L 7 KA 31/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 4783/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 31/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Kompetenz des Landesausschusses nach § 100 Abs. 3 SGB V ergänzt das bereits bestehende Instrumentarium der Sonderbedarfszulassung zur Deckung lokalen Sonderbedarfs.
2. Die Feststellung eines zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs nach § 100 Abs. 3 SGB V kann im Streit um die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung nicht ohne Bedeutung sein. Bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Sonderbedarfszulassung wegen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs darf nicht unberücksichtigt bleiben, ab welchem Versorgungsgrad der Landesausschuss in der jüngeren Vergangenheit einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf bejaht hat.
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. März 2017 sowie der Be-schluss des Beklagten vom 14. Oktober 2015 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Zulas-sung zur vertragsärztlichen Versorgung wegen lokalen Sonderbedarfs als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin im Verwaltungsbezirk Neukölln unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außer-gerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung zur vertragsärztli-chen Versorgung als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin im Verwaltungsbezirk Neukölln.

Der am xx.xx.xxxx geborene Kläger ist Facharzt für Kinder-und Jugendmedizin und betreibt derzeit eine privatärztliche Kinderarztpraxis in B-.

Am 6. August 2013 beantragte er die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Kinder-und Jugendmedizin im Rahmen einer lokalen Sonderbedarfs-zulassung im Verwaltungsbezirk N(gesperrter Bereich). In diesem Rahmen beantrag-te er zugleich die Genehmigung zur Anstellung der Ärztin Dr. G. N sei mit Kinderärz-ten unterversorgt.

Der Kläger legte befristete Mietoptionen für die Standorte K-Straße sowie – später – A vor, jeweils gelegen im nördlichen N.

Der Zulassungsausschuss holte zur Prüfung des Vorliegens eines lokalen Sonder-bedarfs eine Stellungnahme des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendmediziner e.V. ein. Dieser äußerte sich in einem Schreiben seines Vorsitzenden Dr. S vom 24. Februar 2014 wie folgt: "Die Kinder- und Jugendärzte Berlins sehen, im Gegensatz zum Antragsteller, keinen besonderen Versorgungsbedarf für den Bezirk N. Berlin als Gesamtheit ist ausreichend mit Kinder- und Jugendärzten versorgt, die Probleme in der Versorgung liegen eher in der Verschiebung von allgemein pädiatrischen Sitzen hin zur speziellen Versorgung (Kinderkardiologie etc.). Daraus entstehen zurzeit be-sondere Versorgungsengpässe im allgemeinen pädiatrischen Bereich. Dies trifft al-lerdings für N nicht im besonderen Maße zu, weder für angestellte noch für freie Arztsitze".

Mit Schreiben vom 21. März 2014 äußerte sich der beratungsärztliche Dienst der Beigeladenen zu 1. (Beratungsarzt Dr. K) zur Frage des Sonderbedarfs. Dem lag eine Tabelle bei mit Angaben zu den in N praktizierenden 27 Kinderärzten, der Ent-fernung ihrer Praxis zum geplanten Praxisstandort des Klägers und den jeweiligen Fallzahlen im Quartal III/13. Einer Sonderbedarfszulassung bedürfe es nicht. Dies begründete er wie folgt: "Es wurden die Abrechnungsdaten der 27 Kinderärzte, die einen Vertragsarztsitz im Bezirk N haben, für das 3. Quartal 2013 überprüft und in der anliegenden Tabelle dargestellt. Die durchschnittliche Zahl der Behandlungsfälle pro Pädiater liegt bei 936 Behandlungsfällen. Die Streubreite ist sehr groß: Die nied-rigste Fallzahl liegt bei 447 Behandlungsfällen (72 23 147), die höchste bei 1631 (72 32 017). Als berlinweite Durchschnittsfallzahl für Kinderärzte wird für die Berechnung der Regelleistungsvolumina für das 3. Quartal 2013 eine Fallzahl von 825 Fällen zu-grunde gelegt. Diese Fallzahl wird von 13 Kinderärzten in Neukölln nicht erreicht. Elf dieser Ärzte sind mindestsens seit 3 Jahren niedergelassen. Warum Patienten nicht von den 14 Kinderärzten, die diese Fallzahl erheblich überschreiten, zu den weniger ausgelasteten Praxen abwandern, ist nicht zu klären. Legt man die berlinweite Durchschnittsfallzahl zu Grunde, so arbeiten in einer Entfernung von maximal 3 km zum geplanten Praxissitz der im Betreff genannten Ärzte acht Kinderärzte mit einer zusätzlichen Kapazität von 1261 Behandlungsfällen pro Quartal.”

Die Beigeladene zu 1. beantragte gegenüber dem Zulassungsausschuss, die Anträ-ge auf Sonderbedarfszulassung zurückzuweisen und wies in einer Stellungnahme vom 7. April 2014 darauf hin, dass nach den Feststellungen des "Letter of Intent" des Gemeinsamen Landesgremiums nach § 90a SGB V vom 18. September 2013 in der Facharztgruppe Kinder- und Jugendmedizin der Versorgungsgrad im Zulassungsbe-reich Berlin mit 147,1 % und im Verwaltungsbezirk N mit 100,1 % festgestellt worden sei. Der Planungsbereich Berlin sei überversorgt. Ein lokaler Sonderbedarf am begehrten Standort sei nicht feststellbar. Die Beigeladene zu 1. fügte zudem eine gra-phische Übersicht mit einer Standortverteilung der Kinderärzte im Verwaltungsbezirk N bei. Daraus ergebe sich – so die Beigeladene zu 1. – dass es eine relative Häu-fung von Vertragsarztsitzen der Kinder- und Jugendmediziner im nördlichen Bereich gebe, aber auch in den übrigen Planquadraten sei festzustellen, dass eine nahezu gleichmäßige Verteilung über den gesamten Verwaltungsbezirk gegeben sei. Außer-dem überreichte die Beigeladene zu 1. eine Tabelle der 27 im Verwaltungsbezirk N vertragsärztlich zugelassenen und niedergelassenen Kinderärzte einschließlich des jeweiligen Versorgungsanteils und der Zuordnung zum hausärztlichen oder fachärzt-lichen Versorgungsbereich. Aus der Tabelle gehe hervor – so die Beigeladene zu 1. weiter – dass nahezu alle Kinderärzte im Planungsbezirk N hausärztlich tätig seien (24 von 27); insofern seien die Ausführungen des angehörten Fachverbandes zutref-fend, dass eine Problematik zur Verschiebung von hausärztlichen und fachärztlichen Sitzen innerhalb der Pädiatrie in N nicht festzustellen sei. Abschließend regte die Beigeladene zu 1. an, die bereits ansässigen Vertragsärzte nach ihrem Leistungsan-gebot und ihrer Aufnahmekapazität zu befragen, denn dies sei rechtlich erforderlich.

Hierauf ersuchte der Zulassungsausschuss die Beigeladene zu 1. um die Einleitung einer Umfrage unter den niedergelassenen Kinderärzten in Zulassungsbezirk Berlin sowie um Übermittlung der individuellen Fallzahlen im Verhältnis zu den berlinweiten durchschnittlichen Fallzahlen. Nachdem die Beigeladene zu 1. die erbetene Umfrage nicht abgeschlossen und der Kläger, der inzwischen eine Untätigkeitsklage erhoben hatte, darum ersucht hatte, zeitnah zu entscheiden, wies der Zulassungsausschuss die Anträge des Klägers mit Beschluss vom 13. April 2015 zurück. Ein Sonderbedarf am voraussichtlichen Stand-ort A im nördlichen Neukölln sei vor dem Hintergrund der angestellten Ermittlungen nicht feststellbar.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch führte der Kläger unter anderem an, das Verhältnis der Bevölkerungszahl zur Anzahl der Kinderärzte belege eine Be-nachteiligung der N Bevölkerung. Es bestehe ein Versorgungsengpass, gerade auch im Vergleich zu anderen Stadtbezirken. Die Kollegen in N hätten ihm zudem berich-tet, dass sie keine neuen Patienten mehr annehmen könnten. Dr. S vom Berufs-verband der Kinder- und Jugendmediziner sei nicht hinreichend neutral und am Schutz vor Konkurrenten interessiert, denn er betreibe selber eine Kinderarztpraxis in N.

Die Beigeladene zu 1. kam der Aufforderung des Beklagten, eine Bedarfsumfrage durchzuführen, weiterhin nicht nach. Hierauf führte der Beklagte eine Bedarfsumfra-ge bei den seinerzeit 27 N Kinderärzten durch, die von 20 Praxen beantwortet wurde. Von diesen sahen 14 keinen Bedarf für eine Sonderbedarfszulassung; diese Ärzte sahen die Auslastung ihrer Praxen bei 70 bis 100 Prozent und gaben zur Wartezeit an, eine solche bestehe gar nicht oder in lediglich wenigen Tagen. Zwei weitere Praxen machten keine Angabe zum Erfordernis eines Sonderbedarfs. Vier Praxen bejahten einen Sonderbedarf; diese sahen ihre Auslastung bei 100 Prozent (zweimal) bzw. 140 Prozent (ebenfalls zweimal).

Die Beigeladene zu 1. überließ dem Beklagten die jeweiligen Fallzahlen der 27 N Kinderarztpraxen in den Quartalen II/14 bis I/15 (VV Bl. 176). Die Fallzahlen der 23 der Fachgruppe 34 angehörenden Ärzte (Kinderärzte hausärztlicher Bereich) lagen im Durchschnitt zwischen 850 und 1.036 pro Quartal, diejenigen der vier der Fach-gruppe 46 angehörenden Ärzte (Kinderärzte fachärztlicher Bereich) zwischen 680 und 838.

Mit Beschluss vom 14. Oktober 2015 wies der Beklagte den Widerspruch des Klä-gers zurück und lehnte den Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Kinder-und Jugendmedizin im Rahmen einer Sonderbedarfszulas-sung ab; auch der Antrag auf Anstellung von Frau Dr. G im Rahmen einer Sonderbe-darfszulassung wurde abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine Sonderbedarfszu-lassung des Klägers nach § 36 der Bedarfsplanungsrichtlinie (BedarfsplRL) sowie die Genehmigung der Anstellung von Frau Dr. G in seiner Praxis nach § 36 Abs. 8 Be-darfsplRL lägen weder im Hinblick auf einen zusätzlichen lokalen noch auf einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf vor. Berlin zähle nach der Anlage 3.2 zur BedarfsplRL zum Kreis Typ 1; nach § 12 Abs. 4 BedarfsplRL sei für Kinderärzte im Planungsbereich Typ 1 eine Verhältniszahl von einem Kinderarzt zu 2.405 Kindern festgelegt. Innerhalb Berlins sei grundsätzlich keine Region feststellbar, in der nach Struktur, Zuschnitt, Lage, Infrastruktur, geographischen Besonderheiten, Ver-kehrsanbindung und Verteilung der niedergelassenen Kinderärzte ein zumutbarer Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung nicht gewährleistet sei. Die von der Rechtsprechung insoweit aufgestellte Grenze von 25 km könne in Berlin aufgrund der Ausdehnung des Stadtgebiets ohnehin kaum erreicht bzw. überschritten werden. Für die Ermittlung des Bedarfs sei dabei der beantragte Standort (am Sudhaus 2) in den Blick zu nehmen. Im Norden des Stadtbezirks Berlin-N seien ohnehin von allen im Gesamtbezirk ansässigen Kinderärzten 18 ansässig. Der Ortsteil N (des Bezirks N) habe eine Ausdehnung von Nord nach Süd von etwa 4 km und von West nach Ost von 5 km. Von daher spielten die genannten 25 km zum Erreichen des nächsten Kinderarztes in N bereits keine Rolle. Zudem müssten versicherte Kinder nicht Ent-fernungen zu den am weitesten entfernten Bezirken Berlins zurücklegen, vielmehr seien Kinderärzte auch in den Nachbarbezirken T-S etc. niedergelassen. Zwar weise der Bezirk B-N die geringste Versorgungsdichte innerhalb B auf, was sich auch aus dem "Letter of Intent" ergebe. Dies stelle zum einen aber keinen lokalen Sonderbe-darf im Sinne eines für N zusätzlich erforderlichen Vertragsarztsitzes für Kinderärzte dar. Der "Letter of Intent" ziele auf eine gleichmäßige Verteilung der vorhandenen Vertragsarztsitze im Stadtgebiet im Falle von beantragten Sitzverlegungen, nicht aber auf eine Schaffung neuer Vertragsarztsitze. Die 109,3 Prozent bedeuteten auch keinesfalls eine Unterversorgung; auch wenn die nach § 101 Absatz 1 Satz 3 SGB V für die Annahme von Überversorgung zugrunde zu legende Überschreitung von zehn Prozent der bedarfsgerechten Versorgung noch (knapp) nicht erreicht sei, sei eben doch der bedarfsgerechte Versorgungsgrad von 100 Prozent überschritten. Eine Un-terversorgung liege nach § 29 BedarfsplRL erst ab einen Versorgungsgrad von 75 Prozent vor. Es seien auch keine örtlichen Besonderheiten zu erkennen, die einen Sonderbedarf rechtfertigten. Zwar sei dem Kläger dahingehend zuzustimmen, dass die Versorgung besser sein könnte. Anzustreben sei aber keine optimale, sondern eine ausreichende Versorgung. Zudem würden auch bei der Bedarfsplanung die spezialisierten Kinderärzte mit einbezogen. Kinder könnten zudem auch von Allge-meinmedizinern behandelt werden. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die bereits vom Zulassungsausschluss getätigten Ermittlungen. Die Angaben der Ärzte im Rahmen der vom Beklagten angestellten Umfrage deckten sich mit den eingehol-ten Stellungnahmen. Das Ergebnis der Umfrage werde durch die von der Beigelade-nen zu 1. gelieferten Fallzahlen bestätigt; so lägen zwar die vier Praxen, die einen Sonderbedarf bejaht hätten, mit ihren Fallzahlen über dem Durchschnitt, zugleich zeige sich aber, dass die Mehrheit der Praxen noch freie Kapazitäten aufweise. Das bestätige auch die Stellungnahme des Berufsverbandes vom 24. Februar 2014.

Gegen den ihm am 12. November 2015 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 7. Dezember 2015 Klage erhoben. Er hat weiter die Auffassung vertreten, im für die Beurteilung maßgeblichen Verwaltungsbezirk N sei von einer Unterversorgung an Kinderärzten auszugehen, so dass ein Sonderbedarf bestehe. Die Kinderärzte in N behandelten wesentlich mehr Patienten als ihre Kollegen im Berliner Durchschnitt. Die durchgeführte Befragung der Kinderärzte in N habe keinen Aussagewert. Die Ärzte selbst könnten aufgrund ihrer auf ihre Einzelpraxis beschränkte Erfahrung nicht beurteilen, ob eine Unterversorgung im gesamten Bezirk vorliege oder nicht. Immer-hin hätten vier dies bejaht, was ebenfalls von der Tendenz her für eine Unterversor-gung spreche. Auch die Frage hinsichtlich der Wartezeit bis zu einem Termin sei sinnlos, denn kein Arzt werde dort angeben, dass man sechs Wochen zu warten ha-be. Viele Praxen nähmen auch keine neuen Patienten mehr auf.

Das Sozialgericht hat die ausschließlich auf Verurteilung des Beklagten zur Neube-scheidung gerichtete Klage mit Urteil vom 22. März 2017 (dem Kläger zugestellt am 24. April 2017) abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe seinen gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspiel-raum bei Ermittlung eines Sonderbedarfs nicht überschritten und pflichtgemäß aus-gefüllt; er habe auf der Basis einer ausreichenden Datengrundlage entschieden und die nachvollziehbare Schlussfolgerung gezogen, dass ein besonderer lokaler Ver-sorgungsbedarf nicht bestehe. Zu Recht habe der Beklagte sich bei seiner Beurtei-lung primär auf den im nördlichen N gelegenen Ort der begehrten Niederlassung konzentriert. Er habe berücksichtigt, welche Kinderarztdichte in diesem Bereich herr-sche; dabei habe sich gezeigt, dass es eine Häufung hausärztlich tätiger Kinderärzte gerade im begehrten Bereich gebe und dass die Abrechnungszahlen einiger Praxen noch freie Kapazitäten belegten. Die vom Beklagten durchgeführte Umfrage unter den 27 lokalen Kinderärzten sei belastbar und bestätige das Ergebnis der sonstigen Ermittlungen. Die Angaben zu Auslastung und Wartezeiten ließen nicht auf eine Un-terversorgung schließen. N sei im Berliner Maßstab zwar relativ schlecht mit Kinder-ärzten versorgt, doch liege die Versorgung noch immer bei über 100 Prozent und damit weit über der Grenze für eine Unterversorgung, die nach §§ 27 und 28 der BedarfsplRL erst bei einem Versorgungsgrad von 75 Prozent und weniger erreicht sei. Spezifische Besonderheiten etwa verkehrlicher Art habe der Beklagte beanstan-dungsfrei ausgeschlossen, vielmehr zu Recht auf die gute verkehrliche Anbindung des nördlichen Nhingewiesen sowie darauf, dass auch auf Kinderarztpraxen in den unmittelbaren Nachbarbezirken zugegriffen werden könne.

Mit der am 12. Mai 2017 erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren wei-ter, hat allerdings Abstand davon genommen, eine Genehmigung zur Anstellung der Ärztin Dr. Gerhalten zu wollen. Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger im Wesentlichen vorgebracht: N sei sozioökonomisch benachteiligt und verfüge nicht über genug Kinderarztpraxen. Zu Praxisverlegungen nach N sei es noch nicht ge-kommen. Ein Sonderbedarf bestehe nicht erst, wenn eine Unterversorgung bestehe. Von einer Unterversorgung gehe er selber nicht aus. Entscheidend sei, dass die Ver-sorgungsquote in den übrigen Bezirken bei über 110 Prozent liege, diejenige in N aber bei unter 110 Prozent. Nach den Feststellungen des "Letter of Intent" liege bei den Kinderärzten der Versorgungsgrad im Verwaltungsbezirk N bei nur 100,1 Pro-zent. Dies rechtfertige eine Sonderbedarfszulassung einschließlich der Zulassung einer angestellten Ärztin. Ein maßgebliches Problem bestehe in der Spezialisierung vieler Kinderärzte; dies beeinträchtige den Grad hausärztlicher Versorgung, die viel zu kurz komme. Hier hätte der Beklagte weitere Sachaufklärung betreiben müssen. Die Durchschnittfallzahl liege deutlich über dem Berliner Durchschnitt, was auf eine mögliche Unterversorgung hindeute. Bei seinen Ermittlungen habe der Beklagte zu sehr auf das Kriterium des Sonderbedarfs gezielt, hätte aber viel mehr nach einer Unterversorgung fragen müssen. Das Vorgehen des Beklagten verletze die Rechte der betroffenen Kinder. Der Beklagte verhalte sich widersprüchlich, wenn er einer-seits seine Ermittlungen auf den gesamten Stadtbezirk N erstrecke, andererseits aber die Grenzen für die "lokale Versorgung" enger ziehe und mit einer Häufung von Kinderarztpraxen am geplanten Standort argumentiere.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. März 2017 sowie den Beschluss des Beklagten vom 14. Oktober 2015 aufzuheben und den Beklagten zu ver-pflichten, über seinen Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung wegen lokalen Sonderbedarfs als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin im Verwaltungsbezirk N unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verkenne, dass es für den geltend gemachten lokalen Sonderbedarf nicht auf den Stadtbezirk N ankomme, sondern auf die lokale Situation am geplanten Pra-xissitz. Dort bestehe aber eine ausreichende Versorgung mit hausärztlich tätigen Kinderärzten. Zu einer im Entwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) noch vorgesehenen Entsperrung des Planungsbereichs für Kinderärzte sei es nicht gekommen, weil die geplante Entsperrung im Laufe des Gesetzgebungsver-fahrens aufgegeben worden sei.

Die Beigeladenen haben auch im Berufungsverfahren keine Anträge gestellt.

Im Verlaufe des Berufungsverfahrens hat der Landesausschuss der Ärzte und Kran-kenkassen Berlin im Planungsbereich Berlin Bundeshauptstadt mit Beschluss vom 7. Mai 2018 u.a. den Bezirk N als Bezugsregion festgelegt und in diesem in der Gruppe der Kinderärzte einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf nach § 35 Abs. 3 und Abs. 5 BedarfsplRL im Umfang von drei Zulassungen (kinderärztliche Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen) festgestellt. Der Landesausschuss ging dabei von einem Versorgungsgrad i.H.v. 95,2 Prozent aus.

Hierzu trägt der Kläger vor: Diese Entwicklung zeige, wie richtig er mit seinem Be-gehren von Anfang an gelegen habe und wie groß der Bedarf in Neukölln tatsächlich sei. Der Beklagte müsse nun unter Berücksichtigung aller neuen Daten und aktuellen Statistiken neu entscheiden.

Der Kläger hat sich auf einen der drei wegen zusätzlichen lokalen Versorgungsbe-darfs neu ausgeschriebenen Kinderarztsitze beworben. Der Zulassungsausschuss hat ihm am 15. August 2018 aufgrund der Dauer seiner Eintragung auf der Warteliste einen Vertragsarztsitz am Standort A , B zugesprochen. Der Beklagte hat am 28. November 2018 dem Widerspruch des Mitbewerbers Dr. M stattgegeben und diesen sofort vollziehbar zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen; der Kläger habe sich mit einer tatsächlich nicht mehr vorhandenen Mietoption beworben; ein neu angebotener Standort sei "nicht berücksichtigungsfähig". Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben (S 79 KA 10/19), über die noch nicht entschieden ist.

Auf der Grundlage des Datenbestandes vom 1. Januar 2019 hat der Landesaus-schuss der Ärzte und Krankenkassen Berlin eine "Fortschreibung zum Letter of Intent (LOI) / Anpassung der Tabellen zur Versorgungssteuerung mit bezirklichen Versorgungsgraden" vorgenommen (abrufbar bei https://www.kvberlin.de/20praxis/10zulassung/55bedarfsplan/loi fortschreibung 190101.pdf). Danach leben in N 53.679 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren: Es gibt 24 Kin-derarztpraxen, die (modifizierte) Verhältniszahl beträgt 2.181, die "Arztzahl Soll" 24,6 und der Versorgungsgrad 97,5 (einziger Stadtbezirk unter 100).

Der Beklagte hat zur Entwicklung des Sachverhalts in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, keine verlässlichen Angaben zur aktuellen Bedarfssituation an Kinderarztsitzen in N machen zu können. Die Fortschreibung des Letter Of Intent zum 1. Juli 2019 liege noch nicht vor. Es sei wohl mit einer Arztzahl (Ist) von 26 zu rechnen, was zu einem Versorgungsgrad von 105,7 Prozent führe; es sei für die Arztzahl (Soll) allerdings noch einzuberechnen, dass es zu einer Verringerung der Allgemeinen Verhältniszahl nach § 12 Abs. 4 BedarfsplRL gekommen sei (nunmehr: 2.043 Einwohner je Kinderarzt). Dadurch könne sich die Arztzahl (Soll) zum 1. Juli 2019 auch erhöht haben.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten sowie der Akte zum Verfahren S 79 KA 10/19 Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Ge-genstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfin-dung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

Zwar hat es der Beklagte in seinem Beschluss vom 14. Oktober 2015 nach seinerzeitigem Sachstand zu Recht abgelehnt, den Kläger wegen lokalen Sonderbedarfs zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin im Verwaltungsbezirk N zuzulassen; auch die Abweisung der Klage durch das Sozialgericht Berlin mit dem angefochtenen Urteil vom 22. März 2017 ist daher an sich rechtlich nicht zu beanstanden (unten II.). Weil für die Entscheidung des Senats aber die Sach- und Rechtslage im Moment der mündlichen Verhandlung am 13. November 2019 maßgeblich ist (unten I.), hat der Kläger einen Anspruch auf Neubescheidung, denn es ist nicht auszuschließen, dass sich die lokale Bedarfssituation zu seinen Gunsten entscheidend geändert hat. Insoweit ist die Sache nicht spruchreif; um eine abschließende Beurteilung vorzunehmen, muss der Beklagte den Sachverhalt in Bezug auf die konkrete lokale Bedarfssituation hinreichend aufklären und neu entscheiden (unten III.).

I. In Planungsbereichen, für die der Landesausschuss der Ärzte und Kranken-kassen – wie im einheitlichen Planungsbereich Berlin/Bundehauptstadt für sämtliche Arztgruppen mit Ausnahme der Arztgruppe der Hausärzte (Beschluss des Landes-ausschusses vom 16. August 2019) – gemäß § 103 Abs. 1 und 2 SGB V wegen Überversorgung Zulassungsbeschränkungen angeordnet hat, sind Zulassungen für die hiervon betroffenen Arztgruppen nur ausnahmsweise möglich.

Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung ist § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V i.V.m. der BedarfsplRL. § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V be-stimmt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien Vorgaben für die ausnahmsweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze zu beschließen hat, soweit diese zur Gewährleistung der vertragsärztlichen Versorgung in einem Versorgungs-bereich unerlässlich sind, um einen zusätzlichen lokalen oder einen qualifikationsbe-zogenen Versorgungsbedarf insbesondere innerhalb einer Arztgruppe zu decken (§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V). Der Gemeinsame Bundesausschuss ist der ihm übertragenen Aufgabe zum Erlass konkretisierender Vorgaben in Bezug auf § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V durch die ab 4. Juli 2013 geltenden Regelungen in den §§ 36, 37 BedarfsplRL nachgekommen. § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V gewährleistet in Planungsbereichen, in denen wie vorliegend die Zulassung u.a. von Fachärzten für Kinderheilkunde wegen Überversorgung beschränkt ist, dass angeordnete Zulassungssperren nicht unverhältnismäßig die Berufsausübung beschränken und die Versorgung der Versicherten gewährleistet bleibt. Dies im Einzelnen zu konkretisieren hat der Gesetzgeber in § 101 Abs. 1 Satz 1 SGB V dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen, der dementsprechend in der BedarfsplRL die Voraussetzungen für solche ausnahmsweisen Zulassungen festgelegt hat. Gegen die Übertragung der Befugnis zur Normkonkretisierung auf den Gemeinsamen Bundesausschuss bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, zumal der Gesetzgeber Inhalt, Zweck und Ausmaß der Regelung präzise vorgegeben und damit die wesentlichen Fragen selbst entschieden hat (vgl. zum Ganzen Bundessozialgericht, Urteil vom 13. August 2014, B 6 KA 33/13 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 17 bis 19).

Bei der Konkretisierung und Anwendung der für die Anerkennung eines Sonderbe-darfs maßgeblichen Tatbestandsmerkmale steht den Zulassungsgremien ein der ge-richtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zu (st. Rspr., vgl. nur Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 19).

Bei Zulassungsbegehren sind die Grundsätze über Vornahmeklagen anzuwenden. Dies bedeutet, dass alle Tatsachenänderungen bis zur mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz und alle Rechtsänderungen bis zum Abschluss der Revisi-onsinstanz zu berücksichtigen sind (Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 20).

II. Die Voraussetzungen für eine Sonderbedarfszulassung wegen eines lokalen Sonderbedarfs waren zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Beklagten am 14. Oktober 2015 nicht gegeben.

1. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BedarfsplRL darf der Zulassungsausschuss unbescha-det der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen durch den Landesausschuss dem Zulassungsantrag eines Arztes der betreffenden Arztgruppe auf Sonderbedarf nach Prüfung entsprechen, wenn die ausnahmsweise Besetzung eines zusätzlichen Vertragsarztsitzes unerlässlich ist, um die vertragsärztliche Versorgung in einem Versorgungsbereich zu gewährleisten und dabei einen zusätzlichen lokalen oder ei-nen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf zu decken. Sonderbedarf ist als zu-sätzlicher Versorgungsbedarf für eine lokale Versorgungssituation oder als qualifika-tionsbezogener Versorgungsbedarf festzustellen (Satz 2). Die Feststellung dieses Sonderbedarfs bedeutet die ausnahmsweise Zulassung eines zusätzlichen Vertrags-arztes in einem Planungsbereich trotz Zulassungsbeschränkungen (Satz 3). Gemäß § 36 Abs. 2 BedarfsplRL ist die Zulassung aufgrund eines lokalen oder qualifikati-onsbezogenen Versorgungsbedarfs an den Ort der Niederlassung gebunden.

Ein lokaler Sonderbedarf setzt nach § 36 Abs. 4 Satz 3 BedarfsplRL voraus, dass aufgrund der von durch den Zulassungsausschuss festzustellenden Besonderheiten des maßgeblichen Planungsbereichs (z. B. Struktur, Zuschnitt, Lage, Infrastruktur, geographische Besonderheiten, Verkehrsanbindung, Verteilung der niedergelasse-nen Ärzte) ein zumutbarer Zugang der Versicherten zur vertragsärztlichen Versor-gung nicht gewährleistet ist und aufgrund dessen Versorgungsdefizite bestehen. Bei der Beurteilung ist den unterschiedlichen Anforderungen der Versorgungsebenen der §§ 11 bis 14 BedarfsplRL Rechnung zu tragen (§ 36 Abs. 4 Satz 4 BedarfsplRL, hausärztliche / fachärztliche Versorgung).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Beklagten vom 14. Oktober 2015 zur Ablehnung einer Sonderbedarfszulassung rechtlich nicht zu beanstanden, denn sie hält sich im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspiel-raums. Im Rahmen des rechtsfehlerfrei ermittelten Sachverhalts durfte der Beklagte darauf schließen, dass kein zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf besteht. Maß-geblich ins Gewicht fallen insoweit, jeweils mit dem im Tatbestand wiedergegebenen Inhalt:

• Stellungnahme des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendmediziner e.V. vom 24. Februar 2014; • Äußerung des beratungsärztlichen Dienstes der Beigeladenen zu 1. vom 21. März 2014 (berlinweite Durchschnittsfallzahl für Kinderärzte Quartal III/13: 825 Fälle; diese Fallzahl wurde von 13 Kinderärzten in N nicht erreicht; in der Nähe acht Kinderärzte mit einer zusätzlichen Kapazität von 1261 Behand-lungsfällen pro Quartal); • Vorbringen der Beigeladenen zu 1. einschließlich der graphischen Übersicht mit einer Standortverteilung der Kinderärzte im Verwaltungsbezirk N bei; • Ergebnis der vom Beklagten durchgeführten Befragung der im Bezirk N nie-dergelassenen Kinderärzte, das durch die Fallzahlen der 27 NKinderarztpra-xen in den Quartalen II/14 bis I/15 objektiviert wird.

Rechtlich beanstandungsfrei waren auch die weiter führenden Erwägungen des Be-klagten: So durfte er sich für die Beurteilung eines zusätzlichen lokalen Versor-gungsbedarfs an § 29 Satz 1 BedarfsplRL orientieren. Danach ist das Vorliegen einer Unterversorgung anzunehmen, wenn der Stand der hausärztlichen Versorgung (§ 11 BedarfsplRL) den in den Planungsblättern ausgewiesenen Bedarf um mehr als 25 v.H. und der Stand der fachärztlichen Versorgung in der allgemeinen fachärztlichen Versorgung (§ 12) und in der spezialisierten fachärztlichen Versorgung (§ 13) sowie der gesonderten fachärztlichen Versorgung (§ 14) jeweils den ausgewiesenen Bedarf um mehr als 50 v.H. unterschreitet. Diese Werte können als erster Anhaltspunkt für das Bestehen eines zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs herangezogen werden; allerdings ist nicht davon auszugehen, dass ein zusätzlicher lokaler Versor-gungsbedarf erst dann besteht, wenn der Grad der Unterversorgung erreicht ist.

Der Grad einer Unterversorgung war für Kinder- und Jugendärzte im Stadtbezirk N unstreitig zu keinem Zeitpunkt erreicht, denn der Versorgungsgrad bewegte sich in den vergangenen Jahren stets rund um 100 Prozent und nicht ansatzweise auch nur in der Nähe von 75 Prozent.

Ein "zumutbarer Zugang der Versicherten zur vertragsärztlichen Versorgung" war damit im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten gewährleistet. Zwar war und ist N berlinweit relativ am schlechtesten mit Kinderarztpraxen ausgestattet. Allerdings lag (und liegt) der Versorgungsgrad in den Nachbarbezirken , F- und T- bei teilweise deutlich über 100 Prozent, was wesentlich ins Gewicht fallen durfte, weil die Versi-cherten im Stadtstaat Berlin bei der Arztsuche nicht an Bezirksgrenzen halt machen.

Der kinderärztliche Versorgungsgrad lag im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklag-ten bei 109,3 Prozent und damit weit entfernt von einer Unterversorgung (( 75 Pro-zent, § 29 BedarfsplRL), vielmehr eher in der Nähe einer Überversorgung (ab 110 Prozent, § 101 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Danach konnte im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten nicht ansatzweise davon die Rede sein, dass rechtlich erhebliche Ver-sorgungsdefizite bestehen.

III. Allerdings hat sich die Sachlage bis zur Entscheidung des Senats maßgeblich geändert, was zu einem Anspruch des Klägers auf Neubescheidung führt. Zu be-rücksichtigen sind nämlich der aktuelle Versorgungsgrad an Kinderärzten in Berlin-N, in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Allgemeinen Verhältniszahl nach § 12 Abs. 4 BedarfsplRL sowie das Verfahren des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen Berlin im Planungsbereich Berlin Bundeshauptstadt nach § 35 Abs. 3 und Abs. 5 BedarfsplRL. Der Beklagte wird den Antrag des Klägers auf der Grundla-ge aktueller Werte zum Versorgungsgrad neu zu bescheiden haben. Dabei ist zu berücksichtigen:

Mit Beschluss vom 7. Mai 2018 hat der Landesausschuss u.a. den Bezirk N als Be-zugsregion festgelegt und in diesem in der Gruppe der Kinderärzte einen zusätzli-chen lokalen Versorgungsbedarf nach § 35 Abs. 3 und Abs. 5 BedarfsplRL i.V.m. § 100 Abs. 3 SGB V im Umfang von drei Zulassungen (kinderärztliche Grundversor-gung von Kindern und Jugendlichen) festgestellt. Der Landesausschuss hat dabei einen Versorgungsgrad i.H.v. 95,2 Prozent zugrunde gelegt und weiter genau das angenommen, was im Streit um die Sonderbedarfszulassung streitiges Tatbe-standsmerkmal ist, nämlich einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf.

§ 35 BedarfsplRL betrifft die Feststellung eines zusätzlichen lokalen Versorgungsbe-darfs in nicht unterversorgten Planungsbereichen (Grundlage: § 100 Abs. 3 SGB V); dies zieht die Möglichkeit von Sicherstellungszuschlägen nach § 105 Abs. 5 SGB V nach sich. Bei seiner Prüfung hat der Landesauschuss die allgemeine Verhältniszahl nach § 12 Abs. 4 BedarfsplRL als Anhaltspunkt zu nehmen (§ 35 Abs. 2 Satz 3 Be-darfsplRL). In all dem liegt eine Feinsteuerung der Bedarfsplanung durch den gesetz-lich dazu berufenen Landesausschuss; die Kompetenz des Landesausschusses nach § 100 Abs. 3 SGB V ergänzt das bereits bestehende Instrumentarium der Son-derbedarfszulassung zur Deckung lokalen Sonderbedarfs (vgl. den Entwurf des Ver-tragsarztrechtsänderungsgesetzes, BT-Drs. 16/2474, S. 24).

Mit der Entscheidung des Landesausschusses nach § 35 BedarfsplRL ist daher nicht automatisch ein (individueller) Anspruch auf Sonderbedarfszulassung belegt; über diesen haben die Zulassungsgremien eigenständig zu entscheiden. Allerdings wird die Feststellung eines zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs nach § 100 Abs. 3 SGB V im Streit um die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung nicht ohne Bedeu-tung sein können (vgl. Sächsisches LSG, L 1 B 786/08 KA-ER, Beschluss vom 30. Juli 2009, zitiert nach juris, dort Rdnr. 54; s.a. Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 100 SGB V, Rdnr. 26; § 101 SGB V, Rdnr. 125). Zumindest der vom Landesausschuss zugrunde gelegte Sachverhalt darf daher bei der Ent-scheidung der Zulassungsgremien über einen individuellen Antrag auf Sonderbe-darfszulassung nicht unberücksichtigt bleiben. Zur Überzeugung des Senats darf bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Sonderbedarfszulassung wegen besonde-ren lokalen Versorgungsbedarfs auch nicht unberücksichtigt bleiben, ab welchem Versorgungsgrad der Landesausschuss in der jüngeren Vergangenheit einen beson-deren lokalen Versorgungsbedarf bejaht hat. Würden nämlich Landesausschuss und Zulassungsgremien denselben Versorgungsgrad in Bezug auf besonderen lokalen Versorgungsbedarf unterschiedlich beurteilen, käme es zu nicht hinnehmbaren Wer-tungswidersprüchen.

Der Beklagte wird danach erstens zu berücksichtigen haben, ob und wie sich die Versorgungslage an Kinderärzten in Berlin N in Umsetzung des Beschlusses des Landesausschusses vom 7. Mai 2018 entwickelt hat. Die "Arztzahl Ist" dürfte im Nachgang zur Entscheidung nach § 35 BedarfsplRL mit den erfolgten Zulassungs-entscheidungen und Niederlassungen gestiegen sein. Das könnte zur Auswirkung haben, dass sich die Notwendigkeit von Sonderbedarfszulassungen durch Maßnah-men nach § 35 BedarfsplRL gerade erübrigt.

Zweitens wird der Beklagte die Versorgungslage (und hier die "Arztzahl Soll") aber auch anhand der aktuellen Allgemeinen Verhältniszahl nach § 12 Abs. 4 BedarfsplRL zu analysieren haben. Bei seiner Entscheidung vom 14. Oktober 2015 hat der Be-klagte noch eine Verhältniszahl von 2.405 Kindern je Kinderarzt zugrunde gelegt, ausgehend von der seinerzeitigen Fassung der BedarfsplRL. Berlin zählt nach der Anlage 3.2 zur BedarfsplRL zum Kreis Typ 1; nach § 12 Abs. 4 BedarfsplRL aktueller Fassung (Stand 16. Mai 2019) ist für Kinder- und Jugendärzte im Planungsbereich Typ 1 nunmehr eine Verhältniszahl von einem Kinderarzt zu (nur) 2.043 Kindern festgelegt. In der Tendenz steigt damit die Höhe der "Arztzahl Soll". Zu den rechneri-schen Folgen konnte der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zum jüngsten Stichtag 1. Juli 2019 keine belastbaren Angaben machen, weil der LOI zu diesem Stichtag noch nicht veröffentlicht war. Das wird er in seiner neuen Ent-scheidung nachzuholen haben. Maßgeblich wird er dann in seine Erwägungen ein-stellen müssen, dass der Landesausschuss im Jahre 2018 – also jüngst – bei einem Versorgungsgrad i.H.v. 95,2 Prozent einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf bejaht hat. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, wird der Beklagte dem Kläger daher jedenfalls dann eine Sonderbedarfszulassung zu erteilen haben, wenn der ak-tuell ermittelte Versorgungsgrad bei 95,2 Prozent oder darunter liegt.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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