S 9 SO 22/09

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 9 SO 22/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SO 3/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 28/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Beklagten vom 7.1.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 31.3.2009 wird aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 8.6.2007 Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe von EUR 100 monatlich zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger 1/3 seiner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab dem 8.6.2007 Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Schulgeld, welches der Kläger für den Besuch der F-Schule zu zahlen hat, zu gewähren.

Der 1991 geborene Kläger leidet an einer expressiven Sprachstörung und allgemeinen Entwicklungsverzögerung bei Intelligenzminderung im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und geistiger Behinderung. Mit Bescheid vom 08.05.1998 stellte das Staatliche Schulamt für den Landkreis Marburg-Biedenkopf fest, dass bei dem Kläger sonderpädagogischer Förderungsbedarf bestehe. Dieser Förderungsbedarf werde in der G-Schule G-Stadt (Sonderschule für Praktisch Bildbare) erfüllt. Es bestehe aber Einverständnis mit der Beschulung in der F-Schule.

Bei der F-Schule handelt es sich um eine staatlich genehmigte Ersatzschule und Schule für Praktisch Bildbare, Körperbehinderte, Lernhilfe und Erziehungshilfe. Träger der Schule ist der Verein für H. B-Stadt e.V.

Unter dem 30.7.1998 schlossen die Eltern des Klägers mit dem Verein für H. e.V. einen Schulvertrag, wonach der Kläger mit Wirkung von September 1998 in die erste Klasse der Schule aufgenommen werden sollte. Ziffer 6 des Vertrages lautet: "Das Schulgeld wird mit dem Kostenträger vereinbart". Hinsichtlich des weiteren Inhaltes des Schulvertrages wird auf den Vertragstext, Bl. 52 und 53 der Behördenakte, verwiesen. Mit "Beitragserklärung" vom 3.9.1998 sagten die Eltern gegenüber dem Verein für H. e.V. zu, ab September 1998 für ihren Sohn ein monatliches Schulgeld von "DM 180" (EUR 92,03) zu zahlen. Der Kläger besucht die Schule seit September 1998.

Seine Eltern erbrachten ab Juni 2007 monatliche Zahlungen in Höhe von EUR 100 an die F Schule bzw. deren Trägerverein.

Mit Schreiben vom 4.6.2007, bei der Beklagten am 8.6.2007 eingegangen, beantragte der Verein für H. B-Stadt e.V. im Namen der Eltern des Klägers, unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht, die Übernahme des für den Kläger entstehenden Schulgeldes in Höhe von monatlich EUR 303,92 "ab sofort" nach den Bestimmungen des SGB XII. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 53 SGB XII. Wegen bei Gericht anhängiger Musterverfahren solle über den Antrag aber zunächst noch nicht entschieden werden.

Mit Bescheid vom 19.8.2008 verlängerte das Staatliche Schulamt für den Landkreis Marburg-Biedenkopf die Schulbesuchspflicht für den Kläger um ein Jahr bis zum 31.7.2009.

Mit amtsärztlichem Gutachten vom 30.12.2008 stellte die Amtsärztin des Beklagten J. fest, der Kläger leide an einer recht gut eingestellten Epilepsie, einer mittelgradigen Intelligenzminderung und einer leichten Sprachstörung. Er gehöre zum Personenkreis des § 53 SGB XII. Mit Bescheid vom 7.1.2009 lehnte der Beklagte die Übernahme des Schulgeldes ab. Zur Begründung führte er aus, für den Kläger bestehe die Möglichkeit, eine staatliche Schule, die kostenfrei sei – nämlich die G-Schule - zu besuchen. Insoweit sei die Gewährung des Schulgeldes als Maßnahme der Eingliederungshilfe nicht erforderlich. Dem Wunsch der Eltern könne nicht nachgekommen werden, da dessen Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Ein Schulwechsel sei dem Kläger auch jetzt noch zumutbar, ohne dass ihm hierdurch wesentliche Nachteile entstünden.

Gegen diese Entscheidung erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 13.1.2009, bei dem Beklagten am 15.1.2009 eingegangen, Widerspruch. Er berief sich darauf, die Mehrkosten aufgrund des Schulgeldes, die durch das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern entstünden, seien nicht unverhältnismäßig. Die Kosten für das Schulgeld dürften nicht für sich betrachtet werden, sondern es sei auch zu berücksichtigen, dass der kommunale Schulträger – also der Beklagte – den Bedarf an Beschulungsmöglichkeiten nur unter Einbeziehung der privaten Ersatzschulen überhaupt decken könne. Im Übrigen sei nicht dargelegt, dass tatsächlich eine öffentliche Schule vorhanden sei, die den Kläger aufnehmen könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.3.2009 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Er führte aus, nur dann, wenn im Einzelfall keine der Begabung angemessene Beschulung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht angeboten werden könne, könne im Wege der Eingliederungshilfe ein Anspruch auf eine Beschulung an einer Privatschule bestehen. Hier sei aber davon auszugehen, dass der Kläger auch an einer öffentlichen (Förder-)schule beschult werden könne. Darauf, ob der Besuch einer privaten Ersatzschule weniger Mittel der Allgemeinheit erfordere als der Besuch einer öffentlichen Förderschule, komme es nicht an. Es liege, ungeachtet des Wunsch- und Wahlrechts nach § 9 Abs. 2 SGB XII, nicht im Belieben des Klägers, zwischen Selbsthilfe und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu wählen.

Der Kläger hat am 8.4.2009 beim Sozialgericht Marburg Klage erhoben.

Der Kläger ist der Ansicht, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Die Entscheidung, eine bestimmte Schule zu besuchen, sei – wie bereits in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.10.2007 im Einzelnen ausgeführt - Ausfluss des grundrechtlich gesicherten Elternrechts, was von dem Beklagten zu respektieren sei. Auch sei es unzutreffend, dass durch den Besuch der F-Schule zusätzliche Kosten entstünden. Es sei nämlich zu berücksichtigen, dass der Schulträger das Angebot der F Schule bei der Bedarfsplanung berücksichtige und insofern entsprechend weniger Plätze an staatlichen Schulen vorhalten müsse, wodurch er mehr spare, als er durch das Schulgeld zusätzlich ausgeben müsse. Dies gelte auch bei Einbeziehung der an Ersatzschulen gezahlten staatlichen Zuschüsse. Zudem stehe für ihn und die anderen vorhandenen Schüler keine ausreichende Zahl an Plätzen an staatlichen Schulen, auf die man sie verweisen könne, zur Verfügung. Bei ihm sei weiter zu beachten, dass er sich in der Schlussphase seiner Schulausbildung befinde und ihm ein Schulwechsel daher nicht mehr zumutbar sei. Für die Höhe des zu gewährenden Schulgeldes komme es schließlich nicht auf die vereinbarten EUR 92,03, sondern auf das tatsächlich anfallende Schulgeld von EUR 303,92 an.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 7.1.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 31.3.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit ab 8.6.2007 Schuldgeld in einer monatlichen Höhe von EUR 303,92 für den Besuch der F Schule zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Gründe, weshalb dem Kläger eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung nicht durch den Besuch einer Regelschule – ggfs. unter Einbeziehung von Integrationshelfern – vermittelt werden könnte, seien nicht ersichtlich. Ein integrativer Mehrwert, auf den das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt habe, bestehe für den Kläger durch den Besuch der F-Schule nicht. Auch sei er durch das staatliche Schulamt nicht zum Besuch dieser Schule verpflichtet worden. Vielmehr sei es ihm möglich und zumutbar gewesen, eine öffentliche Schule, nämlich die G-Schule G-Stadt, zu besuchen. Es könne nicht zu Lasten des Sozialhilfeträgers gehen, wenn ein Wechsel nunmehr nicht mehr möglich sein sollte. Im Übrigen sei ein solcher Wechsel auch zumutbar. Auf § 9 Abs. 2 SGB XII könne der Kläger sich schon deswegen nicht berufen, weil diese Vorschrift voraussetze, dass überhaupt ein Anspruch auf Sozialhilfe bestehe, der hier jedoch fehle. Schließlich sei nicht erkennbar, woraus sich die Verpflichtung zur Zahlung eines Schulgeldes in Höhe von EUR 303,92 ergebe, da mit den Eltern ein viel geringerer Zahlbetrag vereinbart worden sei.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Behördenvorgänge (ein Hefter des Beklagten, ein Ordner des Schulamtes). Sämtliche dieser Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

Der Kläger hat nach § 54 Abs. 1, 4 SGG einen Anspruch darauf, dass das Gericht, unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, den Beklagten verurteilt, ihm für den Zeitraum ab dem 8.6.2007 Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe von EUR 100 pro Monat zur Deckung des Schulgeldes zu zahlen. Die Nichterbringung dieser Leistungen ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Anspruchsgrundlage für die Übernahme des Schulgeldes ist § 53 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII (Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung).

Der Kläger gehört zum Kreis der Personen, die eingliederungshilfeberechtigt sind, denn er hat eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX, die ihn wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, einschränkt. Die geistigen Fähigkeiten des Klägers wichen und weichen von dem für das Lebensalter typischen Zustand ab, denn er leidet an Epilepsie, eine mittelgradigen Intelligenzminderung sowie einer leichten Sprachstörung. Diese Defizite beeinträchtigen ihn in seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.

Die Übernahme des Schulgeldes stellt auch eine mögliche Leistung der Eingliederungshilfe dar. Wie sich schon aus § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII ergibt, gehören Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung zu den Eingliederungshilfeleistungen. Auch die Übernahme von Schulgeld kann eine solche Leistung sein, sofern die Übernahme des Schulgeldes Voraussetzung für den Besuch einer Schule ist, die dem Betroffenen die entsprechende "angemessene Schulbildung" vermittelt (vgl. insoweit auch Bayr. VGH, Beschluss vom 10.08.2006, Az. 12 BV 05.200, Rdnr. 14f – juris).

Der Besuch der F-Schule ist zur Eingliederung des Klägers in die Gesellschaft geeignet und auch erforderlich.

Dass die Schule geeignet ist, den Eingliederungshilfebedarf des Klägers zu decken, ergibt sich bereits aus dem Bescheid des Staatlichen Schulamtes vom 8.5.1998. Zwar hat das Schulamt den Kläger in diesem Bescheid der (staatlichen) G-Schule, G-Stadt, zugewiesen. Mit der gleichzeitig erteilten "Erlaubnis", anstelle der K-schule die F-Schule zu besuchen, hat die Behörde beide Schulen jedoch als gleichermaßen geeignet zur Deckung des sonderpädagogischen Förderbedarfs des Klägers – welcher in dem Bescheid ebenfalls festgestellt wurde - eingestuft. An diese schulrechtliche Einstufung ist der Sozialhilfeträger gebunden (vgl. hierzu auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.10.2007, Az. 5 C 35.06, Rdnr. 19f - juris). Soweit ersichtlich, stellt der Beklagte die grundsätzliche Eignung der F-Schule zur Beschulung des Klägers auch nicht in Frage.

Der Besuch der F-Schule ist darüber hinaus auch eingliederungshilferechtlich erforderlich. Die Erforderlichkeit entfällt nicht dadurch, dass dem Kläger die Möglichkeit offen stand, die schulgeldfreie (staatliche) K-schule zu besuchen. Ob eine für den Sozialhilfeträger kostenmäßig günstigere Eingliederungshilfemaßnahme, auf die der Leistungsempfänger zulässigerweise verwiesen werden darf, zur Verfügung steht, ist unter Heranziehung des § 9 Abs. 2 SGB XII zu prüfen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift "soll" der Träger Wünschen, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, entsprechen, soweit sie "angemessen" sind. Den Wünschen "soll" gemäß § 9 Abs. 2 S. 3 SGB XII "in der Regel" nicht entsprochen werden, wenn ihre Erfüllung mit "unverhältnismäßigen Mehrkosten" verbunden ist.

Der Auffassung des Beklagten, § 9 Abs. 2 SGB XII komme gar nicht zur Anwendung, weil der Besuch der F-Schule nicht Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts im Sinne von § 19 Abs. 1 S. 1 SGB XII und – wegen der Möglichkeit, eine schulgeldfreie Schule zu wählen – auch nicht erforderlich sei, vermochte sich die Kammer nicht anzuschließen. Auf § 19 Abs. 1 S. 1 SGB XII kann aus Sicht des Gerichts schon deswegen nicht verwiesen werden, weil im vorliegenden Fall nicht um Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII, sondern um Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem sechsten Kapitel des SGB XII gestritten wird. Gerade weil es bei den Leistungen der Eingliederungshilfe darum geht, einen behinderungsbedingten Nachteil auszugleichen – ein Gesichtspunkt, der bei den Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt grundsätzlich keine Rolle spielt – ergeben sich schon aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) unterschiedliche Leistungsmaßstäbe, die es verbieten, beide Leistungsarten gleich zu behandeln. Soweit der Beklagte weiter meint, ein Rückgriff auf § 9 Abs. 2 SGB XII verbiete sich auch deswegen, weil es wegen der entstehenden Mehrkosten bereits an der Erforderlichkeit der Leistung fehle, hält die Kammer dieses Argument ebenfalls für letztlich nicht überzeugend. Denn mit diesem Ansatz wäre § 9 Abs. 2 SGB XII überflüssig, da dann Mehrkosten immer schon dazu führen würden, dass die Leistungserbringung am Gebot der Erforderlichkeit scheitern würde, ohne dass es überhaupt noch zu einer Prüfung der Vorschrift kommen könnte. Dass der Gesetzgeber eine Norm schafft, für die es keinen Anwendungsbereich gibt, kann freilich nicht angenommen werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit dem in § 9 Abs. 2 SGB XII festgelegten Grundsatz, dass das Wunsch- und Wahlrecht des Hilfeempfängers grundsätzlich und ggfs. selbst dann, wenn es Mehrkosten verursacht, zu respektieren ist, entschieden, dass Mehrkosten die Erforderlichkeit nur unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 9 Abs. 2 SGB XII entfallen lassen, die Frage der Erforderlichkeit also nicht isoliert gesehen werden darf.

Der Wunsch des Klägers bzw. seiner Eltern, anstelle der K-schule die F-Schule zu besuchen, ist als angemessen im Sinne dieser Bestimmung anzusehen und führt auch nicht zu unverhältnismäßigen Mehrkosten.

Zumindest fraglich ist bereits, ob dadurch, dass der Kläger die F-Schule anstelle einer staatlichen Schule besucht, überhaupt Mehrkosten entstehen. Zwar fallen bei dem Beklagten als zuständigem Sozialhilfeträger bei Übernahme des Schulgeldes ohne Zweifel zusätzliche Kosten an, die, ginge der Kläger auf eine staatliche Schule, nicht entstünden. Anders sähe die Berechnung allerdings wohl aus, wenn man, im Wege einer Gesamtbetrachtung, nicht nur die Kosten des Sozialhilfeträgers, sondern die Kosten der öffentlichen Hand insgesamt in die Beurteilung mit einbezöge. Denn der Kläger hat, ohne dass der Beklagte dem mit fundierten Zahlen widersprochen hat, vorgetragen, die jeweiligen Schulträger ersparten sich, indem sie die von der F-Schule angebotenen Plätze zu einem erheblichen Umfang in der Bedarfsplanung berücksichtigten, die Vorhaltung zusätzlicher Plätze in staatlichen Schulen, weswegen letztlich gar keine Mehrkosten gegeben seien. Dies gelte auch, soweit man die Kosten für die Mittel, die direkt and ei F-Schule flössen (Gastschulbeiträge) sowie ggfs. anfallendes Schuldgeld für die dortigen Schüler berücksichtige.

Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass Mehrkosten anfallen – sei es, weil man eine nur auf den Sozialhilfeträger bezogene enge Betrachtungsweise befürwortet, sei es, dass wegen der an die privaten Schulen gezahlten öffentlichen Zuschüsse diese Schulen für den Staat letztlich genauso "teuer" bzw. "teurer" wären wie die staatlichen Schulen – berechtigen diese Mehrkosten den Beklagten nicht zur Ablehnung der begehrten Leistung. Denn solche Mehrkosten sind nicht unverhältnismäßig im Sinne des § 9 Abs. 2 S. 3 SGB XII.

Bei der Beurteilung, ob es sich bei dem Schulgeld um unverhältnismäßige Mehrkosten handelt, kommt es einerseits auf die Höhe der entstehenden Mehrkosten, andererseits aber auch auf die "Wertigkeit" des Wunsches des Hilfebedürftigen an. Beide Aspekte beeinflussen sich gegenseitig, d.h. je höher die Mehrkosten sind, die anfallen, um so "angemessener" – im Sinne von objektiv nachvollziehbarer - muss der Wunsch des Betroffenen sein. Im Rahmen der Bewertung des Wunsches des Klägers (bzw. seiner Eltern), die F-Schule zu besuchen, ist neben Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auch das nach Art. 6 GG geschützte Elternrecht zu berücksichtigen. Bei der Abwägung ebenfalls nicht außer Betracht bleiben darf, dass das Staatliche Schulamt den Eltern des Klägers ausdrücklich ein Wahlrecht zwischen dem Besuch der staatlichen Schule für Praktisch Bildbare B Stadt und der privaten F-Schule eröffnet und es insofern gerade den Eltern überlassen hat, die aus ihrer Sicht besser für ihr Kind geeignete Schule auszuwählen.

Der Wunsch der Eltern der Klägerin, dass ihr Sohn die F-Schule besucht, ist im Rahmen der nach § 9 Abs. 2 SGB XII vorzunehmenden Abwägung höher zu bewerten als die Mehrkosten, die durch diesen Schulbesuch für den Sozialhilfeträger entstehen.

Die von den Eltern angegebenen Gründe für die Wahl der Schule sind objektiv nachvollziehbar und als angemessener Wunsch im Sinne von § 9 Abs. 2 S. 1 SGB XII einzuordnen. Die Mutter des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erläutert, dass sie und ihr Ehemann ihren Sohn deshalb auf die F-Schule geschickt hätten, weil die Schule sehr familiär und mit kleinen Klassen gewesen sei. Ihr Sohn fühle sich an der Schule sehr wohl. Damit haben die Eltern des Klägers hinreichend dargelegt, warum sie sich für die private anstelle der staatlichen Schule entschieden haben.

Dem kann nach Auffassung der Kammer nicht entgegengehalten werden, mit dem Besuch der F-Schule als Förderschule sei – anderes als bei dem Besuch einer integrativ unterrichtenden allgemeinen Schule – kein integrativer Mehrwert verbunden. Abgesehen davon, dass der Begriff des "integrativen Mehrwertes" problematisch erscheint, weil er suggeriert, mit dem Besuch einer allgemeinen Schule (unterstützt durch einen Integrationshelfer) könne eine bessere Integration des behinderten Schülers erreicht werden als mit der Aufnahme in eine Förderschule, verbietet sich schon unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, vor allem des Art. 6 GG, eine rein objektive Betrachtungsweise. Ausreichend ist vielmehr, dass die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten des behinderten Schülers einen (integrativen) Mehrwert aufgrund des Besuchs der von ihnen ausgewählten Schule bejahen. Dies gilt zumindest dann, wenn sich die private und die staatliche Schule in ihrem Unterrichtskonzept auch objektiv erkennbar unterscheiden, was hier der Fall ist.

Ob dann, wenn durch die Ausübung des Wahlrechts ganz erhebliche Mehrkosten entstehen, ein strengerer Maßstab anzulegen ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben, denn die entstehenden Mehrkosten sind mit EUR 100 pro Monat nicht so hoch, dass weitergehende Anforderungen gerechtfertigt wären.

Da dem Kläger ein Anspruch auf Übernahme des Schulgeldes schon aus den eben dargelegten Gründen zusteht, braucht nicht entschieden zu werden, ob ihm ein Schulwechsel im Sommer 2007 überhaupt noch zumutbar war und, falls man dies verneint, ob sich aufgrund dieses Umstandes ein Anspruch auf die Zahlung des Schulgeldes ergibt.

Der Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht allerdings nur in dem Umfang, in dem die Eltern des Klägers sich ihrerseits zur Zahlung von Schulgeld verpflichtet und entsprechende Zahlungen auch erbracht haben, nämlich in Höhe von EUR 100 pro Monat. Für die Zahlung eines Betrages von EUR 303,92 pro Monat ist ein Bedarf nicht ersichtlich, denn weder sind der Kläger bzw. seine Eltern aufgrund des Schulvertrages oder aus anderen rechtlichen Gründen verpflichtet, Zahlungen in dieser Höhe an die Schule bzw. den Trägerverein zu erbringen noch leisten sie freiwillige Zahlungen in dieser Höhe. Die Stellung des Antrages auf Übernahme eines Schuldgeldes von EUR 303,92 monatlich richtet sich ausschließlich an den außerhalb des zivilrechtlichen Vertragsverhältnisse stehenden Beklagten und kann auch bei großzügiger Auslegung nicht als Änderung der vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Eltern und dem Trägerverein – im Sinne einer Erhöhung des zu erbringenden Schulgeldes – interpretiert werden. Bei der Bestimmung des Umfangs des Bedarfs des Klägers kommt es schließlich auf die Motive, weswegen zwischen den Eltern und der Schule ein geringerer Betrag als EUR 303,92 pro Monat als Schulgeld vereinbart wurde, nicht an. Dass die Schule wegen ihrer anthoposophischen Grundausrichtung bei der Höhe des Schulgeldes Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit ihrer Schüler und deren Eltern nimmt, ist daher kein Umstand, der bedarfserhöhend wirken kann.

Nicht ermittelt werden braucht, ob der Kläger bzw. seine Eltern bedürftig sind im Sinne des § 19 SGB XII, da Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung gemäß § 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2 SGB XII unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Hilfeempfängers und der mit ihm in Einstandsgemeinschaft lebenden Personen erbracht werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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