S 4 RA 242/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 4 RA 242/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist eine Vergleichsberechnung nach § 307 b Abs. 3 SGB VI auch für diejenigen
Versicherten durchzuführen, die zwar am 31.12.1991 Anspruch auf eine nach
dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz überführte Rente des
Beitrittsgebietes hatten, jedoch aber nach dem 01.01.1992 eine Folgerente
nach dem SGB VI bezogen haben?
I. Die Bescheide vom 01.03.2002 und vom 12.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2003 werden dahingehend abgeändert, dass bei der Berechnung der Rente des Klägers eine Vergleichsberechnung nach § 307 b Abs. 3 SGB VI vorzunehmen ist, wobei für die Zeit vom 01.03.1971 bis zum 31.12.1986 die tatsächlichen Arbeitsentgelte zu berücksichtigen sind.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Durchführung einer Vergleichsberechnung unter Berücksichtigung des Verdienstes der letzten 20 Jahre hat.

Der am ...1928 geborene Kläger bezog seit dem 01.12.1987 eine Invalidenversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates. Mit Bescheid vom 27.11.1991 hatte die Beklagte die bisherige Versorgungsleistung zum 01.01.1992 in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit umgewertet und angepasst. Die monatliche Rente betrug ab dem 01.01.1992 1575,89 DM. Hierbei berücksichtigte die Beklagte 44,5808 persönliche Entgeltpunkte (Ost).

Am 15.12.1994 hatte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Regelaltersrente gestellt.

Mit Bescheid vom 28.11.1995 hatte die Beklagte dem Kläger beginnend ab dem 01.07.1990 eine Regelaltersrente gewährt. Die monatliche Rente betrug 1718,11 DM. Hierbei berücksichtigte die Beklagte bei der Berechnung der Rente 45,3089 persönliche Entgeltpunkte (Ost). Dieser Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Rente neu festgestellt werde, soweit der Entgeltbescheid in dem anhängigen Verfahren gegen den Versorgungsträger abgeändert wird.

Mit Schreiben vom 06.06.1996 hatte die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, dass er seit dem 01.02.1993 eine Regelaltersrente beziehe.

Mit Bescheid vom 01.03.2002 hatte die Beklagte die Regelaltersrente des Klägers mit Wirkung ab dem 01.07.1993 neu festgestellt. Ab dem 01.04.2002 betrug die monatliche Rente 1591,78 EUR. Hierbei berücksichtigte die Beklagte nunmehr 67,4593 persönliche Entgeltpunkte (Ost) und 72,1493 persönliche Entgeltpunkte (Ost) im Rahmen der durchgeführten Vergleichsberechnung. Für die Zeit vom 01.07.1993 bis zum 31.03.2002 betrug die Nachzahlung 29.819,49 EUR.

Am 26.03.2002 hatte der Kläger hiergegen Widerspruch eingelegt. Der Kläger trug vor, die durchgeführte Vergleichsberechnung sei fehlerhaft. In dem Gesetz sei vorgesehen, dass für die Vergleichsberechnung das Arbeitseinkommen der letzten 20 Jahre versicherungspflichtiger Tätigkeit zugrunde zulegen sei. Eine Begrenzung der Verdienste auf die in der Anlage 3 zum AAÜG genannten Beträge sei im Gesetz nicht vorgesehen. Nach seiner Auffassung gehöre auch das Jahr 1987 zu dem 20-Jahreszeitraum. Außerdem müsse die Beklagte für das Jahr 1972 weitere Arbeitsverdienste anerkennen.

Mit Bescheid vom 27.06.2002 hatte die Beklagte die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers neu festgestellt. Die Beklagte stellte in diesem Bescheid fest, dass die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit dem 31.01.1993 wegfällt.

Mit Schreiben vom 04.07.2002 hatte die Beklagte den Kläger darüber informiert, dass die bisher gezahlte Rente fehlerhaft berechnet sei. Die fehlerhaft berechnete Rente werde zwar weiter gezahlt, von den zukünftigen Rentenerhöhungen werde sie aber ausgenommen.

Der Kläger erwiderte mit Schreiben vom 15.07.2002, ihm sei bei der Antragstellung im Jahr 1994 mitgeteilt worden, dass seine Invalidenrente in eine Altersrente umgewandelt werde, da er das 60. Lebensjahr vollendet habe und schwerbehindert sei.

Mit Bescheid vom 12.08.2002 hatte die Beklagte die Regelaltersrente des Klägers mit Wirkung ab dem 01.07.1993 neu festgestellt. Die Beklagte führte zur Begründung aus, die Rente sei mit Bescheid vom 28.11.1995 fehlerhaft berechnet worden. Die Neufeststellung hätte nicht nach § 307 b SGB VI erfolgen dürfen.

Am 15.08.2002 hatte der Kläger hiergegen Widerspruch eingelegt. Der Kläger trug vor, in der durchgeführten Vergleichsberechnung seien nicht die tatsächlichen Arbeitsentgelte berücksichtigt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2003 hatte die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Die Beklagte führte zur Begründung aus, sie habe die Rente des Klägers nach § 307 b SGB VI neu berechnet, Anspruch auf eine Neufeststellung der Rente unter Berücksichtigung einer Vergleichsrente bestehe aber nur für Renten, die nach § 307 b SGB VI berechnet werden. Hierbei sei zu beachten, dass der Gesetzgeber die Entgeltbegrenzungen des § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG erst für Rentenbezugszeiten ab dem 01.07.1993 beseitigt hat. Bei einer Vergleichsberechnung für eine Rente, welche nur bis zum 31.01.1993 zu gewähren war, müssen daher die Entgeltbegrenzungen des § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG beachtet werden. Eine Berechnung der Vergleichsrente aus den tatsächlichen Bruttoentgelten sei daher nicht möglich. Da der Kläger ab dem 01.02.1993 keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente nach § 307 b SGB VI habe, könne auch für die Zeit ab dem 01.02.1993 keine Vergleichsrente mehr ermittelt werden. Die Berechnung des 20-Jahreszeitraumes werde in § 307 b Abs. 3 geregelt. Danach seien die Entgeltpunkte aus den letzten 20 Kalenderjahren vor dem Ende der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung zu ermitteln. Da die Beschäftigung des Klägers am 30.11.1987 geendet habe, seien die Entgeltpunkte der gesetzlichen Regelung entsprechend bis zum 31.12.1986 ermittelt worden. Durch die Anrechnung eines Entgelts aus der Zusatzversorgung sei das Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt worden. Eine Erhöhung des Entgelts aus der Sozialpflichtversicherung habe daher keine Auswirkungen auf die Rentenhöhe.

Am 24.02.2003 hat der Kläger die hier vorliegende Klage erhoben. Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, eine rückwirkende Aufhebung der Regelaltersrente sei nach seiner Meinung nicht möglich. Dass ein Verwaltungsakt Bestand habe, zeige auch die Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts mit dem Az.: L 5 RJ 117/99.

Der Kläger beantragt:

Die Bescheide vom 01.03.2002 und vom 12.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2003 werden dahingehend abgeändert, dass bei der Berechnung der Rente des Klägers eine Vergleichsberechnung nach § 307 b Abs. 3 SGB VI vorzunehmen ist, wobei für die Zeit vom 01.03.1971 bis zum 31.12.1986 die tatsächlichen Arbeitsent- gelte zu berücksichtigen sind.

Die Beklagtenvertreterin beantragt:

Die Klage abzuweisen.

Die Beklagte wiederholt und vertieft die Gründe aus dem Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Diese sowie die in der Klageakte befindlichen Schriftsätze waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hierauf, auf die Sitzungsniederschrift und den übrigen Akteninhalt wird zur Ergänzung des Tatbestands Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide vom 01.03.2002 und vom 12.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2003 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger für die Zeit ab dem 01.07.1993 einen Anspruch auf Neufeststellung seiner Rente unter Berücksichtigung einer Vergleichsrente gemäß § 307 b Abs. 3 SGB VI.

Die Rente des Klägers ist unter Berücksichtigung des § 307 b SGB VI zu berechnen. Der Kläger erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 307 b Abs. 1 Satz 1 SGB VI. Alleinige Voraussetzung für die Berechnung der Rente nach § 307 b Abs. 1 SGB VI ist das Bestehen eines Anspruches auf eine nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) überführte Rente des Beitrittsgebiets zum 31.12.1991. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger, da er am 31.12.1991 eine Invalidenversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates bezogen hatte. Diese Invalidenversorgung war eine nach dem AAÜG überführte Rente, § 4 Abs. 1 Nr. 1 AAÜG. Aus diesem Grund war die Rente des Klägers nach den Vorschriften des SGB VI zu berechnen. Die Vorschrift des § 307 b SGB VI regelt somit keine eigenständige Rentenberechnung. Es handelt sich hierbei vielmehr immer um eine Feststellung der Rente nach dem SGB VI. Nur in den weiteren Regelungen des § 307 b SGB VI wird festgelegt, dass zusätzlich zur Feststellung der Rente nach dem SGB VI mehrere Vergleichsberechnungen auf Grund des Bestandsschutzes durchzuführen sind.

Bei der Neufeststellung der Rente des Klägers war somit eine Vergleichsberechnung gemäß § 307 b Abs. 3 SGB VI durchzuführen. Diese Auslegung ist auch mit dem Wortlaut der Vorschrift des § 307 b SGB VI vereinbar. Die Auffassung der Beklagten, dass bei Bezug einer Folgerente in der Zeit vom 01.01.1992 bis zum 30.06.1993 keine Vergleichsberechnung nach § 307 b Abs. 3 SGB VI durchzuführen ist, verstößt dagegen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG liegt dann vor, wenn der Gesetzgeber willkürlich vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt. Willkür ist nur dann gegeben, wenn für die Ungleichbehandlung kein sachlicher Grund vorliegt. Als sachlicher Grund kommt grundsätzlich jede vernünftige Erwägung in Betracht, die sachbezogen und vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 71, 39, 58). Geht es um die Gleichbehandlung verschiedener Sachverhalte, kommt es darauf an, ob eine Regelung für einen Teil der Betroffenen "Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht zur Folge hätte, dass ihr gegenüber die gleichartige Behandlung nicht mehr zu rechtfertigen wäre" (vgl. BVerfGE 72, 141, 150). Die Ungleichbehandlung der beiden Sachverhalte muss "in dem in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam" sein, "dass ihre Beachtung nach einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise geboten erscheint" (vgl. BVerfGE 52, 256, 263; 55, 261, 269 ff.), ihre Nichtbeachtung also willkürlich wäre. In welcher Weise eine abweichende Regelung getroffen wird, ist regelmäßig Sache des Gesetzgebers.

Für die Nichtdurchführung der Vergleichsberechnung nach § 307 b Abs. 3 SGB VI für die Bestandsrentner, welche in der Zeit vom 01.01.1992 bis zum 30.06.1993 eine Folgerente bezogen haben, gibt es keinen sachlichen Grund. Diese Bestandsrentner werden vielmehr in ungerechtfertigter Weise gegenüber den Bestandsrentnern benachteiligt, die am 31.12.1991 schon eine überführte Altersrente bezogen haben bzw. die erst nach dem 01.07.1993 das 65. Lebensjahr vollendet haben. Durch die Regelung des § 307 b SGB VI sollten die Bestandsrentner, die in der Zeit vom 01.01.1992 bis zum 30.06.1993 eine Folgerente (im Regelfall die Regelaltersrente) bezogen haben, nicht von der Vergleichsberechnung nach § 307 b Abs. 3 SGB VI gänzlich ausgeschlossen werden.

Somit hat der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Neufeststellung seiner Regelaltersrente ab dem 01.07.1993 unter Berücksichtigung der Vergleichsberechnung nach § 307 b Abs. 3 SGB VI.

Darüber hinaus ist bei der Vergleichsberechnung nach § 307 b Abs. 3 SGB VI für die Zeit vom 01.03.1971 bis zum 31.12.1986 das tatsächliche Arbeitsentgelt ohne Anwendung der Anlage 3 des AAÜG zu berücksichtigen. Für die Vergleichsberechnung sollte der Rentenversicherungsträger auf die Daten zurückgreifen, die ihm der Zusatzversorgungsträger verbindlich mitgeteilt hat. Der Zusatzversorgungsträger durfte aber gegenüber dem Rentenversicherungsträger das tatsächliche Arbeitsentgelt des Versicherten auf die Werte der Anlage 3 AAÜG nicht begrenzen (vgl. Urteil des BSG vom 18.07. 1996 - Aktenzeichen: 4 RA 7/95). Zudem wäre dann die Regelung des § 307 b Abs. 3 Nr. 1 SGB VI gegenstandslos, wonach die durchschnittlichen Entgeltpunkte pro Monat höchstens 0,15 betragen dürfen. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung auch bei der Vergleichsberechnung berücksichtigen. Soweit aber der Rentenversicherungsträger schon die Arbeitsentgelte nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigen würde, würden die persönlichen Entgeltpunkte im Monat nicht mehr als 0,15 betragen. Aus diesem Grund ist der Rentenversicherungsträger und somit die Beklagte verpflichtet, für die Zeit vom 01.03.1971 bis zum 31.12.1986 die tatsächlichen Arbeitsentgelte ohne Berücksichtigung der Anlage 3 zum AAÜG der Vergleichsberechnung zugrunde zu legen. Erst bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte (Ost) muss die Beklagte die Beitragsbemessungsgrenze prüfen, indem sie die durchschnittlichen Entgeltpunkte pro Monat höchstens mit dem Wert 0,15 berücksichtigt.

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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