L 1 KR 22/01

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 22 KR 150/98
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 22/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Februar 2001 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Kostenerstattung für eine operative Anlage eines Magenbandes zur Verringerung von extremen Übergewicht (sog. gastric-banding).

Die Klägerin, geboren am X.XXXXXXXXX 1970, beantragte im Oktober 1997 unter Vorlage eines ärztlichen Attests der sie behandelnden Internistin und Psychotherapeutin Dr. P. die Übernahme der Kosten zur operativen Anlage eines Magenbandes. Die Ärztin führte in dem Attest aus, dass sich die Klägerin bei ihr in psychotherapeutischer Behandlung befinde und seit vielen Jahren unter einer Adipositas per magna leide. Bei einer Körpergröße von 176 cm betrage das Gewicht 139 kg. Eine Gewichtsreduktion sei dringend geboten. Wiederholte Diäten- und Fastenkuren hätten nur vorübergehend zu einer deutlichen Gewichtsminderung geführt. Zur Vermeidung gesundheitlicher Gefährdung sowie zur Unterstützung der psychotherapeutischen Arbeit sei es notwendig, dass die Klägerin mit einem Magenband versorgt werde. Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. Der MDK kam nach Untersuchung der Klägerin zu dem Ergebnis, dass eine Kostenübernahme für die beantragte Operation nicht befürwortet werden könne. Es bestehe zweifelsfrei ein massives Übergewicht. Die üblichen konservativen Behandlungsmethoden seien jedoch noch nicht ausgeschöpft worden. Es wurde u.a. die Kontaktaufnahme mit dem Zentrum für Essstörungen in Hamburg empfohlen. Darüber hinaus bestehe auch die Möglichkeit einer Behandlung in der Adipositas-Sprechstunde im Universitätsklinikum in Hamburg. Außerdem wurde auf die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung in einem Hamburger O.-Zentrum hingewiesen.

Durch Bescheid vom 27. November 1997 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf das Gutachten des MDK und noch nicht ausgeschöpfter konservativer Behandlungsmethoden eine Kostenübernahme ab. Sie empfahl zur weiteren Behandlung das Hamburg Zentrum für Essstörungen bzw. das Hamburg O.-Zentrum. Der hiergegen von der Klägerin eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1998 zurückgewiesen. Die Klägerin erhielt darin den zusätzlichen Hinweis auf die vom MDK empfohlene Adipositas-Sprechstunde.

Am 25. Februar 1998 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie zunächst Kostenübernahme und nachdem sie den Eingriff am 13. Juli 1998 im Krankenhaus B. Ost hat durchführen lassen, Kostenerstattung geltend gemacht hat.

Das Sozialgericht hat nach Einholung eines ärztlichen Befundberichts beim behandelnden Internisten Dr. T. und Beiziehung der Krankenakte des Krankenhauses B.-Ost durch Urteil vom 13. Februar 2001 die Klage abgewiesen.

Mit ihrer hiergegen eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin die Kostenerstattung weiter.

Im Berufungsverfahren verweist die Klägerin auf den Erfolg des Eingriffes und betont nochmals die Ausnahmesituation vor dem Eingriff. Diäten und Kuren in eigener Initiative seien gescheitert. Die von der Beklagten vorgeschlagenen Behandlungsmethoden seien in ihrem Fall kontraindiziert. Ihr Essverhalten sei bereits in der Kindheit durch die Eltern kontrolliert worden. Die elterliche Kontrolle hätte jedoch lediglich heimliches Essen gefördert. Auf umfängliche ärztliche Kontrollen reagiere sie wie auf die Kontrollen in der Kindheit mit Abwehr und Umgehung. Die Behandlung bei der Psychotherapeutin habe aus Zeitmangel nach ca. 15 bis 20 Stunden abgebrochen werden müssen. Den medizinischen Indikationskatalog für ein gastric-banding habe sie vollständig erfüllt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Februar 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. November 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 2.910,- EUR zuzüglich 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

hilfsweise gem. § 106 SGG ein medizinisches Gutachten auf psychiatrischem oder psychotherapeutischem Fachgebiet einzuholen zu der Behauptung, dass die von der Beklagten angebotenen Maßnahmen zu keinem Erfolg geführt hätten, da sie aufgrund biographischer Hindernisse beratungsresistent gewesen ist,

höchsthilfsweise dieses Gutachten bei einem noch zu benennenden Sachverständigen nach § 109 SGG einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidung für rechtmäßig und betont nochmals, dass eine operative Maßnahme zur Reduzierung von Übergewicht nur als Ultima Ratio am Ende eines gescheiterten umfassenden und langfristigen Behandlungskonzepts stehen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. November 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1998 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte Magenbandoperation.

Als Anspruchsgrundlage kommt lediglich § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese nach dieser Vorschrift von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt.

Eine unaufschiebbare Leistung lag nicht vor, insbesondere war kein Notfall im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V gegeben. Der von der Klägerin geschilderte Leidensdruck stellte keinen solchen Notfall dar. Die Beklagte hat eine Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt.

Der Umstand, dass für eine Magenbandoperation noch keine Bewertung durch den seit dem 1. Januar 2004 zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss – vormals Ausschuss Krankenhaus - vorliegt, schließt einen Anspruch der Klägerin noch nicht aus. Das Fehlen eines Erlaubnisvorbehaltes in § 137c SGB V – als Grundlage für die Bewertung der Qualität von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus - hat zur Folge, dass neuartige Verfahren im Krankenhaus keiner vorherigen Zulassung bedürfen, sondern zu Lasten der Krankenversicherung bereits angewendet werden können, wenn der Ausschuss sie noch nicht explizit ausgeschlossen hat (vgl. Bundessozialgericht (BSG) 19. Februar 2003 - B 1 KR 1/02 R, NZS 2004, 140, entschieden am Beispiel einer Magenbandoperation).

Eine Leistungspflicht der Beklagten kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass für das Übergewicht das krankhafte Essverhalten der Patientin und nicht eine Funktionsstörung des Magens verantwortlich sei und die Operation damit nicht an der eigentlichen Krankheit ansetzt. Eine behandlungsbedürftige Adipositas stellt eine anerkannte Krankheit im Sinne des SGB V dar. Soweit durch einen operativen Eingriff in ein funktionell intaktes Organ – hier den Magen – eingegriffen und dieses regelwidrig verändert werden soll, wie es beim Legen eines Magenbandes geschieht, bedarf die lediglich mittelbare Behandlung aber einer speziellen Rechtfertigung. Auch bei Vorliegen der übrigen medizinischen Voraussetzungen entsprechend der aktuellen Leitlinien der Fachgesellschaften (Bodymaßindex – BMI - größer als 40, Alter zwischen 18 und 60 Jahren, länger als 5 Jahre bestehende Fettsucht, physischer und psychischer Leidensdruck, Ausscheiden einer hormonellen Stoffwechselkrankheit als Ursache der Adipositas, keine primär psychische Erkrankung) kommt eine Operation immer nur als Ultima Ratio in Betracht (vgl. BSG, ebenda), d.h. konservative Behandlungsmethoden müssen zuvor nachweislich gescheitert sein.

Die Klägerin hat nach ihrem Vortrag – welchem die operierenden Ärzte offenbar gefolgt sind - eine Vielzahl von Diätversuchen hinter sich. Es liegen aber keine Nachweise vor, dass sie vor der Operationsentscheidung Behandlungsalternativen systematisch mit ärztlicher Begleitung versucht hat. Aus der aktuellen Leitlinie zur Prävention und Therapie der Adipositas der Deutschen Adipositas Gesellschaft, Stand: Juni 2003, ist selbst bei einem BMI von mehr als 40 (Adipositas Grad III), wie er bei der Klägerin vor der Operation vorgelegen hat (BMI von 47), grundsätzlich ein Basisprogramm, welches sich zusammensetzt aus Ernährungstherapie, Bewegungstherapie und Verhaltensmodifikation, vorzuschalten. Bleibt dieses Programm ohne Erfolg, gilt es eine medikamentöse Therapie zu erwägen, erst danach ist ein operativer Eingriff in Betracht zu ziehen. Weder für ein Basisprogramm noch für eine jedenfalls erwogene medikamentöse Therapie liegen hier Nachweise vor. Die Klägerin befand sich vor der Operation zwar in psychotherapeutischer Behandlung und dies u.a. wohl auch wegen ihres Übergewichtes. Nachweise für ein ärztlich begleitetes Ernährungs- und Bewegungsprogramm sind nicht erbracht. Der vom behandelnden Internisten eingereichte ärztliche Befundbericht vom 18. August 1998 gibt lediglich den Zustand der Klägerin vor der bereits feststehenden Entscheidung zur Operation wieder. Angaben zu vorangegangenen erfolglosen konservativen Behandlungsmethoden enthält der Bericht nicht. Die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgeschlagenen Einrichtungen bzw. vergleichbare, selbst ausgewählte Einrichtungen hat die Klägerin unbestritten nicht aufgesucht.

Die von der Klägerin hierfür gegebene Begründung, auf umfangreiche ärztliche Kontrollen reagiere sie wie auf Kontrollen durch ihre Eltern mit Abwehr und Umgehung, ist nicht ausreichend, den Kostenerstattungsanspruch zu begründen. Es war der Klägerin zumutbar, jedenfalls den Versuch, einer systematischen Behandlung vorzunehmen. Bei den von der Beklagten vorgeschlagenen Einrichtungen handelt es sich um ambulante Angebote, bei denen davon auszugehen ist, dass sie aufgrund ihrer Spezialisierung auf Essstörungen bei der Klägerin vorhandene Grenzen professionell aufgedeckt hätten.

Der Senat hatte keinen Anlass, gem. § 106 SGG der Frage nachzugehen, ob ein solcher Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt war, etwa weil aufgrund biographischer Hintergründe eine Therapieresistenz bestand. Diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Selbst bei Vorliegen der behaupteten Therapieresistenz wäre die Klägerin nicht davon entbunden gewesen, das Gericht vom Versuch systematischer konservativer, letztlich aber erfolgloser Behandlungsmethoden zu überzeugen. Dies ist - wie dargelegt - aber nicht gelungen. Im Übrigen bestanden für eine Therapieresistenz aber auch keine Anhaltspunkte. Ärztliche Aussagen hierzu gibt es nicht. Vor dem operativen Eingriff hat die Klägerin im Rahmen eines psychotherapeutischen Vorgespräches im Krankenhaus B.-Ost zur Begründung ihres Entschlusses zwar davon gesprochen, dass sie es nicht ertrage, von anderen Menschen bezüglich ihres Essens bevormundet und kontrolliert zu werden. Den Schluss einer Therapieresistenz zieht der in der Krankenakte vorliegende Arztbericht daraus aber nicht. Abschließend wird vielmehr ausdrücklich befürwortet, die begonnene – nach Angaben der Klägerin aus Zeitmangel beendete - Psychotherapie fortzusetzen und nach Möglichkeit auch noch auszuweiten.

Mangels Entscheidungserheblichkeit war auch der gleichlautende Antrag nach § 109 SGG abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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