S 8 R 233/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 8 R 233/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 BA 45/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) (im Folgenden nur "der Beigeladene") als Lkw-Fahrer bei der Klägerin.

Bei der Klägerin handelt es sich um ein Speditionsunternehmen. Sie wird u.a. als Subunternehmerin eines Spediteurs auf dem Flughafen D-Stadt tätig.

Der Beigeladene bietet Transportdienstleistungen an.

Im Zuge dessen ist der Beigeladene für die Klägerin auf Grundlage mündlicher Vereinbarungen tätig geworden. Daneben betrieb er ein eigenes Taxigewerbe und war für andere Speditionen tätig. Eigene Beschäftigte hatte der Beigeladene nicht.

Die Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin bestand darin, im Schichtdienst mit einem Lkw Güter zu transportieren. Dabei war die Klägerin. Hatte die Klägerin Personalbedarf, den Sie urlaubs-, krankheitsbedingt oder wegen Auftragsspitzen mit ihren fest angestellten Beschäftigten nicht abdecken konnte, setzte sie sich mit dem Beigeladenen in Verbindung. Sie teilte ihm mit, für welche Schichten sie einen weiteren Fahrer benötigte. Der Beigeladene war frei darin, die angebotenen Schichten anzunehmen oder abzulehnen. Sagte er zu, begab er sich zum vereinbarten Zeitpunkt zum Flughafen D-Stadt. Dort wurde dem Beigeladenen ein Lkw bzw. eine Laderampe für die Dauer der Schicht (12 Stunden) zugewiesen. Über einen eigenen Lkw verfügte der Beigeladene nicht. Während der Schicht war es Aufgabe des Beigeladenen, in einer zentralen Annahmestelle des Flughafens ankommende Waren zu verteilen. Wie die Waren waren zu verteilen waren bestimmte der Auftraggeber der Klägerin am Flughafen. Ein Disponent erteilte dem Beigeladenen die hierfür erforderlichen Anweisungen. Der Beigeladene erhielt von der Klägerin eine feste Vergütung von EUR 18,00/Stunde (Bl. 58 Verwaltungsakte [VA]). Zu einer Minderung dieses Betrags wegen Schlechtleistung oder einer sonstigen Inanspruchnahme durch die Klägerin kam es während der Tätigkeit des Beigeladenen für diese nicht. Die Tätigkeit für die Klägerin machte im Sommer etwa ein Drittel der gesamten Einkünfte des Beigeladenen aus, im Winter etwas weniger als ein Drittel.

Auf einen Antrag gemäß § 7a Sozialgesetzbuch – viertes Buch – (SGB IV) stellte die Beklagte mit Bescheid vom 26.08.2015 (Bl. 90 VA) fest, dass im Hinblick auf die Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht. Hiergegen legte die Klägerin am 11.09.2015 Widerspruch ein (Bl. 93 VA), der mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2016 (Bl. 126 VA) zurückgewiesen wurde. Hiergegen richtet sich die am 01.08.2016 bei Gericht eingegangene Klage.

Zur Begründung macht die Klägerin geltend, dass der Beigeladene als selbständig Tätiger anzusehen sei. Sie beruft sich insbesondere auf die Möglichkeit des Beigeladenen, Aufträge frei anzunehmen oder abzulehnen. Dementsprechend könne von einer Eingliederung in den Betrieb der Klägerin nicht ausgegangen werden. Ferner trage der Beigeladene unternehmerisches Risiko weil er mit einer Inanspruchnahme durch die Klägerin rechnen musste, für den Fall, dass es zu Schlechtleistungen kommt.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 26.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2018 aufzuheben, sowie festzustellen, dass der Beigeladene zu 1) im Hinblick auf seine Tätigkeit bei der Klägerin nicht der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen

Sie verteidigt ihren Widerspruchsbescheid und beruft sich darauf, dass im wesentlichen kein Unterschied zwischen dem Beigeladenen und den von der Klägerin fest (sozialversicherungspflichtig) angestellten Mitarbeitern. Bei dem Beigeladenen handele es sich insoweit um eine Aushilfe.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 21.02.2017 den Beigeladenen zu 1) als betroffenen Auftragnehmer sowie die Beigeladene zu 2) als Trägerin der Arbeitslosenversicherung notwendig gemäß § 75 Abs. 2 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Gerichts- und Verwaltungsakten, darunter insbesondere die gewechselten Schriftsätze.

Entscheidungsgründe:

Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der Frist des § 87 SGG erhoben worden. Insoweit wurde der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 28.06.2016 am selben Tag per Einschreiben abgesandt. Gemäß § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – zehntes Buch – (SGB X) gilt er damit am 01.07.2016 als bekanntgegeben; die Klageerhebung am 01.08.2016 erfolgte daher fristgerecht.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage der Bescheide der Beklagten ist § 7a SGB IV. Danach können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt (vgl. § 7a Abs. 1 SGB IV). Auf den Antrag entscheidet die Deutsche Rentenversicherung Bund (vgl. § 7a Abs. 1 S. 3 SGB IV) auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt (vgl. § 7a Abs. 2 SGB IV).

Vorliegend hat die Beklagte zu Recht entschieden, dass bei dem Beigeladenen eine (sozialversicherungspflichtige) Beschäftigung nach § 7 SGB IV vorliegt. Eine solche besteht im Falle nichtselbständiger Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verlangt in diesem Zusammenhang, dass der Auftragnehmer vom Auftraggeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. statt vieler nur BSG v. 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R). Zur Abgrenzung sind dabei regelmäßig die von den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen heranzuziehen (BSG v. 29.06.2016, B 12 R 5/14 R)

Da schriftliche Vereinbarungen zwischen der Klägerin und den Beigeladenen nicht existieren, kommt es vorliegend auf die tatsächliche Durchführung der Geschäftsbeziehung an, aus denen sich der Wille der Beteiligten ergibt (vgl. BSG v. 14.03.2018, B 12 R 3/17 R).

Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass der Beigeladene im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung im o.g. Sinne für die Klägerin tätig geworden ist. Ausgehend von den obigen Maßstäben überwiegen im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung vorliegend die für eine abhängige Tätigkeit des Beigeladenen sprechenden Merkmale.

Der Beigeladene unterlag einem Weisungsrecht der Klägerin und war in deren Betrieb eingegliedert.

Zwar ist zunächst festzustellen, dass im vorliegenden Fall nach der zwischen Beigeladenem und Klägerin praktizierten Zusammenarbeit kein Recht der Klägerin bestand, den Beigeladenen einseitig zur Übernahme bestimmter Schichtdienste zu verpflichten. Vielmehr stand es dem Beigeladenen ausdrücklich frei, auf Anfragen der Klägerin zu reagieren oder nicht. Diese Tatsache führt jedoch nicht dazu, dass die Tätigkeit des Beigeladenen insgesamt weisungsfrei gewesen wäre. Auch im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse sind Vertragsgestaltungen nicht unüblich, die es weitgehend dem Arbeitnehmer überlassen, ob er im Anforderungsfall tätig werden will oder ob er ein konkretes Angebot ablehnt. Nimmt der Betroffene das Angebot jedoch an, übt er die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit in einem fremden Betrieb und damit im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung aus und wird nicht allein wegen der grundsätzlich bestehenden Ablehnungsmöglichkeit zum selbstständig Tätigen (HLSG v. 24.02.2009, L 1 KR 249/08). So verhielt es sich vorliegend auch beim Beigeladenen. Der Beigeladene war bei der Wahrnehmung der angenommenen Schichtdienste in den Betrieb der Klägerin eingegliedert und an die Weisungen des Disponenten des Auftraggebers der Klägerin gebunden. Dieses Weisungsrecht war von der Klägerin abgeleitet und stand dieser – als Auftraggeberin des Beigeladenen – originär zu.

Der Beigeladene trug im Hinblick auf seine Tätigkeit auch kein unternehmerisches Risiko.

Ein unternehmerisches Risiko ist gekennzeichnet durch den Einsatz eigenen Kapitals mit der Möglichkeit des Gewinns und der Gefahr des Verlustes (st. Rspr., vgl. BSG v. 31.03.2015, B 12 KR 17/13 R mwN).

Ein derartiges Risiko liegt beim Beigeladenen ersichtlich nicht vor. Der Beigeladene hat lediglich seine Arbeitskraft eingesetzt und hierfür eine feste Vergütung erhalten. Dagegen hat der Beigeladene im Rahmen seiner Tätigkeit keinerlei eigenes Kapital eingesetzt, insbesondere keinen eigenen Lkw. Hierauf kommt es aus Sicht der Kammer aber entscheidend an, die sich insoweit der ausführlichen und überzeugenden Darstellung des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 18.07.2013, L 11 R 1083/12 anschließt. Demnach kommt es bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung von Fahrertätigkeiten entscheidend darauf an, ob der Fahrer ein eigenes Fahrzeug für die Transporte einsetzt. Nach der Rechtsprechung des BSG kann die Benutzung eines eigenen Lkw und die damit einhergehende Lastentragung in Verbindung mit anderen Gesichtspunkten für eine selbstständige Tätigkeit sprechen (BSG v. 22.06.2005, B 12 KR 28/03 R mwN; v. 19.08.2003, B 2 U 38/02 R). Wird dagegen – wie hier – kein eigenes Transportmittel benutzt, spricht dies entscheidend für eine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers. Dem Beigeladenen fehlte es insoweit in tatsächlicher Hinsicht an der Verfügungsgewalt über das von ihm genutzte Transportmittel.

Ein unternehmerisches Risiko des Beigeladenen ergibt sich auch nicht etwa daraus, dass er nicht mit einem festen Arbeitsvolumen rechnen konnte, und die Gefahr bestand, nicht weiter von der Klägerin beauftragt zu werden. Das Risiko, nicht durchgehend arbeiten zu können, ist zunächst ein Risiko, das auch jeden Arbeitnehmer trifft, der nur Zeitverträge bekommt oder auf Abruf arbeitet und nach Stunden bezahlt wird (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 19.10.2012, L 4 R 761/11). Zum echten Unternehmerrisiko wird dieses erst dann, wenn bei Arbeitsmangel nicht nur kein Einkommen erzielt wird, sondern zusätzlich auch Kosten für betriebliche Investitionen oder Arbeitnehmer anfallen oder früher getätigte Investitionen brachliegen (vgl. juris-PK, 2. Auflage, § 7 SGB IV, Rn. 117). Das bei dem Beigeladenen bei einem Arbeitsmangel in nennenswertem Umfang betriebliche Investitionen anfallen oder brachliegen, ist jedoch nicht ersichtlich, da seine Leistung gerade im Einsatz seiner Arbeitskraft bestand (so nahezu wörtlich HLSG v. 10.08.2017, L 1 KR 394/15, BeckRS 2017, 126670, Rn. 37).

Angesichts der Tatsache, dass der Beigeladene nach dem eigenen Vortrag der Klägerin vertretungsweise für fest angestellte Fahrer eingesetzt wurde, steht zur Überzeugung der Kammer weiter fest, dass im Hinblick auf die ausgeübte Tätigkeit kein rechtlich bedeutsamer Unterschied zwischen dem Beigeladenen und den fest (sozialversicherungspflichtig) angestellten Beschäftigten der Klägerin bestand. Der einzige tatsächliche Unterschied bestand darin, dass der Beigeladene im Gegensatz zu den fest angestellten kein festes Arbeitspensum zu erbringen hatte und selbst wählen konnte, in welchem Umfang er für die Klägerin tätig wird. Dies führt indes nicht zur Annahme einer selbständigen Tätigkeit (s.o.).

Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass ein unternehmerisches Risiko des Beigeladenen darin bestanden haben soll, dass er im Falle der Verursachung von Schäden zum Schadensersatz herangezogen wäre, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Dieses Risiko betrifft abhängig Beschäftigte und Selbständige gleichermaßen.

Schließlich spricht auch die Höhe der Vergütung – EUR 18,00/Stunde – für eine abhängige Beschäftigung. Eine derart bemessene Vergütung ermöglicht weder die Bildung von Rücklagen für das Alter, noch lässt sie Spielraum für die Beschäftigung eigener Arbeitnehmer (vgl. zur Indizwirkung BSG v. 31.3.2017, B 12 R 7/15 R, NZS 2017,664).

Weitere Anhaltspunkte für eine selbständige Tätigkeit – über die bereits ausführlich erörterte Möglichkeit, Aufträge abzulehnen – sind demgegenüber nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a SGG i.V.m. 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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