S 12 KA 534/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 534/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 62/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Gerichtskosten zu tragen und dem Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu ersetzen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Honorarberichtigung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise und eine sachlich-rechnerische Berichtigung in den Quartalen IV/10 und I/11 in Höhe von insgesamt 3.345,10 EUR.

Der Kläger ist als Zahnarzt zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.

Der Gemeinsame Ausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Hessen wählte im Mai und August 2010 die Praxis des Klägers bzgl. der Quartale IV/10 und I/11 zur Prüfung aus. Daraufhin leitete die Gemeinsame Prüfungsstelle der Zahnärzte und Krankenkassen in Hessen für die streitbefangenen Quartale ein Prüfverfahren ein, worüber sie den Kläger unter Datum vom 26.05.2011 und 26.08.2011 informierte.

Die Prüfungsstelle lud den Kläger unter Datum vom 28.01.2013 unter Beifügung einer Patientenliste mit Patientennamen und der Bitte, Aufzeichnungen für diese vorzulegen, zu einer Prüfsitzung am 30.04.2013 bzgl. der Quartale IV/10 und I/11, an der der Kläger nicht teilnahm.

Die Prüfungsstelle setzte mit Bescheid vom 30.08.2013 bzgl. der Quartale IV/10 und I/11 eine Honorarkorrektur in Höhe von insgesamt 2.414,64 EUR fest. Neben sachlich-rechnerischen Berichtigungen nahm sie Honorarberichtigungen wegen Unwirtschaftlichkeit in den Einzelleistungsbereichen Nr. 32 (WK), Ä935d (OPG), 8 (ViPr) und 106 (sK) aufgrund einer statistischen Vergleichsprüfung vor. Im Bereich der Nr. 32 BEMA (WK)setzte er diese Leistungen in Relation zu Nr. 35 (WR) und gestand eine Restüberschreitung von 1,4 Leistungen nach Nr. 32 (WK) auf eine Leistung nach Nr. 35 (WR) zu, in den übrigen Bereichen eine Überschreitung von 100 %. Ferner kürzte er eine PARBehandlung.

Hiergegen legten der Kläger am 30.09.2013 und die Verbände der Krankenkassen in Hessen am 01.10.2013 Widerspruch ein.

Der Beklagte lud unter Datum vom 29.01.2015 den Kläger zu einer Prüfsitzung am 28.04.2015 unter Übersendung einer Patientenliste.

An der Prüfsitzung nahm der Kläger nicht teil.

Der Beklagte wies mit Beschluss vom 28.04.2015, ausgefertigt am 15.09.2015, den Widerspruch des Klägers bzgl. der Quartale IV/10 und I/11 als unbegründet zurück. Dem Widerspruch der Verbände der Krankenkassen gab er statt. Er setzte die Honorarkürzung auf insgesamt 3.345,10 EUR fest, wovon auf eine sachlich-rechnerische Berichtigung 66,49 EUR und 149,13 EUR, auf den KCH-Bereich 2.625,92 EUR und die PAR-Behandlung (1 Behandlungsfall) 503,56 EUR entfielen. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beließ er es bei den bisherigen Kürzungen und nahm weitere Kürzungen im Bereich der Leistungen nach Nr. Ä1 (Ber) (264,68 EUR), Ä925B (Rö5) 17,13 EUR, 23 (Ekr) 280,39 EUR) und 25 (Cp)384,84 EUR) vor, wobei er auch hier eine Überschreitung von 100 % zugestand. Lediglich im Bereich der Leistungen nach Nr. Ä1 (Ber) nahm er einen Vergleich aus der Summe dieser Leistungen und der Leistungen nach Nr. 01 (U) vor und gestand eine Überschreitung von 10 % zu.

Hiergegen hat der Kläger am 19.10.2015 die Klage zum Az.: S 12 KA 534/15 erhoben.

Der Kläger stellte ferner am 19.10.2015 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Az.: S 12 KA 635/15 ER. Die Kammer lehnte mit Beschluss vom 11.11.2015 den Antrag ab, LSG Hessen, Beschluss vom 08.02.2016 - L 4 KA 47/15 ER - wies die Beschwerde zurück.

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, die Bescheide seien offensichtlich rechtswidrig. Es sei die Antragsfrist gemäß der Prüfvereinbarung nicht eingehalten worden. Die Prüfungsstelle habe den Prüfbescheid nicht innerhalb der Verwirkungsfrist erlassen. Seine Praxisbesonderheiten seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Er habe die Leistungen ausreichend begründet, womit sich der Beklagte nicht auseinandersetze. Er benötige die 100 Fall Statistik, die auch die Quartale vor und nach dem Prüfzeitraum erfasse, die ZE-, PAR , KFO- und KB-Statistiken und alle zur Prüfung relevanten Statistiken und Unterlagen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 28.04.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Klage in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten.

Die Beigeladenen zu 2), 3), 5) und 6) beantragen,
die Klage abzuweisen.

Die übrigen Beteiligten haben sich zum Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Mit Beschluss vom 22.10.2016 hat die Kammer die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte sowie der Verfahrensakte zum Az.: S 12 KA 635/16 ER Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragszahnärzte und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragszahnarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Sie konnte dies trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 1), 4) und 7) tun, weil diese ordnungsgemäß geladen worden sind.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 28.04.2015 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Kammer auf die Ausführungen des Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid des Beklagten (§ 136 Abs. 3 SGG).

Ergänzend hält sie an ihren Ausführungen im Beschluss vom 11.11.2011 fest, die insoweit vom LSG im Beschluss vom 08.02.2016 nicht beanstandet wurden. Der Kläger hat weder hierzu Stellung genommen noch sonst die Klage weiter begründet.

So ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte insb. im KCH-Bereich in verschiedenen Einzelleistungsbereichen einen statistischen Kostenvergleich durchgeführt hat. Er hat insb. die von der Rechtsprechung aufgestellten zuzubilligenden Restüberschreitungen eingehalten. Soweit er durch die Relation zwischen einzelnen Leistungen den Prüfungsmaßstab verfeinert hat, hat er bereits im angefochtenen Bescheid zutreffend auf die Rechtsprechung verwiesen.

Besondere Fristen für eine Prüfung stellt die Prüfvereinbarung (PV) nicht auf, was die Kammer bereits mit Urteil vom 27.11.2013 - S 12 KA 419/13 - juris (rechtskräftig) entschieden hat.

§ 5 PV unterscheidet zwischen Zufälligkeitsprüfung (Abs. 2) und Auffälligkeitsprüfung (Abs. 3). Die Zufälligkeitsprüfung erfolgt aufgrund der von der KZV zu ziehenden Stichprobe. Für die Einleitung der Auffälligkeitsprüfung ist die Auswahl im gemeinsamen Ausschuss erforderlich. Durch Übersendung der Aufstellung der in der Zufälligkeits- und Auffälligkeitsprüfung ermittelten Vertragsärzte an die Prüfungsstelle wird das Prüfverfahren eingeleitet (§ 5 Abs. 4 S. 1 PV). Fristen hierfür nennt die PV nicht, weder für die Auswahl durch den gemeinsamen Ausschuss noch für die Übersendung der Aufstellung. Verlangt wird lediglich, dass der betroffene Vertragszahnarzt, die Krankenkassen sowie die KZV Hessen über die Einleitung des Prüfverfahrens informiert werden (§ 5 Abs. 4 S. 2 PV). Darüber hinaus besteht ein Antragsrecht der KZV Hessen, einer Krankenkasse oder ihres Verbands bezogen auf einzelne Behandlungsfälle, zahnärztlich verordnete/veranlasste Leistungen, sonstige Schäden und als Folge einer Überprüfung nach § 106a SGB V (§ 5 Abs. 5 S. 1 PV) und auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit i. S. von § 106 Abs. 3 S. 3 1. Alternative SGB V und als Folge einer Überprüfung nach § 106a SGB V (§ 5 Abs. 6 S. 1 PV). § 5 Abs. 6 S. 1 PV nennt nicht ausdrücklich die Antragsbefugten, bezieht sich insofern aber offensichtlich auf die in Abs. 5 Genannten. Die PV unterscheidet damit zwischen dem "regulären", von Amts wegen, d. h. aufgrund der Stichprobe und der Auswahl des gemeinsamen Ausschusses durchzuführenden Prüfverfahren, und dem besonderen, auf Antrag der in Abs. 5 genannten Antragsbefugten. Nur für das Antragsverfahren nach § 5 Abs. 6 S. 1 PV wird eine Frist aufgestellt. Anträge nach § 5 Abs. 6 S. 1 PV können nur bis zum Ablauf des 4. Kalendermonats nach Übersendung sowohl der Quartalsrechnungen als auch der Statistiken schriftlich gestellt werden.

Bereits aus der PV folgt daher, dass Fristen für die Einleitung einer Auffälligkeitsprüfung durch den gemeinsamen Ausschuss nicht bestehen. Von daher kann die Frage dahinstehen, ob solche Fristen, die § 106 SGB V nicht vorsieht, zulässig wären und ob ein Vertragszahnarzt sich auf die Einhaltung einer solchen Frist berufen könnte (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 27.06.2001 - B 6 KA 66/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 53 = Breith 2002, 102 = NZS 2002, 330 = USK 2001-181, juris Rdnr. 20 ff.; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Loseblattausgabe, § 106, Rdnr. 438 ff.).

Der Bescheid der Prüfungsstelle ist auch innerhalb der Ausschlussfrist von vier Jahren ergangen.

Praxisbesonderheiten wurden im Verwaltungsverfahren nicht substantiiert vorgetragen.

Praxisbesonderheiten sind grundsätzlich im Verwaltungsverfahren vorzutragen. Das Bundessozialgericht hat zuletzt im Beschluss v. 27.06.2012 - B 6 KA 78/11 B - juris Rdnr. 11 darauf hingewiesen, es habe sich bereits mehrfach mit dem Gebot befasst, Wesentliches bereits im Verfahren vor den Prüfgremien vortragen zu müssen (unter Hinweis auf BSG v. 15.11.1995 - 6 RKa 58/94 - SozR 3-1300 § 16 Nr. 1 = USK 95137 S. 738, insoweit in SozR 3-1300 § 16 Nr. 1 nicht abgedruckt; v. 08.05.1985 - 6 RKa 24/83 - USK 85190 S. 1015 f.; v. 11.12.1985 - 6 RKa 30/84 - BSGE 59, 211, 215 = SozR 2200 § 368n Nr. 40 S. 133; v. 20.09.1988 - 6 RKa 22/87 - SozR 2200 § 368n Nr. 57 S. 198; ebenso auch das erst nach Vorlage der Beschwerdebegründung schriftlich abgesetzte Urt. des BSG v. 21.03.2012 B 6 KA 17/11 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 35, Rdnr. 40 ff.; vgl. auch BSG v. 27.06.2012 - B 6 KA 78/11 B - Rdnr. 8). Lediglich Einwände, die das Prüfverfahren selbst oder Aspekte betreffen, die auf der Basis der im Prüfverfahren vorliegenden Unterlagen so offenkundig sind, dass die Prüfgremien dem schon von Amts wegen nachgehen müssen, kann ein Vertragsarzt auch noch nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens geltend machen (vgl. BSG, Urt. v. 21.03.2012 - B 6 KA 17/11 - SozR 4-2500 § 106 Nr. 3 = USK 2012-32, juris Rdnr. 43). Dabei obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen dem Arzt. Die Prüfgremien sind allerdings zu Ermittlungen von Amts wegen hinsichtlich solcher Umstände verpflichtet, die typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich und daher augenfällig sind. Bei den erforderlichen Bewertungen haben die Prüfgremien einen Beurteilungsspielraum, sodass deren Einschätzungen von den Gerichten nur in begrenztem Umfang überprüft und ggf. beanstandet werden können (vgl. BSG v. 21.03.2012 - B 6 KA 17/11 R – a.a.O., juris Rdnr. 17 m.w.N.). Der Kläger hat sich im gesamten Verwaltungsverfahren nicht zu Praxisbesonderheiten oder überhaupt zum Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit geäußert. Im Verfahren bzgl. der Vorquartale hat er lediglich vorgetragen, die Fallzahlstatistik sei nicht aussagefähig, da er nur ungefähr 100 Patienten im Quartal behandle, der Durchschnitt aber bei 400 bis 500 Patienten liege. Auch habe er in den letzten Jahren sehr viele Notdienste übernommen. Damit fehlt es aber an der nachvollziehbaren Darlegung einer Praxisbesonderheit. Notdienste, deren Mehr der Kläger lediglich behauptet hat, führen im Übrigen nicht zu vermehrten Abrechnungen.

Die sachlich-rechnerische Berichtigung und die Prüfung des PAR-Falls werden nicht angegriffen. Fehler sind nicht zu erkennen.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung in § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil hat die Verfahrenskosten zu tragen.
Rechtskraft
Aus
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