L 2 U 40/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 36 U 11/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 U 40/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger/-innen zu 1 bis 5 tragen die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner/-innen.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger/-innen sind die Witwe und Kinder des während des Klageverfahrens verstorbenen S. (im Folgenden: AS) und begehren als dessen Gesamtrechtsnachfolger/-innen die Feststellung, dass dieser an einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4105 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Pericards) litt.

Der 1960 geborene AS wuchs in Yildizeli in der türkischen Provinz Sivas auf und übersiedelte 1981 von dort nach Deutschland. Hier war er von Mai 1983 bis Februar 1989 bei der Garten- und Landschaftsbau GmbH (im Folgenden: CQ) beschäftigt (Gartenbau, Pflasterarbeiten, Bäume fällen, Rasenmähen etc.), verrichtete von März 1989 bis Juli 2004 bei der eine Werft betreibenden GmbH und Co. KG (im Folgenden: Si.), einem Mitgliedsunternehmen der Beigeladenen, Maler- und Sandstrahlarbeiten im Schiffsbau. Nach vorübergehender, knapp zweijähriger Arbeitslosigkeit war AS dann ab Mai 2006 bei der zum Konzern X GmbH (früher: X), einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten, als Facharbeiter für Oberflächentechnik im Bereich Strahlarbeiten, Korrosionsschutz, Abkleben, Schleifen, Sicherungspost, Laminierarbeiten beschäftigt.

Im Juni 2015 erstattete Dr. F. vom Asklepios Klinikum eine ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine BK 4105, nachdem dort der hochgradige Verdacht auf das Vorliegen eines malignen epitheloiden Mesothelioms diagnostiziert worden war. AS sei als Maler und Lackierer einer Asbestexposition ausgesetzt gewesen, unter anderem habe er Sandstrahlarbeiten an asbestisolierten Rohren durchgeführt. Die Verdachtsdiagnose bestätigte sich im Rahmen einer stationären Behandlung mit Operation noch im selben Monat.

Die Beklagte nahm daraufhin Ermittlungen bei den – auch früheren – Arbeitgeberinnen des AS auf und befragte diese zunächst schriftlich. Die CQ gab an, dass AS dort nicht mit Asbest in Berührung gekommen sein könne, weil das Unternehmen keinerlei Arbeiten mit Asbest durchführe. Die Si. erklärte, dass AS dort keinen asbesthaltigen Stäuben ausgesetzt gewesen sei. Die X schließlich verneinte ebenfalls die Möglichkeit eines Asbestkontakts des AS während der dortigen Beschäftigung.

Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 24. September 2015 fest, dass bei AS keine BK 4105 und auch keine Ansprüche auf Leistungen bestünden. Eine Asbestbelastung lasse sich nicht im Vollbeweis sichern. In einem internen Vermerk hatte sie festgehalten, dass es in der Region, in der AS aufgewachsen war, natürliche Asbestvorkommen im Erdboden gebe und bei der dort lebenden Bevölkerung hohe Inzidenzen an Lungen- und Pleuraveränderungen beobachtet worden seien. Darüber hinaus seien kürzere Latenzzeiten als 20 bis 40 Jahre, im Mittel 36,1 Jahre, bei der BK 4105 nach der unfallmedizinischen Standardliteratur (Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit) kritisch zu bewerten. Auch dieses Kriterium spreche eher für einen Asbestkontakt in der Türkei als am Arbeitsplatz.

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch vom 1. Oktober 2015 verwies AS auf seine Angaben gegenüber dem Oberarzt des Asklepios Klinikums Dr. Sw. zu "neuen beruflichen Aspekten zur Asbestbelastung", die ihm vorher nicht erinnerlich gewesen seien. Danach sei er bei der Si. in den Innenräumen der Schiffe tätig gewesen, insbesondere auch in der Maschine und im Dock. Während der Zeit seien auch asbestverarbeitende Gewerke wie z.B. Isolierfirmen im Maschinenraum und im Schiffsinneren tätig gewesen. Es habe insofern eine Bystander-Exposition bestanden. Zum anderen hätten vor Beginn der Malerarbeiten sämtliche Flächen gereinigt werden müssen, sodass Fegearbeiten der Asbeststäube auf dem Fußboden zu einer weiteren Staubaufwirbelung und Inhalation geführt hätten. Außerdem habe er bei der X asbesthaltige Isoliermaterialien erneuern müssen.

Die Abteilung "Prävention" der Beklagten befragte telefonisch die Sicherheitsfachkräfte der Si. und der X, die beide angaben, AS sei dort jeweils keiner Exposition durch Asbestfeinstaub ausgesetzt gewesen. Herr Sch., die Sicherheitsfachkraft der Si., welcher ebenfalls seit 1989 im Betrieb beschäftigt war, erklärte, dass dort ab 1989 keine asbesthaltigen Isoliermaterialien mehr verarbeitet worden seien. Aus technischer Sicht sei dies auch realistisch, da seit dem 1. Oktober 1986 ein Herstellungs- und Verwendungsverbot bestanden habe. Zudem habe die Werft keine Reparatur- und Sanierungsarbeiten an älteren Schiffen ausgeführt. Herr J., die Sicherheitsfachkraft der X gab an, es komme auch mal vor, dass dort Asbestarbeiten in kleinerem Umfang ausgeführt würden. Auf diesen Baustellen sei AS jedoch nie eingesetzt worden. Schließlich kam der Präventionsdienst der Beigeladenen nach Aktenlage unter Verwertung von "Erfahrungen aus vergleichbaren BK-Fällen" zu der Einschätzung, dass bei der Tätigkeit des AS für die Si. keine Exposition durch Asbestfeinstaub bestanden habe.

Mit der Begründung, dass als Grundvoraussetzung für die Anerkennung einer BK 4105 die Asbestbelastung mit Gewissheit nachgewiesen sein müsse (Vollbeweis) und die bloße Möglichkeit einer solchen Belastung nicht genüge, wies die Beklagte den Widerspruch des AS mit Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 2016 unter Bezugnahme auf ihre Ermittlungsergebnisse sowie unter Hinweis darauf, dass AS in einem persönlichen Gespräch am 10. Juli 2015 angegeben habe, keiner Asbestbelastung ausgesetzt gewesen zu sein, zurück.

Hiergegen hat AS am 14. Januar 2016 Klage beim Sozialgericht Hamburg auf Feststellung einer BK 4105 erhoben und unter Benennung mehrerer Zeugen sowie Vorlage seiner Arbeitszeugnisse vorgetragen, dass er während seiner Tätigkeiten auf der Si.-Werft und in den Räumen der X in Stade gegenüber Asbest exponiert gewesen sei und auch in dem von der Beklagten in Bezug genommenen Gespräch am 10. Juli 2015 von einer ständigen Asbestbelastung gesprochen habe.

Am 21. September 2016 ist AS infolge eines tumortoxischen Herzkreislaufversagens bei Pleuramesotheliom verstorben.

Der Prozessbevollmächtigte des AS hat erklärt, das Verfahren mit dem Ziel der Feststellung des Vorliegens einer BK 4105 beim Verstorbenen AS nunmehr für die Witwe des AS, die Klägerin zu 1, als Sonderrechtsnachfolgerin im Sinne des § 56 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch (SGB I) fortzusetzen.

Das Sozialgericht hat Befundberichte behandelnder Ärzte des verstorbenen AS beigezogen sowie eine unter dem 17. Juli 2017 im Auftrag der Staatsanwaltschaft Hamburg von Dr. H. und Prof. Dr. P. erstellte Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin des U. nebst Sektionsprotokoll des Dr. H. vom 19. Oktober 2016, wobei die Rechtsmediziner ohne Durchführung einer Veraschung des Lungengewebes unter Auswertung der Akte aufgrund der darin fehlenden Hinweise auf einen Asbestkontakt des AS im Laufe seines beruflichen Lebens zu dem Schluss gekommen sind, es lägen keine Hinweise auf eine berufsbedingte Asbestose vor.

Das Sozialgericht hat über die Klage am 23. August 2018 mündlich verhandelt und diese mit Urteil vom selben Tag als unbegründet abgewiesen. Eine BK 4105 könne nicht festgestellt werden. Zu keinem Zeitpunkt hätten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Versicherte tatsächlich asbestexponiert gewesen sei. Die durch die Abteilung Prävention durchgeführten Ermittlungen seien plausibel. Auch seien typische Zeichen hyaliner oder verkalkter Pleuraplaques oder ein erhöhter Anteil an nadelförmigen Partikeln im Lungenstaub nicht nachgewiesen worden.

Gegen dieses, ihm am 4. September 2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. September 2018 vom Prozessbevollmächtigten der Kläger/-innen zu 1 bis 5 zunächst nur im Namen der Klägerin zu 1 und später – nach Hinweis des Gerichts, dass vorliegend keine Sonderrechtsnachfolge eingetreten sei, und dessen Mitteilung, dass neben der Klägerin zu 1 die Kläger/-innen zu 2 bis 5 als deren und des AS Kinder Gesamtrechtsnachfolger/-innen geworden seien und das Verfahren weiter betreiben wollten – im Namen aller jetzigen Kläger/-innen eingelegte Berufung, mit der er weiter eine berufliche Asbestexposition des verstorbenen AS während seiner Tätigkeiten bei der Si. und der X behauptet und unter Aufrechterhaltung seiner Beweisangebote eine nicht hinreichende Aufklärung durch die Beklagte und das Sozialgericht rügt. Die Rechtsnachfolger/-innen hätten ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung einer BK 4105, weil in dem angefochtenen Urteil in wenig nachvollziehbarer Weise dargelegt werde, dass AS nicht an einer Berufskrankheit verstorben sei. Dadurch sei für sie nicht erkennbar, welche Ursache der Tod des AS, an dem alle sehr gehangen hätten, gehabt habe. Die vom Berichterstatter unter Hinweis auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. März 2017 – B 2 U 15/15 R, NJW 2017, 2858, und des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 19. April 2018 – L 10 U 317/15, Beck RS 2018,14759, infrage gestellte Klagebefugnis bestehe im Hinblick auf die Anwendung der Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X).

Die Kläger/-innen beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. August 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2016 aufzuheben und festzustellen, dass der verstorbene S. an einer Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung litt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für richtig und nimmt hierauf sowie auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug.

Die Beigeladene (Beschluss vom 11. Februar 2019) beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der erforderliche Vollbeweis für die für die Feststellung der BK 4105 erforderliche Asbestexposition sei nicht erbracht worden. Darüber hinaus seien in der Türkei regional bedingt immer auch natürliche Asbestvorkommen zu bedenken.

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 28. August 2019 einen Erörterungstermin durchgeführt und u.a. folgenden Hinweis erteilt:

Der Berichterstatter weist darauf hin, dass nach vorläufiger Auffassung der Berufsrichter des Senats die Berufung schon deshalb unbegründet sein dürfte, weil die Klage der Rechtsnachfolger des verstorbenen Herrn Seker unzulässig geworden sein dürfte. Es fehlt an einem Feststellungsinteresse, weil etwaige Geldansprüche nach § 59 Satz 2 SGB I erloschen sein dürften. Anders als das BSG in seinem Urteil vom 30. März 2017 – B 2 U 15/15 R – angenommen hat, dürfte die bloße Möglichkeit, einen Antrag nach § 44 SGB X zu stellen nicht ausreichen. Ein denkbarer Anspruch auf Hinterbliebenenleistung dürfte ebenfalls nicht ausreichen (Urteil des BSG vom 12. Januar 2010 – B 2 U 21/08 R).

Der Senat hat über die Berufung am 4. Dezember 2019 mündlich verhandelt. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Sitzungsniederschriften sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 und § 56 SGG) im Ergebnis zu Recht abgewiesen, allerdings zu Unrecht unter Annahme einer Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I durch die Klägerin zu 1 – eine solche ist nicht eingetreten, weil Gegenstand des Verfahrens nicht fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen (gewesen) sind (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 27. Oktober 2016 – B 2 U 45/16 B, SGb 2017, 602) – als unbegründet. Die Klage ist mit dem Versterben des AS unzulässig geworden. Es fehlt den in den Rechtsstreit als Gesamtrechtsnachfolgern/-innen (§ 58 Satz 1 SGB I in Verbindung mit §§ 1922 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs) eingetretenen Klägern/-innen zu 1 bis 5 an der erforderlichen Klagebefugnis, weil eine Verletzung subjektiver Rechte für sie nicht in Betracht kommt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2018 – L 10 U 317/15, juris), und deshalb auch am erforderlichen Feststellungsinteresse.

Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung durch AS persönlich hat ein solches Feststellungsinteresse nebst Klagebefugnis in Bezug auf das Vorliegen einer BK 4105 bestanden, weil er aus einer für ihn positiven Entscheidung trotz der wegen der auf die Feststellung beschränkten Klage eingetretenen Bestandskraft (§ 77 SGG) der pauschalen Leistungsablehnung durch die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden – jedenfalls auf dem Weg über das Zugunstenverfahren nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X – Ansprüche auf Geldleistungen und darüber hinaus aber auch auf Dienst- und Sachleistungen hätte geltend machen können.

Dies gilt allerdings nicht für die Kläger/-innen zu 1 bis 5, die nach dem Versterben des AS als dessen Erben/-innen in den wegen der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten nicht unterbrochenen (§ 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 246 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung) Rechtsstreit zulässigerweise eingetreten sind, weil eine vorrangige Sonderrechtsnachfolge der Klägerin zu 1 nicht bestanden hat. Sie können aus einer für sie positiven feststellenden Entscheidung keine Rechte herleiten.

Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen erlöschen nach § 59 Satz 1 SGB I mit dem Tode des Berechtigten.

Aber auch Ansprüche auf Geldleistungen kommen vorliegend nicht in Betracht. Nach § 59 Satz 2 SGB I erlöschen Ansprüche auf Geldleistungen nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Zum Zeitpunkt des Todes des AS sind keinerlei Ansprüche auf Geldleistungen wie zum Beispiel Verletztengeld oder Verletztenrente festgestellt gewesen. Auch ist ein Verwaltungsverfahren (§ 8 SGB X) über sie nicht anhängig gewesen.

Die pauschale Ablehnung von Leistungen im zweiten Verfügungssatz des Bescheids der Beklagten vom 24. September 2015 ist bestandskräftig geworden, weil im Klageverfahren lediglich die Feststellung des Bestehens einer BK 4105 unter Aufhebung des ersten Verfügungssatzes des Bescheids vom 24. September 2015 beantragt worden ist (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 30. März 2017 – B 2 U 15/15 R, NJW 2017, 2858). Insoweit ist das anhängig gewesene Verwaltungsverfahren also bereits vor dem Tod des AS beendet gewesen.

Die Möglichkeit des Wiederaufgreifens der bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung im Erfolgsfall mit Überprüfung im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X steht einem Erlöschen etwaiger Ansprüche auf Geldleistungen nach § 59 Satz 2 SGB I nicht entgegen.

Zwar haben verschiedene Senate des BSG die Auffassung vertreten, dass bei der Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts nach § 44 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 2 SGB X auf Antrag eines Sonderrechtsnachfolgers mit Wirkung für die Vergangenheit das Verwaltungsverfahren als rückwirkend anhängig im Sinne von § 59 Satz 2 SGB I gelten solle (s. nur BSG, Urteil vom 11. August 1983 – 1 RA 53/82, BSGE 55, 220, sowie Nachweise bei Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Werksstand: 103. EL Juni 2019, § 59 SGB I Rn. 11, und bei Groth in jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 59 Rn. 25). Dem wurde jedoch in der Literatur zumindest in Teilen auch stets mit gewichtigen Argumenten entgegengetreten (vgl. nur Dörr, Bescheidkorrektur post mortem in Leistungsfällen der gesetzlichen Rentenversicherung, SGb 2012,9, sowie Tannen, Höchstrichterliche Rechtsprechung in der gesetzlichen Rentenversicherung, Besprechung der BSG-Urteile des Ersten Senats vom 16. Februar 1984 – 1 RJ 54/83 und 1 RA 37/83, DRV 1984, 468), denen sich der erkennende Senat anschließt. § 59 Satz 2 SGB I ermächtigt Rechtsnachfolger nur zur Fortsetzung eines in diesem Zeitpunkt anhängigen (Leistungs-) Verfahrens und zur Entgegennahme festgestellter Leistungen; zur Initiierung eines Korrekturverfahrens berechtigt das Gesetz weder Sonderrechtsnachfolger noch Erben nach bürgerlichem Recht. Ein einmal erloschener Anspruch kann nicht wegen eines nach diesem Zeitpunkt gestellten Überprüfungsantrags wieder entstehen. Darüber hinaus würden in diesem Fall Rechtsnachfolger eines Verstorbenen, dessen Leistungsanspruch bestandskräftig abgelehnt worden war, besser gestellt als Rechtsnachfolger eines Verstorbenen, über dessen Leistungsanspruch noch gar keine Entscheidung getroffen worden war. Ein sachlicher Grund hierfür ist nicht erkennbar.

Erst recht vermag – wie im vorliegenden Fall – die bloße Möglichkeit, ein Überprüfungsverfahren zu beantragen bzw. dass ein solches durchgeführt wird, kein Feststellungsinteresse der Rechtsnachfolger zu begründen (a.A. BSG, Urteil vom 30. März 2017 – B 2 U 15/15 R, a.a.O.). Denn dann ist schon kein Raum für die rückwirkende Fiktion der Anhängigkeit des Verwaltungsverfahrens mit der Folge der Verhinderung des Erlöschens der Ansprüche nach der oben genannten BSG-Rechtsprechung. Dagegen spricht aber auch der Umstand, dass nach § 44 Abs. 4 SGB X Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme bzw. vor der Stellung des Überprüfungsantrags erbracht werden. Denn selbst unter Zugrundelegung der oben genannten BSG-Rechtsprechung könnte nach Ablauf dieser Frist kein Leistungsanspruch mehr begründet werden. Ob die Frist eingehalten werden kann, ist wiederum ein ungewisser Umstand.

Auch eine mögliche Absicht der Kläger/-innen zu 1 bis 5, aus dem möglichen Versicherungsfall BK (§§ 7 Abs. 1, 8 des Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch (SGB VII)) künftig Hinterbliebenenleistungen (§§ 63 ff SGB VII) geltend zu machen, kann kein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung einer BK 4105 begründen.

Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Anspruch auf Hinterbliebenenrente ein eigener Rechtsanspruch ist, der sich zwar vom Recht des Versicherten ableitet, aber hinsichtlich aller Voraussetzungen gesondert zu prüfen ist; diese Trennung hat zur Folge, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach § 63 SGB VII ohne Bindung an bestandsrechtskräftige Entscheidungen gegenüber dem Verstorbenen neu zu prüfen sind (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 21/08 R, SozR 4-2700 § 63 Nr. 6 m.w. N.). Wenn jedoch die im hiesigen Verfahren begehrte Feststellung keinerlei Bindungswirkung in den möglichen Verfahren auf Hinterbliebenenleistungen entfalten kann, ist ein rechtlicher Vorteil auch im Erfolgsfall ausgeschlossen, sodass ein Feststellungsinteresse zu verneinen ist (ebenso: BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 21/08 R, a.a.O.; offen gelassen in BSG, Urteil vom 30. März 2017 – B 2 U 15/15 R, a.a.O.).

Die von der Klägerseite angeführte Begründung eines Feststellungsinteresses, wonach für sie nicht erkennbar sei, welche Ursache der Tod des AS gehabt habe, betrifft kein rechtlich schützenswertes Interesse. Weitergehende Erkenntnisse können nur im Rahmen der vom Gericht schon wegen der besonderen Kostensensibilität der Klägerseite dringend nahegelegten, bisher jedoch noch nicht durch diese eingeleiteten Verfahren auf Hinterbliebenenleistungen gewonnen werden. In diesen Verfahren müssten die Kläger/-innen zu 1 bis 5 weder behördliche/gerichtliche Aufwendungen insbesondere für Beweiserhebungen durch Zeugeneinvernahme und Einholung von Sachverständigengutachten noch im Unterliegensfall Kosten der Gegenseite tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 2, 197a Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 27. Oktober 2016 – B 2 U 45/16 B, a.a.O.) in Verbindung mit §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 und 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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