2013 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren nach Beibehaltung der Schwerbehinderteneigenschaft fortgeführt. Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt. Hierbei hat die Ärztin der Klägerin in Bezug auf das Lymphödem mitgeteilt, es handele sich um ein Lymphödem beider Beine mit stärkerer Umfangvermehrung und erheblichen Beeinträchtigungen der Gebrauchsfähigkeit. So sei das Beugen der Knie und Sprunggelenke eingeschränkt, zunehmend auch bereits im Tagesverlauf. Das Lymphödem sei deutlich auffallend und kosmetisch störend, jedoch nicht entstellend. Mit Urteil vom 21. November 2017 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 6. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2013 verurteilt, bei der Klägerin ab dem 9. März 2013 einen Gesamt-GdB von 40 festzustellen. Darüber hinaus hat es die Klage abgewiesen und dem Beklagten die Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1/3 auferlegt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, bei der Klägerin sei ein Lymphödem des linken Beines II. Grades und desrechten Beines I. Grades festzustellen, wofür nach Teil B 9.2.3 der VMG bei stärkerer Umfangsvermehrung von mehr als 3 Zentimetern je nach Funktionseinschränkung ein GdB zwischen 20 und 40 festzustellen sei. Zwar könne eine Umfangsvermehrung von mehr als 3 Zentimetern nicht festgestellt werden, jedoch sei eine Funktionseinschränkung auf Dauer mit Verstärkung in der warmen Jahreszeit gegeben, wodurch die Zuerkennung eines GdB von 30 gerechtfertigt werde. Darüber hinaus sei ein Nagelpilz festzustellen, der nach Teil B 17.10 der VMG nicht mit einem GdB über 10 zu bewerten sei. Auch das Asthma ohne dauernde Lungenfunktionseinschränkung sei nach Teil B 8.2 der VMG nicht mit einem GdB über 10 zu bewerten. Aus dem Befundbericht des Lungenfacharztes sei keine auf Dauer bestehende Einschränkung der Lungenfunktion festzustellen. Schließlich bestehe bei der Klägerin eine psychische Funktionsbeeinträchtigung, die mit einem GdB von 20 auf der Grundlage nach Teil B 3.7. der VMG zu bewerten sei. Insoweit beruhe die Bewertung darauf, dass der Hausarzt der Klägerin, ihr regelmäßig Sertarin verordne, das als Antidepressivum einzustufen sei. Von einer stärker behindernden Störung könne jedoch nicht ausgegangen werden, zumal eine fachärztliche Behandlung bisher nicht stattgefunden habe. In der Zusammenschau ergebe sich ein GdB von 40. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen, das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 4. Dezember 2017 zugestellt worden ist.

Mit der am 20. Dezember 2017 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, das Lymphödem sei wegen der paarweisen Betroffenheit der Beine höher zu bewerten. Auch die psychischen Störungen seien unterbewertet. Insoweit habe das Gericht zu Unrecht auf das Fehlen einer fachärztlichen Behandlung abgestellt, da eine solche in den VMG nicht als Bewertungskriterium vorgesehen sei. Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. November 2017 und den Bescheid des Beklagten vom 6. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2013 aufzuheben, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. November 2017 zu ändern und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 6. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2013 zu verpflichten, bei der Klägerin mit Wirkung ab dem 9. März 2013 einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin und Dipl.-Psychologen B, der die Klägerin am 31. Juli 2018 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 6. August 2018 zu der Einschätzung gelangt ist, das linke Bein der Klägerin zeige sich im Ober- und Unterschenkel umfangsvermehrt gegenüber der rechten Seite bei Wassereinlagerung unterschenkel- und knöchelbetont. Das rechte Bein zeige ein gering- bis mäßiggradiges Unterschenkelödem. Beide Kniegelenke zeigten sich aktiv und passiv frei beweglich. Die Knöchelkonturen beider Sprunggelenke seien ohne Auffälligkeiten. Die Beweglichkeit im oberen und unteren Sprunggelenk sei beiderseits frei. In seiner abschließenden Bewertung ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, bei der Klägerin habe sich im Bereich des linken Oberschenkels eine Abflussstörung der Lymphbahnen entwickelt. Später sei ein – wenn auch weniger deutlich stark ausgeprägtes – Ödem des rechten Beines hinzugetreten. Die Funktionsbeeinträchtigung sei bei deutlich psychogener Überlagerung als unter mittelgradig einzuschätzen. Auslösend für das seelische Beschwerdebild scheine die Melanom-Operation 2007 gewesen zu sein. Offenbar liege auch eine neurotische Disposition der Klägerin vor. Die Persönlichkeit der Klägerin wirke akzentuiert mit ängstlich vermeidenden histrionisch zwanghaften sowie narzisstischen Anteilen. Das subjektive Beschwerdeerleben in Bezug auf die Lymphödeme sei deutlich psychogen überlagert. Das auf Grund der neurotischen Disposition verringerte Selbstwertgefühl werde ganz offensichtlich auf körperliche Beschwerden reduziert. Die Klägerin habe vor einer fachspezifischen Behandlung ausgeprägte Angst vor Kontrollverlust und könne sich daher auf eine fachärztliche Behandlung nicht einlassen. Die hausärztliche Behandlung mit Sertarin erscheine jedoch wenig sinnvoll, zumal die Klägerin nach ihren eigenen Angaben das Medikament immer wieder absetze. Es sei durchaus eine gewisse Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit festzustellen, eine soziale Anpassungsstörung liege jedoch nicht vor. Ferner leide die Klägerin unter einem Bronchial Asthma, das 2012 festgestellt worden sei und unter Medikation keine Einschränkung der Lungenfunktion erkennen lasse. Das Lymphödem der Beine sei mit einem GdB von 20, die seelische Störung ebenfalls mit einem GdB von 20 und schließlich das Asthma-Leiden mit einem GdB von 10 zu bewerten. Insgesamt sei der GdB mit 30 festzusetzen. Zusammenfasend könne festgestellt werden, dass das Lymphödem keinesfalls schwergradig sei. Hingegen sei das seelische Beschwerdebild etwas deutlicher ausgeprägt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.

Die Klägerin ist der Einschätzung des Sachverständigen entgegengetreten und hat insoweit ausgeführt, dieser benenne keine in der ICD-10 aufgeführten Diagnosen. Auch beschränke er sich auf die Nennung der Ursachen der seelischen Störungen, ohne jedoch die konkreten Funktionsbeeinträchtigungen darzulegen. Nirgendwo zeige sich eine Umfangmessung in Bezug auf die Beinödeme. Stattdessen beschreibe der Sachverständige die unteren Extremitäten als unauffällig, obwohl die Knöchel erkennbar verformt seien. Auch die Umfangmaße differierten deutlich von einander. Auch die Beschreibung der Haut als unauffällig treffe nicht zu. Vielmehr hätten sich bereits Hautverfärbungen als Folge des Lymphödem eingestellt. Zu Unrecht habe der Sachverständige ausgeführt, die bei der Klägerin festzustellenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ließen nicht erkennen, wieso sie nicht mehr im bisherigen Umfang an Freizeit- und Sportaktivitäten teilnehmen könne. Tatsächlich habe dies sowohl ästhetische wie auch körperliche Gründe. Denn die Klägerin leide unter schneller Erschöpfbarkeit, insbesondere in Bezug auf die Beine. Diese Minderbelastbarkeit würdige der Sachverständige gar nicht.

Mit ergänzender Stellungnahme vom 26. November 2018 hat der Sachverständige an seiner Einschätzung festgehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen. Er hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch weder im Haupt- noch im Hilfsantrag begründet.

Bei dem Begehren der Klägerin handelt es sich im Hauptantrag um die Anfechtung der mit Bescheid vom 6. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2013 vorgenommenen Absenkung des mit Bescheid vom 9. November 2007 festgestellten GdB von 50 auf ursprünglich 30. Allerdings ist das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich des rechtskräftig gewordenen Teiles, mit dem der Beklagte verpflichtet worden ist, bei der Klägerin mit Wirkung ab dem 9. März 2013, dem Tag der Bekanntgabe des Bescheides vom 6. März 2013, einen GdB von 40 festzustellen, dahingehend auszulegen, dass tatsächlich keine Verpflichtung gemeint war, sondern insoweit eine Teilaufhebung des Absenkungsbescheides hat ausgesprochen werden sollen. Dies ergibt sich daraus, dass das Sozialgericht im Vorfeld seiner Entscheidung im Dezernatswege – zu Recht - darauf hingewiesen hatte, dass es sich um eine Anfechtungskonstellation handele, bei der maßgeblich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung sei. Da das Sozialgericht seiner Entscheidung offenkundig die Überzeugung zugrunde gelegt hat, es habe am 9. März 2013 und damit noch vor der letzten Behördenentscheidung mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2013 ein GdB von 40 vorgelegen, musste dies zur teilweisen Rechtswidrigkeit der Absenkungsentscheidung und damit zu ihrer teilweisen Aufhebung im Ergebnis der Anfechtungsklage führen. Dementsprechend hätte der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung unter Zugrundelegung der Überzeugung des Sozialgerichts lauten müssen:

Der Bescheid des Beklagten vom 6. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2013 wird aufgehoben, soweit darin der Beklagte seinen Bescheid vom 9. November 2007 aufgehoben und damit einen GdB von weniger als 40 festgestellt hat.

Mithin ist Gegenstand der Anfechtungsklage im Berufungsverfahren lediglich die Absenkung des GdB auf einen Wert von 40.

Die Absenkungsentscheidung in dem vorgenannten Umfang erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung indes als rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.

Die Teilaufhebung der ursprünglichen Feststellung mit Dauerwirkung und Absenkung des GdB findet ihre Grundlage in § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X). Die danach vorausgesetzte wesentliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse gegenüber den bei Erlass der bestehenden Festsetzung vorgelegenen Verhältnissen ist eingetreten. Eine wesentliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse ist im Bereich der Feststellung einer Behinderung gem. § 152 Sozialgesetzbuch / Neuntes Buch (SGB IX) gegeben bei jeder Veränderung der Funktionsstörungen, die zu einer Veränderung des Gesamt-GdB um einen Wert von mindestens 10 führt. So lag es hier. Nach dem Ablauf der Heilungsbewährung für das Melanom war nunmehr führendes Leiden bei der Klägerin ein Lymphödem beider Beine. Dieses ist nach Teil B 9.2.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) bei stärkerer Umfangsvermehrung (mehr als drei Zentimeter) je nach Funktionseinschränkung mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten. Ohne wesentliche Funktionsbehinderung, jedoch mit dem Erfordernis einer Kompressionsbandage ist es mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Erst bei erheblicher Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der betroffenen Gliedmaße ist je nach dem Ausmaß ein GdB von 50 bis 70 zuzuerkennen. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist zwar der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zuzugeben, dass die VMG in den vorgenannten Werten auf jeweils eine Gliedmaße abstellen, das heißt, bei paariger Betroffenheit von Gliedmaßen durchaus eine höhere Bewertung vorzunehmen ist, doch stellen die VMG maßgeblich auf die aus dem Lymphödem an der betreffenden Gliedmaße resultierende Funktionseinschränkung ab. Zutreffend hat insoweit das Sozialgericht ausgeführt, dass die Hautärztin der Klägerin das Ausmaß der Umfangvermehrung nicht hat objektivieren können, da beide Beine geschwollen seien und das jeweilige Normalmaß auch von der Knochenstärke abhänge. Insoweit hat die Hautärztin der Klägerin weiter ausgeführt, besonders bei Wärme träten die Symptome stärker auf. Es ergäben sich Einschränkungen der Beweglichkeit der einzelnen Gelenke, besonders aber im Bereich der Sprunggelenke und Zehen. Bei der Untersuchung der Klägerin im August 2018, also im hitzebelasteten Sommer, hat der Sachverständige B eine freie Beweglichkeit der oberen und unteren Sprunggelenke und eine aktive und passive freie Beweglichkeit der Kniegelenke mit vollständigem Ausmaß von Streckung und Beugung festgestellt. Es kann daher festgestellt werden, dass die von der Hautärztin mitgeteilten Funktionsbeeinträchtigungen der Gelenke jedenfalls nicht von dauernd gleichem Ausmaß sind und insbesondere in der Begutachtungssituation nicht haben festgestellt werden können. Damit ist der Einschätzung des Sachverständigen insoweit zu folgen, als ein GdB von mehr als 20 für die Lymphödeme beider Beine nicht festgestellt werden kann.

Soweit der Sachverständige B. In seinem Gutachten darüber hinaus eine seelische Störung festgestellt und eine Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20 vorgeschlagen hat, folgt dem der Senat ebenfalls. Der Einwand der Klägerin, die Inanspruchnahme fachärztlicher Hilfe sei entgegen den Ausführungen des Sachverständigen nicht Voraussetzung für die Feststellung eines höheren GdB als 20, geht fehl. Für psychische Störungen im Sinne von Teil B 3.7 VMG ist die Zuerkennung eines GdB von mehr als 20 an das Vorliegen wesentlicher Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit geknüpft, wofür der Verordnungsgeber als Regelbeispiele ausgeprägte depressive Störungen und Entwicklungen mit Krankheitswert benannt hat. Die Inanspruchnahme fachärztlicher Hilfe oder deren Unterlassen dienen insoweit lediglich als ein Indiz für die Stärke des vorhandenen Leidensdrucks und damit für die Einordnung der Beeinträchtigung bei der Teilhabe in der Gesellschaft. Nachdem bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung im Übrigen jedoch lediglich ein Lymphödem mit einem GdB von 20 vorgelegen hat, konnte nach den Grundsätzen über die Bildung des Gesamt-GdB gem. Teil A 3. VMG ein GdB von 50 nur erreicht werden, wenn die psychische Störung zumindest mit einem GdB von 40 zu bewerten gewesen wäre. Dies entspricht dem Maximalwert für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Eine solch schwere Störung lag bei der Klägerin auch in Ansehung ihrer eigenen Schilderung der Beschwerden (ständige Angst vor Wiedererkrankung mit Vermeidung von Arztbesuchen, Kontrollzwang in Bezug auf Anwesenheit und Gesundheit der Familienmitglieder, Panikattacken mit Bauchschmerzen und Durchfall) ersichtlich nicht vor. Insbesondere fehlt es insoweit auch an einem für stärker behindernde Störungen charakteristischen sozialen Rückzug. So führt die Klägerin selbst aus, sie übe eine Tätigkeit als Betriebsratsmitglied aus und habe daher sehr viel mit Menschen zu tun.

Auch im Hilfsantrag ist die Berufung nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung eines GdB von 50. Insoweit kann auf die Ausführungen zum Hauptantrag Bezug genommen werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin sich in diesem Jahr erstmalig in die Behandlung einer Fachärztin für Psychiatrie begeben hat. Insoweit handelt es sich offenbar um die Behandlung einer gegenwärtig akuten Situation, so dass die Feststellung einer Behinderung erst in Kenntnis vom längerfristigen Behandlungserfolg möglich sein wird. Insoweit muss sich die Klägerin ggf. auf ein behördliches Neufeststellungsverfahren verweisen lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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