L 4 R 3620/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2262/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3620/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28. September 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2014.

Der 1974 geborene Kläger war zuletzt ab 1. März 2008 bis 31. Mai 2012 als Mediengestalter mit den Aufgaben Außendarstellung, Werbung und EDV-Betreuung versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 25. Januar 2012 bezog er Krankengeld, ab dem 6. Juni 2013 – unterbrochen durch den Bezug von Übergangsgeld – Arbeitslosengeld bis August 2014. Seit dem 25. Oktober 2010 ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt.

Aus einer stationären Rehabilitationsbehandlung in einer psychosomatischen Fachklinik vom 16. Juli bis 20. August 2013 wurde er als arbeitsfähig für die Tätigkeit eines Mediengestalters und vollschichtig leistungsfähig für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen. Im Entlassungsbericht vom 29. August 2013 stellte Prof. Dr. E., Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie/Spezielle Schmerztherapie, die Diagnosen einer chronischen Schmerzstörung im Sinne eines funktionellen Schmerzsyndroms des muskuloskelettalen Systems an der rechten Leiste, einer perfektionistisch-zwanghaften Persönlichkeit, episodischer Spannungskopfschmerzen, eines Tinnitus aurium links und einer Adipositas (BMI von 30,7 kg/m²). Qualitative Einschränkungen bestünden hinsichtlich der Flexibilität und Umstellungsfähigkeit bei wechselnden oder rasch folgenden komplexen Aufgaben.

Am 25. Juni 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung wegen chronischer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren; die Erwerbsminderung bestehe seit März 2012. Zur Begründung legte er mehrere medizinischen Unterlagen vor, insbesondere eine unter dem 10. Mai 2013 nach Aktenlage erstellte sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. L., Ärztlicher Dienst der Agentur für Arbeit, (chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradige Episode; auf nicht absehbare Zeit nicht leistungsfähig), Arztbriefe von Dr. Dipl. Psych. F., Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie/Spezielle Schmerztherapie, interdisziplinäres Schmerzzentrum eines Universitätsklinikums, vom 9. Januar 2013 und 21. Februar 2014 über eine tagesklinische multimodale Schmerzbehandlung sowie ein Gutachten von Dr. W., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), vom 18. September 2012 (chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren; weiterhin arbeitsunfähig; weiterer Verlauf bleibe abzuwarten).

Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. K., Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, aufgrund einer Untersuchung des Klägers vom 11. August 2014 unter dem 13. August 2014 ein sozialmedizinisches Gutachten. Er diagnostizierte eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und physischen Faktoren, eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, einen Zustand nach (Z.n.) Morbus Hodgkin, eine Hyperhidrose, eine arterielle Hypertonie, einen Verdacht auf (V.a.) obstruktives Schlafapnoesyndrom und einen sekundären insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Aus neurologischer und psychiatrischer Sicht bestehe keine überdauernde Leistungsminderung. Die psychischen Probleme könnten durch eine adäquate Behandlung mittels Medikation und Psychotherapie innerhalb eines halben Jahres gebessert werden. Die Schmerzprobleme seien nicht neurologisch erklärbar. Eine Leistungsminderung werde hierdurch nicht bedingt. Der Kläger könne seinen Beruf als Mediengestalter sowie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch über sechs Stunden täglich ausüben.

Gestützt auf das Begutachtungsergebnis lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 25. September 2014 ab, da bei einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Erwerbsminderung nicht vorliege.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruches führte der Kläger aus, von Dr. K.s Leistungsbeurteilung schockiert zu sein. Ein Leistungsvermögen von sechs oder mehr Stunden sei für ihn alleine schon wegen der chronischen Schmerzen unvorstellbar. Er sei mittlerweile wirklich verzweifelt und sehe seine gesundheitliche und berufliche Situation als aussichtslos an. Er könne sich nicht längere Zeit auf etwas konzentrieren und fühle sich ständig von allem überlastet. Längeres Sitzen oder Stehen sei ihm nicht mehr möglich. Seit etwa sechs Monaten habe er aus Hoffnungslosigkeit jede Behandlung abgebrochen. Eine neue Psychotherapie werde erst in zwei Jahren wieder finanziert.

Die Beklagte zog Befundberichte von Dr. Sp., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, vom 15. Dezember 2014 (rezidivierende depressive Störung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, M. Hodgkin IIIb mit Radiotherapie 1994 bis 1996; deutlich verminderte psychische und physische Leistungsfähigkeit) und von Dr. J., Fachärztin für Allgemeinmedizin, vom 17. Dezember 2014 (depressive Episode, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Z.n. M. Hodgkin IIIb) nebst weiteren Befundberichten bei und ließ den Kläger von Dr. Kl., Arzt für Innere Medizin, begutachten. Dieser beschrieb unter dem 19. Februar 2015 aufgrund einer Untersuchung vom selben Tag eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und physischen Faktoren, eine rezidivierende depressive Störung, einen Z.n. M. Hodgkin IIIb, Z.n. Radiochemotherapie 1994 bis 1996, einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus, eine arterielle Hypertonie, eine Adipositas, ein Carpaltunnelsyndrom beidseits (im Verlauf Befundbesserung) sowie einen V.a. Schlafapnoesyndrom. Aus rein internistischer Sicht ergäben sich keine erheblichen Einschränkungen für die bisher ausgeübte Tätigkeit als Mediengestalter oder für anderweitige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Vorgeschlagen werde eine orthopädische Zusatzbegutachtung. Im Wesentlichen aufgrund der chronifizierten Schmerzstörung, Gerbershagen 2-3, bestehe ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich sowohl für eine Tätigkeit als Mediengestalter als auch für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16. März 2015 kam Dr. B.-Lo. zu der Einschätzung, dass der fachfremd begründeten Leistungsbeurteilung von Dr. Kl. nicht zu folgen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2015 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 18. Mai 2015 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG), zu deren Begründung er insbesondere vortrug, wegen eines chronischen Schmerzsyndroms sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kaum ein konkretes Tätigkeitsbild für ihn vorstellbar. Das von der Beklagten eingeholte internistische Gutachten von Dr. Kl. stütze das Klagebegehren. Das abweichende neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. K. sei dagegen nicht verwertbar.

Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Gründe der angefochtenen Bescheide entgegen.

Das SG holte schriftliche Aussagen der behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen ein. Dr. Dipl.-Psych. F. berichtete in ihrer Auskunft vom 16. August 2016 über eine vierwöchige tagesstationäre Behandlung ("Grundprogramm zum Lebensmanagement bei chronischen Schmerzen") im Januar 2013 und eine einwöchige tagesstationäre Wiederholungsbehandlung vom 24. bis 28. Februar 2014. Die vorgesehene zweite Wiederholungsbehandlung habe der Kläger nicht angetreten. Weitere Kontakte hätten nicht stattgefunden. Die weitere Behandlung stehe in einem Zielkonflikt zum laufenden Klageverfahren. Die bisherigen Behandlungen hätten zu einer Stabilisierung auf niedrigem Niveau geführt. Ergänzend legte sie Arztbriefe vom 27. Juli 2012, 9. Januar 2013 und 21. Februar 2014 vor. Dr. J. gab in ihrer Auskunft vom 20. September 2016 an, wesentliche Veränderungen oder Verbesserungen der "ursächlichen Beschwerden (Schmerzzustand im Bereich der rechten Leiste)" hätten sich seit Juni 2014 nicht ergeben. Der Schwerpunkt leistungsmindernder Faktoren liege im Bereich der Psychotherapie und Psychiatrie. Ergänzend legte sie u.a. Arztbriefe von Priv.-Doz. Dr. M., Chefarztes eines chirurgischen Klinikums, vom 7. Januar und 16. Februar 2015 vor (W. B-Fraktur links, Z.n. offener Reposition, Zugschrauben- und Plattenosteosynthese distale Fibula am 5. Januar 2015) vor. In seiner Auskunft vom 17. Oktober 2016 berichtete Dr. Sp. über zwölf Behandlungen des Klägers seit August 2014. Die erhobenen neurologischen Befunde seien bis auf ein nachgewiesenes beidseitiges Karpaltunnelsyndrom, für das zwar Verlaufskontrollen, aber keine weiteren Behandlungen geplant seien, unauffällig. Der Schwerpunkt leistungsmindernder Faktoren liege auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet.

Das SG bestellte Prof. Dr. R., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Spezielle Schmerztherapie, zum gerichtlichen Sachverständigen, der in seinem aufgrund einer Untersuchung am 15. Februar 2017 unter dem 21. April 2017 erstatteten Gutachten eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia, leichte Nervenwurzelschäden C8 beidseits, einen Z.n. M. Hodgkin, ein Karpaltunnelsyndrom beidseits, einen V.a. einen schädlichen Gebrauch von Alkohol sowie einen V.a. ein Schlafapnoe-Syndrom beschrieb. Nicht mehr leidensgerecht seien Arbeiten in Akkord oder unter Zeitdruck, das Heben und Tragen von Lasten über zehn Kilogramm, Zwangshaltungen der Halswirbelsäule wie Überkopfarbeiten, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, Arbeiten in Nachtschicht und unter Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe sowie solche verbunden mit Verkauf, Aufbewahrung oder Ausschank von Alkohol. Unter Beachtung dieser Einschränkungen seien dem Kläger leichte Tätigkeiten vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen, aber auch ständig im Sitzen, überwiegend im Stehen oder Gehen sechs Stunden und mehr möglich. Eine relevante Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe nicht.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. September 2018 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Insbesondere der Einschätzung von Prof. Dr. R. sowie der fachgebietsspezifischen Leistungsbeurteilung von Dr. Kl. folgend sei die Leistungsfähigkeit nicht in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt.

Gegen diesen ihn am 5. Oktober 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10. Oktober 2018 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, die er zunächst nicht begründet hat.

Mit an dessen Prozessbevollmächtigten gerichteten und diesem am 8. März 2019 zugestellten Schreiben vom 6. März 2019 hat der Berichterstatter dem Kläger einen Präklusionshinweis nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 106a Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unter Fristsetzung erteilt. Auf Bitte des Prozessbevollmächtigten ist die Frist bis zum 12. April 2019 verlängert worden.

Am 14. Juni 2019 hat der Kläger eine Begründung seiner Berufung vorgelegt. Eine frühere Begründung sei nicht möglich gewesen, da der Arbeitsaufwand bei erstinstanzlichen Verfahren exorbitant gestiegen sei, die Gebühren aber gleichgeblieben seien, so dass ein Ausgleich nur durch längere Bearbeitungsdauer erfolgen könne. In der Sache seien nach der von 1994 bis 1996 durchgeführten Chemotherapie mit Sicherheit Beeinträchtigungen im kognitiven und mnestischen Bereich zurückgeblieben. Im Zweifel sei ein onkologisches Gutachten einzuholen. Ergänzend hat er eine von ihm selbst unter dem 29. Oktober 2018 gefertigte Auflistung bei ihm bestehender psychischer und physischer Beeinträchtigungen sowie bislang gestellter Diagnosen sowie einen Arztbriefe des Facharztes für Anästhesiologie - Spezielle Schmerztherapie - Dr. V. vom 4. März 2019 und von Dipl.-Psych. Do., Psychologischer Psychotherapeut, Psychologische Schmerztherapie, vom 18. Juni 2019 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28. September 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2015 zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 2014 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise für den Fall, dass das Gericht keine Begutachtung von Amts wegen einleitet, ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. Bi., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, M. E., bei deren Verhinderung bei Dr. Ko., Neurologe und Psychologe, Z.straße , F. einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten des Senats und des SG sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn der Kläger begehrt laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr.

2. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2014 (vgl. § 99 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit macht der 1974 geborene Kläger zu Recht nicht geltend (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Der Bescheid der Beklagten vom 25. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn sie sich voraussichtlich über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erstreckt (vgl. § 101 Abs. 1 SGB VI; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23. März 1977 – 4 RJ 49/76 – juris, Rn. 15).

b) Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass der Kläger in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen bei ihm gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern seine berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht.

(1) Beim Kläger besteht zunächst eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. R., dessen diagnostische Beurteilung im Befundbericht von Dr. Sp. vom 15. Dezember 2014 bestätigt wird. Eine chronische Schmerzstörung, die durch eine körperliche Beeinträchtigung nicht vollständig erklärt werden kann, beschrieben bereits Prof. Dr. E. im Entlassungsbericht vom 29. August 2013 (chronische Schmerzstörung im Sinne eines funktionellen Schmerzsyndroms) und Dr. K. in seinem Gutachten vom 13. August 2014 (chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren), die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51). Dieselbe Diagnose gab auch Dr. Dipl.-Psych. F. an.

Daneben liegt eine Dysthymia vor, also eine chronisch-depressive Verstimmung, die nach Schweregrad und Dauer nicht die Kriterien für eine rezidivierende, d.h. episodenhaft auftretende depressive Störung erfüllt. Auch dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. R. Dieser hat aufgrund ausführlicher, auch testpsychologischer Untersuchung des Klägers und Auswertung der in den vorliegenden Akten dokumentierten Befunde überzeugend dargelegt, dass eine depressive Störung schwereren Ausmaßes im streitbefangenen Zeitraum nicht vorlag und vorliegt. Die von Dr. Dipl.-Psych. F. für Zeiträume vor Stellung des hier maßgeblichen Rentenantrags angegebene mittelgradige depressive Episode bestand nach dem vom gerichtlichen Sachverständigen erhobenen Befund nicht mehr. So war der Kläger während der Exploration durch Prof. Dr. R. aufmerksam und konzentriert. Im Verlauf der mehrstündigen Begutachtung kam es nicht zu einem Nachlassen der Konzentriertheit und der Aufmerksamkeit. Die Antriebslage war unauffällig. Hinsichtlich der Stimmungslage wirkte der Kläger überwiegend subdepressiv mit rascher Stimmungsaufhellung bei angenehmen Themen. Die affektive Modulationsfähigkeit war nicht eingeschränkt. Auffassung, Konzentration und Aufmerksamkeitsdauer waren ungestört. Das Kurz- und das Langzeitgedächtnis wiesen keine Einschränkungen auf. Der Gedankengang war unauffällig. Der Kläger zeigte einen strukturierten Tagesablauf, einschließlich der Übernahme von Haushaltstätigkeiten für den Zwei-Personen-Haushalt. Er konnte Interessen benennen, informierte sich über die Nachrichten, las Bücher. 2016 unternahm er mit seiner Ehefrau eine mehrtätige Urlaubsreise mit dem Wohnmobil nach Frankreich. Am Wochenende unternimmt er Spaziergänge mit der Ehefrau. Den im Schreiben des Klägers vom 29. Oktober 2018 erhoben Einwand, das von Prof. Dr. R. mit ihm geführte Gespräch sei nur ein kurzes Begrüßungsgespräch gewesen, vermag der Senat im Hinblick auf die ausführliche Befund- und Explorationswiedergabe nicht nachzuvollziehen. Des Weiteren sind auch den anamnestischen Angaben des Klägers, wie sie im zuletzt vorgelegten Arztbrief von Dr. V. vom 4. März 2019 festgehalten sind, entsprechende Ressourcen des Klägers zu entnehmen. Danach beschäftige er sich viel und auch intensiv mit dem Computer, lese, sehe fern und unternehme Spaziergänge. Bei der Untersuchung durch Dr. K. wirkte der Kläger in der Stimmung zwar etwas gedrückt und ratlos, aber nicht depressiv fixiert in der affektiven Schwingungsfähigkeit, die noch normal erschien. Der Antrieb wurde subjektiv als gemindert angegeben, was aber in der Begutachtung nicht auffiel. Die Konzentrationsfähigkeit wurde nur subjektiv als gemindert angegeben. Auch die berichtete Minderung der Impulskontrolle mit aggressivem Verhalten wurde im Rahmen der Untersuchung nicht festgestellt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass dieser von Dr. K. beschriebene Zustand bei abgesetzter antidepressiver Medikation erhoben wurde. Der Kläger hatte selbst angegeben, antidepressive Medikamente nach der Reha-Maßnahme aus Trotz über die dortige Leistungsbeurteilung eigenständig abgesetzt zu haben. Die fehlende Medikation kann daher nicht als Ausdruck einer krankheitsimmanenten Antriebslosigkeit verstanden werden. Ein schlechterer psychischer Befund kann für den streitbefangenen Zeitraum auch den Auskünften von Dr. Dipl.-Psych. F., Dr. Sp. und Dr. J. nicht entnommen werden. Letztere berichtete lediglich über stützende Gespräche im November und Dezember 2014. Eine Vorsprache beim behandelnden Facharzt und die Einnahme eines Antidepressivums wurde empfohlen. Dem ist eine dauerhafte Verschlechterung (auch unter adäquater Behandlung) nicht zu entnehmen. Dipl.-Psych. Do. beschrieb unter dem 18. Juni 2019 den Kläger in der Stimmung zwar frustriert, aber nicht schwermütig; die affektive Schwingungsfähigkeit war weiterhin erhalten, der Antrieb nach wie vor nicht gestört. Im Gespräch zeigten sich Konzentration und Gedächtnis ohne wesentliche Einschränkungen. Das formale Denken war geordnet, nicht sprunghaft. Hinweise auf inhaltliche Denkstörungen lagen nicht vor. Eine Befundverschlechterung lag mithin nicht vor.

Des Weiteren bestehen leichte Nervenwurzelschäden C8 beidseits und ein Carpaltunnelsyndrom beidseits. Dies wurde durch die von Prof. Dr. R. durchgeführten apparativen Untersuchungen nachgewiesen. Auch Dr. Sp. bestätigte ein beidseitiges Carpaltunnelsyndrom. Für die von Dr. Dipl.-Psych. F. angegebene diabetische Mononeuropathie fanden sich bei der Begutachtung durch Prof. Dr. R. hingegen keine sicheren Hinweise. Ein V.a. einen schädlichen Gebrauch von Alkohol wird übereinstimmend von Dr. Dipl.-Psych. F. und Prof. Dr. R. geäußert, so dass der Senat diesen berücksichtigt. Gleiches gilt für den ebenfalls beschriebenen V.a. ein Schlafapnoe-Syndrom.

Auf internistischem Fachgebiet bestehen ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus, eine arterielle Hypertonie, eine Adipositas sowie eine Hyperhidrose. Insoweit stützt sich der Senat auf das Gutachten von Dr. Kl., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte. Das Bestehen dieser Gesundheitsstörungen wird auch von keinem der mit dem Kläger im Verfahren befassten Ärzte in Frage gestellt. Der Z.n. M. Hodgkin mit Radiochemotherapie von 1994 bis 1996 blieb ohne Rezidiv oder im streitbefangenen Zeitraum resultierende Funktionsbeeinträchtigungen; Abweichendes wurde von keinem der Ärzte angenommen. Die pauschale Angabe des Klägers, im kognitiven und mnestischen Bereich seien nach der 1994 bis 1996 durchgeführten Chemotherapie Beeinträchtigungen zurückgeblieben, wird somit durch die mit ihm befassten Ärzte nicht bestätigt. Im Übrigen war zu beachten, dass subjektive Beschwerdeangaben des Klägers in diesem Bereich gerade nicht im angegebenen Maße objektiviert werden konnten. Die W. B-Fraktur, die sich der Kläger im Januar 2015 zuzog, wurde erfolgreich operativ behandelt. Der Auskunft von Dr. J. kann entnommen werden, dass dauerhafte Funktionsbeeinträchtigungen im linken Sprunggelenk nicht bestanden. Dies entspricht auch der von Prof. Dr. R. dargestellten Befunderhebung, wo sich bis auf eine Schmerzangabe im Bereich des rechten Hüftgelenks beim Durchbewegen keine Beeinträchtigung der unteren Extremitäten fand. Die im klägerischen Schreiben vom 29. Oktober 2018 noch vermutete Osteoporose, wurde nicht bestätigt. Nach den im Arztbrief von Dr. V. festgehaltenen Angaben hatte der behandelnde Orthopäde Dr. Hölzer keinen Anhalt für eine solche Erkrankung gefunden. Dipl.-Psych. Do. stellte unter dem 18. Juni 2019 lediglich die Verdachtsdiagnose einer Aufmerksamkeitsstörung und empfahl einen Therapieversuch mit Methylphenidat. Eine dauerhafte Beeinträchtigung ist dem nicht zu entnehmen.

(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers in qualitativer Hinsicht ein. Überzeugend hat Prof. Dr. R. Arbeiten im Akkord oder unter Zeitdruck, das Heben und Tragen von Lasten über zehn Kilogramm, Zwangshaltungen der Halswirbelsäule wie Überkopfarbeiten, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, Arbeiten in Nachtschicht und unter Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe sowie solche verbunden mit Verkauf, Aufbewahrung oder Ausschank von Alkohol als nicht mehr leidensgerecht erachtet. Tätigkeiten sind vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen durchzuführen, aber auch ständig im Sitzen, überwiegend im Stehen oder Gehen sechs Stunden und mehr möglich. Weitergehende qualitative Ausschlüsse formulierten auch die übrigen im Verfahren gehörten Ärzte nicht. Dies gilt auch für Dr. Kl. bezüglich der auf seinem internistischen – Fachgebiet beschriebenen Gesundheitsstörungen. Zwar verweist er auf die "Bedingungen des insulinpflichtigen Diabetes mellitus", leitet hieraus aber keine konkreten qualitativen Leistungsausschlüsse ab, insbesondere keine zusätzlichen (betriebsunüblichen) Pausen. Eine Notwendigkeit solcher Pausen ist für den Senat auch nicht ersichtlich. Wie von Prof. Dr. R. festgestellt, zeigte sich bei in Zimmerlautstärke geführter Konversation bei angegebener Hörminderung links keine wesentliche Beeinträchtigung. Besondere Leistungseinschränkungen ergeben sich mithin auch hieraus nicht.

(3) Die beim Kläger als rentenrelevant zu berücksichtigen Gesundheitsstörungen führen jedoch nicht zu einem Absinken des tatsächlichen Restleistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß; er ist weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Der Senat stützt sich auch insoweit auf das überzeugende Gutachten von Prof. Dr. R., dessen Leistungseinschätzung von Dr. K. und – bezogen auf die Gesundheitsstörungen seines Fachgebietes – auch von Dr. Kl. gestützt wird. Den Stellungnahmen der als sachverständige Zeugen gehörten Dr. Sp., Dr. J. und Dr. Dipl.-Psych. F. ist nichts Abweichendes zu entnehmen.

Überzeugend stellte Prof. Dr. R. dar, dass es durch die anhaltende somatoforme Schmerzstörung zu einer eingeschränkten Beweglichkeit des Skelettsystems und zu einer verminderten Einsetzbarkeit der Muskulatur gekommen ist. Allerdings war die Beweglichkeit der Halswirbelsäule bei paravertrebralen Muskelverspannungen beidseits nur endgradig eingeschränkt, die der Lendenwirbelsäule unbeeinträchtigt. Bis auf eine Schmerzangabe im Bereich des rechten Hüftgelenks beim Durchbewegen fand sich keine Beeinträchtigung der unteren Extremitäten. Das An- und Auskleiden erfolgte relativ rasch und ohne Schmerzäußerungen. Zeichen für einen erhöhten Muskeltonus zeigten sich nicht. Umschriebene Paresen lagen nicht vor. Dies entspricht im Wesentlichen dem bereits von Dr. K. und Dr. Kl. erhobenen und auch zuletzt im Arztbrief von Dr. V. beschriebenen körperlichen Befund. Für eine nur leichtgradige Ausprägung der somatoformen Schmerzstörung sprach des Weiteren nach schlüssiger Darstellung von Prof. Dr. R. neben den Angaben aus der Aktenlage und der Anamnese vor allem der nur geringfügig gestörte psychische Befund (vgl. oben). Auch die Analyse der Alltagsaktivitäten (Haushaltstätigkeiten inklusive Einkaufen, Waschen und Bügeln der Wäsche, Be- und Entladen der Spülmaschine sowie Freizeitaktivitäten) zeigte, dass es dem Kläger noch möglich ist, einem geregelten Tagesablauf nachzugehen, so dass weder eine mittelschwere noch eine schwere Schmerzstörung angenommen werden kann. Die Dysthymia hat zwar zu einer Beeinträchtigung der Stimmungslage geführt, stand und steht aber ebenfalls den genannten Aktivitäten nicht entgegen. Der abweichenden Leistungseinschätzung von Dr. Kl. vermag der Senat insoweit nicht zu folgen. Dessen Leistungsbeurteilung erfolgte ausdrücklich nicht aufgrund von internistisch-somatischen Funktionsbeeinträchtigungen, sondern wurde im Wesentlichen mit dem chronischen Schmerzsyndrom begründet. Eine Beschwerdevalidierung, ein Abgleich mit tatsächlichen Beeinträchtigungen in der Alltagsgestaltung sowie eine psychiatrische Befunderhebung erfolgten nicht.

Das Carpaltunnelsyndrom und der Nervenwurzelschaden C8 bedingen eine (nur) leichte Reduktion der Gebrauchsfähigkeit der Hände. Diese hindert den Kläger nicht an der Durchführung der genannten Haushaltstätigkeiten. Eine Minderung der groben Kraft wurde nicht festgestellt. Überzeugend sieht Prof. Dr. R. hierdurch mithin keine quantitative Leistungsminderung begründet. Der M. Hodgkin beeinträchtigt im streitbefangenen Zeitraum keine körperlichen oder geistigen Funktionen. Auch internistisch ergab sich einschließlich der bei Dr. Kl. durchgeführten Lungenfunktionsprüfung kein relevanter pathologischer Befund mit Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit für körperlich leichte Tätigkeiten. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem Gutachten von Dr. Kl., der ausdrücklich bestätigte, dass sich aus rein internistischer Sicht keine erheblichen Einschränkungen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben. Soweit zuletzt der V.a. ein Schlafapnoe-Syndrom angegeben wurde, wies Prof. Dr. R. schlüssig darauf hin, dass sich bei seiner Begutachtung keine Hinweise auf eine vorzeitige Erschöpfbarkeit oder erhöhte Ermüdbarkeit fanden. Daher ergibt sich auch insoweit keine Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit.

Die Leistungseinschätzungen von Dr. W. und Dr. L. beziehen sich auf einen Zeitraum vor der Durchführung des Reha-Verfahrens und insbesondere vor der Rentenantragsstellung. Sie werden mithin für den vorliegend streitbefangenen Zeitraum mit der dargelegten Befundlage nicht relevant.

(4) Zu weiteren Ermittlungen war der Senat nach alldem nicht veranlasst. Der Gesundheitszustand des Klägers wurde durch die umfangreichen Ermittlungen im Verwaltungs- und Vorverfahren sowie in erster Instanz vollständig aufgeklärt. Einen weiteren konkreten Aufklärungsbedarf hat der Kläger nicht aufgezeigt. Die von ihm angegebenen subjektiven Beeinträchtigungen im kognitiven und mnestischen Bereich ließen sich tatsächlich nicht in einem für die hier in Rede stehenden leichten Tätigkeiten relevanten Maße objektivieren. Dies gilt auch für den zuletzt vorgelegten Brief des Dipl.-Psych. Do. vom 18. Juni 2019, der zwar ausführlich die subjektiven Beschwerdedarstellungen des Klägers wiedergibt, aber lediglich den oben bereits dargelegten objektiven Befund beschreibt. Im Schriftsatz vom 14. Juni 2019 ist kein prozessordnungsgerechter Beweisantrag formuliert. Denn in ihm wird das konkrete Beweisthema nicht benannt. Auch lässt sich ein Beweisthema nicht durch Auslegung ermitteln. In einem Rechtsstreit betreffend eine Rente wegen Erwerbsminderung kann Beweisthema nicht die Frage sein, ob der abstrakt-generelle Tatbestand des § 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI erfüllt ist (BSG, Beschluss vom 6. September 2017 – B 5 R 51/17 B – juris, Rn. 10).

Auch nach § 109 SGG war kein weiteres Gutachten zu erheben. Einen ausdrücklichen Antrag, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, hat der Kläger nicht gestellt. Soweit sein im Schriftsatz vom 14. Juni 2019 gestellter Hilfsantrag als solcher auszulegen wäre, ist dem nicht nachzugehen. Denn der Antrag ist verspätet. Nach § 109 Abs. 2 SGG kann das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Durch das Einholen des beantragten Gutachtens würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, denn der Senat hätte über die Berufung nicht am 28. Juni 2019 entscheiden können. Auch grobe Nachlässigkeit ist gegeben, weil zur Überzeugung des Senats bei ordnungsgemäßer Prozessführung der Antrag nach § 109 SGG früher hätte gestellt werden können Eine solche grobe Nachlässigkeit ist anzunehmen, wenn die für eine ordnungsgemäße Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und nicht getan wird, was jedem einleuchten muss (Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – juris, Rn. 35; Keller in Meyer-Ladewig/Kellerer/Leitherer, SGG, 12. Aufl., § 109 Rn. 11). Der Kläger hätte den Antrag spätestens nach Erhalt des Schreibens des Senats vom 16. April 2019 stellen müssen, in dem der Senat mitgeteilt hatte, dass der Rechtsstreit zur Entscheidung vorgesehen ist. Hieraus konnte er – ebenso wie aus der Terminsbestimmung vom 6. Mai 2019 – erkennen, dass der Senat von Amts wegen nicht weiter ermitteln werde. Eines ausdrücklichen Hinweises auf das Antragsrecht nach § 109 Abs. 1 SGG verbunden mit einer angemessenen Fristsetzung zur Antragstellung bedurfte es nicht. Da der Kläger den Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG nicht innerhalb einer angemessenen Frist, die mit einem Monat anzusetzen wäre, mithin bis Mitte Mai 2019, sondern erst am 14. Juni 2019, zwei Monate nach dem Schreiben des Senats vom 16. April 2019 und über einen Monat nach der Terminsbestimmung vom 6. Mai 2019, deren Erhalt der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit dem 9. Mai 2019 bescheinigte, liegt grobe Nachlässigkeit vor. Die vorgebrachten Gründe der Arbeitsbelastung wegen exorbitant gestiegener erstinstanzlicher Verfahren und unverändert gebliebener Gebühren (des Prozessbevollmächtigten) erfordern keine andere Beurteilung. Verfahren, in denen durch nicht rechtzeitiges Handeln eines Beteiligten Nachteile für diesen entstehen können, sind gegebenenfalls vorrangig zu bearbeiten.

(5) Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

(6) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist hier gegeben.

(7) Auch die Wegefähigkeit des Klägers war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. So legte der Kläger im Rahmen der Begutachtung bei Prof. Dr. R. bei einem begleiteten Spaziergang 500 Meter in sechs Minuten zurück. Am dortigen Simulator gelang ihm das Ein- und Aussteigen aus öffentlichen Verkehrsmitteln. Er konnte innerhalb einer Minute 38 Treppenstufen hinauf- und hinuntersteigen. Die Gangprüfungen waren unauffällig. Bereits bei der Begutachtung durch Dr. K. zeigte sich das Gangbild mit leichten Anlaufbeschwerden flüssig. Des Weiteren ist der Kläger in der Lage, mögliche Arbeitsstellen mit dem Pkw zu erreichen. Auf diese Weise reiste er auch zur Begutachtung bei Dr. K. an. Bei der Urlaubsreise mit dem Wohnmobil übernahm er Teile der Fahrstrecken. Auch gab er gegenüber Prof. Dr. R. an, zum Einkaufen mit dem Auto zu fahren. Dem Schreiben vom 29. Oktober 2018 ist zu entnehmen, dass er selbst eine Autofahrt bis zu einer Stunde als möglich ansieht.

(8) Aus der Anerkennung eines Grades der Behinderung von 50 folgt ebenfalls nicht, dass der Kläger erwerbsgemindert wäre. Zwischen der Schwerbehinderung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und der Erwerbsminderung nach dem SGB VI besteht keine Wechselwirkung, da die gesetzlichen Voraussetzungen unterschiedlich sind (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 SB 5/01 B – juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 9. Dezember 1987 – 5b BJ 156/87 – juris, Rn. 3). Für die Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI sind die Erwerbsmöglichkeiten des Betroffenen maßgeblich, während § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung des Art. 1 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen [BTHG] vom 23. Dezember 2016 [BGBL. I, S. 3234]) auf die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abstellt (zuvor § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14. Januar 2015 geltenden Fassung und § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15. Januar 2015 geltenden Fassung, eingefügt durch Art. 1a Nr. 3 Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 7. Januar 2015 [BGBl. II, S. 15], die auf die abstrakten Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) verwiesen; vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 SB 5/01 B – juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 9. Dezember 1987 – 5b BJ 156/87 – juris, Rn. 3).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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