S 16 U 465/00 und S 16 U 504/00

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 U 465/00 und S 16 U 504/00
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 488/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 192/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage S-16/U-504/00 wird abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 10.05.1999 und der Widerspruchsbescheid vom 10.01.2000 betreffend Epstein-Barr-Virus (Mononukleose) werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, ab 19. April 1998 als Berufskrankheit (BK 3101) den Zustand nach Myokarditis und das chronische Müdigkeitssyndrom bei dem Kläger anzuerkennen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1961 geborene Kläger ist als selbständiger Physiotherapeut bei der Beklagten versichert.

Am 10.06.1998 teilte er telefonisch mit, er sei an einer Zytomegalie seit 20.04.1998 erkrankt; es bestehe eine Herzproblematik, ein Magengeschwür und eine erhöhte Streptokokkenanzahl. Am 27.07.1998 teilte der Kläger telefonisch mit, es seien die Diagnosen sowohl der Mononukleose/Pfeiffersches Drüsenfieber als auch die Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus gesichert.

Im August 1998 übersandte der Kläger Unterlagen über die bisherigen Behandlungen im Krankenhaus Sachsenhausen (April 1998), in der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim (Mai 1998), im St. Markus-Krankenhaus in Frankfurt am Main (Mai/Juni 1998), bei dem Kardiologen Dr. C. in C-Stadt (21.04.1998), bei dem Internisten Dr. D. (Mai 1998), bei dem Kardiologen Dr. E. (Mai 1998) sowie eine Vielzahl von Laboruntersuchungen nebst Schilddrüsenuntersuchungen, Herzuntersuchungen und einer MRT des Schädels. Als Infektionsquelle komme die Patientin F. F., geb. 1969, in Betracht.

Die Beklagte forderte zunächst Berichte von Dr. med. G., G-Stadt, Gemeinschaftspraxis Dres. med. H., I. & J., H-Stadt, Dr. med. D., D-Stadt, Prof. Dr. med. K., Krankenhaus Sachsenhausen, Priv.-Doz. Dr. L., Kerckhoff-Klinik, Bad Nauheim, Prof. Dr. M., St. Markus-Krankenhaus, Frankfurt am Main an. Sie schlug dem Kläger Prof. Dr. N. in Duisburg als kompetent für seine Erkrankung vor. Beigezogen wurden auch ein Gutachten des MDK Frankfurt am Main vom 15.10.1998 (Dr. O.) sowie Berichte des Dr. P. und des Dr. Q. Im Februar 1999 wies der Kläger auf Begutachtungen für seine private Versicherung hin; er wolle seinen Beruf aufgeben und Jura studieren. Ein Bericht der Neurologie des Krankenhauses Nordwest in Frankfurt am Main vom 12.02.1999 wurde vorgelegt.

Am 10.02.1999 erstattete Prof. Dr. N. (St. Johannes-Hospital in Duisburg-Hamborn) ein internistisches Gutachten nach Aktenlage. Beigefügt waren Laborprotokolle, ein Bericht des Nervenarztes Dr. R. vom 10.11.1998 und ein Bericht über eine MRT der Wirbelsäule vom 29.10.1998. Am 26.04.1999 leitete die Beklagte wegen der bekannten und ermittelten gesundheitlichen Situation des Klägers ein weiteres Feststellungsverfahren wegen eines Verdachts der Mononukleose-Infektion ein.

Nach Anhörung des Landesgewerbearztes erteilte die Beklagte am 10.05.1999 zwei Ablehnungsbescheide. Eine Berufskrankheit 3101 liege weder als Zytomegalie-Infektion noch als Mononukleose vor. Im Widerspruchsverfahren beanstandete der Kläger die von Prof. Dr. N. angesetzte Inkubationszeit und wies auf seine besonderen Therapieformen hin. Er legte kurze Bescheinigungen des Dr. I., der Ärztin G. und des Dr. S. vor. Die Beklagte erbat mit Schreiben vom 09.07.1999 eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. N., die dieser mit Schreiben vom 27.07.1999 abgab. Dann holte sie von dem Internisten Dr. T. Stellungnahmen nach Aktenlage vom 16.08.1999 und 14.12.1999 ein. Der Kläger wies auf die Blutwerte und die akute Pharyngolaryngitis mit Seitenstrang- und Zungengrundtonsillenschwellung und Glottisödem im April-Juni 1998 hin und legte Mitteilung von Dr. H. und PD Dr. U. vor. Von beiden holte die Beklagte ergänzende Berichte ein und erteilte am 10.01.2000 zwei Widerspruchsbescheide.

Beide Klagen gingen am 07.02.2000 beim Sozialgericht Frankfurt am Main ein.

Der Kläger hat sich auf die Frage der Inkubationszeit bei einer Mononukleose bezogen und auf seine besonderen Therapieformen bezüglich der Infektionsgefahr hingewiesen. Er hat auch eine Stellungnahme der Rheumatologischen Nachsorgeambulanz der Universitätsklinik Tübingen vom 28.02.2000 zitiert. Nach einem Bandscheibenvorfall sei eine Notoperation wegen Lähmungserscheinungen und sehr starken Schmerzen im rechten Arm durchgeführt worden. Bis zu seiner Erkrankung habe er sich nicht überfordert oder zu stark belastet gefühlt.

Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 10.05.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2000 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen oder Leistungen als zuständiger Unfallversicherungsträger zu gewähren; hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.

Sie bezieht sich vor allem auf die Ausführungen von Prof. Dr. N. und Dr. T. Es habe eine Jahre zurückliegende Infektion mit dem Epstein-Bar-Virus vorgelegen, die bei 50 bis 60 % der Bevölkerung gegeben sei. Die Ausführungen des Gerichtsgutachters Prof. Dr. V. bewegten sich nur im Bereich der Möglichkeit. Aus den Laborwerten des Jahres 2002 könne die Frage der Infektion im April 1998 nicht beantwortet werden. Eine Ansteckung im April 1998 sei mit dem Zytomegalie-Virus nicht möglich gewesen, mit dem Epstein-Barr-Virus möglich, aber keineswegs hinreichend wahrscheinlich.

Das Sozialgericht hat ärztliche Befundberichte eingeholt von der Ärztin G. vom 29.11.2000, Dr. W. vom 31.01.2001 sowie von Dr. Q. vom 22.02.2001.

Das Sozialgericht hat schriftliche Auskünfte eingeholt von Dr. H. vom 16.02.2001.

Die Befundberichte und Auskünfte wurden den Beteiligten abschriftlich zur Kenntnis gebracht.

Die Verwaltungsakten der Beklagten lagen dem Gericht vor. Der Kläger hat weitere medizinische Unterlagen und Gutachten in zwei Ordnern vorgelegt. Die Unterlagen des MDK Frankfurt am Main waren beigezogen.

Das Gericht hat eine Begutachtung des Klägers veranlasst durch Dr. X. und Prof. Dr. V.; auf das Gutachten vom 10.02.2002 und die ergänzende Stellungnahme vom 25.10.2002 wird Bezug genommen.

Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sonstige Zulässigkeitsmängel sind nicht ersichtlich.

Die Klage ist nach Maßgabe des Urteilstenors dem Grunde nach gerechtfertigt, soweit eine Mononukleose (Epstein-Barr-Virus) als Berufskrankheit im Streit steht.

Hinsichtlich der behaupteten Zytomegalie war die Klage abzuweisen.

Die Berufskrankheit 3101 erfasst Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst ... tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Nach dem Beruf des Klägers ist die allgemeine Gefahrenlage zu bejahen. Als Infektionskrankheiten kommen sowohl die infektiöse Mononukleose (Epstein-Barr-Virus) als auch die Zytomegalie in Betracht (vgl. Anhang zur Bekanntmachung des BMA vom 01.12.2000).

Nach den Ausführungen der Gutachter Dr. X. und Prof. Dr. V. in deren Gutachten vom 10.02.2002 nebst deren ergänzende Stellungnahme vom 25.10.2002 und der Vernehmung des Dr. X. am 10.03.2003 geht das Sozialgericht davon aus, dass bei dem Kläger eine Mononukleose als Infektionskrankheit im April 1998 auftrat. Der Zusammenhang der Erkrankung mit der Behandlung der Patientin F. F. ergibt sich aus den Aussagen des Sachverständigen im Verhandlungstermin. Auch wenn weite Teile der Bevölkerung mit diesem Virus infiziert sind, so impliziert doch sowohl die konkrete Behandlungsform durch den Kläger als auch die Tatsache einer Primärinfektion des Klägers durch diese Patientin eine weit höhere Infektionsgefahr für den konkreten Kläger als für die Bevölkerung im allgemeinen.

Die im April/Mai 1998 als Grunderkrankung vorliegende Mononukleose wird bewiesen durch die Ausführungen der Gerichtsgutachter, den Sachvortrag des Klägers in dessen Schreiben an das Sozialgericht vom 20.05.2000 (Bl. 25 ff. Gerichtsakte), den Bericht des PD Dr. Y. (DKD Wiesbaden) vom 27.10.1998 (Bl. 68 ff. Gerichtsakte), den Bericht des Universitätsklinikums Tübingen PD Dr. Z. (Bl. 85 ff. Gerichtsakte) und den Bericht des Dr. H. vom 16.02.2001 (Bl. 167 Gerichtsakte). Hinzuweisen ist dabei auch noch auf das nervenärztliche Gutachten des Dr. CC. vom 15.03.1999 (Ordner des Klägers).

Folgeerscheinungen dieser Mononukleose sind sowohl der Zustand nach Myokarditis als auch das chronische Müdigkeitssyndrom. Insoweit handelt es sich nicht um Berufskrankheiten im Sinne der Liste zur BKV, aber um adäquate Folgen (vgl. z.B. Urteil des LSG Nordrheinwestfalen vom 28.09.1994 - L 17 U 175/91). Während im schriftlichen Gutachten mehr die Möglichkeit und Beweisbarkeit der Infektion und der Folgezusammenhänge dargestellt wurde, ergab sich in der mündlichen Vernehmung des Sachverständigen mehr die Richtung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, die über die bloße Möglichkeit durchaus weit hinaus ging.

Die Kammer hat nur die ablehnenden Bescheide aufgehoben und eine Anerkennung dem Grunde nach ausgesprochen, weil sowohl die Zeitdauer als auch die Schwere der Folgeerscheinungen noch weitgehend offen sind. Insoweit muss einerseits auf das Gutachten des Dr. CC. hingewiesen werden. Andererseits können Bandscheibenschäden mit neurochirurgischer Behandlung hier sicher nicht relevant sein. Außerdem ist bei der langen Dauer der Erkrankung auch zu fragen, ob das chronische Müdigkeitssyndrom trotz seiner viralen Verursachung nicht vielleicht doch irgendwann überwiegend aufrechterhalten wird durch die vom Kläger selbst gewählten und gestalteten Lebens- und Berufsverhältnisse: Wer eine eigene Praxis mit 12 Stunden-Tag und betont hohem Umsatz hat, gleichzeitig nebenbei Medizin studiert und gleichzeitig eine Ehefrau mit zwei Kindern und ein eigenes Haus hat (der Auslösevorfall am 19.04.1998 war der Kommunionssonntag der Tochter des Klägers), der wird irgendwann unter dieser Belastung Krankheitssymptome bekommen, gleichgültig welche viralen Einflüsse sich ergeben. Die Beklagte wird also nach Zeitdauer und MdE-Höhe einen neuen Bescheid erteilen müssen.

Für das Vorliegen einer Zytomegalie ergab sich nach dem Gerichtsgutachten kein ausreichender Anhalt, diese Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, zusätzliche Arbeit und Kosten sind durch die Aufteilung in zwei Verfahren durch die Beklagte nicht entstanden.
Rechtskraft
Aus
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