S 32 R 13/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
32
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 32 R 13/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 267/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RE 2/20 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 6. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2015 verpflichtet, die ursprüngliche Befreiung vom 15. Dezember 1999 auch auf die in der Zeit vom 20. April 2015 bis 19. April 2016 ausgeübte Beschäftigung zu erstrecken.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstreckung einer Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) streitig.

Der 1966 geborene Kläger wurde am 29. März 1996 als Rechtsanwalt von der Rechtsanwaltskammer Berlin zugelassen. Nach zwischenzeitlicher Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer C-Stadt (1998) erhielt er am 20. August 1999 erneut die Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer Berlin. Zum 31. März 2017 endete die Mitgliedschaft des Klägers in der Rechtsanwaltskammer Berlin. Seit dem 24. September 1999 war der Kläger Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte Berlin.

Am 11. März 1999 beantragte der Kläger die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) für eine seit dem 8. März 1999 angestellte Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der Kanzlei B., B-Stadt.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 1999 nahm die Beklagte eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vor. In dem Bescheid heißt es: "Die Befreiung gilt für die Dauer der Pflichtmitgliedschaft und einer daran anschließenden freiwilligen Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der jeweiligen Berufskammer, soweit Versorgungsabgaben in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen wären. Die Wirkung der Befreiung ist grundsätzlich auf die jeweilige berufsständische Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt. Die Befreiung erstreckt sich, sofern die Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer weiterhin besteht, auch auf andere nicht berufsständische versicherungspflichtige Beschäftigungen oder Tätigkeiten, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt sind und Sie insoweit satzungsgemäß verpflichtet sind, einkommensbezogene Beiträge zur Versorgungseinrichtung zu zahlen."

Bis zum 31. Dezember 2008 war der Kläger als angestellter Rechtsanwalt tätig. Für eine zum 23. November 2009 aufgenommene bis zum 22. November 2011 befristete angestellte Tätigkeit als Arbeitsvermittler bei der Bundesagentur für Arbeit (B-Stadt) beantragte der Kläger am 1. Februar 2010 die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Mit Bescheid vom 19. Februar 2010 erstreckte die Beklagte die Befreiung auf die Tätigkeit als Arbeitsvermittler; im Einzelnen heißt es in dem Bescheid: "Sie sind aufgrund des Bescheides vom 15.12.99 mit Wirkung ab 01.10.99 für die Beschäftigung als Rechtsanwalt gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zugunsten des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte Berlin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Die Befreiungsregelung nach der vorgenannten Vorschrift ist nicht personen-, sondern tätigkeitsbezogen, d.h. die Befreiung von der Versicherungspflicht ist auf die jeweilige berufsspezifische Beschäftigung oder Tätigkeit beschränkt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI); berufsfremde Beschäftigungen oder Tätigkeiten werden von ihr grundsätzlich nicht erfasst. Die Befreiung von der Versicherungspflicht kann sich jedoch dann auf eine vorübergehende berufsfremde Beschäftigung oder Tätigkeit erstrecken, sofern diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und insoweit auch einkommensgerechte Beiträge aus der berufsfremden Beschäftigung oder Tätigkeit an die berufsständische Versorgungseinrichtung gezahlt bzw. von der berufsständischen Versorgungseinrichtung erhoben werden (§ 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI). Es handelt sich bei der von Ihnen ausgeübten Beschäftigung als Vollbeschäftigter bei der Agentur für Arbeit B-Stadt D. zwar um eine berufsfremde Beschäftigung, auf die sich jedoch die o.g. Befreiung im Rahmen des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI vom 23.11.09 bis 22.11.11 erstreckt, da diese Beschäftigung im Voraus zeitlich begrenzt ist und insoweit einkommensgerechte Beiträge an das berufsständische Versorgungswerk gezahlt werden und die Pflichtmitgliedschaft in berufsständischer Kammer und Versorgungswerk fortbesteht."

In der Folgezeit war der Kläger weiterhin mehrfach befristet beschäftigt: Für die befristete Tätigkeit als Arbeitsvermittler bei der Agentur für Arbeit (B-Stadt) vom 1. Dezember 2011 bis 27. Februar 2012 erteilte die Beklagte auf den Antrag des Klägers vom 8. Dezember 2011 hin mit Bescheid vom 16. Dezember 2011 eine Befreiung entsprechend dem Bescheid vom 19. Februar 2010. Gleiches galt für die sich anschließende weitere befristete Beschäftigung vom 1. März bis 27. Mai 2012 als Arbeitsvermittler (Bescheid der Beklagten vom 14. März 2012, der ebenfalls dem Bescheid vom 19. Februar 2010 entsprach). Vom 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2012 war der Kläger an das Jobcenter E-Stadt als Angestellter der Stadt F-Stadt abgeordnet. Auch hierfür erteilte die Beklagte auf den Antrag des Klägers vom 28. September 2012 hin mit Bescheid vom 11. Oktober 2012 eine Befreiung (entsprechend dem Bescheid vom 19. Februar 2010). Daran anschließend war der Kläger vom 1. Januar 2013 bis 30. Juni 2013 und vom 1. Juli 2013 bis 31. Dezember 2013 wiederum als Angestellter der Stadt F-Stadt an das Jobcenter E-Stadt abgeordnet. Auf die Anträge vom 4. Januar 2013 und 3. September 2013 hin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Februar 2014 erneut die Befreiung vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2013 für die Dauer der Beschäftigung bei der Stadt F-Stadt fest.

Vom 10. Januar 2014 bis 8. Januar 2015 war der Kläger arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld.

Zum 20. April 2015 nahm der Kläger eine bis zum 19. April 2016 befristete Beschäftigung bei der G. - Kreis G-Stadt (Anstalt des öffentlichen Rechts) als Sachbearbeiter Grundsicherung auf. Am 8. Juli 2015 beantragte er die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht und legte eine Bestätigung vom 9. Juli 2015 vor, wonach weiterhin die Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk bestehe.

Mit Bescheid vom 6. August 2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger berufsfremd tätig sei; es liege keine aktuell wirksame Befreiung für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit im Kammerberuf als Rechtsanwalt vor. "In seinem Urteil vom 31.10.2012 (B 12 R 8/10 R) hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts klargestellt, dass eine Erstreckung nach dieser Vorschrift keinen eigenständigen Befreiungstatbestand darstellt, sondern von ihrer systematischen Stellung und der Gesetzesbegründung her als Bezugspunkt eine bereits nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erteilte ursprüngliche Befreiung voraussetzt und unmittelbar an diese anknüpft. Die Deutsche Rentenversicherung Bund folgt dieser Rechtsprechung. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung im Wege einer Erstreckung kommt daher nur in Betracht, wenn unmittelbar vor der Aufnahme einer versicherungspflichtigen berufsfremden Beschäftigung oder Tätigkeit oder daneben eine durch einen Bescheid nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI befreite berufsspezifische Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wurde. Daher können in ihrer berufsspezifischen Tätigkeit nicht versicherungspflichte Selbständige, deren Arbeit in Ermangelung einer Versicherung nicht befreiungsfähig ist, nicht im Wege des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zugunsten ihres Versorgungswerkes befreit werden, wenn sie ihre Tätigkeit durch eine berufsfremde Beschäftigung oder Tätigkeit ersetzen oder ergänzen. Sie sind als Mitarbeiter bei der G. berufsfremd und befristet beschäftigt. Es liegt allerdings daneben keine aktuell wirksame Befreiung für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit für Ihren Kammerberuf als Rechtsanwalt vor."

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein mit dem er geltend machte, bis zum 31. Dezember 2008 als Rechtsanwalt tätig gewesen zu sein. Anschließend sei er wegen zeitlich begrenzter/befristeter berufsfremder Verträge immer wieder befreit worden nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI. Nunmehr werde ihm die Befreiung verwehrt. Er habe einen Vertrauensschutz darin, dass die Beklagte ihre Rechtsauffassung aus zahlreichen Befreiungsbescheiden weiterhin behalte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2015 wies die Beklagte den Widerspruch unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 31. Oktober 2012 (B 12 R 8/10 R) zurück. Da der Kläger seit Ende 2008 keine Tätigkeit als Rechtsanwalt mehr ausgeübt habe, fehle es an einem Bezugspunkt für die Erstreckung.

Am 7. Januar 2016 hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass er über den 31. Dezember 2008 hinaus als Rechtsanwalt zugelassen gewesen sei. Auch wenn er seit den letzten sieben Jahren nicht mehr als Rechtsanwalt tätig gewesen sei, habe er seine Altersversorgung als Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerkes ausgerichtet. Durch die Ansicht der Beklagten sei er gezwungen, die Mitgliedschaft im Versorgungswerk zu beenden. Er sei dann auf die Altersrente der Beklagten angewiesen, in die er in den letzten 17 Jahren nicht eingezahlt habe. Er habe letztlich erst Ende 2018 einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten. Aufgrund der befristeten Arbeitsverträge habe er seine Zulassung als Rechtsanwalt nicht abgeben wollen, da er sich die Gelegenheit offen lassen wollte, wieder als angestellter Rechtsanwalt arbeiten zu können, wenn sich eine solche Gelegenheit ergeben würde. Dafür sei es günstig gewesen, die Zulassung zu behalten, da er dann sofort als zugelassener Rechtsanwalt hätte anfangen können zu arbeiten. Darüber hinaus sei die (Neu-) Mitgliedschaft im Versorgungswerk nach einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach dem 45. Lebensjahr nicht mehr möglich. Auch deshalb habe er auf die Zulassung nicht verzichten wollen. Letztlich sei er bis zum 31. März 2017 Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte Berlin gewesen und sei seitdem freiwilliges Mitglied; er zahle den Mindestbetrag, um die erworbenen Anwartschaften zu erhalten. Auf die Zulassung habe er auch wegen der damit verbundenen Kosten verzichtet. Im hier streitigen Zeitraum sei er in Vollzeit beschäftigt gewesen. Es habe sich nicht um eine geringfügige Beschäftigung gehandelt.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2015 zu verpflichten, die ursprüngliche Befreiung vom 15. Dezember 1999 auch auf die in der Zeit vom 20. April 2015 bis 19. April 2016 ausgeübt Beschäftigung zu erstrecken.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung fest. Aus den früheren Befreiungen könne der Kläger keinen Anspruch herleiten. Es gebe keinen Anspruch auf Weiterführung des damaligen Verwaltungshandelns bei zwischenzeitlicher Änderung der Rechtsauffassung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 6. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2015 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht vom 15. Dezember 1999 auf die vom 20. April 2015 bis 19. April 2016 ausgeübte Tätigkeit als Angestellter bei der G. - Kreis G-Stadt (GX.) zu erstrecken.

Diese Tätigkeit unterlag zwar grundsätzlich der Versicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Danach sind versicherungspflichtig Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Der Kläger war bei der G. – Kreis G-Stadt (GX.) in der Zeit vom 20. April 2015 bis 19. April 2016 abhängig beschäftigt, weil die konstitutiven Merkmale des entsprechenden Anknüpfungssachverhalts (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) vorliegen. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Der Kläger hat bei der G. – Kreis G-Stadt (GX.) als Angestellter eine nichtselbständige Arbeit in einem Arbeitsverhältnis gegen Entgelt erbracht. Anhaltspunkt dafür, dass diese Beschäftigung wegen Entgeltgeringfügigkeit (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI i.V.m. § 8 Abs. 1 SGB VI und § 230 Abs. 8 SGB VI) versicherungsfrei war, liegen nicht vor.

Auch lagen die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht vor. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungsreinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe berufsständische Versorgungseinrichtung und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und
c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Nach § 6 Abs. 5 SGB VI ist die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt (Satz 1). Sie erstreckt sich in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.

Der Kläger war im streitigen Zeitraum zwar verkammertes Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerkes. Er war durch die Rechtsanwaltskammer Berlin zur Rechtsanwaltschaft zugelassen (Zulassung vom 20. August 1999). Diese Zulassung endete am 31. März 2017. Aufgrund dessen wurde der Kläger gemäß § 12 Abs. 3 BRAO kraft gesetzlicher Verpflichtung obligatorisches Pflichtmitglied der zulassenden Rechtsanwaltskammer Berlin (§ 60 Abs. 1 Satz 2 BRAO). Er ist damit auch aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung ipso jure (ohne Erlass eines weiteren Verwaltungs- oder eines anderen konstitutiven Rechtsaktes) obligatorisches Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung geworden. Denn nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung in Berlin (RAVG Bln) vom 2. Februar 1998 wird, wer nach Inkrafttreten dieses Gesetzes Mitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin wird, zugleich Mitglied des Versorgungswerkes. Nach § 13 Abs. 1 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Berlin (Stand 2. Oktober 2014) endet die Mitgliedschaft im Versorgungswerk
1. mit dem Tode des Mitglieds
2. wenn das Mitglied nicht mehr der Rechtsanwaltskammer Berlin angehört, sofern es nicht Berufsunfähigkeits- oder Altersrente des Versorgungswerks bezieht.
Ausweislich der Bestätigung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Berlin vom 9. Juli 2015 bestand die Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer Berlin für die Berufsgruppe am Beschäftigungsort bereits vor dem 1. Januar 1995. Der Kläger ist seit dem 24. September 1999 kraft Gesetzes Mitglied des Versorgungswerkes gewesen. Er hat ab Beginn der Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für Zeiten, für die ohne diese Befreiung Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen wären, einkommensbezogene Pflichtbeiträge analog §§ 157 ff. SGB VI zu zahlen. Aufgrund dessen war er nach § 30 Abs. 1 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Berlin verpflichtet, als Mitglied den Pflichtbeitrag an das Versorgungswerk zu entrichten. Nach § 30 Abs. 7 der Satzung entrichten Mitglieder, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit sind, einen einkommensbezogenen Pflichtbeitrag, dessen Höhe sich aus §§ 157 bis 160, 228a SGB VI in Verbindung mit den dazu ergangenen Rechtsverordnungen der Bundesregierung in der jeweiligen Fassung ergibt (einkommensbezogener Pflichtbeitrag).

Es fehlt aber für einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI daran, dass diese Mitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk nicht auf derselben Beschäftigung beruht, für die der Kläger die Befreiung von der Versicherungspflicht begehrt. Unter "derselben Beschäftigung" im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist die "von der Beschäftigung erfasste Erwerbstätigkeit" zu verstehen. Ein und dieselbe Erwerbstätigkeit führt neben der Versicherungspflicht in der gesetzlichen (Beschäftigten-)Rentenversicherung auch zur Versicherungspflicht in der berufsständischen Rechtsanwaltsversorgung, wenn die Erwerbstätigkeit sowohl nach inhaltlichen Aspekten als auch ihrer äußeren Form nach dem Bereich anwaltlicher Berufstätigkeit zugeordnet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, B 5 RE 7/16 R, juris, Rdnr. 21). Die Tätigkeit des Klägers als Sachbearbeiter bei der G. – Kreis G Stadt (GX.) ist nicht einer anwaltlichen Tätigkeit zuzuordnen. Es handelt sich damit nicht um "dieselbe Beschäftigung". Darüber hinaus hat der Kläger nach eigenen Angaben neben dieser Beschäftigung eine Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht ausgeübt, auch wenn er weiterhin zugelassen war zur Rechtsanwaltschaft.

Die Befreiung von der Versicherungspflicht ergibt sich auch nicht daraus, dass die ursprünglich ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung mit Bescheid vom 15. Dezember 1999 auch die im streitigen Zeitraum vom 20. April 2015 bis 19. April 2016 ausgeübte Beschäftigung mitumfassen würde. Aus dem Bescheid vom 15. Dezember 1999 ergibt sich, dass sich die Befreiungsregelung auf die konkrete Tätigkeit bezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2018, B 5 RE 2/17 R, Rdnr. 31 ff.).

Die Beklagte ist aber verpflichtet, die ursprüngliche Befreiung auf die spätere Beschäftigung zu "erstrecken." Der Kläger kann nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI die Erstreckung der Befreiung aus dem Bescheid vom 15. Dezember 1999 auf die Tätigkeit ab dem 20. April 2015 verlangen.

Die Anwendung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI setzt u.a. das ununterbrochene Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VI (= Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer) voraus (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 8/10 R, juris, Rdnr. 25). Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI "erstreckt" sich die Befreiung in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet. Die danach vorgesehene "Erstreckung" der Befreiung auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit kommt nur in Betracht, wenn der ursprünglich zur Befreiung führende Sachverhalt (= Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer) auch weiterhin vorliegt. Denn nach dem Wortlaut kann nur ein überhaupt noch bestehender Befreiungsstatus auf eine andere Tätigkeit erstreckt werden (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 8/10 R, juris, Rdnr. 26). Die systematische Stellung der Vorschrift im Anschluss an die gesetzliche Definition des auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkten Bezugspunkts der Befreiung von der Versicherungspflicht in § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI verdeutlicht im Zusammenhang mit der in ihr genannten Tatbestandsvoraussetzung einer zeitlich begrenzten anderen Tätigkeit, dass die Vorschrift lediglich eine Regelung enthält, die sich auf eine andere vorübergehende selbständige Tätigkeit bzw. Beschäftigung bezieht, und daher keinen von den grundlegenden Voraussetzungen in § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI losgelösten eigenständigen Befreiungstatbestand darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 8/10 R, juris, Rdnr. 27). Mit der Ausnahmeregelung soll sichergestellt werden, dass eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führt. Mit dieser Abweichung von dem Grundsatz der allein tätigkeitsbezogenen Befreiung wird dem Gedanken der Versicherungskontinuität insoweit Rechnung getragen, als vorübergehend ausgeübte berufsfremde Tätigkeiten unter den Voraussetzungen von § 6 Abs. 5 Satz 2 einen Wechsel des Sicherungssystems nicht herbeiführen können. Legitimiert wird eine Erstreckung der Befreiung aber nur, wenn die grundlegenden Befreiungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 8/10 R, juris, Rdnr. 28). Von Verfassungswegen besteht kein Wahlrecht, das es ermöglichen würde, im Laufe eines Berufslebens die jeweils günstigste Versorgungsmöglichkeit zu wählen oder an ihr festzuhalten und die Anwendung aller anderen Versicherungstatbestände auszuschließen. Es ist vielmehr mit dem Grundgesetz vereinbar, dass die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wegen Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk endet, wenn der Betroffene der Berufsgruppe nicht mehr angehört, für die das Versorgungswerk errichtet wurde (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 8/10 R, juris, Rdnr. 30).

Der Kläger gehörte in der Zeit vom 20. April 2015 bis 19. April 2016 der Berufsgruppe der Rechtsanwälte weiterhin an. Es kann dahinstehen, ob für eine Erstreckung parallel eine Tätigkeit als Rechtsanwalt und eine weitere befristete Beschäftigung ausgeübt werden muss. Jedenfalls in den Fällen, in denen ein Rechtsanwalt nach § 47 BRAO die Ausübung seiner rechtsanwaltlichen Tätigkeit versagt ist, obwohl er weiterhin seine Zulassung behält und u.a. den Kammerbeitrag zahlt, ist der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI eröffnet (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 8/10 R, juris, Rdnr. 29). In diesen Fällen kann von einem vorübergehenden Tätigkeitswechsel ausgegangen werden.

§ 47 Abs. 1 Satz 1 BRAO sieht vor, dass Rechtsanwälte, die als Richter oder Beamte verwendet werden, ohne auf Lebenszeit ernannt zu sein, die in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen werden oder die vorübergehend als Angestellte im öffentlichen Dienst tätig sind, ihren Beruf als Rechtsanwalt nicht ausüben dürfen, es sei denn, dass sie die ihnen übertragenen Aufgaben ehrenamtlich wahrnehmen. Im Fall des § 47 Satz 1 BRAO bleibt der Rechtsanwalt zwar Rechtsanwalt, seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ruht aber während der vorübergehenden Tätigkeit im öffentlichen Dienst (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 47, Rdnr. 12). Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§§ 4, 12) besteht aber fort; deshalb bleibt der Rechtsanwalt auch in dem Rechtsanwaltsverzeichnis eingetragen. Für die Dauer der vorübergehenden Tätigkeit im öffentlichen Dienst unterliegt der Rechtsanwalt kraft § 47 Abs. 1 Satz 1 BRAO nicht der Kanzleipflicht nach § 27 und kann auch die damit verbundenen Rechte nicht geltend machen (vgl. Feuerich/Weyland, aaO, Rdnr. 13). Trotz des Ruhens der Zulassung und der Rechte daraus bleiben während der Dauer der vorübergehenden Tätigkeit im öffentlichen Dienst einige Pflichten des Rechtsanwalts bestehen. Auch während der Zeit des Berufsausübungsverbots gehört der Rechtsanwalt der Rechtsanwaltskammer an (vgl. Feuerbach/Weyland, aaO, Rdnr 14b). Er hat keinen Anspruch auf Befreiung oder Ermäßigung des Kammerbeitrags (vgl. Feuerbach/Weyland, aaO, Rdnr. 14b).

Ausgehend davon handelte es sich bei der vom 20. April 2016 bis 19. April 2016 ausgeübten Tätigkeit um einen vorübergehenden Tätigkeitswechsel, auf den die Befreiung aus dem Bescheid vom 15. Dezember 1999 zu erstrecken ist. Der Kläger war nach 2008 immer wieder zeitlich befristet in Anstellungsverhältnissen im öffentlichen Dienst im Sinne des § 47 BRAO tätig. Für die Zuordnung eines Angestelltenverhältnisses zum "öffentlichen Dienst" ist unmaßgeblich, ob der Rechtsanwalt eine Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Art ausübt. Für den öffentlichen Dienst wesentlich ist vielmehr allein die Anstellung bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, nicht wesentlich dagegen die Art der Tätigkeit; erforderlich ist die Eingliederung in die Organisation eines öffentlich-rechtlichen Dienstherren (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, aaO, Rdnr. 6). Unter einem Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne des § 47 BRAO ist auch derjenige Angestellte des Bundes, eines Landes oder sonst einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zu verstehen, der eine Tätigkeit nicht öffentlich-rechtlicher Art ausübt (vgl. Feuerich/Weyland, aaO, Rdnr. 7). Dies war bei dem Kläger gegeben. Die hier streitige Tätigkeit übte er als Angestellter einer Anstalt des öffentlichen Rechts aus.

Der Kläger war bis zur Rückgabe der Zulassung als Rechtsanwalt auch nur vorübergehend im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI berufsfremd tätig. Der Kläger hat die Zulassung als Rechtsanwalt von 2009 bis März 2017 behalten, weil er aufgrund der lediglich befristeten Arbeitsverträge überhaupt nicht sicher sagen konnte, dass er sein Berufsleben nunmehr auf einen anderen Bereich als den des Rechtsanwalts ausrichten würde. Mit der Aufrechterhaltung der Zulassung hat der Kläger in Zusammenschau mit den befristeten Arbeitsverträgen zu erkennen gegeben, dass er weiterhin eine Tätigkeit als angestellter Rechtsanwalt ausüben will. Dem steht nicht entgegen, dass sich dieser vorübergehende Zeitraum auf fast acht Jahre erstreckt hat. Dies ist vielmehr den jeweils befristeten Arbeitsverträgen geschuldet. Die damit verbundene Unsicherheit und der Umstand, dass er wegen § 47 BRAO einem Berufsausübungsverbot unterlag, haben vielmehr dazu geführt, dass der Kläger sich nicht endgültig vom Beruf des Rechtsanwalts gelöst hat. Im Vordergrund stand dabei auch nicht das Ziel, Mitglied im Versorgungswerk zu bleiben, sondern der Wunsch, sich alle Möglichkeiten für die Berufsausübung offen zu halten. Dies rechtfertigt es in einer Gesamtschau aller Umstände, die Befreiung auch auf die Tätigkeit vom 20. April 2015 bis 19. April 2016 zu erstrecken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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