S 15 EG 10/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 EG 10/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des beklagten Landes vom 23.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 wird aufgehoben. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt das beklagte Land.

Tatbestand:

Streitig ist die Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Erziehungsgeld für die Zeit vom 24.05.2000 bis 23.10.2000 sowie die Erstattung eines Betrages von 3.000,00 DM.

Die im Jahre 0000 geborene Klägerin beantragte im Dezember 1999 beim beklagten Land die Gewährung von Erziehungsgeld für das erste Lebensjahr ihrer am 00.00.0000 geborenen Tochter N Q. Sie gab an, sie sei Lehramtsanwärterin und werde nach Ende des Mutterschutzes in der Zeit vom 20.12.1999 bis 31.01.2000 (Ende Referendariat) eine Erwerbstätigkeit von 14 Stunden wöchentlich aufnehmen. Ein neues Arbeitsverhältnis habe sie nicht in Aussicht. Mit Bescheid vom 14.01.2000 bewilligte das beklagte Land daraufhin Erziehungsgeld für das erste Lebenjahr der Tochter N.Q ab deren 3. Lebensmonat in Höhe von 600,00 DM monatlich (bis 23.10.2000).

Zum 08.05.2000 nahm die Klägerin eine Teilzeittätigkeit von 14 Wochenstunden an einer Sonderschule für Lernbehinderte in K auf. Die entsprechende Bescheinigung ging beim beklagten Land am 25. Oktober 2000 ein. Im Rahmen des Anhörungsverfahrens zur Überzahlung von Erziehungsgeld ab dem 24.05.2000 gab die Klägerin an, eine volle Erwerbstätigkeit liege erst bei mehr als 19 Stunden wöchentlich vor. Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen, wie die der Lehrer sehe das Gesetz nicht vor. Ihr hätten keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass bereits die Ausübung einer Tätigkeit von weniger als 19 Stunden wöchentlich den Anspruch auf Erziehungsgeld entfallen lassen könnte. Insbesondere aus dem ihr von der Beklagten ausgehändigten Informationsblatt ergebe sich, dass eine Tätigkeit bis zu 19 Wochenstunden erlaubt sei.

Mit Bescheid vom 23.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 hob das beklagte Land die Entscheidung über die Bewilligung von Erziehungsgeld mit Wirkung vom 24.05.2000 auf und forderte von der Klägerin die Erstattung des in der Zeit vom 24.05.2000 bis 23.10.2000 gezahlten Erziehungsgeldes in Höhe von 3.000,00 DM. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, durch die Aufnahme der Teilzeittätigkeit als Lehrerin ab dem 08.05.2000 habe die Klägerin den Anspruch auf Erziehungsgeld mit Ablauf des 23.05.2000 verloren. Sie habe eine Teilzeittätigkeit von 14 Wochenstunden bei einer wöchentlichen Pflichtstundenzahl von 26 Stunden aufgenommen. Bei der Beurteilung, ob ein Lehrer bzw. eine Lehrerin eine Vollerwerbstätigkeit im Sinne der §§ 1 und 2 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) ausübe, sei nicht die tatsächlich vereinbarte Wochenstundenzahl maßgebend. Es komme vielmehr für den Umfang der zulässigen Teilzeitarbeit von Lehrern auf das Verhältnis von zu leistenden Wochenstunden zu der maßgeblichen Pflichtstundenzahl an. Lehrer dürften Teilzeitarbeit bis zu der Stundenzahl verrichten, die dem Verhältnis von 19 Stunden Arbeitszeit zu einer Vollbeschäftigung entspreche. Die einschlägigen Richtlinien des Bundesministeriums für Famlie, Senioren, Frauen und Jugend zur Durchführung des BErzGG seien rechtmäßig. Sie berücksichtigten nicht nur die tatsächlich zu leistenden Schulstunden, sondern auch die üblicherweise erforderliche Vor- und Nacharbeitungszeit. Im Falle der Klägerin bedeute dies, dass lediglich eine Wochenstundenzahl von weniger als 13,08 Stunden für den Bezug von Erziehungsgeld unschädlich gewesen wäre. Da die Klägerin tatsächlich jedoch 14 Wochenstunden leiste, sei ihr Anspruch auf Erziehungsgeld ab dem 24.05.2000 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 BErzGG entfallen. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X für eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides lägen vor. Die Klägerin habe die ihr obliegende Mitteilungspflicht dadurch verletzt, dass sie die Kreisverwaltung Rhein-Lahn nicht zeitnah über die Aufnahme der Teilzeittätigkeit vom 08.05.2000 unterrichtet habe. Unzweifelhaft sei die Arbeitsaufnahme ein mitteilungspflichtiger Tatbestand im Sinne des § 60 SGB I, da Erziehungsgeld in Abhängigkeit von einer Erwerbstätigkeit und dem erzielten Einkommen gewährt werde. Die Klägerin habe die ihr obliegende Mitteilungspflicht auch grob fahrlässig verletzt. Sie sei ausdrücklich aufgefordert worden, jede Aufnahme einer Tätigkeit, auch einer geringfügigen, der Kreisverwaltung Rhein-Lahn anzuzeigen. Dieser Hinweis sei im Bewilligungsbescheid vom 14.01.2000 enthalten. Dieser Verpflichtung sei sie nicht rechtzeitig nachgekommen. Ermächtigungsgrundlage für die Erstattung des überzahlten Erziehungsgeldes sei § 50 SGB X.

Mit der hiergegen erhobenen Klage wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Anhörungsverfahren. Sie weist darauf hin, dass sie zumindest nicht grob fahrlässig gegen ihre Informationspflicht verstoßen habe. Der ihr von der Beklagten vermittelte Wissensstand ergebe sich aus dem ihr ausgehändigten Informationsblatt, worin ausgeführt sei, dass eine Teilzeittätigkeit bis zu 19 Wochenstunden erlaubt sei. Sie habe daher davon ausgehen dürfen, dass nur solche Änderungen für den Anspruch auf Erziehungsgeld von Bedeutung seien, die nach diesem Informationsblatt nicht erlaubt waren. Nachdem sie erfahren habe, dass sie eine Vertretungstätigkeit an der Grundschule in M aufnehmen konnte, habe sie mit der Kreisverwaltung Rhein-Lahn telefoniert und dies mitgeteilt. Dabei sei mit keinem Wort erwähnt worden, dass für Lehrer nur eine 13 stündige Tätigkeit ohne Anrechnung auf das Erziehungsgeld bleiben würde.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Schriftsätzlich hat die Klägerin dem Sinne nach beantragt,

den Bescheid des beklagten Landes vom 23.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 aufzuheben.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es weist darauf hin, dass der Klägerin bekannt gewesen sei, dass jede Änderung der Verhältnisse, insbesondere die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unverzüglich mitzuteilen war. Hierauf sei sie im Bewilligungsbescheid vom 14.01.2000 ausdrücklich hingewiesen worden. Hätte sich die Klägerin vor Aufnahme der Teilzeittätigkeit mit dem Jugendamt in Verbindung gesetzt, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, wäre sie über die zulässige Arbeitszeit für Lehrer informiert worden.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten des beklagten Landes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte vorliegend eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung treffen, weil die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetztes -SGG).

Die zulässige Klage ist auch sachlich begründet.

Der angefochtene Bescheid des beklagten Landes vom 23.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 entspricht nicht der Sach- und Rechtslage und ist daher rechtswidrig. Durch ihn wird die Klägerin beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, weil die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung von Erziehungsgeld für die Zeit vom 24.05.2000 bis 23.10.2000 nicht vorliegen und die Klägerin daher auch nicht zur Erstattung eines Betrages in Höhe von 3.000,00 DM verpflichtet ist.

Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung der Beklagten ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Nach dieser Vorschrift soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt und der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Fraglich ist bereits, ob die Aufnahme der Teilzeittätigkeit der Klägerin zum 08.05.2000 eine wesentlilche Änderung der Verhältnisse beinhaltet, die ihren Anspruch auf Erziehungsgeld entfallen lässt.

Anspruch auf Erziehungsgeld hat gemäß § 1 Abs. 1 BErzGG, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Nr. 1), mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt (Nr. 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr. 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr. 4). Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 BErzGG in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung, die vorliegend weiterhin anwendbar ist (§ 24 Abs. 1 BErzGG), wird keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt, wenn die wöchentliche Arbeitszeit 19 Stunden nicht übersteigt. Hierbei handelt es sich um eine absolute Grenze; eine Differenzierung nach bestimmten Berufsgruppen sieht § 2 BErzGG ausdrücklich nicht vor. Lediglich für Beamte, Richter und Berufssoldaten ermöglicht § 2 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG sogar eine Beschäftigung von 20 Wochenstunden, soweit die zugelassene gesetzliche Mindestarbeitszeit 20 Stunden beträgt (vgl. BT-Drucksache 10/3792, Seite 15). Selbst wenn ein Lehrer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19 Stunden naturgemäß Vor- und Nacharbeiten zu erledigen hat, steht dies angesichts der Selbstbestimmbarkeit von Ort und Zeit der weiteren Arbeit nicht der persönlichen Erziehung und Betreuung eines Kindes entgegen (vgl. Irmen in: Hambüchen, Kindergeld, Erziehungsgeld, Elternzeit, § 2 Randziffer 14). Die Handhabung des beklagten Landes, bei Lehrern lediglich die Hälfte der wöchentlichen Pflichtstundenzahl als für den Bezug von Erziehungsgeld unschädlich zu betrachten, widerspricht daher sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck des Bundeserziehungsgeldgesetzes.

Aber selbst wenn die Aufnahme der Teilzeitbeschäftigung zum 08.05.2000 eine wesentliche Änderung im Sinne des Gesetzes darstellt, hat die Klägerin jedenfalls nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihr obliegenden Mitteilungspflichten verletzt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Zutreffend hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, jedwede Aufnahme einer Tätigkeit mitzuteilen, sondern lediglich solche Tätigkeiten, die für den Erziehungsgeldanspruch von Bedeutung sein konnten. Dies ergibt sich sowohl aus der Gesetzesformulierung in § 48 SGB X ("wesentlich") als auch aus der Formulierung in § 60 SGB I ("erheblich"). Eine weitergehende Verpflichtung resultiert auch nicht aus dem Hinweis im Bewilligungsbescheid vom 14.01.2000. Da nach dem ihr ausgehändigten Informationsblatt während des Erziehungsurlaubs eine Teilzeitarbeit von 19 Wochenstunden erlaubt war, mußte die Klägerin die Aufnahme der Teilzeittätigkeit von ihrem Kenntnisstand her überhaupt nicht mitteilen. Dies gilt umsomehr, als sie auch bis zum Ende der Refenrendarzeit (31.01.2000) Erziehungsgeld bezogen hat, obwohl sie 14 Stunden wöchentlich gearbeitet hat.

Da somit ein Aufhebungstatbestand nicht vorliegt, ist die Klägerin auch nicht zur Erstattung eines Betrages von 3.000,00 DM verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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