S 13 KR 2152/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 KR 2152/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nichteinhaltung des Beschaffungsweges bei bereits aufgenommener psychotherapeutischer Behandlung bei einer Nichtvertragstherapeutin vor Entscheidung der Krankenkasse über die Kostenübernahme
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse Kostenerstattung in Höhe von 3.885,50 EUR für eine ambulante Psychotherapie bei einer nicht zur vertragstherapeutischen Versorgung zugelassenen Behandlerin.

Die 1981 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 30.12.2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine vertragliche Psychotherapie mit 25 Therapiestunden.

Am 25.07.2017 nahm sie bei der Dipl.-Psych. S. an einer psychotherapeutischen Sprechstunde teil. Diese empfahl auf dem Vordruck "individuelle Patienteninformation zur ambulanten Psychotherapeutischen Sprechstunde" eine ambulante Psychotherapie als Verhaltenstherapie, gab aber gleichzeitig an, die Behandlung könne nicht in ihrer Praxis stattfinden. Die Notwendigkeit einer Akutbehandlung stellte sie nicht fest.

Am 22.08.2017 nahm die Klägerin bei der nicht zur vertragstherapeutischen Behandlung zugelassene Dipl.-Psych. B. einen ersten Beratungstermin auf. Nach einem weiteren Gespräch am 03.09.2017 folgten Therapietermine ab dem 09.11.2017.

Am 22.11.2017 beantragte die Klägerin durch die Dipl.-Psych. B. unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des Dr. K. zur Notwendigkeit einer Psychotherapie die Bewilligung einer verhaltenstherapeutisch orientierten Psychotherapie im Umfang von 24 Stunden im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V).

Mit Bescheid vom 27.11.2017 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Zwar sei in der psychotherapeutischen Sprechstunde eine Psychotherapie empfohlen worden, jedoch sei ein Akutfall nicht festgestellt worden. Psychotherapeutische Leistungen könnten grundsätzlich nur bei Therapeuten mit Kassenzulassung in Anspruch genommen werden.

Am 13.12.2017 legte die Klägerin im Rahmen ihres Widerspruches erneut den Vordruck "individuelle Patienteninformation zur ambulanten Psychotherapeutischen Sprechstunde", ausgefüllt von Dipl.-Psch. S. am 08.12.20217, vor. Auf diesem fand sich nunmehr die Empfehlung einer "ambulanten Psychotherapeutischen Akutbehandlung". Die Klägerin gab hierzu gegenüber der Beklagten an, es sei ihr gelungen, erneut einen Termin zur Psychotherapeutischen Sprechstunde bei Dipl.-Psych. Sch. zu bekommen. Diese empfehle nun dringend eine akute Behandlung. Sie bemühe sich bereits seit dem Frühjahr/Sommer 2017 erfolglos um einen Therapieplatz. Sie sei trotz des weiten Fahrtweges bereit, die Hilfe von Frau B. in Anspruch zu nehmen. Dies bestätige ihre schlechte Verfassung.

Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 09.01.2018 mit, aufgrund der Bescheinigung über die Notwendigkeit einer Akutbehandlung vom 08.12.2017 entstehe kein Anspruch auf Kostenerstattung. Vielmehr vermittle die Kassenärztliche Vereinigung den Akutbehandlungstermin bei einem Vertragspartner.

Am 22.01.2018 befand sich die Klägerin, vermittelt durch die Kassenärztliche Vereinigung, beim Psychotherapeuten Ku. erneut zur ambulanten Psychotherapeutischen Sprechstunde. Auf dem Vordruck "individuelle Patienteninformation zur ambulanten Psychotherapeutischen Sprechstunde" empfahl der Therapeut Kurschildgen eine ambulante Psychotherapie. Die Notwendigkeit einer Akutbehandlung stellte er nicht fest, gab aber an, eine Psychotherapie sei dringend notwendig. Aufgrund vielfältiger Beziehungsabbrüche in der Vergangenheit werde die Fortsetzung der bereits begonnenen Psychotherapie dringend empfohlen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2018 als unbegründet zurück. Es dürften nur zugelassene Therapeuten in Anspruch genommen werden. In der psychotherapeutischen Sprechstunde am 25.07.2017 bei Dipl.-Psych. S. habe diese eine akute Behandlungsbedürftigkeit nicht festgestellt. Am 08.12.2017 habe diese dann eine akute Behandlungsbedürftigkeit empfohlen. Die Vermittlung in die Akutbehandlung erfolge durch die Kassenärztliche Vereinigung, maximal binnen 4 Wochen. Der Akutbehandlungstermin habe sodann am 24.01.2017 beim Therapeuten Ku. stattgefunden. Zwar habe er die Dringlichkeit einer Therapie festgestellt, jedoch nicht die Notwendigkeit einer Akutbehandlung. Eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung durch Vertragstherapeuten sei sichergestellt. Einwände hinsichtlich der Wartezeiten könnten keine Berücksichtigung finden. Auch wenn ein Therapieplatz erst nach einigen Monaten zur Verfügung stehe, rechtfertige dies noch nicht die Annahme eines Systemversagens. Eine auf Dauer angelegte Psychotherapie stelle keinen Notfall dar.

Die Klägerin hat am 04.07.2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Sie trägt vor, sie habe anlässlich der Bewilligung vom 30.12.2016 versucht, einen Therapieplatz beim einem zugelassenen Behandler zu bekommen. Dies sei trotz aller Bemühungen erfolglos geblieben. Die begonnene Therapie beim Therapeuten H. habe sie abgebrochen, da dieser in den Sitzungen mehrmals eingenickt sei. Alle Ärzte hätten die Notwendigkeit einer Akutbehandlung bestätigt. Es liege ein Systemversagen vor. Auch nach der psychotherapeutischen Sprechstunde am 08.12.2017 habe sie keine Akutbehandlung vermittelt bekommen. Die Beklagte habe eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2018 zu verurteilen, ihr die Kosten für die ambulante Psychotherapie bei der Dipl.-Psych. B. für die Zeit ab 22.08.2017 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertieft ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, die Klägerin habe den Beschaffungsweg nicht eingehalten, weil sie die Therapie bei der Dipl.-Psych. B. bereits im August 2017 aufgenommen habe. Den Antrag auf Kostenerstattung habe sie jedoch erst am 22.11.2017 gestellt. Die Therapeutin S. habe zwar im Dezember 2017 die Notwendigkeit einer Akutbehandlung festgestellt, jedoch habe sie nicht den entsprechenden Code auf dem Vordruck angebracht. Deshalb sei es wohl bei der Kassenärztlichen Vereinigung zu Problemen gekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz, SGG) ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 27.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die ihr bis dato angefallenen Kosten für die psychotherapeutische Behandlung bei Dipl.-Psych. B ...

Mangels gewählter Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch, SGB V kommt als Rechtsgrundlage lediglich ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht.

a. Die Klägerin hat aber schon deshalb keinen Anspruch auf Kostenerstattung aus § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V), weil sie für die - als Einheit bzw. einheitliches Behandlungskonzept anzusehende psychotherapeutische Behandlung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95) - den so genannten Beschaffungsweg nicht eingehalten hat. § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V bestimmt: Hat die Krankenkasse "eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Ein Anspruch auf Kostenerstattung ist demnach nur gegeben, wenn u.a. ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, also die rechtswidrige Vorenthaltung der Leistung durch die Beklagte wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung war; insbesondere darf der Versicherte sich nicht von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung bei einem nicht zugelassenen Leistungserbringer festgelegt haben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 29; vgl. für den Fall der Psychotherapie auch Landessozialgericht NRW, Urteil vom 20. August 2009, L 16 KR 132/09, zitiert nach juris, dort Rdnr. 25 bis 27). So liegt es aber hier: Die Klägerin hat am 22.08.2017, spätestens aber am 09.11.2017, die sogleich als effektiv und helfend empfundene Behandlung bei der gewünschten Therapeutin aufgenommen, ohne die Beklagte insoweit vorab zu konsultieren; diese hat erst durch Bescheid vom 27.11.2017 verbindlich zur Frage der Kostenübernahme entschieden. Damit ist genau das eingetreten, was von Gesetzes wegen zu vermeiden ist, dass nämlich eine als unersetzbar empfundene Vertrauensbeziehung zu einem Nichtvertragsbehandler aufgebaut wird, bevor die Krankenkasse Gelegenheit hat, sich mit dem Wunsch nach Kostenübernahme zu befassen. Genau dies hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt. Die Klägerin selbst hat hierzu im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben, bereits am 22.08.2017 sei sie nach dem Erstgespräch mit Frau B. fest entschlossen gewesen, eine Therapie bei dieser zu beginnen.

b. Die Therapie war auch nicht unaufschiebbar, § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V. Zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistung, das heißt im August 2017 war die Notwendigkeit einer Akutbehandlung nicht festgestellt. Dipl.-Psych.S. hat in der psychotherapeutischen Sprechstunde am 25.07.10217 lediglich eine ambulante Psychotherapie empfohlen. Für die Kammer ist indes auch entscheidend, dass auch die Dipl.-Psych. B. nach Angaben der Klägerin die Therapie erst im November 2017 aufgenommen hat, nachdem bereits im August 2017 ein erstes Gespräch stattgefunden hat. Die dazwischenliegenden 2,5 Monate schließen nach Ansicht der Kammer die Annahme einer Unaufschiebbarkeit aus. Die Tatsache, dass die Dipl.-Psych. S. im Dezember 2017 die Notwendigkeit einer Akutbehandlung festgestellt hat, ändert hieran nichts. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Therapie bei Dipl.-Psych. B. nämlich bereits begonnen. Weiterhin geht die Kammer davon aus, dass der auf Eigeninitiative der Klägerin stattgefundene Termin bei Frau S. am 08.12.2017 ergebnisorientiert lediglich dazu diente, den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.11.2017 zu stützen. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass der Therapeut Ku. im Januar 2018 eine Akutbehandlung wiederum nicht für notwendig erachtet hat.

c. Auch ein Systemversagen ist vorliegend nicht gegeben. Die Beklagte hatte bereits im Dezember 2016 einen Bewilligungsbescheid über 25 Therapiestunden erlassen, woraufhin die Klägerin sodann auch nach ihren eigenen Angaben etwa 8 Stunden beim Therapeuten H. in Anspruch genommen hatte. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Therapeut und Patient gerade bei der psychotherapeutischen Behandlung besonders hohen Stellenwert genießt. Jedoch war es der Klägerin zumindest möglich, irgendeine Behandlung in Anspruch zu nehmen, was ein Systemversagen ausschließt.

d. Ein Anspruch auf Kostenerstattung der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Ein Notfall liegt vor, wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen so dringlich ist, dass es bereits an der Zeit für die Auswahl eines zugelassenen Therapeuten und dessen Behandlung - sei es durch dessen Aufsuchen oder Herbeirufen - fehlt. In diesem Fall dürfen auch andere, nicht zugelassene Therapeuten in Anspruch genommen werden (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Jedoch ist auch in einem solchen Fall ein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten ausgeschlossen, da der Leistungserbringer seine Vergütung nicht vom Versicherten, sondern nur von der Kassenärztlichen Vereinigung verlangen kann. Denn die Notfallbehandlung erfolgt als Naturalleistung zu Lasten der GKV. Das entspricht bei ärztlichen Leistungen einem allgemeinen Prinzip. So werden in Notfällen von Nichtvertragsärzten erbrachte Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt und aus der Gesamtvergütung vergütet. Auch die stationäre Notfallbehandlung eines Versicherten in einem nicht zugelassenen Krankenhaus ist eine Sachleistung der GKV. Der Vergütungsanspruch richtet sich nicht gegen den Versicherten, sondern allein gegen die Krankenkasse. Da das Gesetz nichts Abweichendes für Psychotherapeuten bestimmt, gelten § 76 Abs. 1 SGB V und die hieraus für sie abzuleitenden Folgerungen - bei ambulanten Leistungen im Notfall Honorierung aus der Gesamtvergütung - entsprechend (§ 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V; BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 9/05 R - m.w.N.).

Indessen war zu Beginn der Behandlung bei Frau B. im August 2017 bzw. im November 2017 die Notwendigkeit einer Akutbehandlung nicht festgestellt. Bereits dies spricht gegen die Annahme eines Notfalles. Hinzu kommt, dass die Klägerin trotz Erstgespräch am 22.08.2017 selbst angibt, die Therapie habe erst richtig am 09.11.2017 begonnen. Der dazwischenliegende große zeitliche Abstand widerspricht – wie oben bereits dargelegt - ebenfalls der Annahme eines Notfalls.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved