S 34 KR 1312/19 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
34
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 34 KR 1312/19 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 487/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Genehmigung der Antragsgegnerin zur ärztlichen Verordnung von Medizinal-Cannabisblüten.

Der 1973 geborene Antragsteller bezieht Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Seit seiner Kindheit leidet er an hemiplegischer Migräne.

Am 24. Januar 2019 und ergänzt mit Schreiben vom 3. Februar 2019 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin per E-Mail die Kostenübernahme für Medizinal-Cannabisblüten inkl. Verdampfer zur Behandlung seiner diagnostizierten familiären hemiplegischen Migräne. Eine ärztliche Verordnung legte der Antragsteller nicht vor. Zur Begründung seines Antrags gab er an, dass ihm durch seine Ärzte zahlreiche verschiedene Medikamente zur Prophylaxe und zur Akutbehandlung verschrieben worden seien. Auch freiverkäufliche Migränemittel würden keine oder eine nur sehr schwache Wirkung bzw. starke Nebenwirkungen zeigen. Trotz der Medikamente wäre er weiterhin von schweren Migräne-Schmerzanfällen geplagt. Zur Stützung seines Vorbringens legte er unter anderem ein Migränetagebuch über den Zeitraum 15. März 2018 bis 7. Februar 2019 vor. In Eigentherapie mit gerauchten Cannabisblüten habe sich gezeigt, dass hierdurch die Anzahl seiner Anfälle gemindert und die Schmerzen deutlich gelindert worden seien. Aufgrund seiner finanziellen Lage und der Situation der Illegalität, sowie dem schlechten und nicht kontrollierten Zustand der Reinheit der Cannabisblüten auf dem Schwarzmarkt, stelle er den Antrag auf Kostenübernahme.

Mit Bescheid vom 11. Februar 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab und führte zur Begründung aus, dass zur Beurteilung des Antrags weitere ärztliche Unterlagen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) benötigt würden. Im Rahmen des gesetzlichen Untersuchungsgrundsatzes habe sie die den Antragsteller behandelnden Ärzte um Übersendung der erforderlichen Unterlagen gebeten. Sobald die fehlende Unterlagen eingehen, werde der Antrag des Antragstellers weiter bearbeitet.

Die Antragsgegnerin holte daraufhin Befundberichte bei dem Neurologen Dr. C. sowie der Hausärztin Frau D. und ein sozialmedizinisches Gutachten bei dem MDK in Hessen ein, worüber sie den Antragsteller informierte.

Der MDK führte in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 22. März 2019 aus, dass nach dem Migränetagebuch eine Reduktion der Schmerzintensität unter Cannabis-Eigentherapie zu verzeichnen, eine deutliche Reduktion der Anfallshäufigkeit jedoch nicht erkennbar sei. Er kam zu dem Ergebnis, dass eine schwerwiegende Erkrankung anhand der vorliegenden Angaben nicht erkannt werden könne, gleichwohl die Lebensqualität sicherlich deutlich beeinträchtigt sei. Bezüglich der Therapie der Migräne wäre unter anderem auf eine fachärztliche, leitliniengerechte Therapie mit unterschiedlichen Therapieansätzen zu verweisen. Auf Grundlage der vorliegenden Unterlagen sei nicht nachvollziehbar, dass leitliniengerechte Therapieoptionen zumindest weitestgehend ausgeschöpft worden seien. Nach Angaben des behandelnden Neurologen sei im September 2018 erstmalig eine Migräneprophylaxe mit Betablockern eingesetzt worden, welche keinen Erfolg erbracht habe. Zudem seien neurologischerseits weitere medikamentöse Therapien und die stationäre multimodale Therapie in einer auf Kopfschmerz spezialisierten Klinik empfohlen worden. Eine Empfehlung für die Behandlung mit Cannabinoiden finde sich im vorliegenden neurologischen Arztbrief hingegen nicht. Zudem liege eine fundierte Risikoabwägung unter Berücksichtigung der im Fall des Versicherten vorliegenden Konstellation nicht vor. Die klinische Evidenz bei Cannabinoiden in der Kopfschmerzbehandlung sei gering.

Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit weiterem Bescheid vom 12. April 2019 unter Verweis auf das Gutachten des MDK vom 22. März 2019 ab, wogegen der Antragsteller Widerspruch erhob. Zur Begründung berief er sich auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion.

In einer E-Mail vom 24. April 2019 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hin, dass eine Genehmigungsfiktion nicht bestätigt werden könne. Mit Bescheid vom 11. Februar 2019 habe sie innerhalb der Drei-Wochen-Frist über den fristauslösenden Antrag entschieden.

Nach Übersendung des MDK Gutachtens führte der Antragsteller zur weiteren Begründung seines Widerspruchs im Kern aus, dass sich das Gutachten nicht auf seine diagnostizierte hemiplegische Migräne bezogen habe, sondern auf eine geläufige Migräne. Die vorgeschlagenen alternativen Therapiemöglichkeiten habe er bereits alle erfolglos ausprobiert. Es gebe zu seiner Erkrankung bzw. den damit einhergehenden Begleiterkrankung/Symptomen weitere Studien, die belegen, dass medizinisches Cannabis nachweislich Minderung mit sich bringe und fügte diese Studien seiner Widerspruchsbegründung bei.

Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2019 zurück.

Hiergegen hat der Antragsteller am 19. Juli 2019 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben und am 22. Juli 2019 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das Klageverfahren wird unter dem Az. S 34 KR 1311/19 geführt.

Zur Begründung wiederholt der Antragsteller sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt er vor, dass er tagtäglich mit den unterschiedlichsten Krankheitssymptomen zu kämpfen habe. Wegen seiner Erkrankung und den damit einhergehenden Depressionen sei er bereits als Schwerbehinderter anerkannt worden. Der Antragsteller könne aufgrund seiner Erkrankung keiner Arbeitstätigkeit mehr nachgehen. Da er auf eine zeitnahe Behandlung angewiesen sei, könne er nicht bis zum Ende des Klageverfahrens warten.

Der Antragsteller beantragt wörtlich,
die Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller die Kosten für die Behandlung der bei ihm vorliegenden familiären hemiplegischen Migräne mit Cannabis zu erstatten.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vorliegen.

Auf Anforderung des Gerichts hat der Antragsteller zwei Verordnungen (Bedrocan Blüten nebst Verdampfer) der Hausärztin Frau D. vom 29. Juli 2019 vorgelegt.

Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhaltes Befundberichte der behandelnden Ärzte des Antragstellers angefordert. Der Neurologe Dr. C. führt in seinem Befundbericht vom 16. August 2019 im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller im September 2018 und nachfolgend nochmals im Dezember 2018 bei ihm vorstellig geworden sei. Er leide unter einer langjährigen Migräne mit Aura. Zur Migräneprophylaxe würdigenden Betablocker, Antidepressiva, Kalciumantagonisten sowie Medikamente aus der Epilepsietherapie empfohlen. Bei Versagen der vorgenannten Therapien stünde mittlerweile die Therapie mit CGRP-Antagonisten zur Verfügung. Im Herbst 2018 sei der Betablocker Propanolol ohne positiven Effekt angewandt worden. Das Antidepressivum Trimipramin sei in höherer Dosierung im Dezember 2018 empfohlen worden. Der Effekt sei unklar, da der Patient nicht mehr vorstellig gewesen sei. Weitere Migräneprophylaxe sei seines Wissens und nach Aussage des Patienten in der Vergangenheit nicht versucht worden. Zudem sei eine stationäre multimodale Schmerztherapie empfohlen worden (z.B. Migräneklinik Königstein). Eine eindeutige Indikation für Cannabis sei bisher nicht vorhanden. Positive und negative Effekte müssten jeweils individuell beurteilt werden. Die Einnahme von Cannabis habe laut Patient bisher zu einer guten bis sehr guten Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit und intensität geführt, weshalb aus seiner Sicht nichts gegen eine Therapie mit Cannabis sprechen. Relevante Studien zur Therapie der Migräne mit Cannabis gebe es seines Wissens nicht. Inwiefern schwere und unzumutbare Nachteile entstehen sollten, könne durch ihn aktuell nicht beantwortet werden. Frau D. führte in ihrem Befundbericht vom 10. Oktober 2019 aus, dass sich der Antragsteller seit dem 15. Januar 2019 in ihrer hausärztlichen Behandlung befinde. Der Antragsteller leide an einer Migräne mit Aura, anamnestisch bereits seit seiner Kindheit. Sämtliche Medikamente bzw. Therapien hätten bisher nicht geholfen. Der Antragsteller habe anamnestisch angegebenen, bereits mehrere pflanzliche Präparate, NSAR, Magnesium und Vitamine sowie Triptane (= Standardbehandlungsmethoden) eingenommen sowie an nicht medikamentösen Methoden moderaten Ausdauersport, progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Mediation, Akupunktur sowie Psychotherapie versucht zu haben, jeweils ohne Besserung der Beschwerden. Aufgrund der langjährigen anderweitigen, erfolglosen Standardtherapien und der erstmalig vom Patienten angegebenen Beschwerdelinderung unter der intermittierendem durchgeführten Cannabis-Eigentherapie halte sie – wohl wissend, dass es bisher keine wirklich belastbaren Studien und keine Leitlinien-Empfehlung zur Therapie einer chronischen Migräne mittels Cannabis gebe – einen Cannabistherapieversuch für erwägenswert. Daher habe sie dem Antragsteller am 29. Juli 2019 erstmals Bedrocan sowie ein Verdampfersystem verordnet. Eine Gefahr schwerer und unzumutbarer, anders nicht abwendbare Nachteile, wenn der Antragsteller nicht in naher Zukunft eine Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten erhalte, bestehe auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstandes nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – statthaft. In der Sache bleibt der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aber ohne Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Vorliegend kommt eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht, da die vorläufige Begründung einer Rechtsposition begehrt wird. Eine solche Regelungsanordnung ist nur dann begründet, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen und eine Abwägung der betroffenen Interessen zugunsten des Antragstellers ausfällt. Ein Anordnungsanspruch ist dabei gegeben, wenn der zu sichernde Anspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht. Ein Anordnungsgrund liegt bei der Regelungsanordnung vor, wenn eine Regelung entsprechend § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG zur Abwendung eines wesentlichen Nachteils nötig erscheint.

Das Antragsbegehren auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Genehmigung der beantragten Versorgung mit Cannabisblüten als Sachleistung war abzulehnen, denn der Antragsteller hat weder einen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit, noch einen Anordnungsanspruch, also das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs, glaubhaft (§86 b Absatz 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Absatz 2 der Zivilprozessordnung – ZPO ) gemacht. Nach in einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausreichender summarischer Prüfung des aktenkundigen Sachverhalts erweist sich die Versagung der Genehmigung durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. April 2019 nicht als offensichtlich rechtswidrig.

Insoweit ist zunächst keine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) eingetreten.

Da der Antragsteller bei Antragstellung bei der Antragsgegnerin keine vertragsärztliche Verordnung vorgelegt hat, fehlt es an der hinreichenden Bestimmtheit des Antrages vom 24. Januar 2019, denn zur Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten stehen mehrere unterschiedliche Präparate zur Verfügung. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung bedarf zu seiner Realisierung einer vertragsärztlichen Verordnung gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V in entsprechender Form. Insoweit sieht das Gesetz bei der hier streitigen Versorgung mit Cannabisblüten die Verordnung zudem auf einem Betäubungsmittelrezept vor (§ 11 Abs. 5 Satz 1 Arzneimittel-Richtlinie – AM-RL – i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 Betäubungsmittelgesetz – BtmG – und § 8 Abs. 1 Satz 1 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung – BtMVV –), welches die in § 9 BtMVV vorgeschriebenen Angaben enthält (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23. Mai 2018 – L 5 KR 190/18 B ER –, juris, Rn. 25 m.w.N,). Daher ist auch der Eintritt einer fingierten Genehmigung aufgrund Überschreitens der Genehmigungsfrist nach § 13 Abs. 3 a nicht weiter zu prüfen.

Auch ist kein Anspruch aus § 31 Abs. 6 SGB V glaubhaft gemacht.

Nach der mit Wirkung vom 10. März 2017 eingeführten Regelung des § 31 Abs. 6 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
(1) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
(2) eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.

Diese Voraussetzungen sind nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden und auch sonst nicht zur Überzeugung der Kammer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zugunsten des Antragstellers erfüllt.

Voraussetzung für einen Anspruch nach § 31 Abs. 6 SGB V ist zunächst das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sog. "Off-Label-Use" ist von einer schwerwiegenden Erkrankung dann auszugehen, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (vgl. etwa BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 10/16 R – juris Rn. 16, m.w.N.). Eine lebensbedrohliche Erkrankung liegt hinsichtlich der familiären hemiplegischen Migräne nach Einschätzung der behandelnden Ärzte, der sich das Gericht aus eigener Überzeugung anschließt, nicht vor. Es ist daher zu prüfen, ob die Erkrankung die Lebensqualität des Antragstellers auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. In diesem Sinne bestehen bei dem Antragsteller ausweislich der Angaben der ihn behandelnden Ärzte, welche durch das Migränetagebuch des Antragstellers, welches er zwar nur bis zum Februar 2019 vorgelegt hat, gestützt wird, schwerste Schmerzattacken mit begleitenden schweren Begleiterscheinungen an 20 Tagen und mehr im Monat. Insoweit kann die Kammer nachvollziehen, dass die Lebensqualität in nicht unerheblichem Umfang auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt ist. Es werden individuelle Ausprägungen und Beeinträchtigungen beschrieben, auch wenn es an einer ärztlich vorgenommenen Klassifikationen der Schmerzzustände des Antragstellers fehlt. Insoweit waren – nachdem das Gericht im hiesigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits Befundberichte eingeholt hat – aber keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen angezeigt. Denn die Pflicht des Gerichtes zur Amtsermittlung reduziert sich im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf die Mittel, die in angemessener Zeit zu beschaffen sind. Vor diesem Hintergrund ist es regelmäßig nicht möglich, umfassende medizinische Sachverhalte durch ein medizinisches Gutachten zu klären (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Juli 2017 - L 5 KR 74/17 B ER -, juris). Dies bleibt einer etwaigen erhobenen Hauptsache vorbehalten.

Fraglich ist jedoch die weitere Voraussetzung des § 31 Abs. 6 Nr. 1 SGB V, dass zur Behandlung dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, sowie des Weiteren, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der Gesetzesbegründung der Anspruch auf Versorgung mit Cannabisarzneimitteln nur in "eng begrenzten Ausnahmefällen" gegeben sein soll (vgl. BT-Drs. 18/8965 S. 14/23).

Es ist weder ausreichend glaubhaft gemacht worden, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Schmerzbehandlung nicht zur Verfügung steht, noch liegt eine begründete Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes vor, dass diese unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann.

In der Gesetzesbegründung wird hierzu ausgeführt: "Die Voraussetzung, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht, entspricht grundsätzlich derjenigen in § 2 Absatz 1a Satz 1. Den betroffenen Versicherten soll im Rahmen der ärztlichen Behandlung eine Möglichkeit eröffnet werden, nach Versagen empfohlener Therapieverfahren einen individuellen Therapieversuch zu unternehmen; bei Erfolg sollte die längerfristige Gabe eines Cannabisarzneimittels erwogen werden. Die gesetzliche Voraussetzung bedeutet nicht, dass eine Versicherte oder ein Versicherter langjährig schwerwiegenden Nebenwirkungen ertragen muss, bevor die Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden kann. Eine Ärztin oder ein Arzt soll Cannabisarzneimittel als Therapiealternative dann anwenden können, wenn sie oder er durch die Studien belegten schulmedizinische Behandlungsmöglichkeiten auch unter Berücksichtigung von Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eintreten werden, ausgeschöpft hat. Dabei sind von der Ärztin oder dem Arzt allerdings auch die Nebenwirkungen von Cannabisarzneimitteln zu berücksichtigen." (Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 28. Juni 2016, Bundestags-Drucksache 18/8965, Seite 24).

Diesen Vorgaben folgend, kann nur eine substantiierte Begründung des behandelnden Vertragsarztes den Anforderungen nach § 36 Abs. 6 Nr. 1 b) SGB V genügen. Diese muss sich zum einen auf die schwerwiegende Erkrankung, den Krankheitsverlauf sowie die schwerwiegenden Symptome beziehen. Zum anderen ist detailliert darzulegen, weshalb eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann. Für diesen Abwägungsprozess ist es nicht ausreichend, wenn der Vertragsarzt nur abstrakt auf mögliche Nebenwirkungen einer Standardtherapie hinweist, ohne die aufgrund der individuellen Verhältnisse des Versicherten zu erwartenden und ggf. unzumutbaren Nebenwirkungen in die Abwägung einzubeziehen. Insbesondere hat der behandelnde Vertragsarzt hierbei auch und insbesondere zu erwartende unerwünschte Nebenwirkungen von Cannabis und etwaige Kontraindikationen zu berücksichtigen und bei der Abwägung zu diskutieren (vgl. Beschluss des Hessischen Landessozialgericht vom 4. Oktober 2017 L 8 KR 255/17 B ER-, juris).

Keiner der behandelnden Ärzte des Antragstellers konnte detailliert bisherige Therapieversuche (eingesetzte Präparate, Behandlungszeit, -dauer, -frequenz, Dosierung, Nebenwirkung, Co-Medikation) für das Gericht nachvollziehbar beschreiben. Bei dem Neurologen Dr. C. war der Antragsteller lediglich zweimal vorstellig, so dass dieser nachvollziehbar angab, dass zum Verlauf der weiteren von ihm vorgeschlagenen Therapieversuche keine Aussage gemacht werden könne. Diesen Aspekt lässt auch der eingeholte Bericht der die Verordnung ausstellenden Ärztin Frau D. bereits vermissen.

Auch lässt sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen, dass der Antragsteller die durch Dr. C. empfohlene stationäre multimodale Schmerztherapie wie z.B. in der Migräneklinik Königsstein in Anspruch genommen hat.

Da schon formal keine ausreichend begründete Einschätzung und keine Abwägung des behandelnden Vertragsarztes vorliegt, kam es auf die Frage einer inhaltlichen Überprüfbarkeit einer solchen Stellungnahme nicht mehr an (zur "Therapiehoheit" grundsätzlich: Alexander Diehm, Cannabis als therapeutische Option im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, Betrifft JUSTIZ, Nr. 135 September 2018, Bl. 125 ff).

Darüber hinaus war die hier in Betracht kommende Regelungsanordnung (Satz 2) abzulehnen, weil der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht hat. Es ist nicht erkennbar, dass eine einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist. Damit fehlt es am Vorliegen eines Anordnungsgrundes im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit. Der Antragsteller hat nicht durch Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Berichtes glaubhaft gemacht, dass die begehrte Genehmigung der Antragsgegnerin zur Versorgung mit Cannabisblüten kurzfristig erfolgen muss, um drohende schwere und nicht wiedergutzumachende Nachteile zu vermeiden. Dies haben die befragten Ärzte ausdrücklich verneint. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller ein Zuwarten bis zur Entscheidung eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens unzumutbar ist. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Antragsteller unter beträchtlichen Kopfschmerzen und Folgebeschwerden leidet, sieht aber letztlich keine wesentlichen, irreparablen Nachteile für den Antragsteller bei einem Abwarten des Hauptsacheverfahrens.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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