L 3 R 80/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 4 R 964/17
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 80/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Verrechnung.

Die Beklagte bewilligte dem 1951 geborenen Kläger ab 1. Januar 2017 eine Regelaltersrente in Höhe von 476,20 EUR (Bescheid vom 20. Dezember 2016).

Mit Schreiben vom 20. Januar 2017 ermächtigte die Bundesagentur für Arbeit die Beklagte zur Verrechnung eines Erstattungsanspruchs wegen zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen mit der gewährten Rente. Ausweislich der Forderungsaufstellung handelte es sich dabei um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sowie Mahngebühren in einer Gesamthöhe von 6.395,43 EUR. Die zugrunde liegenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 12. September 2008 waren beigefügt.

Die Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 30. Januar 2017 zu einer beabsichtigten "Auf-/Verrechnung" mit der laufenden Rente in Höhe der Hälfte des monatlichen Rentenbetrags an. Sie wies darauf hin, dass die Verrechnung ausgeschlossen sei, wenn der Leistungsberechtigte dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB II oder des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) würde. Gegebenenfalls werde um Vorlage einer Bescheinigung der Agentur für Arbeit oder des Sozialhilfeträgers bzw. eines Leistungsbescheides gebeten.

Der Kläger verwies daraufhin auf seinen Rentenbescheid und übersandte einen Beitragsbescheid seiner Kranken- und Pflegekasse. Er wies darauf hin, dass seine Rente nur 476,20 EUR betrage und ihm abzüglich des Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrags von 180 EUR lediglich 296,20 EUR verbleibe. Durch die angekündigte Verrechnung würde er daher unter dem Sozialhilfeniveau liegen; die Verrechnung sei zudem unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft und führe zu einer unbilligen Härte.

Mit Bescheid vom 4. April 2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ab Juni 2017 die Auf- bzw. Verrechnung der Forderung der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 6.395,43 EUR mit monatlich der Hälfte des Rentenzahlbetrages – derzeit 238,10 EUR – vorgenommen werde. Die Forderung sei bestandskräftig festgestellt und fällig geworden. Der Eintritt von Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder SGB XII sei von dem Kläger nicht nachgewiesen worden, denn er habe die angeforderte Bedarfsbescheinigung nicht vorgelegt. Auch im Rahmen des ausgeübten Ermessens sei die Auf- bzw. Verrechnung gerechtfertigt. Besondere Umstände, die die Einbehaltung als unbilligen Eingriff in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers erscheinen ließen, seien nicht erkennbar.

Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch führte der Kläger aus, dass er durch die Verrechnung nicht mehr in der Lage sei, seinen Mindestbedarf zu decken.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2017 zurück. Der Kläger habe den Eintritt von Hilfebedürftigkeit durch die Verrechnung nicht nachgewiesen, da er keine Bedarfsbescheinigung vorgelegt habe. Er sei verheiratet, habe aber zum Einkommen seiner Ehefrau nichts mitgeteilt. Für die Frage der Hilfebedürftigkeit sei aber auf den Gesamtbedarf der mit dem Leistungsberechtigten im Haushalt lebenden Personen abzustellen. Im Hinblick auf die Höhe und die Bestandsdauer der Forderung sei die Verrechnung angemessen. Die Beklagte habe ihr Ermessen daher nicht missbraucht.

Mit seiner am Montag, den 28. August 2017 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass er über keine weiteren Einkünfte als die Rente verfüge und damit unter dem Existenzminimum liege. Er werde daher durch die Verrechnung schlechter gestellt als ein SGB II-Bezieher.

Auf die Aufforderung des Sozialgerichts, eine Bedarfsbescheinigung des Sozialhilfeträgers vorzulegen, hat der Kläger mitgeteilt, diese nicht vorlegen zu können, da er sie nicht beantragt habe. Er könne auch nicht erkennen, warum er diese vorlegen müsse, da er nur seine Renteneinkünfte habe. Nach einem Hinweis des Sozialgerichts, dass die Bescheinigung erforderlich sei, weil der Berechnung alle Vermögenswerte etc. zugrunde gelegt würden, übersandte der Kläger ein Protokoll vom 6. August 2015 über einen Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft sowie die Mitteilung eines Gerichtsvollziehers vom 12. September 2015 über die Anordnung der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis. Der Kläger hat hierzu ausgeführt, dass sich aus diesen Unterlagen seine Vermögenslosigkeit ergebe.

Nach erfolgter Anhörung hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 27. Juni 2018 abgewiesen. Die Voraussetzungen der Aufrechnung bzw. Verrechnung seien erfüllt. Der Kläger habe trotz mehrfacher Aufforderung die erforderlichen Nachweise für seine Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen. Die Pfändungsfreigrenzen seien nach den maßgeblichen Vorschriften nicht zu beachten. Auch Ermessensfehler der Beklagten lägen nicht vor.

Der Kläger hat gegen den ihm am 9. Juli 2018 zugestellten Gerichtsbescheid am 3. August 2018 Berufung eingelegt. Er macht weiterhin geltend, dass er durch die Verrechnung hilfebedürftig würde und vertritt die Ansicht, dass er dies durch die übermittelten Unterlagen ausreichend nachgewiesen habe. Zudem seien die Pfändungsfreigrenzen einzuhalten. Die angefochtenen Bescheide seien unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Juni 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 22. Oktober 2018 der Berichterstatterin übertragen, die zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Die Beteiligten haben zudem ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 22. Oktober 2018 entscheidet über die Berufung die Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten hiermit einverstanden sind (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist nicht begründet, da das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Zutreffend hat die Beklagte die Verrechnung in Form eines Verwaltungsaktes erklärt (BSG, Großer Senat, Urteil vom 31.08.2011 – GS 2/10 – Juris). Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Verrechnung liegen vor.

Der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger kann gemäß § 52 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Gemäß § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach dem SGB kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zeiten Buch wird (§ 51 Abs. 2 SGB I). Die Verrechnung stellt sich somit als Aufrechnung unter Verzicht auf die Gegenseitigkeit der Forderungen dar.

Da § 51 SGB I keine eigenständige Definition des Begriffs der Aufrechnung enthält, finden die §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung (BSG, Urteil vom 18.02.1992 – 13/5 RJ 61/90 – Juris). Deren Voraussetzungen – abgesehen vom hier nicht erforderlichen Gegenseitigkeitserfordernis – sind erfüllt. Die Forderungen sind gleichartig, denn es handelt sich jeweils um Geldforderungen. Die Gegenforderung ist entstanden und fällig, denn die Bundesagentur für Arbeit hat ihre Forderungen in der Gesamthöhe von 6.395,43 EUR mit den Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 12. September 2008 bestandskräftig festgestellt. Die Beklagte ist von der Bundesagentur mit Schreiben vom 20. Januar 2017 auch wirksam zur Verrechnung ermächtigt worden.

Die von der Beklagten erklärte Verrechnung ist auch hinsichtlich ihrer Höhe nicht zu beanstanden. § 52 Abs. 2 SGB I bestimmt ausdrücklich, dass eine Aufrechnung mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte zulässig ist, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII wird. Den Leistungsberechtigten trifft insoweit eine Nachweis-Obliegenheit im Sinne einer verstärkten Mitwirkungspflicht (LSG, Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.05.2019, a.a.O.). Einen derartigen Nachweis hat der Kläger nicht erbracht. Trotz Aufforderung durch die Beklagte und durch das Sozialgericht hat er die erforderliche Bedarfsbescheinigung der zuständigen Träger nicht vorgelegt und auch keine anderen geeigneten Belege eingereicht. Soweit er auf die geringe Höhe seiner Renteneinkünfte hinweist, genügt dies nicht, da es für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II oder SGB XII auch auf etwaige weitere Einkünfte sowie Vermögen des Klägers, seiner Ehefrau und gegebenenfalls weiterer seiner Bedarfsgemeinschaft angehörigen Personen ankommt. Hierzu hat er jedoch weder Angaben gemacht noch Nachweise vorgelegt. Aus demselben Grund führt auch das von ihm übersandte Protokoll über einen Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft sowie die Mitteilung über die Anordnung der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis zu keiner für ihn günstigen Beurteilung.

Die besonderen Pfändungsfreigrenzen aus § 54 Abs. 2 und 4 SGB I finden vorliegend keine Anwendung, da diese nur in den Fällen des § 51 Abs. 1 SGB I gelten, nicht aber in den von § 51 Abs. 2 SGB I erfassten Fällen einer Aufrechnung mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen (ebenso: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.05.2018 – L 7 R 1498/17; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.05.2019 – L 2 R 50/19; beide Juris), um die es hier geht. Die hierbei allein geltende Grenze in Höhe der Hälfte der laufenden Geldleistung hat die Beklagte beachtet.

Die Beklagte hat schließlich auch das ihr obliegende Ermessen erkannt und pflichtgemäß ausgeübt. Weitere Umstände, welche die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensausübung zugunsten des Klägers hätte berücksichtigen müssen, sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat zwar geltend gemacht, dass die Auf- bzw. Verrechnung unverhältnismäßig sei und eine unbillige Härte darstelle. Er hat dies jedoch weder schlüssig dargelegt noch nachgewiesen, da er zu den sonstigen Einkommens- und Vermögensverhältnissen von ihm und seiner Ehefrau keine hinreichenden Angaben gemacht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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