L 7 AS 82/20 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 35 AS 2690/19 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 82/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Das Gericht kann nur durch Beschluss, nicht allein durch richterliche Verfügung mehrere bei ihm anhängige Rechtsstreitigkeiten verbinden.
2. Eine Betreibensaufforderung in einem Rechtsstreit wirkt bei unwirksamer Verbindung nicht für den verbundenen Rechtsstreit.
3. Jedenfalls bei angekündigter und trotz anschließenden gerichtlichen Aufforderungen nicht eingegangener Klagebegründung kann eine Betreibensaufforderung ergehen.
I. Die Verfahren L 7 AS 82/20 B ER, L 7 AS 83/20 B ER, L 7 AS 84/20 B ER und L 7 AS 85/20 B ER werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Auf die Beschwerde des Antragstellers im Verfahren L 7 AS 84/20 B ER wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. Dezember 2019 im Verfahren S 35 AS 2692/19 ER aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die von Y ... im Rechtsstreit S 26 AS 2796/17 erhobene Klage gegen die Festsetzung zu erstattender Leistungen durch Bescheid vom 02.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.06.2017 (W 880/17) aufschiebende Wirkung hat.

III. Die Beschwerden der Antragsteller in den Verfahren L 7 AS 82/20 B ER, L 7 AS 83/20 B ER und L 7 AS 85/20 B ER werden zurückgewiesen.

IV. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Verfahren L 7 AS 84/20 B ER zu erstatten. In den Verfahren L 7 AS 82/20 B ER, L 7 AS 83/20 B ER und L 7 AS 85/20 B ER sind keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Im Streit ist die aufschiebende Wirkung von - als zurückgenommen geltend im Verfahrensregister des Sozialgerichts (SG) Chemnitz ausgetragenen - Klagen gegen Bescheide über die abschließende Entscheidung über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Erstattung überzahlter Leistungen.

Die Antragsteller im Verfahren L 7 AS 83/20 B ER (Z ...) und L 7 AS 84/20 B ER (Y ...) sind verheiratet, die Antragsteller in den Verfahren L 7 AS 82/20 B ER ( A ...) und L 7 AS 85/20 B ER (X ...) deren 2006 und 2009 geborenen Kinder. Ein weiteres, 2015 geborenes, Kind von Z ... und Y ... (W ...) ist nicht Beteiligter der Verfahren.

Der Antragsgegner entschied abschließend für November 2015 bis April 2016 über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Antragsteller im Sinne einer sog. Nullfestsetzung unter individueller Festsetzung zu erstattender Überzahlungen (an Z ... auch "als gesetzlicher Vertreter Ihrer minderjährigen Kinder" , Y ... und W ... gerichteter Bescheid vom 02.02.2017 und Widerspruchsbescheid vom 13.06.2017, W 879/17 mit individuellen Erstattungsbeträgen von 2.170,62 EUR für Z ..., jeweils 835,46 EUR für und X ... sowie 650,72 EUR für W ...; an Y ... gerichteter Bescheid vom 02.02.2017 und Widerspruchsbescheid vom 13.06.2017, W 880/17 mit einem Erstattungsbetrag von 2.170,62 EUR).

Dagegen erhoben die Antragsteller durch ihren bevollmächtigten Rechtsanwalt am 13.07.2017 beim SG Chemnitz - der personellen Zuordnung des Antragsgegners folgend - mit zwei getrennten Schreiben vom selben Tag Klagen und beantragten sie gleichzeitig Prozesskostenhilfe (PKH). In den Klageschriften werden jeweils Kläger, Beklagter und Gegenstand der Klagebegehren bezeichnet. Weiterhin wird jeweils u.a. ausgeführt: "Die Kläger begehren / Der Kläger begehrt die zumindest teilweise Aufhebung des Rückforderungsbetrages in Höhe von 4492,26 Euro / 2170,62 Euro für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis 30.04.2016." Die Klagebegründung erfolge "durch gesonderten Schriftsatz". Das SG erfasste die Klagen von Z ... und deren drei vorgenannten Kindern unter dem Aktenzeichen (Az.) S 26 AS 2796/17, die Klage von Y ... unter dem Az. S 26 AS 2797/17.

Im Verfahren S 26 AS 2797/17 unterzeichnete offenbar zeitgleich mit einer - weder namentlich ("i.V. ") noch zeitlich (ohne Datumsangabe) nachvollziehbaren - Unterzeichnung der unter dem Datum des 27.07.2017 ausgedruckten Eingangsverfügung dieselbe Person mit identischem Handzeichen (Paraphe) eine "Verfügung vom 28.7.17", in der unter 4. ausgeführt wird: "Das Verfahren S 26 AS 2797/17 wird zum Verfahren S 26 AS 2796/17 hinzuverbunden." Mit Schreiben einer Justizbeschäftigten vom 01.08.2017 bestätigte das SG unter dem Az. S 26 AS 2797/17 dem Bevollmächtigten des Antragstellers "in dem Rechtsstreit Y ... " u.a. den Eingang der Klageschrift und teilte ihm u.a. mit: "Das Verfahren wurde zum Verfahren S 26 AS 2797/17 hinzuverbunden." Die Abschlussverfügung in diesem Verfahren datiert vom 01.08.2017.

Im Verfahren S 26 AS 2796/17 bestätigte das SG dem Bevollmächtigten der Antragsteller mit Schreiben einer Justizbeschäftigen vom 01.08.2017 "in dem Rechtsstreit Z ... u.a." den Eingang der Klageschrift, teilte ihm u.a. mit "Das Verfahren S 26 AS 2797/17 wurde zu diesem Verfahren hinzuverbunden" und bat um Übersendung der "Klagebegründung(en)" sowie um Vorlage der PKH-Erklärungen. Erinnerungen erfolgten mit Verfügungen vom 12.04.2018 und 11.05.2018.

Am 31.08.2017 übersandte der Bevollmächtigte der Antragsteller unter Angabe der Az. S 26 AS 2796/17 und S 26 AS 2797/17 PKH-Erklärungen nebst Belegen hierzu (Schreiben vom 29.08.2017).

Mit Schreiben vom 11.06.2018 forderte das SG unter dem Az. S 26 AS 2796/17 den Bevollmächtigten der Antragsteller "in dem Rechtsstreit Z ... u.a." auf, "bis spätestens drei Monate nach Zustellung dieses Schreibens zu Nachfolgendem Stellung zu nehmen und das Verfahren weiterzubetreiben." Weiterhin wird ausgeführt: "Es ist nach Klageerhebung bislang jede weitere Mitwirkung am Verfahren unterblieben. Sämtliche Aufforderungen des Gerichts blieben seither unbeantwortet. Dies lässt auf ein fehlendes Interesse an der weiteren Verfahrensführung schließen. Um förmliche Rücknahme wird daher gebeten. Anderenfalls wird gebeten, binnen drei Wochen einen konkreten Klageantrag zu stellen und die Klage zu begründen." Das Schreiben vom 11.06.2018 enthält den vollständigen Namen des Kammervorsitzenden mit dessen Unterschrift. Die Zustellung des Schreibens erfolgte am 14.06.2018.

Mit Schreiben vom 13.09.2018 teilte das SG dem Bevollmächtigten der Antragsteller unter dem Az. S 16 AS 2796/17 mit: "Bitte beachten Sie das neue Aktenzeichen."

Mit - dem Bevollmächtigten der Antragsteller am 10.10.2018 zugegangenen - Schreiben vom 08.10.2018 (unter dem Datum 25.09.2019 ausgedruckte Abschlussverfügung vom 25.09.2018) teilte das SG ihm unter dem Az. S 16 AS 2796/17 mit: "haben Sie auf die Aufforderungen des Gerichts nicht reagiert. Die Klage gilt als zurückgenommen."

Mit - dem Bevollmächtigten der Antragsteller ebenso am 10.10.2018 zugestellten - Beschluss vom 28.09.2018 (Az. S 16 AS 2796/17), der unter 5. auch Y ... als Kläger aufführt, lehnte das SG die Bewilligung von PKH ab.

Am 05.12.2019 haben , Z ..., Y ... und X ... beim SG mit vier gesonderten Schreiben im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der "Klage (S 26 AS 2796/17) vom 13.07.2017" gegen die Erstattungsbescheide vom 02.02.2017 beantragt. Der Antragsgegner mache die Erstattung der Überzahlungsbeträge geltend, obwohl die Klage aufschiebende Wirkung habe.

Das SG hat die Anträge unter den Az. S 35 AS 2690/19 ER ( A ...), S 35 AS 2691/19 ER (Z ...), S 35 AS 2692/19 ER (Y ...) und S 35 AS 2693/19 ER (X ...) erfasst und mit vier Beschlüssen vom 27.12.2019 "zurückgewiesen", da sie aufgrund der Bestandskraft der Bescheide vom 02.02.2017 unzulässig seien, nachdem die Klage S 16 (26) AS 2796/17, verbunden mit der Klage S 26 AS 2797/17, als zurückgenommen gelte.

Gegen die - ihrem Bevollmächtigten am 30.12.2019 zugestellten - Beschlüsse vom 27.12.2019 haben die Antragsteller am 23.01.2020 mit vier Schreiben beim SG jeweils Beschwerde eingelegt, die nach Weiterleitung an das Sächs. LSG unter den Az. L 7 AS 82/20 B ER ( A ...), L 7 AS 83/20 B ER (Z ...), L 7 AS 84/20 B ER (Y ...) und L 7 AS 85/20 B ER (X ...) erfasst wurden.

Die Antragsteller meinen, die Bescheide vom 02.02.2017 seien nicht bestandskräftig. Das SG habe rechtswidrig Klagerücknahmefiktionen angenommen. Unter Benennung der Az. S 26 AS 2796/17 und S 27 AS 2796/17 sei mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 21.09.2018 das SG um Mitteilung der zuständigen Kammer gebeten und mit Schreiben vom 08.11.2018 beim SG die Feststellung, dass die Verfahren nicht erledigt sind, beantragt worden.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

die Beschlüsse des Sozialgerichts Chemnitz vom 27.12.2019 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihrer am 13.07.2017 erhobenen Klagen gegen die Erstattungsbescheide vom 02.02.2017 festzustellen.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Die Klage S 26 AS 2796/17 gelte als zurückgenommen. Daher seien die strittigen Beträge zur Zahlung fällig geworden.

Dem Senat lagen auch die Gerichtsakten zu allen vorgenannten Verfahren vor.

II.

1. Die Verbindung der Beschwerdeverfahren beruht auf § 113 Abs. 1 SGG (zu dessen Geltung im Beschwerdeverfahren vgl. nur Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, Vor § 172 Rn. 4).

2. Beteiligte der Verfahren sind auf Seiten der Antragsteller (§ 69 Nr. 1 SGG) nur , Z ..., Y ... und X ... W ... ist mangels ausdrücklicher oder auszulegender Antragstellung (zu den Maßstäben und deren Anwendung bei Erhebung von Klagen durch Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft vgl. letztens BSG v. 30.10.2019 - B 14 AS 2/19 R - Rn. 11 m.w.N.) nicht Beteiligter einer der Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, auch wenn für ihn im Rechtsstreit S 16 (26) AS 2796/17 Klage erhoben wurde (vgl. Klageschrift v. 13.07.2017).

3. Streitgegenstand der Verfahren ist die von den Antragstellern begehrte (§ 123 SGG) Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 13.07.2017 beim SG erhobenen - ihrer Auffassung nach nicht als zurückgenommen geltenden (§ 102 Abs. 2 Satz 1 f. i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGG) - Klagen gegen die Bescheide vom 02.02.2017 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.06.2017 (W 879/17 und W 880/17), soweit der Antragsgegner damit über die Erstattung überzahlter Leistungen nach abschließender Entscheidung über die zustehenden Leistungen für November 2015 bis April 2016 entschieden hat.

4. Die Beschwerden der Antragsteller gegen die Beschlüsse des SG vom 27.12.2019 sind nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen und daher statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG), da in der Hauptsache der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 EUR übersteigt und damit die Berufungen keiner Zulassung bedürften (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Da dies selbst bei isolierter Beurteilung der Beschwerden gilt, kann dahinstehen, ob sie auch nach Verbindung der Verfahren noch eigenständig zu beurteilen sind (zur grundsätzlich eigenständigen Beurteilung der Zulässigkeit von Rechtsmitteln auch bei mehreren Streitgegenständen, die innerhalb eines Klageverfahrens im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht werden, vgl. letztens z.B. BSG v. 07.01.2020 - B 14 AS 137/19 B - juris Rn. 5 m.w.N.; bei Verbindung von Rechtsstreitigkeiten grundsätzlich ebenso z.B. Guttenberger in: jurisPK-SGG, § 113 Rn. 27, indes zugleich unter Hinweis auf BSG v. 08.10.1981 - 7 RAr 72/80 - juris Rn. 22 und zu Ausnahmen von einer Zusammenrechnung selbständiger Ansprüche).

Der Wert des Beschwerdegegenstands im Hauptsacheverfahren richtet sich danach, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt, wobei bei einer Geldleistung der Wert des Beschwerdegegenstands nach dem Geldbetrag zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 4 Abs. 1 ZPO) zu berechnen ist, um den unmittelbar gestritten wird (stRspr, vgl. nur BSG v. 23.07.2015 - B 8 SO 58/14 B - Rn. 6 m.w.N.). Das SG hat den Antragstellern die von ihnen begehrte Feststellung der aufschiebenden Wirkung deren Klagen versagt im vorgenannten Sinne. Da sich diese Feststellung jeweils auf ein auf Geldleistungen gerichtetes Rechtsverhältnis bezieht, wird sie zwar von der Berufungsbeschränkung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 SGG erfasst (allgemein zur Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG auf Berufungen, die sich gegen die Feststellung eines SG wenden, ein Verfahren sei erledigt, und zur Maßgeblichkeit des Gegenstandswerts der ursprünglichen Klage vgl. z.B. BSG v. 10.10.2017 - B 12 KR 3/16 R - Rn. 12; zu § 102 Abs. 2 SGG vgl. z.B. Senatsentscheidung v. 01.12.2010 - L 7 AS 524/09 - juris Rn. 22 und Wehrhahn in: jurisPK-SGG, § 144 Rn. 29 m.w.N. zum - vorherigen - Meinungsstand, hierzu weiterhin z.B. Sächs. LSG v. 18.04.2019 - L 3 AS 968/17 - juris Rn. 22). Indes ist die Wertgrenze von 750,- EUR aufgrund der vom Antragsgegner geforderten Erstattung von Überzahlungen - selbst bei isolierter Beurteilung (geringster individueller Betrag = 835,46 EUR) - für alle Antragsteller überschritten, da W ... nicht Beteiligter der Verfahren ist (vgl. unter 2.).

5. Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragstellers im Verfahren L 7 AS 84/20 B ER (Y ...) ist begründet, da das SG aufgrund unwirksamer Verbindung des Klageverfahrens S 26 AS 2797/17 mit dem Rechtsstreit S 16 (26) AS 2796/17 unzutreffend den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt hat und daher die aufschiebende Wirkung dessen Klage vom 13.07.2017 festzustellen ist. Die auch im Übrigen zulässigen Beschwerden der Antragsteller in den Verfahren L 7 AS 82/20 B ER, L 7 AS 83/20 B ER und L 7 AS 85/20 B ER sind dagegen unbegründet, da das SG aufgrund der als zurückgenommen geltenden Klagen S 16 (26) AS 2796/17 im Ergebnis zutreffend die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt hat.

6. Statthaft ist ein Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, der bei einem Streit über das Bestehen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Klage zumindest entsprechend anwendbar ist (so z.B. Senatsentscheidung v. 21.01.2013 - L 7 AS 413/12 B - juris Rn. 11, Sächs. LSG v. 31.08.2016 - L 3 AS 633/16 B ER - juris Rn. 20 und Keller in: Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 86a Rn. 8 und § 86b Rn. 15; dagegen in diesen Fällen von einer direkten Anwendung des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ausgehend z.B. Burkiczak in: jurisPK-SGG, § 86b Rn. 225 f., jeweils m.w.N.).

Die nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaften Anträge sind auch im Übrigen zulässig, insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller, da der Antragsgegner die aufschiebende Wirkung der Klagen bestreitet und die Vollstreckung der mit den Bescheiden vom 02.02.2020 festgestellten Erstattungsbeträge betreibt (zu dieser Voraussetzung für die Zulässigkeit vgl. ebenso z.B. Senatsentscheidung v. 21.01.2013 - L 7 AS 413/12 B - juris Rn. 11 sowie Burkiczak, a.a.O., § 86b Rn. 227 und Keller, a.a.O., § 86b Rn. 15). Ob die am 13.07.2017 erhobenen Klagen der Antragsteller (noch) rechtshängig sind und aufschiebende Wirkung entfalten, ist entgegen der Auffassung des SG eine Frage der Begründetheit der Anträge nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG (vgl. z.B. Burkiczak, a.a.O., § 86b Rn. 117 f., 121, 158, auch unter Darstellung des Meinungsstands; a.A. z.B. Keller, a.a.O., § 86b Rn. 7).

Einer Sachentscheidung des Senats steht auch nicht entgegen, dass die Antragsteller beim SG die Feststellung beantragt haben, dass die Rechtsstreitigkeiten in der Hauptsache nicht erledigt sind, da darüber noch nicht (rechtskräftig) entschieden wurde. Dahinstehen kann daher auch, ob das Schreiben des Bevollmächtigten der Antragsteller vom 08.11.2018 beim SG eingegangen ist, obwohl es sich nicht in den dem Senat vom SG vorgelegten Gerichtsakten (S 16/26 AS 2796/17 und S 26 AS 2797/17) befindet.

7. Begründet ist ein Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG (in direkter oder entsprechender Anwendung, vgl. unter 6.) auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung bereits dann, wenn Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben (allg. Auffassung, vgl. nur Burkiczak, a.a.O., § 86b Rn. 229, Keller, a.a.O., § 86b Rn. 15 und Krodel in: BeckOK-SozR, SGG § 86b Rn. 44, Stand: 01.03.2019).

Dabei besteht zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit über die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage gegen Verwaltungsakte über die Festsetzung zu erstattender Leistungen (sog. Erstattungsbescheide), da diese zumindest seit dem 01.01.2009 nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen ist (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II i.d.F. des Gesetzes v. 21.12.2008, BGBl. I S. 2917; vgl. z.B. Aubel in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 39 Rn. 13 und Greiser in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 39 Rn. 7, jeweils auch m.w.N. zum vorherigen Meinungsstand; hierzu weiterhin z.B. Senatsbeschluss v. 21.01.2013 - L 7 AS 413/12 B - juris Rn. 10).

Streit besteht allein über die Frage, ob die Klagen der Antragsteller vom 13.07.2017 nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gelten, sich damit die Rechtsstreite in der Hauptsache erledigten (§ 102 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGG), insoweit deren Rechtshängigkeit (§ 94 Abs. 1 SGG, mit "Jetztwirkung" vgl. BSG v. 30.04.1979 - 8b/3 RK 36/77 - juris Rn. 20) und ebenso deren aufschiebende Wirkung (vgl. z.B. Burkiczak in: jurisPK-SGG, § 102 Rn. 44) endete.

Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts nicht betreibt (zum Ausnahmecharakter dieser Norm und zu den Grundsätzen deren Anwendung vgl. letztens BSG v. 28.11.2019 - B 7 AY 2/18 B - Rn. 8 m.w.N.).

8. Die von Y ... am 13.07.2017 erhobene und vom SG unter dem Az. S 26 AS 2797/17 erhobene Klage gilt als nicht zurückgenommen, da mangels wirksamer Verbindung dieses Rechtsstreits mit dem Verfahren S 16 (26) AS 2796/17 die allein im letztgenannten Rechtsstreit erfolgte Aufforderung i.S.d. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG (sog. Betreibensaufforderung, grundlegend hierzu BSG v. 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R - Rn. 48 f.) keine Wirkung für das Verfahren S 26 AS 2797/17 entfaltete und auch keine gesonderte Aufforderung in diesem Rechtsstreit erfolgte.

Das Gericht kann "durch Beschluss" (§ 113 Abs. 1 SGG), nicht - wie hier - allein durch richterliche Verfügung (zu Unterschieden vgl. nur Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, § 125 Rn. 2) mehrere bei ihm anhängige Rechtsstreitigkeiten verbinden (vgl. z.B. Guttenberger in: jurisPK-SGG, § 113 Rn. 33 zur Trennung nach Verbindung und mit weiteren Hinweisen zur Form der Entscheidung).

Weder die von einem Richter mit einer Paraphe unterzeichnete "Verfügung vom 28.7.17" noch das allein von einer Justizbeschäftigten unterzeichnete - nach dessen Wortlaut sinnentleerte (Verfahren S 26 AS 2797/17 wird zum Verfahren S 26 AS 2797/17 hinzuverbunden) - Schreiben vom 01.08.2018 im Verfahren S 26 AS 2797/17 ist ein Beschluss i.S.d. § 113 Abs. 1 SGG. Nichts anderes gilt für das weitere Schreiben der Justizbeschäftigten vom 01.08.2017 im Verfahren S 26 AS 2796/17.

Selbst eine angenommene stillschweigende Verbindung ist aus Gründen der Rechtssicherheit unzulässig (vgl. z.B. Guttenberger, a.a.O., § 113 Rn. 35 und Keller, a.a.O., § 113 Rn. 3).

Mangels wirksamer Verbindung der Rechtsstreite S 26 AS 2796/17 und S 26 AS 2797/17 wirkt die sog. Betreibensaufforderung vom 11.06.2018 im Verfahren S 16 (26) AS 2796/17 nicht auch zugleich für das Verfahren S 26 AS 2797/17, zumal bei Anwendung des § 102 Abs. 2 SGG die "einschneidenden Rechtsfolgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung" zu beachten sind (vgl. nur BSG v. 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R - Rn. 49).

9. Die von den übrigen Antragstellern am 13.07.2017 erhobenen und vom SG unter dem Az. S 26 AS 2796/17 erfassten Klagen gelten indes als zurückgenommen, da insoweit die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG vorliegen, nachdem deren Bevollmächtigter mit der Klageschrift vom 13.07.2017 zwar selbst eine Klagebegründung ankündigte, sie indes trotz wirksamer Betreibensaufforderung nicht fristgerecht vorlegte.

a) Die formellen Voraussetzungen einer Betreibensaufforderung i.S.d. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG (vgl. weiterhin z.B. BSG v. 04.04.2017 - B 4 AS 2/16 R - Rn. 23 ff.) liegen vor. Sie ist vom zuständigen Kammervorsitzenden verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet worden. Unter Einbeziehung des vorherigen Verfahrensablaufs ist die Aufforderung auch inhaltlich konkret und klar, da sich aus ihr die Aufforderung des SG, "bis spätestens drei Monate nach Zustellung dieses Schreibens einen konkreten Klageantrag zu stellen und die Klage zu begründen", entnehmen lässt. Weiterhin enthält sie einen Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG. Eines Hinweises auf die Rechtsfolgen des § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO bedurfte es hier nicht (§ 183 Satz 1 SGG). Schließlich wurde die Aufforderung vom 11.06.2018 dem Bevollmächtigten der Antragsteller - offenbar zusammen mit drei weiteren Betreibensaufforderungen - am 14.06.2018 zugestellt (Zustellungsurkunde v. selben Tag).

b) Die weiteren Voraussetzungen einer Klagerücknahmefiktion i.S.d. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG sind ebenso gegeben, da unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses vorlagen (hierzu letztens zusammenfassend BSG v. 28.11.2019 - B 7 AY 2/18 B - Rn. 8 m.w.N.).

Bei Erlass der Aufforderung vom 11.06.2018 war für das SG nicht ersichtlich, inwieweit (vgl. Klageschrift v. 13.07.2017: "teilweise Aufhebung des Rückforderungsbetrages") und insbesondere aus welchen Gründen die Antragsteller eine gerichtliche Überprüfung des sie betreffenden Bescheids vom 02.02.2017 begehrten, da die Klageschrift ihres Bevollmächtigten weder einen "bestimmten Antrag" noch Angaben über "die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel" enthielt (vgl. zur entsprechenden Sollvorschrift § 92 Abs. 1 Satz 3 f SGG). Dabei kann dahinstehen, ob die Vorlage einer Klagebegründung in jeden Fall Gegenstand einer Betreibensaufforderung sein kann (zur Klage- bzw. Berufungsbegründung vgl. - jeweils nicht tragend - z.B. BSG v. 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R - Rn. 47 und Senatsentscheidung v. 01.12.2010 - L 7 AS 524/09 - juris Rn. 25; vgl. ausführlich hierzu insb. Burkiczak, a.a.O., § 102 Rn. 63 ff., auch zum Meinungsstand in Rspr. und Schrifttum m.w.N.). Jedenfalls in Fällen, in denen die Vorlage einer Klagebegründung angekündigt wurde und trotz anschließender gerichtlicher Aufforderung unter Fristsetzung sowie weiteren Erinnerungen nicht vorgelegt wurde, ohne auf die gerichtlichen Schreiben auch nur ansatzweise zu reagieren, kann eine Betreibensaufforderung ergehen (ebenso z.B. BVerwG v. 15.01.1991 - 9 C 96/89 - Rn. 10 ff. [zu einer vergleichbaren Regelungen im Asylrecht], LSG Berlin-Brandenburg v. 27.07.2017 - L 29 AS 1328/17 B PKH - juris Rn. 16, Thüringer LSG v. 01.10.2019 - L 6 KR 1156/18 - juris Rn. 17 ff., Burkiczak, a.a.O., § 102 Rn. 65 und Roller in: Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Aufl. 2017, § 102 Rn. 19; dahin tendierend z.B. Müller in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 102 Rn. 22; auch diese Konstellation offenbar ablehnend z.B. Berchtold in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl. 2016, § 6 Rn. 523). So verhält es sich hier. Der Bevollmächtigte der Antragsteller, dessen Verhalten ihnen zuzurechnen ist (§ 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i.V.m. § 85 ZPO), kündigte mit Klageerhebung an, die Klage "durch gesonderten Schriftsatz" zu begründen (vgl. Klageschrift v. 13.07.2017). Daran anknüpfend wurde ihm hierfür eine Frist bis zum 31.08.2017 gesetzt (§ 92 Abs. 2 Satz 1 SGG, gerichtliches Schreiben v. 01.08.2017). Reaktionen hierzu erfolgten insoweit nach Aktenlage nicht, auch nicht auf die gerichtlichen Erinnerungen zur Vorlage der Klagebegründung im Frühjahr 2018 (richterliche Verfügungen v. 12.04.2018 und 11.05.2018). Der Annahme des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses der Antragsteller steht für sich betrachtet auch nicht die Höhe der vom Antragsgegner geforderten Beträge und ein allgemeines Interesse von Rechtsuchenden in vergleichbaren Verfahren auf Zahlungsaufschub durch Klageerhebung entgegen (so indes z.B. Groth, jurisPR-SozR 19/2017 Anm. 5 unter C.), da die Wirksamkeit einer Betreibensaufforderung unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist (vgl. nur BSG v. 28.11.2019 - B 7 AY 2/18 B - Rn. 8 m.w.N.).

Der Senat setzt sich damit auch nicht in Widerspruch zu seiner Rechtsprechung, wonach allein wegen der Nichteinreichung einer Klagebegründung die hinreichende Erfolgsaussicht i.S.d. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO nicht verneint werden kann (vgl. z.B. Beschluss vom 11.11.2011 - L 7 AS 665/10 B PKH - juris Rn. 26 m.w.N.; vgl. ebenso z.B. Sächs. LSG v. 31.07.2014 - L 3 AL 71/13 B PKH - juris Rn. 20 m.w.N.). Denn eine Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG knüpft nicht an eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, sondern - insb. bei Nichtvorlage einer angekündigten Klagebegründung - an das Unterlassen nach Auffassung des Gerichts entscheidungserheblicher Handlungen oder Äußerungen an (vgl. wiederum nur BSG v. 28.11.2019 - B 7 AY 2/18 B - Rn. 8 m.w.N.), die gerade der Bewilligungs- und Entscheidungsreife eines PKH-Antrags (zur entsprechenden Differenzierung vgl. z.B. Sächs. LSG vom 18.05.2015 - L 3 BK 15/13 B PKH - juris Rn. 20 und Gall in: jurisPK-SGG, § 73a Rn. 50, jeweils m.w.N.; Bewilligungs- und Entscheidungsreife gleichsetzend z.B. B ... Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, § 73a Rn. 13b m.w.N.) entgegenstehen können (ebenso z.B. Burkiczak, a.a.O., § 102 Rn. 85.2; a.A. z.B. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen v. 14.02.2019 - L 9 SO 354/18 B - juris Rn. 3 m.w.N.).

Die Antragsteller sind der Betreibensaufforderung vom 11.06.2018 innerhalb der gesetzten Frist von drei Monaten nicht nachgekommen. Dies gilt selbst bei Berücksichtigung des Schreibens ihres Bevollmächtigten vom 21.09.2018. Daher kann dahinstehen, ob dieses Schreiben beim SG eingegangen ist, obwohl es sich ebenso nicht in den dem Senat vom SG vorgelegten Gerichtsakten S 16 (26) AS 2796/17 und S 26 AS 2797/17 befindet.

10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

11. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved