S 1 AS 788/06 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 AS 788/06 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 38/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7.9.2006 wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege eiligen Rechtsschutzes gegen die Absenkung des ihm zustehenden Anteiles des Arbeitslosengeldes Il für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2006 um 30 v.H. der Regelleistung.

Er arbeitet seit 1.3.2006 wöchentlich 20,5 Stunden bei einem Landwirt als Helfer in der Landwirtschaft, Ergänzend beziehen er und seine Familie Leistungen nach dem SGB Il.

Im November 2005, am 18.5.2006 zum 31.12.2006 verlängert, schlossen der Antragsteller und die Antragsgegnerin eine so genannte Eingliederungsvereinbarung, in der sich der Antragsteller u.a. verpflichtete, alle Möglichkeiten zu nutzen, um den eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. In der Rechtsfolgenbelehrung wurde er u.a. für den Fall, dass er nicht bereit sei, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen oder fortzuführen, darüber belehrt, dass das Arbeitslosengeld Il in einer ersten Stufe um 30 % der für ihn maßgebenden Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes abgesenkt werden könne. Wegen des weiteren Inhalts der Eingliederungsvereinbarung wird auf BI. 48 bis 52 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Aufgrund Eigenbemühungen erfuhr der Antragsteller im August 2006 von einer offenen Stelle als Fahrer bei der Firma C. Transport GmbH und Co. KG, wobei die Arbeitszeit in der Nacht liegen sollte. Auf seine Bewerbung vereinbarten der Arbeitgeber und der Antragsteller, dass vor der Einstellung in der Zeit vom 28.8. bis 8.9.2006 zunächst ein zweiwöchiges, unentgeltliches Probearbeiten als Trainingsmaßnahme durchgeführt werden sollte. Dem stimmte die Antragsgegnerin zunächst telefonisch zu. Unter dem 24.8.2006 versandte sie zudem förmlich das "Angebot einer Maßnahme der Eignungsfeststellung/Trainingsmaßnahme nach § 16 Abs. 1 SGB Il i.V.m. §§ 48 ff SGB III". Dieses Schreiben, was nach Angaben der Antragsgegnerin auch eine Rechtsfolgenbelehrung enthielt, wurde am 24.8.2006 zur Post gegeben. Ob dieses Schreiben bei dem Antragsteller eingegangen ist, ist unter den Beteiligten streitig.

Für den 28.8.2006, den Beginn der Maßnahme, wurde der Antragsteller auf 16:00 Uhr von der Firma C. einbestellt, um den Dienst zu beginnen. Die Tour sollte nach Angaben der Firma C. um 16:30 Uhr beginnen. Der Fahrer, der den Antragsteller einweisen sollte, forderte den Antragsteller auf, mit seinem privaten Pkw zum Stellplatz des LKW auf dem Nachbargrundstück zu fahren. Dem kam der Antragsteller nicht nach. Nachdem er noch zunächst hinter dem einweisenden Fahrer der Fa. C. hinterher gefahren war, bog er ab und fuhr weg. Die telefonische Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller scheiterte.

Mit Schreiben vom 30.8.2006 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu einer möglichen Absenkung seines Arbeitslosengeldes an. In seinem Schreiben vom 6.9.2006 führte der Antragsteller dazu aus, ihm sei bei der Vorstellung als Arbeitszeit die Zeit von 20:00 Uhr abends bis 5:00 Uhr morgens bestätigt worden. Ihm sei indes aufgegeben worden, sich diesbezüglich noch mal telefonisch an die Firma C. zu wenden. Als er montags in der Frühe angerufen habe, sei ihm mitgeteilt worden, dass er bereits um 16:00 Uhr am Nachmittag erscheinen solle. Er habe sich darauf hin pünktlich um 16:00 Uhr bei der Spedition eingestellt. Dort habe der Fahrer, der zum Anlernen habe mit ihm fahren sollen, auf ihn gewartet. Auf seine Frage, wie lange denn die Tour etwa dauern werde, habe ihm dieser bedeutet, dass sie, wenn sie Glück hätten, in gegen 6:00 Uhr wieder zurück seien. Er, der Antragsteller, habe kurz nachgerechnet und festgestellt, dass es sich damit nicht wie besprochen um eine reine Nachtarbeit gehandelt habe, was aber nicht weiter schlimm gewesen wäre; das Problem sei vielmehr die Arbeitszeit von 13 bis 14 Stunden gewesen. Dies seien Lenkzeiten gewesen, die er in keiner Weise mehr habe verantworten können. Daraufhin habe er dem Fahrer gesagt, dass er das nicht machen könne, und sei wieder weggefahren.

Mit Bescheid vom 7.9.2006 erließ die Antragsgegnerin den streitgegenständlichen Absenkungsbescheid für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2006. Als maximalen Absenkungsbetrag errechnete sie einen Betrag von 93,00 Euro je Monat.

Gegen diesen Bescheid vom 7.9.2006 legte der Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 16.9.2006 am 16.9.2006 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht befunden ist.

Am 28.9.2006 hat er zudem eiligen Rechtsschutz beantragt. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass er sich zu Recht geweigert habe, die angebotene Arbeitsstelle abzulehnen. Angesichts des bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses in der Landwirtschaft stelle sich zudem die Frage, ob er überhaupt verpflichtet gewesen sei, eine 14-tägige Probezeit ohne Vergütung abzuleisten, und ob er überhaupt für den Umgang mit Wechselbrücken habe eingearbeitet werden müssen.

Er beantragt daher sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Absenkungsbescheid vom 7.9.2006 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Behördenvorgang (1 Hefter) Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat keinen Erfolg.

Grundsätzlich haben zwar Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung (§ 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG), so dass vorliegend allein schon die Einlegung des Widerspruchs die Wirkung des aufgehobenen Bescheides hätte aufleben lassen können. Die aufschiebende Wirkung entfällt indes unter anderem in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen (§ 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG). Eine solche bundesrechtliche Regelung ergibt sich aus § 39 SGB Il. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der (1) über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet oder (2) den Übergang eines Anspruchs bewirkt, keine aufschiebende Wirkung. Vorliegend wurde mit dem Bescheid vom 7.9.2006 über Leistungen der Grundsicherung befunden, so dass der Suspensiveffekt entfallen ist.

Der insoweit damit als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthafte Antrag hat aber keinen Erfolg. Bei der im Rahmen des § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG gebotenen Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Nach summarischer Prüfung der Rechtslage ist nämlich ein Unterliegen des Antragstellers wahrscheinlicher als sein Obsiegen.

Der angefochtene Bescheid findet seine Stütze in § 31 Abs. 1 Nr. 1 c SGB Il i.V.m. § 48 Abs. 1 SGB X. Danach wird das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 v.H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, ein zumutbares Angebot nach § 15 a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Bei der von dem Antragsteller selbst ausgewählten Arbeitsgelegenheit handelt es sich um eine zumutbare Arbeit im Sinne von § 10 SGB Il; zumindest bis zum Abbruch der Maßnahme sind auch keine Tatsachen bekannt geworden, die darauf hindeuten könnten, dass sonstige wichtige Gründe im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB Il vorliegen könnten. Namentlich der von dem Antragsteller befürchtete, angeordnete Verstoß gegen die Lenkzeiten lässt sich nicht einer Äußerung eines Mitarbeiters des Arbeitgebers entnehmen, der ihn auf die Arbeitsstelle einweisen sollte. Das Gericht räumt ein, dass ein vom Arbeitgeber angeordneter Verstoß gegen Lenkzeiten einen derartigen wichtigen Grund darstellen könnte; davon kann im vorhegenden Fall indes nicht die Rede sein. Der Antragsteller hat sich allein auf die Angaben eines Dritten verlassen, ohne überhaupt auch nur am ersten Tag abzuwarten, ob ein derartiges Verhalten von ihm verlangt werden könnte. Weder hat er beim Arbeitgeber nachgefragt noch hat er sich sonst kundig gemacht, ob an dieser Bemerkung des Mitarbeiters des Arbeitgebers, sollte sie in dieser ernst gemeinten Form gefallen sein, überhaupt etwas dran sein könnte. Der bloße "Anfangsverdacht", dass derartiges an ihn herangetragen werden könnte, genügt in jedem Fall nicht. Auch der Umstand, dass am ersten Tag der ursprünglich vereinbarte Arbeitsbeginn auf 16:00 Uhr vorverlegt wurde, ändert daran nichts. Auch hier hätte es dem Antragsteller, hätte er denn ein ernsthaftes Interesse an der Arbeitsstelle gehabt, zugemutet werden können, zumindest Rücksprache mit dem Arbeitgeber zu halten, ohne sogleich unverzüglich die Arbeitsaufnahme abzubrechen und auch für den Arbeitgeber unerreichbar zu bleiben.

Was die Gefährdung seiner Arbeitsgelegenheit als Landwirt durch die Trainingsmaßnahme betrifft, ist von dem Antragsteller weder dargetan noch aus den sonstigen Gründen ersichtlich, dass diese nicht hätte für den Fall hätte weiter geführt werden können, dass es nicht zu einem Arbeitsvertrag zwischen dem Antragsteller und der Firma C. kommt. Unabhängig davon hält es das Gericht für zumutbar, dass ein geringfügig Beschäftigter sich nach Kräften bemüht, eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle aufzunehmen, um in Zukunft sein Leben frei von Leistungen nach dem SGB Il bestreiten zu können. Der Umstand, dass er ein Arbeitsverhältnis als geringfügig Beschäftigter eingegangen ist, kann keine Sperrwirkung dahingehend entfalten, dass im Berufsleben übliche Probezeiten und auch Einarbeitungszeiten in der Probezeit nicht möglich sind. Das vom Antragsteller in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, warum sich die Antragsgegnerin eigentlich so sicher sei, dass der potentielle Arbeitgeber nach der 14-tägigen als "Maßnahme" deklarierten Arbeitszeit den Antragsteller tatsächlich in Vollzeit einstellen werde, geht daher ebenso fehl wie die Rüge der Verletzung des Rechtes auf freie Berufswahl, des Persönlichkeitsrechts und der Vertragsfreiheit. Die zweiwöchige Trainingsmaßnahme sollte weiter von dem zuständigen Träger der Leistungen nach dem SGB Il finanziert werden mit der Folge, dass der Antragsteller jedenfalls nicht schlechter dagestanden hätte als ohne Aufnahme der Trainingsmöglichkeit; im Gegenteil, mit Schreiben vom 24.8.2006 wurden ihm sogar darüber hinaus gehende Leistungen zugesagt. Im Übrigen sieht das Gericht in der von dem Antragsteller empfundenen Zwangswirkung (Stichworte Vertragsautonomie und Berufswahlfreiheit) noch keinen Verstoß gegen Verfassungsrecht. Schon das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Inanspruchnahme der Freiheit ohne jede Rücksichtnahme auf die Gemeinschaft einen Missbrauch darstellt, der wegen der Sozialbindung der Grundrechte keinen Grundrechtschutz genießt (vgl. BVerwG, 23.2.1979 - 5 B 114.78 -, Buchholz 436.0 § 19 BSHG Nr. 1).

Der Antragsteller ist auch im Vorhinein auf die Folgen der Weigerung der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit hingewiesen worden.

Dabei legt das Gericht zunächst zugrunde, dass der Antragsteller das Schreiben vom 24.8.2006, welches den Vermerk "z.P." enthält, was gewisslich zur Post bedeuten soll, tatsächlich erhalten hat und dieses Schreiben mit einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung versehen war, wie sie im Nachhinein zu den Gerichtsakten gelangt ist (BI. 54, 55 der Gerichtsakte). Auf den dortigen Inhalt wird Bezug genommen. Zwar hat der Antragsteller behauptet, ein derartiges Schreiben nicht erhalten zu haben; dieses Behaupten im Veraltungsverfahren hat er nochmals im gerichtlichen Antragsverfahren wiederholt. Die im Schreiben vom 6.9.2006 gegebene Erklärung (BI. 193 der Behördenakte) überzeugt indes nicht. Dort führt er aus, er habe die Rechtsfolgenbelehrung nicht bekommen, da das Angebot aus eigenem Suchen entstanden sei. Es ist zwar richtig, dass es nicht die Antragsgegnerin gewesen ist, die dem Antragsteller die Arbeitsstelle nachgewiesen hat; ein derartiger Umstand hindert indes eine Behörde nicht, gleichwohl eine Rechtsfolgenbelehrung zu erteilen. Das Bestreiten des Zuganges der Belehrung mit dem Hinweis, er habe die Stelle auf eigene Initiative gefunden, überzeugt daher das Gericht nicht. Dafür, dass eine Rechtsfolgenbelehrung dem Schreiben vom 24.8.2006 nicht beigefügt gewesen sein könnte, ergeben sich zudem keinerlei Hinweise. Die Antragsgegnerin hat dargetan, dass mit dem Ausdruck des Angebots einer Maßnahme über das Datenverarbeitungsprogramm VERBIS auch automatisch die Rechtsfolgenbelehrung ausgedruckt wird. Dass dem im vorliegenden Fall auch so gewesen ist, entnimmt das Gericht auch dem in der Behördenakte befindlichen Schreiben vom 24.8.2006, welches ausweist, dass zu diesem Schreiben eine Seite 2, nämlich die umseitigen Hinweise und die Rechtsfolgenbelehrung, folgt.

Im vorliegenden Einzelfall ist der Antragsteller überdies ausreichend über die Eingliederungsvereinbarung vom November 2006, welcher am 18.5.2006 zum 31.12.2006 verlängert wurde, belehrt worden. Zwar verkennt das Gericht nicht, dass die Belehrungen im engen zeitlichen Zusammenhang ausnahmslos im Vorhinein erfolgen müssen, damit die Belehrung das gewünschte Verhalten ermöglichen kann. Zuletzt wurde der Antragsteller aber im Mai 2006 in der damals geschlossenen Eingliederungsvereinbarung darauf hingewiesen, dass das Abreitslosengeld Il in einer ersten Stufe um 30 % der für ihn maßgebenden Regelleistung abgesenkt werden könne, wenn er sich weigere, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen. Diese Belehrung war dem Antragsteller außerdem bereits im November 2005 erteilt worden. Darüber hinaus erging bereits unter dem 31.1.2006 ein Absenkungsbescheid, den die Antragsgegnerin indes wieder aufhob. In diesem Bescheid vom 31.1.2006 führte die Antragsgegnerin im Einzelnen aus, unter welchen Voraussetzungen eine entsprechende Absenkung erfolgen kann. Angesichts dieser Belehrungen im Einzelnen muss das Gericht zugrunde legen, dass dem Antragsteller die Folgen des Unterlassens der Aufnahme der Tätigkeit bewusst waren. Die erteilten Hinweise jedenfalls zusammen genommen hatten eine ausreichende Warnfunktion.

Was die Höhe des Absenkungsbetrages betrifft, hat das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen; derartiges ist auch nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, der Ausspruch über die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf § 73 a i.V.m. §§ 114 ff ZPO.
Rechtskraft
Aus
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