L 1 P 1/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 33 P 88/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 P 1/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. November 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2016 aufgehoben. 2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I in Form von Pflegegeld.

Bei dem am 20. März 1949 geborenen, vor allem an einem Diabetes mellitus Typ II und daraus entwickelter Polyneuropathie leidenden Kläger wurde im Januar 2013 im Rahmen einer stationären Behandlung wegen einer Entzündung der Gallenwege neben einer abszedierten Sigmadivertikulitis ein Rektumkarzinom diagnostiziert, welches operativ mit Anlegung eines künstlichen Darmausgangs und nachfolgender Radio-Chemo-Therapie behandelt wurde. In der Folge bildete sich in der Kreuzbeinhöhle ein Abszess, und im November 2013 erlitt der Kläger einen linkshirnigen Infarkt, dessen Folgen durch sofortige Thrombolyse – jedenfalls weitgehend – beseitigt werden konnten. Um erneuten Schlaganfällen vorzubeugen, wurde der Kläger Anfang Dezember 2013 mit einer Aortenklappen-Bioprothese versorgt. Anschließend erfolgte bis zum Ende des Monats eine dreiwöchige stationäre Rehabilitationsbehandlung.

Im März 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld.

Im Auftrag der Beklagten erstellte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK) nach Untersuchung des Klägers in dessen häuslicher Umgebung am 7. April 2014 unter demselben Datum ein Gutachten, in dem die Pflegefachkraft F. angab, der von seiner mit ihm zusammenlebenden, sechs Stunden täglich berufstätigen Ehefrau gepflegte Kläger habe berichtet, das Gehen sei durch die Polyneuropathie nur mit dem Gehwagen möglich und sehr beschwerlich mit Schmerzen im Steißbereich und in den Beinen. Die linke Hand sei durch den Infarkt manchmal taub, die Sprache sei manchmal beeinträchtigt. Die Körperpflege schaffe er nicht mehr alleine, das Stoma könne selbst versorgt werden. Die Gutachterin beschrieb Schädigungen/Beeinträchtigungen der Aktivitäten/Ressourcen des Klägers u.a. dahingehend, dass die Hände beim Nackengriff den Kopf etwas mühsam erreichen könnten, beim Schürzengriff die seitliche Hüfte. Faustschluss sei möglich, die grobe Kraft ausreichend. Das Öffnen und Schließen von Knöpfen sei möglich. Manchmal schlafe die linke Hand ein. Die Greiffunktion sei nicht eingeschränkt. Das Aufstehen sei wie das Gehen mit dem Gehwagen selbstständig, etwas verlangsamt. Freies Stehen sei bei Taubheitsgefühlen in beiden Füßen nicht möglich. Der Kläger benötige Teilhilfen beim Waschen des Rückens und der Beine sowie beim An- und Auskleiden. Das Rasieren, Zähneputzen und Haarekämmen erfolge selbstständig. Die Gutachterin bezifferte den Hilfebedarf des Klägers mit insgesamt 17 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege (zehn Minuten bei der Ganzkörperwäsche, fünf Minuten beim Ankleiden und zwei Minuten beim Entkleiden (jeweils Teilübernahme)) und 45 Minuten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Damit bestehe Pflegebedürftigkeit ohne Empfehlung einer Pflegestufe.

Unter Hinweis darauf, dass die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I nach dem MDK-Gutachten nicht vorlägen, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab (Bescheid vom 22. April 2014), der dagegen zunächst nur mit der Begründung Widerspruch einlegte, dass sein tatsächlicher Hilfebedarf höher sei, er Hilfe bei den alltäglichen Dingen benötige. Mit Schreiben vom 25. Juli 2014 trug er vor, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtere. Er könne nicht mehr selbstständig laufen, stolpere und sei auf die Hilfe seiner Frau angewiesen beim Waschen, beim Gang zur Toilette und beim Anziehen. Er hoffe, dass er bald einen Rollstuhl erhalte, um mit Hilfe seiner Frau rauszukommen.

Die Beklagte beauftragte daraufhin den MDK mit einer erneuten Begutachtung, die am 18. September 2014 von der Pflegefachkraft D. wiederum in der häuslichen Umgebung des Klägers durchgeführt wurde. Ausweislich des Gutachtens vom 19. September 2014 gab der Kläger an, sein Allgemeinzustand habe sich verschlechtert. Er sei deutlich bewegungseingeschränkt, klage über Schmerzen und Schwäche und benötige inzwischen mehr Hilfen in der Grundpflege und die Übernahme der Hauswirtschaft. Die Gutachterin beschrieb Schädigungen/Beeinträchtigungen der Aktivitäten/Ressourcen des Klägers u.a. dahingehend, dass der Nacken- und Schürzengriff eingeschränkt möglich sei, die Hände die seitlichen Wangen/Hüften erreichten. Das Greifen/Festhalten mit den Händen sei beidseits seitengleich möglich, der Händedruck beidseits vermindert, der Faustschluss beidseits vollständig, die Feinmotorik beidseits vermindert. Der Pinzettengriff sei nicht mehr ausführbar. Waschen und Kleidungsprozeduren erfolgten mit teilweiser Fremdhilfe, Vor- und Nachbereitung von Zahnputzutensilien, Rasierzeug und Kamm, Nachsäubern, Nachrasur und Kämmen. Stehen sei unter Festhalten am Rollator möglich, das Gehen am Rollator ausreichend sicher im eigenen Wohnbereich. Der Kläger benötige Hilfe beim Kleiden und Waschen des Unterkörpers einschließlich der Füße. Die Gutachterin bezifferte den Hilfebedarf des Klägers mit insgesamt 58 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege (19 Minuten bei der Ganzkörperwäsche (Teilübernahme), acht Minuten beim Waschen des Unterkörpers (Vollübernahme), vier Minuten bei der Zahnpflege, eine Minute beim Kämmen, vier Minuten beim Rasieren (jeweils Teilübernahme), vier Minuten beim Wechseln kleiner Vorlagen, acht Minuten beim Wechseln/Entleeren des Stomabeutels (jeweils Vollübernahme), sieben Minuten beim Ankleiden und drei Minuten beim Entkleiden (jeweils Teilübernahme)) und 45 Minuten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Voraussetzungen der Pflegestufe I lägen seit 1. Juli 2014 vor. Eine Wiederholungsbegutachtung werde für September 2015 empfohlen.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf dieser Grundlage Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von monatlich 235,00 Euro ab dem 1. Juli 2014 (Bescheid vom 29. September 2014).

Am 29. September 2015 fand auf Veranlassung der Beklagten die Nachuntersuchung des Klägers wiederum durch die Pflegefachkraft D. vom MDK in dessen häuslicher Umgebung statt. In dem Gutachten vom 1. Oktober 2015 führte diese nunmehr zur Anamnese aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Vorgutachtens nach seiner Anschlussrehabilitation noch allgemein geschwächt gewesen sei, Hilfen in der Grundpflege und Übernahme der Hauswirtschaft benötigt habe. Aktuell werde von einer gelungenen Rekonvaleszenzzeit berichtet. Es hätten krankengymnastische Behandlungen im Haus stattgefunden. Mithilfe der Ehefrau habe der Kläger schrittweise im Haus mobilisiert werden können. Der Kläger könne sich inzwischen selbst die Zähne putzen, sich kämmen und rasieren. Das Ankleiden des Oberkörpers erfolge ebenfalls wieder selbstständig. Er könne überwiegend selbstständig die Entleerung des Stomabeutels vornehmen, benötige noch teilweise Fremdhilfe bei der Grundpflege und die Übernahme der Hauswirtschaft. Die Gutachterin beschrieb Schädigungen/Beeinträchtigungen der Aktivitäten/Ressourcen des Klägers u.a. dahingehend, dass das Greifen/Festhalten mit den Händen beidseits seitengleich möglich sei, der Händedruck beidseits fest, der Faustschluss beidseits vollständig, die Feinmotorik beidseits vermindert. Der Pinzettengriff sei ausführbar. Waschen und Kleidungsprozeduren erfolgten mit teilweiser Fremdhilfe, Zähneputzen, Kämmen und rasieren selbstständig. Stehen sei unter Festhalten am Rollator möglich, das Gehen am Rollator ausreichend sicher im eigenen Wohnbereich. Der Kläger benötige Hilfe beim Kleiden und Waschen des Unterkörpers einschließlich der Füße. Die Gutachterin bezifferte den Hilfebedarf des Klägers mit insgesamt 18 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege (10 Minuten bei der Ganzkörperwäsche, zwei Minuten beim Duschen (jeweils Teilübernahme), zwei Minuten beim Ankleiden, zwei Minuten beim Entkleiden (jeweils Teilübernahme), zwei Minuten beim Stehen (Teilübernahme und Beaufsichtigung)) und 45 Minuten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Damit bestehe seit dem Tag der Begutachtung Pflegebedürftigkeit ohne Empfehlung einer Pflegestufe. Im Vergleich zum Vorgutachten putze sich der Kläger jetzt selbstständig die Zähne, könne sich kämmen und rasieren. Er besorge die Entleerung des Beutels des Kolostomas selbstständig. Beim Kleiden benötige er nur noch Hilfe für den Unterkörper. Begründend für die Abnahme des anrechenbaren Hilfebedarfs sei eine Besserung des Gesundheitszustandes aufgrund erfolgreicher Rehabilitationsmaßnahmen sowie der guten grundpflegerischen aktivierenden Versorgung durch die Ehefrau.

Mit Schreiben vom 21.10.2015 hörte die Beklagte den Kläger zu ihrer Absicht an, den Leistungsbescheid vom 29. September 2014 für die Zukunft aufzuheben und die Leistungen der Pflegeversicherung einzustellen, woraufhin der Kläger widersprach, weil sein Hilfebedarf höher sei, als in dem Gutachten angegeben. Beim Duschen benötige er mehr als nur teilweise Hilfe, weil er sich wegen der Rutschgefahr in der Badewanne nicht alleine bewegen könne. Es gebe auch Tage, an denen benötige er Hilfe beim Rasieren, Kämmen und der Zahnpflege. Beim Ankleiden benötige er eine vollständige Übernahme. Beim Stehen und Laufen werde er beaufsichtigt und erhalte Hilfe. Treppen steige er nie alleine. Das Verlassen der Wohnung sei ihm nicht alleine möglich, zu Arztterminen benötige er einen Transport.

Die Beklagte beauftragte erneut den MDK mit einer Begutachtung, die der Gutachter G. unter dem 17. Dezember 2015 nach Aktenlage durchführte. Er hielt das Gutachten vom 1. Oktober 2015 für richtlinienkonform und hinsichtlich des abgeleiteten Hilfebedarfs nachvollziehbar. Wesentliche pflegerelevante Funktionseinschränkungen der oberen Extremitäten des allseits orientierten Klägers seien nicht festgestellt worden. In Bezug auf die Widerspruchsbegründung des Klägers führte der Gutachter aus, dass das Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung nicht berücksichtigungsfähig sei; die Therapien seien zu Hause durchgeführt worden, die Arztbesuche sein seltener als einmal wöchentlich erfolgt. Hilfe beim Gehen sei nur im Zusammenhang mit den gesetzlich definierten Verrichtungen zu werten. Der Kläger könne aber im Wohnbereich ausreichend sicher am Rollator gehen. In der Wohnung des Klägers befänden sich keine Treppen. Geringfügiger, nicht regelmäßiger oder nur kurzzeitig anfallender Hilfebedarf, wie beim Rasieren, Kämmen und der Zahnpflege reklamiert, könne ebenfalls nicht berücksichtigt werden.

Mit Bescheid vom 22. Dezember 2015 hob die Beklagte den Bescheid vom 29. September 2014 auf. Der MDK habe festgestellt, dass sich der Hilfebedarf soweit verringert habe, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht mehr vorlägen. Dadurch sei eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen hätten, sodass dieser nach § 48 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben sei. Ab 1. Januar 2006 könnten somit keine Leistungen der Pflegeversicherung mehr zur Verfügung gestellt werden.

Der Kläger legte am 19. Januar 2016 Widerspruch ein, beschrieb erneut die von seiner Frau durchgeführten Hilfen in allen Bereichen und nahm Bezug auf einen Bericht der Ärztin für Neurologie Dr. T. vom 29. Dezember 2015, wonach bei ihm eine fortgeschrittene Polyneuropathie mit schmerzhaften Parästhesien vorliege.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2016 zurück.

Am 2. August 2016 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass die von der Beklagten angegebene Besserung des Gesundheitszustandes aufgrund erfolgreicher Rehabilitationsmaßnahmen und der guten aktivierenden Versorgung durch die Ehefrau für den Kläger und seine Frau, die zu keinem Zeitpunkt ein Pflegetagebuch geführt hätten, nicht nachvollziehbar sei. Es hätten wohl zu keinem Zeitpunkt die Voraussetzungen der Pflegestufe I nach dem bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Recht vorgelegen. Die Leistungen seien ursprünglich zu Unrecht bewilligt worden. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die eine Aufhebung der Leistungen nach § 48 SGB X hätte rechtfertigen können, sei seither nicht eingetreten. Eine Umdeutung in eine Aufhebung nach § 45 des SGB X komme nicht in Betracht.

Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf die Gründe ihres Widerspruchsbescheids entgegengetreten und hat betont, dass die Begutachtungen vom 18. September 2014 und 29. September 2015 durch dieselbe Gutachterin des MDK erfolgt seien, die eine Abnahme des Hilfebedarfs des Klägers und die Gründe hierfür nachvollziehbar beschrieben habe.

Das Sozialgericht hat Befundberichte behandelnder Ärzte des Klägers eingeholt und weiter Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von dem Facharzt für Allgemeinmedizin W., der nach ambulanter Untersuchung des Klägers in dessen häuslicher Umgebung am 28. Juni 2017 unter dem 14. Juli 2017 ausgeführt hat, der Kläger habe ihm berichtet, sein Pflegezustand sei seit zwei Jahren unverändert. Seine Ehefrau helfe ihm bei der Ganzkörperwäsche, dort beim Waschen der Unterschenkel, Füße, des Rückens und der Haare. Seine Bewegung innerhalb der Wohnung sei erschwert und verlangsamt, könne jedoch selbstständig erfolgen. Der Sachverständige hat festgestellt, dass der Kläger bei der einmal täglichen Ganzkörperwäsche Teilhilfen bei den Unterschenkeln und Füßen sowie beim Rücken benötige, bei uneingeschränkter Beweglichkeit der oberen Extremitäten sich jedoch den Oberkörper, den Kopf, die Arme, die Intimregion und die Oberschenkel selbstständig waschen und abtrocknen könne. Der Teil Hilfebedarf könne mit täglich zwölf Minuten berücksichtigt werden. Nach den eigenen Angaben des Klägers bestehe Selbstständigkeit bei der Zahnpflege, beim Kämmen sowie bei der elektrischen Rasur. Er versorge seinen künstlichen Darmausgang ebenso selbstständig, wie er die Toilette zum Wasserlassen aufsuche. Auch lasse sich kein Fremdhilfebedarf für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung oder die eigentliche Aufnahme von Speisen und Getränken erkennen. Wie beim Hausbesuch gesehen worden sei, könne der Kläger ohne fremde Hilfe aufstehen und zu Bett gehen. Gleiches gelte für das An- und Auskleiden sowie das Gehen in der Wohnung mit Hilfe des Rollators. Beim Ein- und Ausstieg in die Badewanne hinein und wieder heraus bzw. auf den Badewannensitz sei bei Gangunsicherheit ein Fremdhilfebedarf nachvollziehbar, der insgesamt zwei Minuten pro Tag betrage. Treppensteigen innerhalb der Wohnung sei im Zusammenhang mit den grundpflegerischen Verrichtungen nicht erforderlich. Das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) nur berücksichtigungsfähig bei dauerhaft (d. h. mindestens über sechs Monate) und regelmäßig (d. h. mindestens einmal wöchentlich) erforderlichen, medizinisch notwendigen Arzt- und/oder Therapeutenbesuchen. Dies sei hier nicht der Fall. Die Physiotherapeuten kämen regelmäßig ins Haus. Arztbesuche in mindestens wöchentlicher Frequenz würden nicht durchgeführt. Neben dem Hilfebedarf von insgesamt 14 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege könne der unstrittig bestehende vollständige hauswirtschaftliche Hilfebedarf den Richtlinien entsprechend pauschal mit 45 Minuten pro Tag berücksichtigt werden. Das Mindestkriterium für die Pflegestufe I im Bereich der Grundpflege (46 Minuten) werde eindeutig nicht erfüllt. Insofern bestehe Übereinstimmung mit den MDK-Begutachtungen vom April 2014 und September 2015. Dort seien jeweils nahezu identische Untersuchungsbefunde beschrieben worden, die sich mit dem bei seiner jetzigen Begutachtung erhobenen deckten. Auffallend sei jedoch der Unterschied zu dem Ergebnis der MDK-Begutachtung vom September 2014, als ein durchschnittlicher täglicher grundpflegerischer Fremdhilfebedarf von 58 Minuten festgestellt worden sei, dies vor dem Hintergrund, dass durch den Kläger und seine Frau vorgetragen werde, es habe sich seit erstmaliger Antragstellung im März 2014 keine wesentliche Veränderung der pflegerischen Situation ergeben. Offensichtlich habe der Kläger bei dem Hausbesuch im September 2014 seine oberen Extremitäten nicht so uneingeschränkt wie im April 2014 und im September 2015 und jetzt bewegen können. Wie es zu dieser Veränderung gegenüber den vorher und nachher beschriebenen Befunden gekommen sei, lasse sich aus medizinischer Sicht nicht erklären. Die Krankheiten, die der Kläger durchgemacht habe, hätten zu keiner Zeit Einfluss auf die oberen Extremitäten gehabt, denn auch der Schlaganfall Ende November 2013 sei durch eine sofortige Auflösung der infolge der Aotenklappenendokarditis abgeschwemmten Blutgerinnsel erfolgreich und ohne anhaltende Lähmungserscheinungen therapiert worden. Die durch die Polyneuropathie eingeschränkte Funktion der unteren Extremitäten sei hingegen in allen Gutachten nahezu gleich beschrieben worden. Der Kläger sowie seine Ehefrau hätten dazu angegeben, dass es im Verlauf der letzten drei Jahre keine wesentliche Veränderung in der Funktion der oberen Extremitäten gegeben habe. Darüber hinaus nicht nachzuvollziehen sei im Gutachten vom 18. September 2014 der Hilfebedarf von 19 Minuten für die Teilhilfe bei der Ganzkörperwäsche, der in jedem Fall überhöht erscheine. Ebenfalls nicht nachvollziehbar seien weitere acht Minuten Hilfebedarf für eine vollständige Unterkörperteilwäsche. Es sei des Weiteren nicht erkennbar, wieso die Vor- und Nachbereitung von Zahnputzutensilien täglich vier Minuten dauern solle. Aufgrund der Selbständigkeit des Klägers sei auch ein Hilfebedarf für den Wechsel kleiner Vorlagen und für das Entleeren des Stomabeutels nicht erklärbar. Der Kläger habe bei der jetzigen Begutachtung darauf hingewiesen, dass er während der vergangenen drei Jahre bei den Toilettengängen und bei der Versorgung seines künstlichen Darmausgangs immer selbstständig gewesen sei. Der angenommene Hilfebedarf von zehn Minuten für das An- und Entkleiden sei sehr großzügig bemessen, sieben Minuten seien ausreichend. Das Gutachten vom September 2014 werfe auch insofern Fragen auf, als zumindest ein Teilhilfebedarf für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung hätte berücksichtigt werden müssen, wenn der Kläger tatsächlich zu dieser Zeit eine so eingeschränkte Feinmotorik gehabt hätte, wie sie im Untersuchungsbefund dokumentiert worden sei. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Unter Berücksichtigung der bei der Begutachtung im September 2014 angenommenen Einschränkung der Beweglichkeit oberen Extremitäten sowie einer geringer ausgeprägten Selbstständigkeit als bei den Begutachtungen davor und danach wäre allenfalls ein Fremdhilfebedarf bei der Grundpflege von 32 Minuten anzusetzen, sodass auch zu diesem Zeitpunkt die Pflegestufe I nicht erreicht gewesen sei. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, dass in dem Hilfebedarf, wie er dem Bescheid vom 29. September 2014 unter Berücksichtigung des dazugehörigen MDK-Gutachtens vom 19. September 2014 zugrunde gelegen habe, nur scheinbar eine Änderung eingetreten sei. Bei kritischer Durchsicht des Gutachtens sei aus dem darin erhobenen Untersuchungsbefund ein zu umfangreicher Fremdhilfebedarf im Bereich der Grundpflege abgeleitet worden. Insbesondere bleibe unklar, wies es im Vergleich zu der vorherigen und den späteren Begutachtungen zu einer Funktionsbeeinträchtigung der oberen Extremitäten gekommen sein solle. Dies lasse sich medizinisch nicht begründen und nachvollziehen, zum jetzigen Untersuchungszeitpunkt bestehe hier keine Einschränkung. Retrospektiv sei, wie in allen anderen Gutachten auch, am 18. September 2014 kein Fremdhilfebedarf im Bereich der Pflegestufe I erreicht worden. Der jetzt festgestellte Hilfebedarf mit durchschnittlich täglich 14 Minuten im Bereich der Grundpflege erfülle eindeutig nicht die Mindestkriterien der Pflegestufe I und bestehe nach Anamnese, Aktenlage und Befund durchgehend seit der Erstantragstellung im März 2014. Aus allgemeinmedizinischer Sicht habe sich im Allgemeinzustand und am Fremdhilfebedarf des Klägers seit Frühjahr 2014 keine wesentliche Änderung ergeben.

Die Beklagte hat an ihrer Ansicht festgehalten, dass eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten sei. Der Kläger selbst habe dem MDK eine Verschlechterung seines Zustands geschildert, und der MDK wiederum habe nachvollziehbar und plausibel den Verbesserungsnachweis geführt. Im Übrigen liege eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X auch vor, wenn möglicherweise bereits der ursprüngliche Leistungsbescheid wegen Nichterreichens des für die Zuerkennung einer Pflegestufe erforderlichen Pflegebedarfs rechtswidrig gewesen sei (Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), Urteil vom 7. Juli 2005 – B 3 P 8/04 R, BSGE 95, 57).

Das Sozialgericht hat über die Klage am 7. November 2018 mündlich verhandelt und diese mit Urteil vom selben Tag als unbegründet abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten, die sich auf § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X stützten, setzten eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Sinne einer Reduzierung des Pflegebedarfs voraus. Dabei seien die zum Zeitpunkt der Aufhebung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit denjenigen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung vorgelegen hätten, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden seien. Eine derartige Änderung seit nicht bereits dann anzunehmen, wenn bei unveränderten tatsächlichen Verhältnissen lediglich eine abweichende Beurteilung des resultierenden Hilfebedarfs vorgenommen werde. Die Beklagte, die sich auf eine Änderung der Verhältnisse berufe, trage grundsätzlich die objektive Beweislast für eine (positive) Abweichung des späteren Zustands von dem früheren (sog. Besserungsnachweis, Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 – B 3 P 8/04 R, a.a.O.). Maßstab für die Beurteilung einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse seien die §§ 14, 15 SGB XI in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (a.F.). Das System der Zuordnung der Versicherten zu den einzelnen Pflegestufen erfolge dabei nicht im Wege der Berechnung, sondern der Einschätzung. Denn der Pflegebegriff des § 14 Abs. 1 SGB XI a.F. sei ein komplexer Rechtsbegriff, der unter Beachtung vieler Faktoren ausgefüllt werden müsse. Dies ergebe sich aus der Vielzahl von pflegerelevanten Faktoren, die in Abschnitt D 3 der o. a. Pflegerichtlinien niedergelegt seien und die gegeneinander abgewogen werden müssten. Dies erfordere es, auch in der Rückschau gutachterliche Feststellungen als gegeben zu Grunde zu legen, sofern nicht Anhaltspunkte dafür erkennbar seien, dass die Feststellungen oder Einschätzungen fehlerhaft seien (Hinweis auf Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 25. April 2017 – L 7 P 2/13). Dies sei hier teilweise der Fall. Wie Herr W. in seinem Gutachten überzeugend darlege, habe die Pflegefachkraft D. in dem Gutachten vom 19. September 2014 eine zu großzügige Bemessung des Pflegebedarfs vorgenommen. Die von ihr angegebenen Zeitkorridore seien teils zu hoch angesetzt worden. So sei nach den schlüssigen Ausführungen von Herrn W. zum Zeitpunkt der Begutachtung am 19. September 2014 lediglich von einem Hilfebedarf von 32 Minuten auszugehen gewesen. Dennoch liege eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse nach Überzeugung der Kammer vor. Diese setze nämlich nicht voraus, dass die ursprüngliche Bewilligung der Leistungen rechtmäßig erfolgt sei. Vielmehr könne es auch bei einer ursprünglich rechtswidrigen Bewilligung zu einer Veränderung der Verhältnisse kommen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 – B 3 P 8/04 R, a.a.O.). Eben dies sei hier der Fall. Wie Herr W. in seinem Gutachten feststelle, habe der Kläger nämlich zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung im September 2014 einen Hilfebedarf von 32 Minuten gehabt, und zum Zeitpunkt der Aufhebung habe der Hilfebedarf in der Grundpflege lediglich 14 Minuten betragen. Eine Reduzierung um mehr als die Hälfte des Pflegebedarfs halte die Kammer für wesentlich in diesem Sinne. Es ist zwar an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass der Sachverständige W. in seinem Gutachten ausführe, er könne nicht nachvollziehen, wie die Pflegefachkraft D. in ihrem Gutachten für den MDK vom 19. September 2014 zu den erhobenen Befunden gekommen sei, dass bei dem Kläger Einschränkungen im Bereich der oberen Extremitäten bestünden. Medizinisch sei dies angesichts der Erkrankungen des Klägers nicht nachvollziehbar. Dennoch habe er die Feststellungen keineswegs für ausgeschlossen oder fehlerhaft gehalten. Der Sachverständige habe diese lediglich nicht erklären können. Folgerichtig habe er die Feststellungen zugrunde gelegt und sei unter deren Berücksichtigung zu einem Hilfebedarf von 32 Minuten täglich in der Grundpflege gekommen. Das Gutachten des MDK vom 19. September 2014 sei an sich schlüssig und berücksichtige die eigenen Ausführungen des Klägers. Für die Kammer bestünden keine Zweifel daran, die dortigen Feststellungen zugrunde zu legen. Denn der Kläger selbst habe im Schreiben vom 25. Juli 2014 mitgeteilt, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Er habe auch beispielsweise konkret darauf hingewiesen, dass er beim Gang zur Toilette sowie beim Ankleiden auf die Hilfe seiner Frau angewiesen sei. Dem Sachverständigen W. gegenüber habe der Kläger dann hingegen angegeben, dass er insoweit keiner Hilfe bedürfe und dass sein Zustand seit mehreren Jahren unverändert sei. Dieser Angabe gegenüber dem Sachverständigen stünden jedoch bereits die Ausführungen im Schreiben vom 25. Juli 2014 entgegen. Die Angaben der Pflegefachkraft D. im Gutachten vom 19. September 2014 korrespondierten mit den schriftlichen Schilderungen des Klägers zum damaligen Zeitpunkt. So sei bereits bei der Begutachtung durch die Pflegefachkraft F. der Nackengriff mühsam gewesen. Bei der vom Kläger angegebenen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands erscheine es plausibel, dass der im März 2014 mühsam ausgeführte Nackengriff ein halbes Jahr nach der Begutachtung dann nicht mehr möglich gewesen sei.

Gegen dieses, seinem Prozessbevollmächtigten am 16. Januar 2019 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. Februar 2019 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt und an der Ansicht festhält, dass vorliegend keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die der Bewilligung von Pflegegeld zugrunde gelegen hätten, eingetreten sei. Wesentlichkeit sei gleichbedeutend mit Rechtserheblichkeit (Hinweis auf BSG, Urteil vom 6. November 1985 – 10 Rkg 3/84 – SozR 1300 § 48 Nr. 19). Von einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 SGB X sei auszugehen, wenn der Pflegebedarf sich dahingehend ändere, dass eine Grenze zur Pflegestufe durch die Änderung objektiv über- oder unterschritten werde. Bei einer vom Sozialgericht unter Bezugnahme auf das Gutachten des Sachverständigen W. zugrunde gelegten objektiven Reduzierung des Pflegebedarfs um 18 Minuten könne zwar von einer deutlichen Änderung ausgegangen werden, nicht jedoch von einer wesentlichen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. November 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und nimmt auf diese Bezug. Sie vermag sich der Auffassung des Klägers nicht anzuschließen, dass eine wesentliche Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen nur dann als solche zu betrachten sei, wenn daraus eine entsprechende Rechtsfolge (hier: Aufhebung der Pflegestufe) resultiere.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Januar 2020 und den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist begründet. Das SG hat die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21. Juli 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten. Weder liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor, weil es an einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen fehlt, noch kommt eine Umdeutung des Aufhebungsbescheids in einen Rücknahmebescheid nach § 45 Abs. 1 SGB X in Betracht, weil es sich diesbezüglich anders als nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X um eine Ermessensentscheidung handeln würde (§ 43 Abs. 3 SGB X).

Die Aufhebungsbescheide der Beklagten beruhen auf § 48 SGB X in Verbindung mit § 15 SGB XI a.F. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI a.F. sind Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI a.F. muss dabei der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt (Redaktionsversehen: gemeint ist "täglich im Wochendurchschnitt", BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 – B 3 P 8/04 R, a.a.O., m.w.N.) in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach einer bestimmten Pflegestufe ist als "Verwaltungsakt mit Dauerwirkung" zu qualifizieren. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet bzw. inhaltlich verändert (BSG, a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es geht um die Bewilligung einer Dauerleistung, die sich auf einen voraussichtlich mindestens sechs Monate andauernden, die Pflegebedürftigkeit auslösenden Gesundheitszustand bezieht (§ 14 Abs. 1 SGB XI a.F.) und bei unveränderten Umständen monatlich als Geldleistung (§ 37 SGB XI), als Sachleistung (§§ 36, 43 SGB XI) oder als kombinierte Sach- und Geldleistung (§ 38 SGB XI) zu erbringen ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts fehlt es an einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Bewilligungsbescheid über Pflegegeld nach der Pflegestufe I vom 29. September 2014 zugrunde lagen.

Der Kläger selbst und seine Ehefrau geben übereinstimmend an, dass sich seine gesundheitlichen Einschränkungen und sein Hilfebedarf seit der Beantragung von Leistungen der Pflegeversicherung im März 2014 nicht geändert hätten.

Dies hat der Sachverständige W. in seinem ausführlichen und schlüssigen Gutachten vom 14. Juli 2017 bestätigt, in dem er entgegen der Lesart des Sozialgerichts mehrfach und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass seit Antragstellung bis zu seiner Untersuchung ein unveränderter Gesundheitszustand und Hilfebedarf des Klägers vorgelegen habe. Mitnichten hat er geäußert, dass er die Feststellungen der Pflegefachkraft D. in ihrem ersten Gutachten vom 19. September 2014 nicht für ausgeschlossen oder fehlerhaft halte, sondern diese lediglich nicht erklären könne, und deshalb einen Hilfebedarf von 32 Minuten täglich für diesen Zeitpunkt einschätze, der sich nunmehr auf 14 Minuten verringert habe. Bei dieser Einschätzung hat es sich lediglich um eine Bezifferung des Hilfebedarfs unter der Prämisse der Richtigkeit der von der Pflegefachkraft D. wiedergegebenen Befunde insbesondere zur Beweglichkeit der oberen Extremitäten des Klägers gehandelt, von der Herr W. jedoch ausdrücklich und zu Recht nicht ausgegangen ist. Nachvollziehbar hat er ausgeführt, dass angesichts der Erkrankungen des Klägers überhaupt keine Auswirkungen auf die oberen Extremitäten bestanden hätten. Für den Fall, dass derartige Einschränkung bestanden hätten, hätte im Übrigen von der Pflegefachkraft D. schlüssigerweise weiterer Hilfebedarf insbesondere im Bereich der Nahrungsaufnahme berücksichtigt werden müssen, was jedoch nicht der Fall war. Auch die Begründung der Pflegefachkraft D. in ihrem zweiten Gutachten vom September 2015, in dem sie die Besserung gegenüber dem noch 2014 dokumentierten Hilfebedarf damit begründet, dass der Kläger zum früheren Zeitpunkt nach der Anschlussrehabilitation (im Dezember 2013) noch allgemein geschwächt gewesen sei, übersieht, dass dieser Zustand bereits zum Zeitpunkt der ersten Begutachtung durch die Pflegefachkraft F. im April 2014 überwunden gewesen war, wie aus deren Gutachten hervorgeht.

Auch aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen mit den Befundberichten verschiedener Behandler ergibt sich kein Hinweis auf eine Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers im Zeitraum zwischen Anfang 2014 und 2017.

Es spricht vielmehr alles dafür, dass die 2014 durch die Pflegefachkraft D. vorgenommene Begutachtung entweder schlicht fehlerhaft war oder an einem Tag stattfand, an dem der Kläger möglicherweise in einer etwas schlechteren Verfassung war als sonst, was jedoch angesichts der Kurzzeitigkeit der möglichen Verschlechterung im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei der Bemessung des Hilfebedarfs keine Berücksichtigung finden kann und was die Gutachterin unter kritischer Würdigung der medizinischen Umstände, des zuvor erstellten Gutachtens vom April 2014 und der Widersprüchlichkeit des vorgefundenen Hilfebedarfs (aufgrund der Angabe der eingeschränkten Beweglichkeit der oberen Extremitäten mit Hilfebedarf bei der Körperpflege und Mobilität, nicht jedoch bei der Ernährung) hätte erkennen können. Diese Vermutung korrespondiert mit dem Vortrag des Klägers bereits im Widerspruchsverfahren, wonach er tageweise auftretenden größeren Hilfebedarf geltend machte.

Dies alles führt zur Überzeugung des Senats, dass jedenfalls von März 2014 bis zur Aufhebung der Bewilligung von Pflegegeld mit Wirkung ab 1. Januar 2016 und darüber hinaus bis zur Begutachtung durch den Sachverständigen W. im sozialgerichtlichen Verfahren ein im Wesentlichen gleichbleibender Gesundheitszustand und Hilfebedarf des Klägers vorgelegen haben.

Deshalb spielt es vorliegend keine Rolle, dass nach der Rechtsprechung des BSG die Aufhebung eines Pflegegeld bewilligenden Verwaltungsakts wegen Verringerung des Pflegebedarfs nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X auch möglich ist, wenn nicht auszuschließen ist, dass schon zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung die zeitlichen Voraussetzungen der betroffenen Pflegestufe nicht vorgelegen haben, wenn es denn überhaupt zu einer tatsächlichen Änderung gekommen ist (BSG, a.a.O.). Denn eine solche tatsächliche Änderung im Umfang des Hilfebedarfs hat es vorliegend nicht gegeben, und es steht fest, dass die Voraussetzungen für die Pflegestufe I bereits zum Zeitpunkt der Bewilligung nicht vorlagen. Würde man in einem solchen Fall die Aufhebung der Bewilligung nach dem grundsätzlich sowohl im Fall rechtswidriger als auch rechtmäßiger Bescheide anwendbaren § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X zulassen, läge hierin eine unzulässige Umgehung des § 45 SGB X mit seinen besonderen Vertrauensschutzregelungen (vgl. auch insoweit BSG, a.a.O.).

Eine Umdeutung des angefochtenen Aufhebungsbescheides der Beklagten ist nach § 43 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen, weil es sich bei § 48 Absatz 1 Satz 1 um eine gebundene Entscheidung handelt, bei einer Rücknahme nach § 45 Abs. 1 SGB X jedoch um eine Ermessensentscheidung.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ausnahmsweise eine Ermessensschrumpfung auf null vorläge, sind nicht ersichtlich. Eine solche setzt voraus, dass es nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige – dem Betroffenen ganz oder teilweise begünstigende – Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei zuließen, was in aller Regel nicht der Fall ist, aber insbesondere bei Bösgläubigkeit des Begünstigten im Sinne betrügerischen Verhaltens angenommen werden kann (BSG, Urteil vom 11. April 2002 – B 3 P 8/01R, USK 2002-59; LSG Hamburg, Urteil vom 14. Juni 2018 – L1 KR 106/17, die Beiträge Beilage 2018,349). Dass der Kläger bei der ersten Begutachtung durch die Pflegefachkraft D. böswillig mit betrügerischer Absicht Falschangaben gemacht haben soll, ist nicht erkennbar. Er hat vielmehr im gesamten Verfahren die Berücksichtigung eines höheren Hilfebedarfs angemahnt, ausgehend von der tatsächlich geleisteten Hilfe durch seine Ehefrau, die jedoch weit überwiegend im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht berücksichtigungsfähig ist, hat möglicherweise zum Zeitpunkt der Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach der Ablehnung von 2014 die Wahrnehmung einer vorübergehenden Verschlechterung gehabt, jedoch zu keinem Zeitpunkt erkenn- und nachweisbar unwahre, seiner subjektiven Wahrnehmung widersprechende Angaben getätigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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